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Sagen & Geschichten aus München

Münchner Sagen & Geschichten

Die offiziellen Schlittenfahrten

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Im 16. Jahrhunderte pflegte der Magistrat der Stadt München am Sonntag nach heil, drei Könige jeden Jahres Nachmittags eine große Schlittenfahrt durch die Straßen der Stadt zu veranstalten, an welcher die Bürgermeister, die Mitglieder des Rathes, die Patrizier und ihre Frauen und Töchter theilnahmen. Dieser Schlittenfahrt sahen die Herzoge mit ihren Familien aus den Fenstern der Residenz zu. Am Abende desselben Tages fand dann auf der „Trinkstube" am Marienplatze eine große Mahlzeit statt, zu welcher die Herzoge das Wildpret verabreichen ließen, und auch wohl selbst bei dem am Schluße stattfindenden Tanze erschienen.

Diese Schlittenfahrten mochten im Verlaufe der Zeit vom Magistrate nicht mehr ganz geeignet gefunden worden sein, denn vom Jahre 1592 an machte derselbe fortwährende Versuche dieselben einzustellen, während aber anderseits der herzogliche Hof sie als eine hergebrachte ihm gebührende Huldigung ansah, und auf deren Abhaltung zu bestehen suchte. Die darüber gepflogenen Verhandlungen erscheinen für uns und unsere veränderten Zustände so absonderlich und komisch, daß es der Mühe verlohnt, einige Blicke darauf, als karakteristisch für damalige Zeit, zu werfen.

Am 10. Januar 1592 kündigte der Magistrat dem Herzoge Wilhelm V. ganz kurz an, er sei Willens, diese Schlittenfahrten künftig ganz einzustellen. Aber schon des folgenden Tages am 11. Januar befahl der Herzog, die Herumfahrt morgen zu halten. Noch am nämlichen Tage remonstrirte der Magistrat dagegen und bat zugleich die Herumfahrt, da bisher noch kein Schnee gefallen, bis kommende Fastnacht zu verschieben, und zwar um so mehr, als mehrere ihrer Hausfrauen schwangeren Leibes seien und daher das Herumfahren mit Schlitten auf dem bloßen Pflaster gefährlich für sie sei; bitten also „ihre Hausfrauen und Töchter zu verschonen."

Die Akten melden von dem Verlaufe der Sache in diesem und den nächstfolgenden Jahren nichts, es scheint daher, daß diese Differenzen gütlich ausgeglichen wurden.

Aber im Jahre 1604 erscheint wieder ein Schreiben des Herzoges Maximilian I. an den Stadtmagistrat, in welchem er demselben wegen der unterlassenen Schlittenfahrt sein Mißfallen ausdrückt und unter Androhung von Strafe befiehlt, herumzufahren, es schneie oder nicht.

Dagegen remonstrirt unterm 18. Januar wieder der Magistrat und führt an, „sie hätten, weil der Herzog ihnen dieß Jahr zum Bürger mahle das übliche Wildpret nicht habe zuordnen lassen, geglaubt, Er selbst wolle diese Zusammenkünfte wegen der großen Unkosten abstellen. Sie selbst hätten aber auch dabei immer Unkosten gehabt, die sie nicht erschwingen können, etliche hätten aus ihrem Privatvermögen 10« Gulden, ja etliche 200 Gulden Auslagen gehabt, geschweige der Leibes- und Lebensgesahr, die sie durch Ungeschicklichkeit der uneingeübten Bürger ausgestanden. Da nun der Herzog die Mahlzeiten einzustellen vermeint, so haben sie zur Ersparung fernerer Unkosten das Herumfahren gleichfalls einstellen wollen. Jedenfalls bäten sie, dasselbe so lange einzustellen, bis eine Schlittenbahn vorhanden sei; auch seien etliche Hausfrauen hoch schwangeren Leibes, oder krank."

Durch Resolution vom 20. Januar geruhte Herzog Maximilian die Schlittenfahrt auf einige Tage zu verschieben, und eine gleiche Vertagung erfolgte auf ein neuerliches Gesuch des Magistrates.

Als Herzog Maximilian aber fest auf seinem Befehle beharrte, kam am 13. Februar ein wiederholtes Bittgesuch des Magistrates mit neuen Entschuldigungen ein. „Es sei unvermuthet ein Hinderniß eingefallen, weil die Hochzeit des Albrecht Lerchenfelders, fürstlichen Kammerrathes und Geschlechtsverwandten der Stadt, gefeiert werde, ihm hiezu die Trinkstube, die ihnen zum Herumfahren nöthig sei, eingeraumt wurde, und sie selbst auch geladene Gäste dabei seien; ferner sei Bürgermeister Michael Barth krank, etliche ihrer Frauen im Kindbett oder sonst „übel auf", so daß ihre Anzahl so klein sei, daß sie „besorgten, Sr. Durchlaucht hiemit wenig Ehr erzeigen zu können."

Hierauf erging der herzogliche Befehl, „morgen Sonntag sollen sie fahren", worauf aber der Magistrat entgegnete: „es könnte nicht mehr geschehen, mehrere von ihnen hätten keine Pferde, müßten selbe erst anderwärts zu bekommen suchen."

Die Akten schweigen nun wieder über den ferneren Verlauf.

Aber am 26. Dezember 1604 erstattete der Magistrat an den Herzog einen ausführlichen Bericht, in welchem er folgendes auseinandersetzt: „Sie hätten über den Ursprung des Herumfahrens, oder daß es „aus einiger Schuldigkeit" geschehe, nichts sinden können, sondern es sei nicht anders als eine aus freiem Willen angestellte Ehrenbezeugung. — Der „Pöbel" habe aber in letzter Zeit davon „spöttlich" geredet, als geschehe es dem Magistrate zum Spott und wegen „einer von Alters verschuldeten Strafe." Es sei auch geschehen, daß die alten Geschlechter merklich abgenommen haben, so daß sie kaum mehr sechs Geschlechtspersonen des äußern Rathes ersetzen können, und daher, was sonst in ansehnlicher Zahl mit Solennität geschehen, jetzt nur in sehr verkleinerter Anzahl vorgegangen, so daß es dem Magistrate nur zur Verkleinerung geschehe und Seine fürstliche Durchlaucht nur schlechte Ehr erzeigt werde. Sie bitten daher um gänzliche Aufhebung dieses Gebrauches."

Eine hierauf erfolgte herzogliche Resolution findet sich in den Akten nicht, hingegen aber wurde im Jahre 1608 vom Herzoge das jährliche Herumfahren in Gnaden für künftig erlassen.


Wir müssen draußen bleiben