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Sagen & Geschichten aus München

Münchner Sagen & Geschichten

Vorlage

Raff - So lang der alte Peter...


III. Abteilung

 

 

 

Die schmerzhafte Kapelle und das

Kapuzinerkloster

Draußen vor dem Sendlingertor stand ein kleines Häusl, fast so

gemieden, wie das Scharfrichterhaus: das Prech- oder Pesthäusl. Die

Aussätzigen pflegten von hier aus, wie in der Nähe der Leprosenhäuser

in Schwabing und am Gafteig ihre hölzernen Pritscheln zu rühren

und milde Gaben von den durchs Tor Ein- und Ausgehenden zu er-

betteln. Während der häufigen Pestzeiten hauste hier der „Prechbader"

und der „Pestraucher", die alle ankommenden Briefe, Pakete, Waren,

Gelder, kurz was da immer einlief, in Essig durchräucherten. Schon

seit den Tagen Herzog Albrecht IV. stand in dieser düsteren Umgebung

ein Bild des leidenden Heilandes mit Schutzdach, das unter Wil-

helm IV. (1540) zu einer wirklichen Paffionskapelle vergrößert ward.

Während des dreißigjährigen Krieges jedoch, als die Befestigungs-

werke Münchens erweitert wurden, fiel die Kapelle dieser Erweiterung

zum Opfer.

Mittlerweile war der „fertere" (äußere) Freithof vor dem Send-

lingertor entstanden, in dem anfänglich, außer den Opfern der Pest,

meist Fremde und Selbstmörder bestattet wurden. Südlich von ihm er-

richtete andächtiger Sinn eine Martersäule und später ein Kapellchen,

wieder mit dem Leidensbilde des Heilandes. Die Opfergaben, die der

kleinen Kapelle zufloffen, mehrten sich mit den Jahren, ebenso wie

die Anwohner der „Gmain auf dem Obern Lehel" an Zahl zunahmen,

sodaß der Bau eines eigenen Gotteshauses für sie gerecht und billig

erschien. Im Jahre 1702 ward die bisherige Paffionskapelle abge-

brochen und eine größere Rotunde mit dem Namen „Schmerzhafte

Kapelle" erbaut, in der das Bild des Gekreuzigten, das in jener ver-

ehrt worden, wiederum zur Aufstellung kam. —

Hundert Jahre, ehe diese Paffionskapelle konsekriert wurde, hatte

bereits Kurfürst Maximilian I. dem zu Ende des sechzehnten Jahrhun-

derts gegründeten Orden der Kapuziner ein Kloster errichtet, zunächst

der Herzog Marburg, das erste in Bayern. Der jüngste Zweig des se-

raphischen Ordensftammes brachte es bald zu großer Beliebtheit. Her-

zog Wilhelm V. begab sich von der Herzog Maxburg häufig zu den

Gottesdiensten und Andachten ins Kloster hinüber. Das Volk strömte

zahlreich zu; als der Kapuziner Remigius von Pozolo im Gerüche der

Heiligkeit starb, drängte sich die Menge, den Leichnam mit ihren Rosen-

kränzen zu berühren. Gegen Beschuldigungen, die von geistlicher Seite

erhoben wurden, weil die Kapuziner geweihte Kräuter und Wurzeln

als Amulette verteilt hätten und dergleichen, nahm Kurfürst Maximi-

lian selbst sie in Schutz und half ihrer Sache zum Siege. Er vergabte

der Klosterkirche unter anderen Stiftungen eines der schönsten Werke

seines Hofmalers Peter Candid, die „heilige Sippe". Eine ganz im

Renaiffancegeist empfundene „8anta conversazione“, darstellend Ma-

ria mit dem Kinde, mit St. Josef, Sankta Elisabeth und dem kleinen

Johannes; Maximilian hatte dem Künstler das Bild bestellt. Der

Eindruck des Bildes, das den Altar in der einen der zwei Grüfte der

Klosterkirche zierte, war ein so wundersamer, daß eö für wundertätig

galt; viele Andächtige wallten, namentlich um die Fronleichnamszeit,

durch den sogenannten Kapuzinergraben (vom HimbselhauS bis zum

Neutor) dorthin. Der zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Klo-

ster weilende, später feierlich heilig gesprochene Pater Lorenz von Brin-

disi las öfters vor diesem Bilde die Messe und fiel dabei zuweilen in

Verzückung, sodaß er mehrere Stunden bis zur Vollendung des Opfers

brauchte. Dies hielt den Kurfürsten, damals noch Herzog Maximilian I.

aber nicht ab, ihm häufig zu ministrieren. Der Ergriffenheit vom

Anblick des GruftbildeS wurde späterhin (1706) der Übertritt des mit

einer verwitweten Gräfin Arco vermählten schwedischen Generals Horn

zugeschrieben. Eine besondere Anziehung für Blumenfreunde besaß der

Klostergarten, der stets mit den schönsten Blumen prangte. Im Garten

wurden auch die wenigen Gestorbenen bestattet, die, einer ansteckenden

Krankheit erlegen, in den Grüften deshalb nicht beigesetzt wurden.

Unter den Vielen, denen die Kirchengruft die letzte Ruhestatt bot, be-

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fanden sich zwei durch die französische Revolution vertriebene fran-

zösische Bischöfe: Franz v. Bonnat, Bischof von Clermont und der

Bischof von Lisieux, JuleS-Basile Ferron de la FerronayS, der in ei-

nem Hause der PrannerSgasie zu München starb. „Mortuus ex diae*

cesi et patria exul. Gestorben als Verbannter, fern von Herde und

Heimat," sagte das Totenbuch von ihm.

Nach etwas mehr als zweihundert Jahren des Bestehens — fast

während dieses ganzen Zeitraumes waren die Kapuziner als eifrige

Prediger an der St. PeterSkirche tätig gewesen — traf 1802 die Auf-

hebung, wie so viele Kirchen und Klöster, auch die Niederlaffung der

Kapuziner. Unter Ludwig I. jedoch, auf Betreiben mehrerer Freunde

des Ordens, vor allem des greisen, selbst dem Orden zugehörigen Bene-

fiziaten Georg Urban Zacher, ward die Neuerrichtung eines Kapuziner-

hospizes beschloffen und zwar bei der schmerzhaften Kapelle vor dem

Sendlingertor, nahe dem äußeren Friedhof. Die Kapelle ward in

vergrößerter Gestalt dem Kloster als Kirche angegliedert; doch erwies

sie sich in die Länge noch zu klein, um so mehr als nun ein so volkreicher

Stadtteil des neuen München sie umgab. 1893 — 95 mußte zum Bau

einer geräumigen Kirche geschritten werden, die in schöner, würdiger

Einfachheit das Ganze erst baulich abschloß und dem hl. Antonius ge-

weiht wurde.

Einmal noch erstand das alte Heim des Ordens vor jedermanns

Augen: als im Juni 1896 bei Erdarbeiten auf dem Maximiliansplatz,

heutigen Lenbachplatz, die vormalige Kapuzinergruft aufgedeckt wurde.

Unter dem Andrang einer großen Menschenmenge wurden über 200

Leichen ans Licht gefördert; Mitglieder des, von der Aufdeckung als-

bald verständigten, Kapuzinerkonvents halfen die Gebeine ihrer toten

Mitbrüder sammeln. Nachdem die Toten feierlich ausgesegnet worden,

führte sie der Totenwagen, von den Patres geleitet, auf den kleinen

Friedhof der neuen Klosterkirche, zu ihrer letzten gemeinsamen Frie-

dcnSstatt.

Vom alten Friedhof „am Kreuz" und dem

südlichen Friedhof

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts war es so weit, daß die Toten-

äcker bei den Hauptkirchen für die wachsende Einwohnerzahl nicht mehr

genügten. Da hielten die Stadtväter Umschau nach geeigneten neuen

Plätzen und wählten für die Pfarrei zu U. L. Frau einen Platz „in der

Kuh" (der heutige Salvatorplah), für die St. Peterspfarrei aber einen

am Sendlingertor, wo mehrere Straßen sich kreuzten; deshalb hieß

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die Stelle „auf dem Kreuz" oder „am oberen Kreuze" im Gegensatz

zu dem „unteren Kreuz," dem früheren Parade-, jetzt Promenadeplah.

1478 erwarb der Magistrat ein Grundstück von der Schmalz- (jetzt

Kreuz-) Gaffe bis zur Brunnstraße, die ihren Namen davon haben

soll, daß hier in frühester Zeit, da ringsum Weideland war, ein Brun-

nen stand, an dem die Hirten ihre Herden tränkten. Durch Hinzukauf

noch weiteren Bodens ward der neue St. PeterS-GotteSacker eine

ziemlich geräumige Begräbnisstätte; 1480 begann der Bau einer

Gottesackerkirche „auf dem Kreuz", und zwar leiteten ihn die Werk-

meister der Frauenkirche, Jörg von Haslbach und Heimeran von Strau-

bing. Durch Vergleich mit den Erben Ainwich des GollierS, des kinder-

los verstorbenen Ritters, der das Allerheiligen-Kirchlein auf dem

Marktplatz erbaut hatte, ward diese ohnehin baufällige Kapelle ab-

gebrochen, und das Gollierfche Benefizium kam in die neue Aller-

heiligenkirche auf dem Kreuz. Als solche ward sie 1485 konsecriert.

Anfänglich richtete ein heftiger Widerstand der Einwohner sich

gegen die neuen Freithöfe. Den Einen fiel eS hart, daß sie nicht an der

Seite ihrer vorausgegangenen Lieben ruhen dürften; andere, die welt-

licher und selbstbewußter geartet waren, dünkten sich herabgesetzt,

fremden Landfahrern und hablosen Leuten gleichgestellt, weil sie auf den

abgelegeneren Friedhof gebettet werden sollten. Die Geistlichkeit hatte

ihre Not, die Pfarrkinder zu einer richtigen Auffasiung der Dinge zu

bringen; der Stadtrat von München erwirkte, um die neue Maßregel

dem Volke annehmlicher zu machen, im Februar 1480 eine päpstliche

Bulle, worin Alle, welche die neuen Freithöfe Münchens besuchen wür-

den, mit besonderen Abläffen begnadigt wurden. Noch in demselben

Jahre ergingen von Seilen des heiligen Stuhles formelle Verbote,

auf den alten Freithöfen fernerhin zu begraben. Damit war der Wider-

stand der Münchener gebrochen-

Ein harter und grausiger Mißbrauch, besten I. M. Forster erwähnt:

daß ein Toter, der unbezahlte Schulden hinterließ, in alter Zeit nicht

ehrlich begraben werden durfte, war seit 1329 abgeschafft. Denn da-

mals hatte der Gegenpapst Nikolaus V., der in der Reihe der recht-

mäßigen Päpste nicht aufgeführt ist, aus Pisa, wo er sich bei Kaiser

Ludwig dem Bayern aufhielt, die Verfügung erlassen, daß Jedermann,

auch der Ärmste, geistlich begraben werden müßte. Unwillkürlich drängt

sich beim Gedenken jener Härte der Anfang des weitverbreiteten Volks-

märchens vom „dankbaren Toten" unserer Erinnerung auf.

Im Jahre, da der Bau der neuen Freithofskirche begann (1480),

stiftele und erbaute der Rat von München das Stadtbruderhaus für

kranke und bresthafte Bürger, das neben die „Allerheiligenkirche auf

dem Kreuz" zu stehen kam. Die Seelsorge für die Insassen des Bruder-

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Hauses lag dem Kaplan der Allerheiligenkirche ob, so lange bis das

Spital, über hundert Jahre später, eine eigene Kapelle erhielt.

Jene ersterwähnten päpstlichen Bullen verordneten noch ausdrück-

lich, daß zu Pestzeiten die Gestorbenen nur auf den neuen Freithöfen

und nirgends sonst bestattet werden dürften. Allzubald trat der Fall ein:

als die Epidemie des Jahres 1506 das Totenfeld rasch mit Grabstätten

füllte. —

Wohl schon damals bestand, südwestlich der Stadtmauer, ein Freit-

hof für Arme, Aussätzige und unbekannte Tote, der von seiner Lage den

Namen „der fertere" der äußere, hatte. Auf diesem, nur dürftig ein-

gezäunten Leichenacker erbaute Herzog Albrecht V. 1578 ein Salvator-

kirchlein. Nicht lange darnach erwarb die lateinische Congregation von

unserer lieben Frauen Verkündigung, der Herzog Wilhelm V. selbst

angehörte, eine größere Grabstätte, vermutlich mit der bestimmten Ab-

sicht, dem äußeren Friedhof das üble Ansehen, in dem er stand, zu be-

nehmen. Als, wie vorauszusehen war, auch die neuen Friedhöfe nicht

mehr genügten, ward der „fertere Freithof" der allgemeinen Benützung

übergeben; dazumal schon wurde eine neue Kirche, zu Ehren des Erzmar-

tyrers Stephan, an Stelle des baufällig gewordenen Salvatorkirch-

leins erbaut. Eine magiftratliche Verordnung vom Jahre 1789 hob

sämtliche Friedhöfe im Innern der inzwischen beträchtlich erweiterten

Stadt auf und verordnete die Überführung aller Leichen auf den am

14. April desselben Jahres benedizierten Gottesacker vor dem Send-

linger Tor. Aus dem Freithof am Kreuz wurden fünf große Wägen mit

Gebeinen hinausgefahren, auch die wertvollsten Denkmäler aus der

Umgebung der Allerheiligen-Kirche hinausverseht. Diese Kirche kam

dadurch in Vernachläsiigung und Vergesienheit: bei dem zweimaligen

Einfall der Franzosen 1796 und 1800, ward sie gesperrt, ja beim

erstenmal ward sie ihres sakralen Charakters völlig entkleidet und

diente als Brot- und Kornmagazin. Von 1804 bis 1814 stand sie ent-

weiht und verödet, bis die Umwohner sich ihrer annahmen, milde Gaben

für sie sammelten und die Erlaubnis zu ihrer Wiederherstellung erlang-

ten. Unter den Spenden, die ihr zufloffen, befand sich auch ein holz-

geschnitztes Kruzifix mit der schmerzhaften Mutter darunter; hievon

weiß die Sage zu melden, daß der gleiche Künstler (Tobias Bader),

von dem die wunderreiche Muttergottes der Herzogspitalkirche stammt,

aus dem gleichen Lindenbaum wie diese auch jenes andere, nun in der

Kreuzkirche aufbewahrte Kreuz- und Marienbild geschnitzt habe. Da-

her wird die Muttergottes der Kreuzkirche „die Schwester von der

Herzogspital-Muttergottes" genannt. —

Der Friedhof vor dem Sendlingertor, im Lauf der Jahre beträcht-

lich erweitert und verschönt, ist von da an bis 1868 der einzige Got-

teöacker Münchens, abgesehen von den Begräbnisplätzen der Vorstädte

und dem israelitischen Friedhof (angelegt 1816) gewesen. „Unser Lie-

ben Frauen und S. Peters Gottes-Acker vor dem Sentlinger Thor"

nennt ihn die Aufschrift eines alten Stiches von Joh. Stridbeck aus dem

18. Jahrhundert. Noch leidlich unverändert ist, gleich am westlichen

Eingang des alten Friedhofteiles, die 1644 erbaute kleine Stefanö-

kirche. Sie war vordem der Mittelpunkt einer alten Münchener Sitte.

Am Tage des ErzmärtyrerS Stephan (26. Dezember) nämlich wur-

den sowohl die feinen Vollblutpferde wie die derben Arbeitsgäule

von ihren Besitzern oder deren Bediensteten um die Kirche herum-

geritten, damit sie während des Jahres vor Krankheiten bewahrt blieben

und ihnen die Steine an den Hufen nicht schadeten. Natürlich fanden

zu dem schmucken Anblick, den der StephanSumritt trotz des Ernstes

der Stätte gewährte, zahlreiche Zuschauer sich ein.

An der Mauer des StephanskirchleinS grüßt die Besucher der Na-

me eines den Münchnern durch seine Werke Wohlbekannten. Denn

dort befindet sich der Grabstein des Hofbildhauers Roman Anton BooS,

von deffen Hand die „Taten des Herkules" unter den Hofgarten-

Arkaden, die vier Statuen an der Fassade der Theatinerkirche und ver-

schiedene Bildwerke im Nymphenburger Park herrühren. — Freilich:

je tiefer es in das Totenfeld hineingeht, desto größer wird die Zahl

Derer, die ein unsterbliches Gedenken in München hinterlaffen haben.

Die meisten Schöpfer des geistigen und baulichen München aus der

Zeit seiner ersten Könige ruhen hier, zumal in den steinernen Arkaden

des Campo santo, deffen Erbauer Friedrich v. Gärtner selbst darin be-

graben liegt. Aber nicht nur stolze und erhebende Erinnerungen be-

wahrt der Friedhof. Er birgt auch die zwei Massengräber der „in der

großen Sterb" des Jahres 1634 Hingerafften, zusammen etwa zwölf-

hundert. Desgleichen ist hier die Grabstätte der „bey 800 unterschied-

liche Burger und Bauersleut, so umb Sendlingen und die Stadt

München den 25. December Anno 1705 an den St. Weihnächt Tag

von den Kaiserlichen und dero Allierten Treppen seind nidergemacht

und theils in den Spitelern und Clöstern gestorben, Denen Gott gnedig

sein wolle." Im Jahre 1831 wurden ihre Reste unter dem bisherigen

schmucklosen Hügel erhoben und an die Stelle übertragen, die nun das

von Gärtner entworfene, von Stiglmayer gegossene Denkmal in Form

eines Weihwasserbeckens ziert. Um dem Denkmal Platz zu machen, ward

die ohnehin baufällige Kapelle der Lateinischen Kongregation, von der

zu Anfang die Rede gewesen, abgebrochen.

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Hundskugel zu München

Lange erhielt sich das Gedächtnis des lustigen Bildes, das an der

Mauer des Hauses Nr. 2 in dem „Hundskugel" genannten Gäßchen

zu sehen war. Das Bild stellte eine im Grünen stehende Kegelbahn vor,

auf der eine muntere Schar von Hunden sich mit Kegelscheiben belu-

stigte. Andere Hunde sahen ihnen zu und hielten dabei in den Pratzen

einen Teller mit Würsten, von denen sie herzhaft herunter biffen. Man

war sich deshalb nicht einig, ob der Name „Hundskugel" nicht viel-

mehr „Hundskuchel" lauten müßte, nämlich Hundeküche; hinwieder

wird erzählt, daß vereinst eine Kugel von etlichen Hunden durch das

Neuhausertor die Gasse herabgerollt und an einem Haus niedergelegt

worden fei.

Unter dem Gemälde stand ein alter Reim, der hieß also:

Bis diese neun Kegel umscheiben die Hund',

Können wir heilen noch manche Stund'

Hundsfottbad armer Leut.

Dieser Vers soll sich auf die an dem Hause haftende Badergerecht-

same bezogen haben. Auch ist in einem Saalbuch der Stadt München

von 1440 die Rede von dem „HundSfutbad samt Garten", das sich

allhier befunden.

Als das FreSkogemälde zugrunde gegangen war, verfertigte der in

der Nachbarschaft wohnende Bildhauer Roman Boos ein Holzrelief,

auf dem die Hunde nicht mehr auf der Kegelbahn, sondern jener andern

Lesart gemäß, mit der Kugel scherzend vorgestellt wurden. Dieses Holz-

relief wurde, als auch das Baderhaus nicht mehr bestand, an dem Eck-

hause der „Hundskugel" benannten Straße angebracht.

Sankt Jakob am Anger

Ein Anger, eine freie Wiese, war noch im dreizehnten Jahrhun-

dert da, wo heute der Jakoböplatz, wie auch die Straßen Ober- und

Unteranger sind. Die Sage meldet, daß schon sehr früh auf dem Anger

eine Säule unter einem kleinen Schutzdach geragt habe, die das

Bildnis des heil. Jakobus mit dem Pilgerftabe trug. Wer kennt nicht

die schöne Legende von den Jakobsbrüdern, die zum Grabe des Heiligen

gen Kompostella wallfahrten, denen ein räuberischer Wirt Gut und Le-

ben zu nehmen trachtet, und die der hl. Apostel wunderbar erhält, den

Vater wie den Sohn. So mag der Schirmherr der Pilger und Rei-

senden auch vor Zeiten hier gestanden, den nach München Einwandern-

den Gruß und Segen entboten haben. Aus der Bildsäule ward

eine Feldkapelle, die schon stand, als die ersten Franziskaner sich

in Deutschland seßhaft machten, und der Franziskanerpater Castinus

mit einigen Ordensbrüdern nach München zog. Ein geringes Haus

außerhalb der Stadt ward ihnen eingeräumt; als die Zahl der Mön-

che und der Andächtigen sich vermehrte, erhob eine größere Kirche sich

„nächst St. Jakobs Kapellen", die zuvor als Klosterkirchlein gedient

hatte, nun aber Totenkapelle wurde. Wenig über sechzig Jahre blieben

die Franziskaner auf dem Anger; dann erbaute ihnen Herzog Ludwig II.

„der Strenge" ein Kloster unweit seiner Veste, auf dem heutigen

Max Josephplatz. Die verlassene Stätte bei St. Jakob aber ward zu

einem Frauenkloster umgeschaffen; im Herbst 1284 ergriffen die Kla-

risstnnen davon Besitz und blieben von da an bis zur Aufhebung des

Klosters darin heimisch.

In der Backstube des Angerklosters entstand die große Feuersbrunst,

die 1327 den größten Teil Münchens in Asche legte und natürlich das

Kloster selbst beinahe zerstörte. Lange währte es, bis 1405, ehe der

Schaden gutgemacht war. Die öffentliche Kirche ward im 18. Jahr-

hundert zopfig umgebaut und fortan durch eine Mauer von dem alten

ursprünglichen Jakobskirchl geschieden, das nun zur Klausur gehörte.

Inmitten der äußeren Kirche stand ehemals ein uraltes großes Kru-

zifix mit der schmerzhaften Mutter darunter- Es genoß hohe Ver-

ehrung, und der Fuß der Gottesmutter wurde von den Tränen und

Küssen der Andächtigen allmählich ausgehöhlt. Vielleicht darum ward

in späterer Zeit das Bildnis außer Reichweite der Gläubigen hoch an

einen Pfeiler der Epistelseite befestigt. Von diesem Kruzifix ging die

Rede, daß der Körper des Heilandes sich darum in auffallender Weise

zur Seite neigte, weil er sich eines Tages tröstend zu einer Nonne ge-

wendet hätte, die inbrünstig betend vor ihm kniete- Bei der Neuaufstel-

lung des Kruzifixes am Kirchenpfeiler ist die Seitenwendung der Hei-

landsfigur korrigiert worden. Das Bildnis hat wirkliche Haare und im

Volksmund hieß es lange Zeit, sie wüchsen nach, wie lebendiges Haar.

* *

Das lange Bestehen und die ehrwürdige Überlieferung des Ordens

bedingten von selbst, daß einzelne Schwestern durch persönliche Tugen-

den und erbanlichcn Wandel hervorragten, so beispielsweise die berühmt

gewordene Schwester Klara Hortulana (1662 — 89). Ein eigentüm-

liches Schicksal wollte es, daß nicht weniger als drei Prinzessinnen des

regierenden Hauses im Laufe der Zeit unter ganz ähnlichen Umständen

bei den Klarissinnen am Anger den Schleier nahmen.

Die erste derselben war Agnes, die Tochter Kaiser Ludwigs des

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Bayern. Im Kloster am Anger erzogen, schien sie durch Schönheit

und seelische Gaben für eine glänzende fürstliche Heirat vorbestimmt.

Dem aber war sie durchaus abgeneigt, vielmehr flüchtete sie, als sie

gewaltsam abgeholt werden sollte, zum Hochaltar der Kirche, umfing

die Monstranz und flehte zu Gott um Schutz. Da Niemand wagte,

sie dem geheiligten Asyl zu entreißen, kehrten die Boten unverrichteter

Dinge um. Agnes aber blieb im Kloster, wo sie in jungen Jahren

schon starb und auch beigesetzt ward.

Ganz ähnlich, nur inniger noch lautet die legendär ausgeschmückte

Geschichte von der Tochter Herzog Albrecht HI-, Barbara genannt. Auf

den Ruf ihrer Anmut und Tugend hätte der König von Frankreich

dem Herzog Botschaft getan und die Jungfrau Barbara zur Braut für

seinen Kronprinzen begehren lasten. Die junge Herzogin aber erklärte

standhaft, daß sie keinen Mann haben möchte, sondern auf immer dem

himmlischen Bräutigam eigen sein. Das ward ihr vom Herzog ver-

stattet, und sie nahm im Angerkloster den Schleier und diente Gott

mit ganzem Herzen und Gemüt.

Nur drei Dinge hatte sie mitgebracht von daheim: einen blühenden

Majoranftock, der am Fenster ihrer Zelle stand, einen Käfig mit meh-

reren Vöglein, deren sie fleißig pflegte und eine goldene Kette, die

hatte ihr Herr Vater ihr einst verehrt.

Da sie aber eine Zeit im Kloster war, fand sie eines Tages den Ma-

joranftock scheinbar ohne Ursache verwelkt. Des andern Tages hörten

alle Singvögelein im Käfig zu singen auf und starben rasch dahin. Eine

Woche darnach zersprang die goldene Kette, die sie unter dem Habite

trug, ihr auf der Brust. Barbara aber sprach: „Das alles geht mich

an, der Herr will mich abfordern aus der Zeitlichkeit." Sie bereitete

sich zum Tode, und einige Tage später lag sie auf der Totenbahre, im

18. Jahre ihres Lebens, da man schrieb nach unseres Herren Kunst

1442.

Vierzehn Tage nach ihrem Tode ist eine andere Ordensschwester,

gleichfalls Barbara geheißen, ihr in die Ewigkeit nachgefolgt. Darauf

in gleicher Frist eine andere, nach Verlauf derselben Zeit wieder eine

andere, „bis endlich 20 an der Zahl, jede nach 14 Tagen, als unschul-

dige Tauben ihr nach in den Himmel geflogen sind." Als zweihundert

Jahre später der große Stein, unter dem Schön Barbara in der

Klosterkirche begraben lag, etwas zur Seite gerückt worden, hätte ein

angenehmer himmlischer Geruch, der aus der Gruft emporstieg, alle An-

wesenden mit Erstaunen erfüllt.

Noch einmal wiederholte sich ein ähnliches Geschick: an der Prinzessin

Maria Anna Karolina, die das älteste Kind aus Max Emanuels

zweiter Ehe war. Auch sie war zur Königin bestimmt, schlug jedoch die

Hand Philipp V. von Spanien aus, und trat in das Angerklofter,

wo sie den Namen Emanuela Theresia a corde Jesu empfing. Nur

ward sie nicht so früh, wie ihre beiden verwandten Vorgängerinnen

abgerufen, sondern brachte bis zu ihrem Ende 31 Jahre gottselig im

Kloster zu.

Bei der Aufhebung des Klosters im Jahre 1803 wurden die Ge-

beine der drei fürstlichen Nonnen gemeinsam in einen kleinen Zinnsarg

gesammelt und in der Fürstengruft der Frauenkirche beigesetzt.

* *

Neben diesen geschichtlich überlieferten Frauenleben gehen auch

Wunderlegenden her, die sich an solche alte Stätten der Andacht so

gerne knüpfen. So gehört das Angerklofter zu den Klöstern, mit denen

die schöne Legende von der heiligen Jungfrau als Pförtnerin in Ver-

bindung gebracht wird. Ursprünglich in der goldenen Legende des Ja-

kobus a Voragine enthalten, hat sie ihre bekannteste dichterische Ge-

staltung empfangen durch Gottfried Keller in seiner Erzählung: „Die

Jungfrau als Nonne", außerdem durch den Belgier Maeterlinck in

dem dramatischen Gedicht: „Schwester Beatrix". Der wundersame

Hergang lautet also:

Eine junge Nonne von schöner Gestalt, Beatrix mit Namen, hatte

Gott und der Himmelsherrin mit Andacht und Treue gedient, als sie

plötzlich von großer Sehnsucht nach der Welt und ihren Freuden er-

faßt ward. Sie kämpfte dawider eine geraume Zeit; endlich, da sie es

nimmer aushalten konnte, ging sie nächtlicherweile in die Kirche, trat

vor das Bild der Muttergottes und sprach: „O meine himmlische

Frau und Mutter, verzeihe mir, daß ich dir fürder nimmer dienen

kann; mich verlangt allzusehr nach der Welt. Nimm die Schlüffel, die

ich bisher geführt" — denn sie war die Pförtnerin des Klosters —

„und hüte ihrer an meiner Statt!" Darauf schlich sie leise davon

und verließ das Kloster, ohne daß Jemand es gewahrte. Manches Jahr

blieb sie draußen in der Welt und genoß viele Freuden, aber sie erfuhr

auch viel Böses und Bitteres, und das Herz ward ihr allgemach schwer

von Leid. Da hatte sie große Reue, daß sie jemals aus ihrem Kloster

gegangen war und gedachte, sie wollte zurückkehren und in Demut ihre

Sünden büßen. Also kam sie müde und traurig dort an und begegnete

zuerst einer Nonne, die erkannte sie nicht; da fragte Beatrix zaghaft,

ob sie nicht wüßte von einer Schwester Beatrix, die ehemals hier

Pförtnerin gewesen wäre? Ja, sprach die Nonne, die wäre noch da

und wäre eine fromme, schier heiligmäßige Schwester, von Allen sehr

geliebet. Das Wort konnte die Heimgekehrte nicht fasten. Sie wandte

sich und saß draußen nieder, weinend und ratlos. Da erschien ihr die

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heilige Jungfrau und sprach zu ihr mildiglich: „Tochter, nun nimm

dein Gewand und die Schlüssel; die hab' ich statt deiner bis heute be-

wahrt und weiß Niemand, daß du fort gewesen. Tu' Buße und diene

mir künftig getreu!" Damit entschwand sie. Die Schwester aber fiel

auf ihre Knie nieder und pries das Wunder, das die Gnade der

Himmelskönigin an ihr getan. Als sie dann in das Kloster zurückging,

gebarten die Anderen ganz wie wenn sie nie vom Orte gewichen wäre.

Da lebte sie dann noch manches Jahr und büßte ihre Sünde und diente

Gott mit Andacht und Kasteiung bis an ihren Tod. —

Das Angerkloster, 1803 ausgehoben, ist seit den 40 er Jahren vo-

rigen Jahrhunderts das Mutterhaus des Ordens der armen Schul-

schwestern, die sich hauptsächlich mit der Bildung der weiblichen Jugend

beschäftigen.

Das Münchner Gnadenjahr

Mit dem ersten Münchner Gnadenjahr Anno 1392 hatte es fol-

gende Bewandtnis.

Die kostbaren heiligen Reliquien des Berges Andechs waren in

Kriegszeiten verborgen worden und ihr Versteck Niemand mehr kund.

Im Jahre 1388 wurden sie wiedergefunden und zwar durch den

Schloßkaplan Jakob Dachauer, der, während er Messe las, gesehen

haben soll, wie eine Maus aus ihrem Loche schlüpfte und einen Zettel

im Schnäuzlein trug, den sie am Altar fallen ließ und auf dem das

Verzeichnis der Heiligtümer stand. Diese wurden nun ans Tageslicht

gefördert und sollten alsbald der öffentlichen Verehrung ausgesetzt wer-

den. Weil aber die Klosterkirche zu Andechs für die Menge der An-

dächtigen zu klein war, gedachte Herzog Stephan der Kneißel, der

das Jubeljahr in Rom mitgefeiert hatte, nach dessen Vorbild ein gro-

ßes kirchliches Fest in München zu begehen. Er wandte sich an Papst

Bonifaz IX.; der willfahrte der Bitte des Herzogs und gewährte allen

denen, die in München in einem beliebigen Jahre mit besonderer Büß-

fertigkeit der Vorzeigung der Reliquien beiwohnen würden, vollkomme-

nen Ablaß. Vom 14. April, nämlich von Ostern bis nach Jakobi des

Jahres 1392 ward also mit päpstlicher Bewilligung das sogenannte

Münchner Gnadenjahr gefeiert. Die Heiligtümer wurden feierlich in

das Kloster zu St. Jakob am Anger in München verbracht und drei-

mal wöchentlich gezeigt. In jeder Woche — so heißt es — strömten

etwa 60,000 Menschen hinzu; an manchen Tagen betrug die Zahl der

anwesenden Fremden 40,000. Herzog Stephan selbst erließ Einla-

dungsschreiben an die Nachbarftädte, worin er den Besuchern freies

Geleit zusicherte; „und seine Maßnahmen waren so wohl getroffen,

daß während des Festes der allerbeste Friede in Bayern herrschte, die

Pilger um Mitternacht so sicher wanderten, wie zu Mittag und Nie-

manden ein Leid geschah." Von der Stadt war eine besondere Schüt-

zenschar ausgestellt, um über Ruhe und Ordnung unter den Pilgern zu

wachen. In den Kirchen saßen Tag für Tag dreißig Beichtväter be-

reit, die Bekenntnisse der Pilger zu empfangen; besondere Bedingungen

des Ablasses waren: ein Aufenthalt von sieben Tagen, der Besuch der

Kirchen Unserer Lieben Frau, St. Peter, St. Jakob am Anger und

zum Hl. Geist, sowie ein Geldopfer, das in jeder derselben zu hinter-

lassen war. Nach Angabe eines zeitgenössischen Geschichtsschreibers

ward von Pfingsten bis Jakobi täglich ein Augsburger Metzen voll

Regensburger Münze geopfert. Die Hälfte des Geldes hatte der päpst-

liche Stuhl sich Vorbehalten; als jedoch ein päpstlicher Bote das Geld

verlangte, verweigerte die Stadt die Herausgabe und ließ es auf ein

Mahnschreiben des Papstes ankommen.

Der Ansicht, daß von dem Ablaß des Jahres 1392 (Jndultus) die

Jakobidult in München sich abgeleitet hätte, stehen Nachweise gegen-

über, daß schon viel früher vor der St. Jakobskirche am Anger eine

Dult stattgefunden hatte. Seit langer Zeit ist übrigens diese Dult in

die Vorstadt Au verlegt, wo auch die Georgidult im Frühjahr und

die Michaelidult im Herbst sich abspielen und zu Füßen der Maria-

hilfkirche wie in den angrenzenden Straßen eine lebhafte, jedoch durch-

aus weltliche Handelschaft mit allen möglichen Dingen betrieben wird.

Dagegen erfolgte eine Art Wiederholung des Gnadenjahres zur

Zeit, als die Liebfrauenkirche zwar im Rohbau vollendet war, zu ihrer

würdigen inneren Ausgestaltung aber die Mittel gebrachen. Damals

erlangte Herzog Albrecht IV. vom Papste Sixtus IV. eine Bulle

auf drei Jahre; laut dieser konnte Jeder, der zum Ausbau der neuen

Kirche soviel an Geld oder Geldeswert steuerte, als er eine Woche hin-

durch zu seinem Lebensunterhalte brauchte, nach Empfang der hl.

Sakramente vom Sonntag Lätare bis zum Sonntag Judica einen

vollkommenen Ablaß gewinnen. Von den Opferspenden sollten zwei

Drittel zum Kirchenbau, ein Drittel zum Krieg wider die Türken

verwendet werden.

„Item" — so erzählt der Stadtschreiber Kirchmair — „die Truhen

ward gesetzt auf den Chor vor des Kaisers Altar, darein man das Geld

legte und wurden dazu gefetzt zwei Priester und zwei vom äußern Rat.

Item wurden auch Zeichen — (Ablaßpfennige oder Medaillen) — ge-

ben unter den zween vorderen Kirchthüren — Item es wurden auch

zweihundert und fiebenzig Beichtiger von Menge wegen des Volkes

am ersten gesetzt und darnach nit viel minder." — Einer ward bestellt,

* 105 *

* 104 *

das Gewand der Büßer zu hüten, während sie beichteten; zwei Mann

aus jedem Handwerk wurden geordnet, d«n Leuten Herberge zu beschaffen.

Die Beichtbriefe waren immer so rasch vergriffen, daß „ein Melbler

oft um Brief gen AugSpurg laufen mußte, wo diese gedruckt wurden."

Die Straßen wurden gesichert; eigene Boten verkündeten die Gnade in

den umliegenden Städten und Gerichten. Die Zahl der binnen den

drei Jahren herbeigeftrömten Fremden soll sich auf 123 700 belaufen

haben. Die Zählung geschah, indem, wie Kirchmaier berichtet, „der

Rat unter den vier Toren besondere Leute hatte und wer da hereinzog

in die Gnad, als viel Erbsen legte man allweg in einen Hafen und

zählte sie dann zur Nacht eigentlich ah." — Hoffen wir, daß bei der

Erbsenzählung keine Irrtümer unterlaufen sind!

In dem ersten Gnadenjahr und dem ihm nachfolgenden ist der An-

fang der Feste zu erblicken, welche seitdem in München die Anziehung

für den alljährlichen Zudrang der Fremden geworden sind. Der An-

schauung des Mittelalters entsprechend war es damals ein geistliches

Fest; inzwischen, dem Zeitgciste angepaßt, sind Bühnenspiele, Kunst-

und GewerbeauSftellungen, Volkstrachtenfeste, Schützen-, Turner- und

Sängerfeste darauf gefolgt. Tempora mutantur. Aber für Unterkunft

und Wohlbefinden herbeigeströmter Mcnfchenmaffen zu sorgen und zu

machen, daß der Fremde am Jsarftrand sich alsbald heimisch fühlt,

das versteht die bayerische Hauptstadt heute so gut, wie im Gnadenjahr.

Vom Münchner Bier

Das ist aller Welt bekannt, daß seit früher Zeit zu München ein

gutes Bier gebraut und getrunken ward. Schon unter Herzog Lud-

wig H. (dem „Strengen") bestand dahier ein fürstliches Bräuhaus,

und wer von anderen Bräuern in des Herzog Bräuhaus brauen

wollte, dem ward das Gerstenmalz dazu-aus des Herzogs Kasten ge-

reicht. Doch verstandens die Münchner noch nicht so wohl, wie heute,

denn sie wußten es nicht anders, als durch die warme Gährung herzu-

stellen, da dann das Bier leicht umstand, auch etwas läpperig und fade

von Geschmack war. Es ward aus Gerste, in rauheren und ärmeren

Gegenden auch aus Haber gebraut, sah rötlich aus und hieß deshalb

rotes Bier. Es muß schon viel Getreide verbraut worden sein; denn

als im Jahre 1293 eine Mißernte war und das Getreide gar teuer

ward, geboten die Herzöge Ludwig und Otto, daß ein ganzes Jahr lang

kein Bier gebraut werden sollte. Auch ward für das Brauen eine

jährliche Abgabe erhoben.

Ludwig der Strenge, unter dem die älteste urkundliche Bräuordnung

* 106 *

entstand, verlieh dem Hl. Geist-Spital im Jahre 1286 die Brauge-

rechtigkeit; und die Herzöge Rudolf und Ludwig erteilten im Jahre

1306 den Klariffinnen auf dem Anger die Erlaubnis, ihren Hauötrunk

selbst brauen zu dürfen. Im Jahre 1318 kommt bereits urkundlich

ein Bürger mit Namen Heinrich Preumeister vor, woraus auf einen

längeren Betrieb solchen Gewerbes in dieser Familie zu schließen ist.

Im 14. und 15. Jahrhundert gab es zu München zweierlei Bier,

ein beffereS und ein geringeres. Das bessere Bier trug den Namen

Greußing und kostete der Eimer 40 Pfennig, während der Eimer ge-

wöhnlichen Bieres nur 30 Pfennige galt. Die ersten Verbesserungen

im Bierbrauwesen sollen aus den Klöstern, von denen die meisten eigene

Braugerechtigkeit besaßen, herstammen. Die hauptsächlichste Verbes-

serung war im 15. Jahrhundert die Erfindung der kalten Gährung,

wodurch das Bier kräftiger, geschmackvoller und haltbarer wurde. Doch

setzte der neue Brauch erst nach und nach, nicht ohne Widerspruch und

Widerstand, sich durch.

Eine ausführliche Bräuordnung des Stadtmagiftrats München vom

Jahre 1420 schärft den Bräuern ein, kein Bier auszuschenken, eS

habe denn zuvor über sich wohl verzehren und nicht unter sich. Vor

8 Tagen durfte kein Bier ausgeschenkt werden. Das Bier geringer ein-

zusieden als die Taxe betrug, oder eS mit schädlichen oder fremden Zu-

taten zu vermengen, war gleichfalls bei strenger Strafe verboten. Ein

einziger Zusatz war den Bräuern erlaubt, um das Bier schmackhaft zu

machen, nämlich die gespaltene und getrocknete Benediktenwurzel: die

durften sie in ein leinenes Tuch nähen und in das gefüllte Faß legen.

Zur Aufrechterhaltung dieser Bräuordnung wurde von den Herzögen

Wilhelm und Ludwig eine Bierbeschau angeordnet, und dazu eine

eigene Kommission eingesetzt, die das Bier zur Winterszeit zweimal

wöchentlich, im Sommer aber dreimal die Woche prüfen mußte. Al-

brecht IV. hat den Gewerbeeid der Brauer eingeführt. Auch auf rich-

tiges Gemäße ward gesehen; denn die vorerwähnte Bräuordnung vom

Jahre 1420 gebietet den Bräuern: „daß sie alle ihre Kandeln bringen

sollen zu dem geschworenen Zinngießer, den die Stadt gesetzt hat, und

der soll sie beschauen, ob die Nägel (die Aichzeichen) darin recht stehen,

und soll auch fürbaö nicht mehr aeschcnkt werden aus keinen Kandeln.

dann die gebrannt und gezeichnet sind mit der Stadt Zeichen."

In die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts fällt der größte Aufschwung

des Braugewerbes. Freilich ward den Brauern vorgeworfen: ihre aufs

Zehnfache gewachsene Zahl und ihr Reichtum rührten daher, „daß sie

kein gutes, gerechtes und gesundes Bier mehr sieden." Die Trunksucht,

das damals allgemeine deutsche Laster, kam dem Bierverbrauch zu

statten — „DeS stetigen und unaufhörlichen Trinkens vor den Kellern

* 107 *

und Brauhäusern ist kein End noch Aufhörens" — tadelt noch 1613

ein fürstliches Mandat. Im Jahre 1383 wurde vom Herzog Wil-

helm V. das HofbräuhauS am Platz! gegründet, während bisher der

Bräuer Mänhart den Titel eines HofbräuerS geführt hatte. Das Vor-

recht dieses landesfürstlichen BräuhaufeS war das Brauen des weißen,

aus Böhmen eingeführten Bieres. Städte und Adel beschwerten sich

über solches Vorrecht, das den übrigen Bräuern Eintrag täte. Auch

sollte das Weißbier ungesund sein und den Preis des Weizens, hierdurch

also den des Brotes, verteuern. Neben dem Weißbier ward in großen

Mengen, zumal bei Hofe, das eingeführte braune „ainpockische Bier"

(aus der braunschweigischen Stadt Einbeck) getrunken. Durch den

guten Gewinn, den das HofbräuhauS abwarf, kam die Hofkammer auf

den Gedanken: auch dies Braunbier könnte im Lande gebraut werden.

Herzog Wilhelm V. genehmigte den Antrag; so ward in der alten

Veste an Stelle des niedergerissenen „Hennenhauses" und des „Bade-

gebäudes" ein braunes Bräuhaus erbaut. Anno 1651 wurde dieser

Bau gegen den sogenannten „Löwenhof" in der Burggasse zu erweitert.

Er steht noch bis zur Stunde: es ist das jetzige Zerwirkgewölbe in der

Lederergasse. Seit 1611 war die Einfuhr ausländischen Bieres verbo-

ten; seit 1614 wurde im HofbräuhauS braunes und zwar „einböcki-

fches" Bier — Bock! — gebraut. Von 1708 an wurde das ehemals

„weiße" HofbräuhauS zum Teil für das Brauen des braunen Bieres

mit benutzt; von 1807 an wurde es ganz für das braune Bier bestimmt

und ist seitdem das HofbräuhauS.

Worin eigentlich der Grund für die gepriesene Güte des Münchner

Biers liegt, ist schon oft erörtert worden. Es gehen doch Münchner

Braumeister in die Fremde und brauen nach Münchner Rezept, und

die Kühl- und Lagerräume werden nach Münchner Muster eingerichtet

— und doch! — „Es ist naß, aber es ist nicht das" — soll Fürst

Bismarck einmal von dem nicht in München gebrauten Bier gesagt

haben. Nach einer verbreiteten Anschauung läge das Entscheidende in

der Beschaffenheit deS Münchner Wassers. Wie dem auch sei —

Münchner Bier ist „ein ganz besonderer Saft."

Leider ist längst die einstige Weise der Münchner Bierbeschau ab-

gekommen. Damit ging eS also zu. Die Bierbeschauer, ortsüblich

„Bicrkieser" genannt, mußten bei Ausübung ihres Amtes in hirsch-

ledernen Hosen im BräuhauS erscheinen. Hier wurde ihnen eine hölzerne

Bank hingestellt, die ward über den Sitz mit ein paar Maß deS zu

prüfenden Bieres übergossen. Da hinauf setzten sich nun die Bierkieser

mit ihren hirschledernen Hosen, hatten vor sich auf dem Tisch eine

Sanduhr stehen und zechten nach dieser eine volle Stunde, ohne sich im

geringsten vom Sitze zu rühren. War endlich die Stunde abgelaufen,

* 108 *

so standen sie alle gleichzeitig auf. Wenn sie dann mit den Hosen an der

Bank kleben blieben, sodaß sie beim Aufstehen die Bank mit empor-

hoben — eine Lesart will, daß die Bank an ihnen hängen blieb, bis sie

zur Türe kamen — so war das Bier gut, kräftig und seines Geldes

wert. Wenn es aber nicht klebte, dann wurde das Bier zu leicht be-

funden und über den Bräuer Strafe verhängt. Besagter Amtsbrauch

ist längst abgeschafft, und so klebekräftig ist das Bier auch nimmer. In

jüngster Zeit schon gar nicht. Aber Leute, denen es trotzdem schmeckt,

und die einen langwierigen Durst haben, gibts genug; drum kommt's

auch heutzutage noch gar oft vor, daß einer auf der Bierbank „pappen

bleibt."

Die Münchner Sauerbacken

Anno 1322 fand auf der Vehenwiese zwischen Ampfing und Mühl-

dorf die große Schlacht statt, die Kaiser Ludwig der Bayer Friedrich

dem Schönen von Österreich abgewann. An diesem Ausgang soll der

Sage nach den Münchner Bäckern ein besonderes Verdienst zustehen.

Als der tapfere Kaiser mitten im Getümmel kämpfte, stürzte, von

Pfeilen durchbohrt, sein Pferd unter ihm und riß ihn mit zu Boden.

Da stand er in großer Gefahr, von den ihn umringenden Österreichern

gefangen zu werden. Solches ersahen die Münchner Bäckerknechte —

zum Unterschied von den Zuckerbäckern auch Sauerbäcken geheißen -

und eilten zum Beistand des Herrschers. Durch sie befreit, konnte der

Kaiser an ein anderes Pferd gelangen und zu den Seinigen rückkehren.

Zu Lohn und Angedenken solcher wackeren Tat gab Kaiser Ludwig der

Bäckerbruderschaft, die „zu der Ehr unserer Lieben Frauen gegründet

war", die Erlaubnis, auf ihrer Standarte den Reichsadler anzubrin-

gen ......„den sonst kein Handwerk führen darf, ob es gleich künst-

lich und scharf." Sie erhielten darüber einen eigenen Freibrief, zu-

gleich als kaiserliches Geschenk ein Haus im Tal zu München neben

der Hochbrücke. In diesem Bruderschaftshaus versammelten sich fortan

die Bäcker. Auch diente das Haus nicht nur als Bäckerherberge, sondern

der älteste Bäckerschießer von München, wenn er gebrechlich und ar-

beitsunfähig geworden war, fand jederzeit darin freie Unterkunft und

Verpflegung. An dem Haus war außen ein Freskogemälde angebracht,

das darstellte, wie Kaiser Ludwig den Bäckern den Freibrief übergibt.

Darunter und zu beiden Seilen stand in Reimen der Ursprung des

Hauses und was sich damit zugetragen, beschrieben. „Gott geb' dem

Kaiser das ewig Leben, wünschen all Brüder und Schwestern eben" —>

ist der fromme Schlußwunsch der Beschenkten.

* 109 *

Leider sind die Malerei und die Verse im Laufe der Zeit zugrunde

gegangen.

Eines alten Münchner Rechtsbrauches sei hier noch gedacht. Ein

Bäcker, der schlechtes oder ungewichtiges Brot lieferte, verfiel der

Strafe des „Schnellens" — d. h. er wurde mit Trommeln und

Schergengeleite ans Waffer geführt und in einem Korb, der zwischen

zwei Balken hing, in das Waffer geschleudert, jedoch gleich wieder

herausgezogen. Das geschah dreimal, wobei natürlich der Bestrafte

zum Schaden noch den Hohn der zahlreichen Zuschauer zu tragen hatte.

Der Ort der so benannten Bäckerschnelle befand sich bei der Roß-

schwemme hinter St. Peter an der südwestlichen Ecke des Viktualien-

marktes, und der Brauch bestand bis zum Jahre 18IO.

Die Wadlerbretzen

Ein ehrsamer Münchner Bürger mit Namen Burkhard der Wadler

und seine eheliche Hausfrau Heilwig Wadlerin machten im Jahre 1318

dem Heiligen Geiftspital eine Stiftung zu 63 Pfund Pfennigen; denn

das Geld wurde dazumal noch gewogen. Von dieser Gült verblieben

46 Pfund 5 Pfennige dem genannten Spital „für die Sundersiechen".

Die Stifter hatten aber auch bestimmt, daß alljährlich für 3 Pfund

Pfennige Bretzen angekauft und an die Armen ausgeteilt würden.

Davon schrieb ein Gebrauch sich her, der fast durch fünf Jahrhunderte

bestand, nämlich:

Alljährlich am I.Mai, als dem Todestag des Stifters, ritt ein

Mann mit einem großen Sack voller Bretzen um Mitternacht vom

Hl. Geistfpital aus durch die Straßen der Stadt. Das Pferd, auf dem

er ritt, mußte ein Schimmel und nur auf drei Füßen locker mit Huf-

eisen beschlagen sein. Aus seinem Sack warf der Reiter Bretzen unter

das Volk mit den Worten: „Ihr jung und alte Leut, geht's zun Hl.

Geist, wo man die Wadlerbretzen auSgeit."

Im Jahre 1801 starb die letzte aus dem Geschlechte des milden

Stifters. In eben diesem Jahr, als der Bretzelspender seinen Umritt

hielt und am Ende seines leckeren Vorrats war, riß ihn die Menge

derer, die nichts mehr bekamen, vom Gaul herunter und mißhandelte

ihn kläglich. Seitdem unterblieb die Spende. Auf einem Decken-

gemälde in der Hl. Geiftkirche ist der Reiter samt seinem Schimmel

abgebildet.

Gleichfalls einer alten Stiftung gemäß pflegten an den Quatember-

tagen zwölf Spitalleute, sechs Männer und sechs Weiblein, in schwar-

zen Mänteln mit weißen Halskrausen und breitrandigen Hüten paar-

*

weise vom Hl. Geistspital nach der Frauenkirche zu wandeln und dort

der Vigil und dem Requiem bcizuwohnen. Im Volksmund hießen sie

die „zwölf Apostel" oder auch die „Quatcmbermanndln". Die Stiftung

sollte nach irriger VolkSmcinung von Kaiser Ludwig dem Bayern her-

rühren, stammt jedoch von Maria Anna, der Witwe Albrechts V., die

einen „Fürstenjahrtag" gestiftet hatte, bei dem diese Spitaler anwe-

send sein und beschenkt werden sollten. Zu Anfang des neunzehnten

Jahrhunderts ward die Sitte für einige Zeit eingestellt — aber da

ging zu München die Sage, daß jene zwölf Spittelleute um Mitter-

nacht ihren Kirchgang in gewohnter Tracht hielten, und daß die Türen

des Domes sich von selbst vor ihnen aufgetan und hinter ihnen ge-

schloffen hätten. Viele Einwohner wollten dies gesehen haben

und deuteten es als eine stumme Wehklage der Toten über das neue

unfromme Zeitalter. Nach anderer Lesart wären die geisterhaften Qua-

tcmbermanndln die umgehenden Seelen von solchen Spittelleuten ge-

wesen, die im Leben mehr über ihre Verpflegung gemurrt und auf die

Nebcnmenschen gelästert hätten, als der Andacht und einem gottgefälli-

gen Lebenswandel obzuliegen. Das müßten sie jetzt nach ihrem Tode

noch büßen und nachholen.

Kirche und Spital zum Hl. Geist

Früheste Vergangenheit umgibt uns, wenn wir an der Stelle stehen,

wo es „im Tal" heißt und wo heute die Kirche vom Hl. Geist aufragt.

Hier stand ein Katharincnkirchlein, das von allen Kirchen Münchens

das älteste gewesen sein soll, und von dem die seltsame Kunde geht, daß

es auf „Bögen" gestanden habe, wahrscheinlich zum Schutz gegen das

zu Zeiten ins Tal hereinströmende Hochwaffer. Eine Klause stand bei

dem Kirchlein. Hier erbaute Herzog Ludwig der Kelheimer, der im

Leben so viel Glück und am Ende einen geheimnisvollen blutigen Tod

fand, schon 1204 ein Pilgerhaus. Als dann der Orden vom Hl. Geist

- gestiftet um die Mitte des zwölften Jahrhunderts durch Guido zu

Montpellier - in Rom ein vom Papst Innozenz III. selbst erbautes

Spital erhielt, folgten viele Städte dem frommen Beispiel. Herzog

Otto II- errichtete an Stelle des alten Pilgerhauses einen stattlichen

Spitalbau nebst einer eigenen „Hl. Geistkirche", da der heilige Geist,

als Stärker und Tröster, besonders der Reisenden, Schwachen und

Kranken waltet. Die alte Katharinenkapelle wurde in das Spital, das

der Obhut der Brüder vom hl. Geist (nach der Regel des hl. Augustin)

übergeben ward, mit hinein verbaut und bestand dort im ersten Stock

noch sechs Jahrhunderte lang. Zweimal im Jahre, am Feste der hl.

* 111 *

110 *

Kreuzauffindung und hl. Kreuzerhöhung, fand in dem kleinen dämm-

rigen Raum ein feierlicher Gottesdienst statt; dann tat eine Türe sich

auf, die für jedermann sonst zu allen Zeiten geschloßen blieb, und der

regierenden Bürgermeister einer schritt hindurch, in Amtstracht mit

goldener Kette, um dem Gottesdienst beizuwohnen. Denn der Stadt,

die schon zuvor an der Verwaltung beteiligt gewesen, unterstand das

Spital völlig, seit in den Jahren des Streites zwischen Kaiser Ludwig

und Papst Johann die Brüder vom Hl. Geist ihre Stätte verlaßen

hatten. Rasch und heimlich muß es geschehen sein, wie aus der Sage

zu schließen: die letzten Mönche seien über Nacht davongegangen, und

am Morgen habe der Chorregent mit den Spitalern allein die horas

halten müßen. — Seitdem, wie gesagt, standen zwei „Hochmeister",

je einer vom inneren und einer vom äußeren Rate, dem Hl. Geist-

spital vor.

Von dem großen Stadlbrand 1327 hatte das Spital zwar sehr ge-

litten. Es wuchs aber darnach rasch, bedeckte allmählich die ganze

Fläche des heutigen Viktualienmarktes, reichte bis zur Wcstenrieder-

straße. Eine kleine Gemeinde innerhalb der Gemeinde, umfaßte es ein

Männer- und Weiberhaus, ein Findelhaus und Gebärhaus, eine Stube

für Sinnlose und ein Armenhaus. Um sich selbst versorgen zu können,

besaß es eigene Brauerei, eigenes Backhaus, eigene Wälder und Öko-

nomie. Nach der Säkularisation ließ die Stadt das Spital nieder-

reißen im Hinblick auf den zu schaffenden großen städtischen Viktualien-

markt; ihre Kranken verlegte sie in das nun leergewordene Elisa-

betherinnen-Kloster vor dem Sendlingertor, deffen Betrieb sie dem

Orden der Barmherzigen Schwestern übergab. Heute befindet die Ge-

samtheit der neuen städtischen Spitalbauten sich bekanntlich auf dem

Dom Pedroplatz.

Die alte Katharinenkapelle hatte mit der Verlegung des Spitals

aufgehört, als Kirche zu bestehen; sie diente, wie überhaupt das Wenige,

das von den Gebäuden noch übrig war, fortan weltlichen Zwecken.

Unverändert erhalten blieb nur die dem Spital verschwisterte, ihm

bisher untrennbar verbundene Kirche vom Hl. Geist.

* *

*

In der bischöflichen Verordnung vom Jahre 1271, die neben St.

Peter die Kirche zu U. L. Frau als zweite Pfarrei einsetzt, ist bereits

der Spitalkirche vom hl. Geist eine selbständige Stellung zugewiesen.

Es gilt als ungewiß, ob die Hl. Geistkirche bald nach dem

großen Stadtbrande 1327 oder erst später neu erstand. Trotzdem

ist sie die älteste Hallenkirche Münchens. In der ersten Hälfte

des achtzehnten Jahrhunderts wurde sie teilweise umgebaut, das

* 112 *

Gewölbe und der Dachstuhl völlig erneuert, der baufällige gotische

Turm durch einen neuen ersetzt. Der Hauptteil der inneren Ausgestal-

tung lag in den Händen der Brüder Asam, deren erstes Werk in Mün-

chen die Kirche war; außerdem wirkten daran mit der Stukkator Mat-

thias Schmidgartner und die Maler Nikolaus Stuber und Peter Ho-

remans. Zweimal ward die Kirche noch nach Abbruch des SpitaleS

erneuert, einmal im Jahre 1885, zum letztenmal im Jahre 1908

bis 1909.

Vom Grabmal des Herzogs Ferdinand und seiner Gattin, das die

Kirche birgt, ist schon die Rede gewesen. Ein vielverehrtes Mutter-

gottesbild nennt die Kirche gleichfalls ihr eigen, die sogenannte „Ham-

merthaler Muttergottes". 1620 unternahm das GastwirtSehepaar

Hammerthaler im Tal zu München eine Wallfahrt nach Kloster Te-

gernsee, und die Frau sah bei diesem Anlaß in der Johanniskapelle der

Klosterkirche ein Liebfrauenbildnis, von dem sie meinte, sich nicht mehr

trennen zu können. Sie erreichte auch wirklich, daß der dortige Abt ihr

das Bild zusandte. Als es ankam, litt die Wirtsfrau eben große

Schmerzen an einem steifen Arm. Nachdem sie aber das Marienbild

aufgestellt und vor demselben gebetet hatte, verließ sie der Schmerz, und

sie richtete darauf dem gnadenreichen Bilde bei sich eine Art HauS-

kapelle ein. Später vergable sie es dem Auguftinerklofter. Nach deßen

Aufhebung zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts kam das viel-

verehrte Bild in die Kirche zum Hl. Geist.

In der Hl. Geistkirche hatte auch die älteste Bruderschaft der Stadt,

nämlich die „unter dem Titel, Namen und Schutz Mariä Geburt

anno 1323 von dem Hand-Werkh der Päckhenknecht durch 300 Städte

und Märkte aufgerichtete Bruderschaft" ihre Gottesdienste und ein

„ewiges Licht". Das letztere verblieb beim heiligen Geist; mit ihren

Ämtern, Seelengottesdiensten und sonstigen kirchlichen Obliegenheiten

übersiedelten die Bäckerknechte bald in die Kirche der Augustiner, hatten

sogar dort einen eigenen Altar. Nach der Säkularisation dieser Kirche

kehrte die Bruderschaft der Bäcker bis zu ihrem Eingehen in die

Hl. Geistkirche zurück.

Die Säkularisation zahlreicher Kirchen, das Einfordern des

Kirchensilbers usw. zu Anfang des 19. Jahrhunderts weckte vielfachen

und leidenschaftlichen Widerstand, der jedoch wohl nirgendwo eindrucks-

vollere Formen annahm als in der Hl. Geistkirche. Da nämlich die

Kommission zur Ablieferung des Kirchensilbers erschien, ließ der Spi-

talpfarrer Josef Klein sämtliche Gefäße — mit Ausnahme des schönsten

Kelches, den er für sich behielt — der Ordnung nach auf dem Hochaltar

aufftellen und sechs gelbe Kerzen, wie bei einem Leichengottesdienst, an-

zünden. Dann warf er sich, mit Stola und Chorrock bekleidet, in

«

* 113 *

Gegenwart der Kommission vor dem Altäre nieder und betete laut den

Bußpsalm „Miserere". Nach beendigtem Gebet aber stieg er zum

Altäre empor, ergriff einen Hammer, zerschlug alle Kelche und Patenen

und lieferte so aus, was befohlen war. Natürlich wurde manches Ein-

gelieferte, wie in anderen Kirchen so auch hier, durch wohlhabende

Bürger wieder ausgelöft. Pfarrer Klein aber, besten gegnerische Hal-

tung der damals allmächtige Minister MontgelaS sehr empfand, wurde

.1811 aus München ausgewiesen und nach Neuburg an der Donau

verbannt. Erst nach dem Sturze des Ministers erhielt er die Erlaubnis

zur Rückkehr. Er starb zu München 1822 als Generalvikar des neu

errichteten Metropolitankapitels München-Freising.

Seit 1844 ist die Kirche vom Hl. Geist Stadlpfarrkirche.

IV. Abteilung:

Aus Münchens Fürstenschlössern

Von den Burgen und Schlössern

Die ersten Herzöge aus dem Hause Scheyern-Wittelsbach haben eine

Burg oder Veste in München nicht besessen. Einer Überlieferung nach

hatte Heinrich der Löwe, der Gründer Münchens, ein Haus oder Ab-

steigequartier auf dem Markt, dem heutigen Marienplatz; neuere Mei-

nung ist, daß sein angebliches Hoflager sich wohl schon an der Stelle

des späteren „alten Hofes" befunden hätte. Weder Otto der Große

noch Ludwig der Kelheimer noch Otto II. haben eine richtige Burg in

München gehabt, das ihnen ja auch noch nicht als ständiger Wohnsitz

diente. Erft der vierte Wittelsbacher, der in Bayern herrschte, Herzog

Ludwig II-, der „Strenge", errichtete zwar innerhalb der Stadtmauer,

aber in derem äußersten Winkel, eine wirkliche befestigte Fürstenburg,

die „Alte Veste" oder den „Alten Hof". Ludwig der Bayer hat sie

dann erweitert, zumal die St. Lorenzkapelle, die zur Burg gehörte,

neu und größer gebaut. Eine ganze Reihe von Herzögen hat im Alten

Hof gehaust: Ludwig II., Ludwig der Bayer und sein Bruder Rudolf,

Stephan I., Johann und dessen Söhne, Albrecht III. und sein Sohn,

der kunftfreundliche Herzog Sigmund, der den „alten Hof" abermals

verschönern und durchaus mit farbigen Malereien zieren ließ. Davon ist

heute freilich keine Spur geblieben; der einzige Überrest aus alter Zeit

ist der „schöne Erker" an der Südseite neben dem zur Burggasse füh-

renden Torbogen - das Türmlein, von dem es in Thomas GreillS

gereimtem Lobspruch auf München heißt, daß dieser Turm „spitzig ist

unten und oben",

.. „Rührt weder Erd noch Himmel an,

Tut dennoch unbeweglich stahn..."

Durch den großen Stadtbrand 1327 war die Burg schwer beschädigt

worden; gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts bot sie angesichts

der beständigen Bürgerunruhen nicht mehr Sicherheit genug. Eine

„Neue Veste" erbauten sich die Herzoge außerhalb der Stadtmauer,

im „Greymoltswinkel" der Graggenau, eine Art Trutz-München mit

Wehrtürmen, breitem Wassergraben und einer Brücke, die stracks ins

Freie führte. Oft ward auch diese Veste durch Brand versehrt, stets wie-

der auf- und reicher ausgebaut; jeder Fürst fügte das Seinige hinzu.

Albrecht IV. bezog die Neuveste nachträglich in die Stadtumwallung

hinein, erweiterte gleichzeitig Burg und Stadtgebiet, ließ durch Leon-

hard Halder den großen Festsaal erbauen. Von der Zeit, da er seinen

Bruder Herzog Christoph, der ihm die Mitregierung abtrotzen wollte,

gefangen hielt im nordwestlichen Rundturm, blieb diesem Turm der

Name Chriftophsturm. Den Festsaal, der unter Wilhelm IV. erst voll-

endet worden, den St. Georgssaal, ließ Albrecht V. schon umgeftalten

zu einem Prunksaal im Renaissancestil. Der Meister dieses Saales,

Wilhelm Egkl, schuf auch den ersten Bau für die Sammlungen der

Kunstkammer: das heutige Münzgebäude mit dem prächtigen Kolon-

nadenbau des — fälschlich so genannten — Turnierhofs, während die

Büchersammlung im „alten Hof" untergebracht wurde bis zum Bau des

„Antiquariums" beim Brunnenhof. Unter Wilhelm V. ward am

alten Residenzgarten der „Grottenhoftrakt" aufgeführt und der Neu-

veste ein besonderer Stock als Witwensitz hinzugefügt.

Gleichfalls zu Wilhelm V. Zeit, als 1580 ein Brand die neue

Veste verheerte, ward die sogenannte Wilhelminische Residenz (spätere

StaatsschuldentilgungSkaffa) erbaut. In ihr hat, nachdem er die Re-

gierung seinem Sohne, Maximilian I. abgetreten, Herzog Wilhelm

dauernd gewohnt. Der Bau war mit dem gleichfalls von Wilhelm V.

gegründeten Jesuitenkollegium durch den sogenannten Wilhelmöbogen

verbunden, den heute noch die Büste des fürstlichen Erbauers schmückt.

Der spätere Bewohner der Wilhelminischen Neuveste war Prinz Max

Philipp, der zweite Sohn Kurfürst Max I-, und nach ihm erhielt die

Burg den Namen „Herzog Maxburg".

Der eigentliche Begründer der heutigen Residenz und zugleich der-

jenige, in dem die absolute Herrschergcwalt, aber auch die Herrscher-

verantwortung ihren stärksten Ausdruck fand, war Maximilian I. Be-

kanntlich entstammt seiner Zeit der alte, der Residenzstraße zugewandte

* 115 *

* 114 *

Teil mit dem die Faffade bekrönenden Madonnenbild zwischen den

Portalen. Nie hat sich recht ermitteln lassen, von wem die Pläne stamm-

ten. Gewiß ist, daß der Herzog, spätere Kurfürst, selbst sehr viel Anteil

an dem Entwurf gehabt haben muß; wenigstens wurde Gustav Adolf,

als er bei seinem Aufenthalt in München nach dem Baumeister des

Residenzfchlosies fragte, die Antwort zu teil: der Kurfürst fei sein

eigener Baumeister gewesen. 1598 begann der Bau; Hans Simon

Reifenstucl aus Gmund am Tegernsee war der Bauleiter. Die Reiche

Kapelle, die Hofkapelle, der ganze Block um den Kaisersaal mit den äl-

teren Fürstenzimmern, der größte Teil der inneren Umgebung der Höfe

entstammen jener Zeit. Auch der heutige Hofgarten wurde schon 1614

angelegt und mit Bogengängen umgeben; desgleichen ist der Rundtem-

pel in der Mitte, den die (häufig als Diana bezeichnete) entzückende

Bronzefigur der Bavaria schmückt, von Maximilian I. errichtet.

Unter Maximilians Nachfolgern hat die von ihm mit Fresken, pla-

stischen Kunstwerken und vor allem mit den berühmten Hauteliffetape-

ten prächtig geschmückte Residenz noch weitere künstlerische und prunk-

volle Ausgestaltung erfahren. Der Ruf des Münchner Restdenz-

schloffeS, als des großartigsten deutschen Schloßbaues, drang überall

hin. DaS „triumphierend Wundergebäu" haben schon Maximilians

Zeitgenoffen es genannt. Dem kraftvollen Renaiffancecharakter des ur-

sprünglichen Hauptflügels fügte zunächst die barocke Pracht der päpst-

lichen Zimmer, des goldenen Saales sich ein, die unter dem Kurfürsten

Ferdinand Maria entstanden. Unter Max Emanuel und seinem Sohne

trat, nachdem die lange Unterbrechung des spanischen Erbfolgekrieges

vorüber war, ein neues Moment hinzu: die Reichen Zimmer, die Joseph

Effner mit soviel Kunst geschaffen und die, nachdem sie ein Raub der

Flammen geworden, Franz Cuvillies erneuert und in das reizvollste

Rokokogewand gehüllt hat.

Denn leider fiel das Neue und Kostbare stets wieder dem Feuer zum

Opfer. Der erste große Residenzbrand brach schon 1674 aus und zer-

störte bis auf den Flügel des Kapellenhofes fast die ganze Residenz.

Eine Unvorsichtigkeit der ersten Kammerfrau der Kurfürstin, Fräulein

de la Perouse, die bei brennender Kerze entschlummerte, hätte den

Brand verschuldet. Wasserbehälter und Löschgeräte in der Residenz selbst

befanden sich in Unordnung; Hilfe von außen ward verspätet gerufen

und geleistet. Zum Unglück weilte Kurfürst Ferdinand Maria vorüber-

gehend fern, so daß die ordnungschaffende Autorität gebrach- Was nicht

verbrannte, wurde durch Ungeschick beim Löschen und freche Plünderung

bei den RettungSarbeiten verdorben und verschleppt. Kunstgegenstände

von unermeßlichem Werte gingen verloren. Der Kaisersaal und was

hinter ihm lag, blieb erhalten.

Das zweite Mal brach Feuer in der Residenz am 26. Februar 1729,

unter der Regierung des Kurfürsten Karl Albrecht, aus. Nach eigener

Angabe des Kurfürsten brannten drei Zimmer völlig ab; das soge-

nannte „Cabinet de Bronze“ mit seinen schönen alten Figuren ging

in Rauch auf, schönste Werke Albrecht Dürers verbrannten- „Und" —

schreibt Karl Albrecht — „was Vor mir am betaurlichsten ware, die

helffenbäunene Kästen, so mit meines Herrn Vattern seliger Chur-

fürsten Max Emanuel aigenhändiger schöner Arbeith eingerichtet waren.

AuS dem Schlaffzimmer hat das bey dem Churhaus so hoch geschätzte

Vnd in der ganzen Welt bekanndte Frauenbild Vom Raphael Urbino

nit können errettet werden; dieses ist der Hauptschaden so in dieser

leidigen Brunst geschehen. Gott ist zu dankhcn, daß der HauSschatz noch

so glikhlich davonkommen und nit die ganze Residenz abgebrunnen." ...

Der dritte Residenzbrand, zugleich der größte, loderte unter Max

Joseph HI. im März 1750. Fast das ganze Residenzschloß ward in

Schutt und Trümmer verwandelt; der Schaden war ungeheuer. Als

Ursache des Brandes ward angegeben, daß am Abend zuvor in dem

St. Georgssaal eine Truppe französischer Komödianten gespielt hatte,

und daß hierbei nicht vorsichtig mit Feuer und Licht umgegangen wor-

den; nach anderer Meinung war das Feuer gelegt. Jedenfalls faßte

Max Joseph III. damals den Entschluß, ein eigenes neues Theater zu

errichten, das, obzwar sich der Residenz anschließend, von derselben

durch eine starke Feuermauer geschieden wäre. Somit gab der letzte

Residenzbrand Anlaß zur Entstehung des Residenztheaters.

Der Plan des Kurfürsten für einen neuen großen Schloßbau blieb

unausgeführt bis zu König Ludwig I-, dem eigentlichen Neuschöpfer der

Residenz. Er ließ 1826 den großartigen Trakt aufführen, der den Na-

men Königsbau erhielt, auch den Festsaalbau und den Marftall, sowie

die Allerheiligenhofkirche. Den ChristophSturm, der von der 1729 völlig

niedergebrannten alten Neuveste noch übrig war, mußte auf des Königs

Wunsch der Architekt der Residenz, Leo Klenze, durch geschickten Über-

bau erhalten.

Unter König Ludwigs I. Regierung wurde ferner das 1811 begon-

nene, seitdem aber wieder durch Brand zerstörte Hof- und National-

theater fertig gestellt, welches im Verein mit dem Königsbau und dem

Residenztheater sowie dem Postgebäude dem heutigen Max Josephplatz

das entscheidende Gepräge gibt.

* *

*

Ein richtiges altes Schloß pflegt seine Gespenster zu haben. DaS

trifft auch auf Münchens Schlösser zu. Von der Herzog Maxburg ging

ehemals die Rede, daß sich dort die Kurfürftin Marianne, Maximi-

* 117 *

* 116 *

lions I. Gemahlin, als Geist sehen laste, jedoch freundlich-mild, ohne

einem Menschen Leides zu tun. Dennoch sei eine Schildwache eines

Nachts vor ihr so erschrocken, daß der Arme in den Schloßhof hinauS-

rannte, dort bewußtlos in den Schnee fiel — es war zur Winters-

zeit — und andern Tages förmlich ausgegraben werden mußte. Hat

ihm aber nachträglich nichts geschadet.

Ein wirklich böser Spuk dagegen soll bisweilen um Mitternacht in

der Residenz sein Wesen treiben. Ein großes schwarzes Ungetüm in

Gestalt eines Pudels, der feurige Augen macht, und dem die Helle Glut

aus dem Maul geht. Das soll die verdammte Seele eines untreuen

Dieners fein, der zur Schwedenzeit oder während der österreichischen

Besetzung den Feinden verraten hätte, wo der Kurfürst Geld und

Kleinodien verborgen. Er sei dafür heimlicher Weise Hingerichtei wor-

den, muß aber nach seinem Tode noch geistern, und das Geld, das er

für seinen Verrat empfangen, muß er im Jenseits geschmolzen fresten;

drum speit er lauter Feuer aus.

Ferner geht in der Residenz, in Nymphenburg, Schleißheim und

überhaupt allen Wittelsbacher Schlöffern ein Frauengeist um von

ähnlicher Art wie die weiße Frau, die in den Hohenzollernschlöstern

spukt. Zum Unterschied ist es hier eine schwarze Frau, in reicher schwar-

zer Kleidung, einen Schleier um das Haupt; ihr Bild ist in der Re-

sidenz zu sehen. Ihr Erscheinen verkündete jedesmal ein Unglück oder

einen Todesfall im Haufe der Wittelsbacher. — Vor dem Hingang

König Ludwig II. versicherte ein Soldat, der im Schlöffe zu München

die Wache hatte, sowie der alte Galeriediener F. . . in Schleißheim

hoch und heilig, die „schwarze Frau" gesehen zu haben; auch vor dem

Tode Mar II. und seiner Witwe, der Königin Marie, sollte sie er-

schienen sein.

Ludwig „der Strenge"

Der Beiname, der sich an Herzog Ludwig II. heftet, ist ein sehr un-

zutreffender. Denn er bezieht sich auf eine Bluttat, mit der sich Ludwig

als Achtundzwanzigjähriger belastete und die keineswegs der Strenge,

vielmehr blindem Jähzorn, sinnloser Wut entsprungen scheint.

Ludwig hatte, mit Maria von Brabant vermählt, den offenbar

grundlosen Verdacht der Untreue auf sie geworfen; angeblich wäre,

indeß er am Rhein weilte, ein Brief der Herzogin an den Raugrafen

Heinrich ihm in die Hände gefallen, besten Inhalt der Herzog falsch

auslegte und darüber in rasende Eifersucht geriet. Am 18. Januar 1256

um Mitternacht ließ er auf dem Mangoldstein in Donauwörth der ver-

meintlichen Ehebrecherin durch einen Burgwart das Haupt abschlagen;

ein Hoffräulein Marias, der Mitwifferschaft beschuldigt, ward von der

Burg herabgestürzt und mit ihrer Herrin des andern Morgens im

Kloster Heiligkreuz begraben.

Ein zeitgenössisches Gedicht, von dem Minnesänger Meister Stolle

dem Jungen, gibt dem Entsetzen Ausdruck, das die Untat überall

erweckte:

„O wehe! Heut und immer ruft wehe und schreit!

So weh dem Tag, so weh der Nacht, so weh der feigen Zeit!...

Ich vernahm in meinen Tagen keinen Mord so groß,

Als von der Bayern Herren; wie hat er so bloß

Gestellt die Würde und die Tugend sein." ...

Ein rührender, vielleicht legendärer Zug ward im Liede von der Ge-

mordeten berichtet:

„Nun möget ihr hören Jammer klagen:

Noch ihres Herren Kuß bat sie vor ihrem Ende.

„Soll ich nun sein von Euch erschlagen,

Deß müßt Ihr viel und sehr noch ringen Eure Hände.

Es zeuge mir der Jungfrau Sohn, daß ich unschuldig bin,

Der Tod, den ich jetzt leiden muß, wird Euerm Heil zum

sUngewinn."

Die Weissagung dieser Worte ging an Ludwig alsbald in Erfüllung.

Die empörten Verwandten der Gemordeten drohten Rache; als kirch-

liche Buße ward ihm auferlegt, entweder ins heilige Land zu pilgern

oder ein Kloster zu stiften. Er wählte das letztere und erbaute das

Zisterzienserkloster Fürftenfeld bei Bruck. Sein Gewisten aber ward

wohl seine schärfste Strafe, zumal sich augenscheinlich bei ihm und den

Seinigen immer mehr die Überzeugung von der Unschuld der Gelöteten

befestigte. Die Tochter aus Ludwigs zweiter Ehe empfing den Namen

Maria; fein Sohn Rudolf stiftete noch nach des Vaters Tode für

besten Seelenheil eine ewige Messe und ein ewiges Licht am Grabe der

gemordeten Herzogin. Eine Überlieferung besagt, daß binnen wenig

Tagen Ludwigs Haar erbleicht sei und man ihn nie mehr lachen gesehen;

jedenfalls scheint häufige Schwermut ihn heimgesucht zu haben, auch

nachdem aus seinen zwei späteren Ehen (mit Anna von Schlesien-Glo-

gau und nach deren Tode mit Mechtild von Habsburg) ihm Kinder-

segen erblüht war. Die stete Erinnerung seiner Bluttat hat jedenfalls

das Gewaltsame in Ludwigs Natur mählich gedämpft und sein Gewisten

geschärft. „Aus der Tätigkeit des gereisten Mannes empfängt man

überwiegend die Eindrücke besonnener Selbstbeherrschung, treuer

* 119 *

* 118 *

Pflichterfüllung, eifriger Fürsorge für das Gemeinwohl." (Riezler).

Sein Verhältnis zu seinem Neffen und Mündel Konradin dem Stau-

fer hat Kritik erfahren, noch mehr die unter ihm vollzogene erste Landes-

teilung und seine Beihilfe zur Kaiserwahl Rudolfs von Habsburg,

nachdem Ludwigs eigene Bewerbung um die Kaiserkrone sich als aus-

sichtslos erwiesen. Aber „es ist sehr fraglich, ob er in beiden Fällen an-

ders handeln konnte. . . und ihm ist zu danken, daß Baiern auch unter

den ungünstigeren Verhältniffen eine angesehene Stellung im Reiche

behauptete. . ."

Als Ludwig starb (1294) fand er die letzte Ruhestatt in seiner Stif-

tung Fürstenfeld, wo ihm, freilich nicht unparteiisch, nachgerühmt ward:

„Ganz Baiern mußte den Tod dieses Fürsten beklagen, der alle anderen

an sittlicher Zucht übertraf, und unter dem das Land Wohlstand und

Fülle des Friedens genoß."

*

Im Zusammenhang mit Ludwigs schwärzester Tat sei noch einer,

von Franz Trautmann fein ausgesponnenen, Legende gedacht. Es wird

darin erzählt, daß die Qual seiner späten bittren Reue den Herzog oft,

wenn er von der Hofburg kam, in die kleine Wieskapelle hinter St.

Peter eintreten ließ, um dort Verzeihung zu erbeten. Da hätte er einst,

als er einsam dort kniete, am Altar die Erscheinung seiner Gemordeten

zu sehen gemeint, ohne Zorn auf ihn herblickend, mit einem feinen

roten Streifen um den Hals. Darauf hätte er die Arme gen Himmel

gereckt und voll Inbrunst gesprochen: „O Domine, absolve me per

innocentiam Mariae!“ *) und so zu dreien Malen, wobei er einen

leisen süßen Sang, wie von Engeln vernahm. Als er zum dritten Mal

die Worte gesprochen hatte, hörte er hinter sich eine Stimme sagen:

„Ludovice, te absolvit Dominus noster“ * 2) - und erblickte, sich

umschauend, die lichte Erscheinung der toten Maria, die noch hinzu-

fügte: „sicut Deus et ego“ —’) und dann verschwand. —

Zum Wahrzeichen des Wunders, womit ihn Gottes Vergebung be-

gnadigt, hätte Herzog Ludwig an der Stelle, wo Maria ihm erschienen,

ein schwarzes Kreuz in den Stein graben lasten. Doch war davon schon

zu Anfang vorigen Jahrhunderts keine Spur mehr zu entdecken.

H ȣ> Herr vergieb mir, um der Unschuld Marlens willen/

2) »Ludwig, dir vergibt unser Herr."

s) »und wie Gott, vergeb' ich dir."

Der Turmaffe im „alten Hof"

Dem zierlichen gotischen Erkertürmchen im alten Hof gegenüber, da

wo setzt das Rentamtsgebäude München III sich befindet, stand einst

die Burgkapelle zum hl. Laurentius. Neben dem Chor der Kapelle

ragte ein niedriger Turm empor und darauf die aus Stein gehauene

Figur eines Affen, der ein kleines Kind in seinen Armen hielt. Davon

ging folgende Sage:

Herzog Ludwig, der Erbauer der Burg, hatte einen zahmen drolligen

Affen, der sich frei rings in der Burg umtrciben durfte und bei jeder-

mann wohl gelitten war. Eines Tages nun geschah es, daß der Affe

ganz allein in dem Zimmer weilte, wo das Söhnlein des Herzogs,

nachmals Ludwig der Bayer, in der Wiege lag. Da wandelte den

Affen, der schon öfter beobachtet hatte, wie die Wärterin mit dem Kind-

lein gebarte, die Lust an, es ihr ein wenig nachzumachcn. Er hob also

das Prinzlein aus der Wiege, schützte es hoch, schaukelte es in seinen

Armen und stolzierte so mit ihm im Gemach auf und ab. Unversehens

aber trat die Wärterin herein und schrie laut auf, da sie das zarte Kind

in den haarigen Armen des Tieres sah. Sie wollte ihm das Prinzchen

entreißen; der Affe, im Schrecken darüber, nahm vor ihr Reißaus, lief

durch Vorsaal und Gänge, Trepp' auf Trepp' ab, die Wärterin immer

hinter ihm drein. Endlich ersah der verfolgte Affe keinen Ausweg, als

durch eine Dachluke, schlüpfte hinaus aufs Dach und setzte sich auf die

Spitze des Erkerturms. Nun war guter Rat teuer: der Herzog und die

Seinen, von dem Schrecknis benachrichtigt, standen in bitterer Angst

zu Füßen des Turmes; niemand getraute sich, den Affen auf seinem ge-

fährlichen Sitz zu beunruhigen, damit er nicht das Kind herabfallen

ließe. So schien eS am rätlichsten, ihn ungestört oben hocken zu lassen

und im Hofe Decken und Betten auSzubreiten, damit sich das Kind im

möglichen Falle nicht verletze. Als das Tier sah, daß alles ruhig war

und niemand eS hetzte, kletterte es schließlich vom Dache herab und

trollte den Weg ins Kinderzimmer zurück, wo es den kleinen Ludwig

sorgsam wieder in die Wiege bettete. Nun sollte der Affe tüchtig

durchgebläut werden, aber er flüchtete sich alsbald zu der Frau Hof-

meisterin und umarmte sie unter so possierlichen Bittgebcrden, daß er

der Strafe entging. Der tatenlustige Affe ward von da ab in besseren

Gewahrsam genommen, sein Bild aber zum Angedenken der glücklich

abgewandten Gefahr in Stein gehauen und auf die Zinne des Turmes

gesetzt.

* 120 *

* 121 *

Herzog Christoph der Kämpfer

Am Eingang des allen HofeS lag vormals an einer Kette ein ge-

waltiger Stein, mehr denn drei Zentner schwer. Daneben in der Mauer

waren drei Nägel eingeschlagen und eine steinerne Tafel angebracht,

mit folgenden Versen darauf:

„Als nach Christi Geburt gezehlet war

Vierzehnhundert neun und achtzig Jahr

Hat Herzog Christoph hochgeborn

Ein Held aus Bayern auserkorn

Den Stein gehebt von freyer Erd

Und weit geworfen ohngefehrd.

Wiegt dreyhundert vier und sechzig Pfund,

Deß gibt der Stein und Schrift Urkund.

Drey Nägel stecken hier vor Augen,

Die mag ein feder Springer schaugen,

Der höchste zwölf Schuh von der Erd,

Den Herzog Christoph ehrenwerth

Mit seinem Fuß herab tät schlagen.

Kunrad lief bis zum andern Nagel

Wohl von der Erd zehenthalb Schuh,

Neunthalb Philipp Springer luef

Bis zum dritten Nagel an der Wand.

Wer höher springt, wird auch bekannt.

Als unter Kurfürst Maximilian I. das neue Residenzschloß erbaut

ward, ließ der Fürst den Stein, sowie die Nägel und die Tafel in einen

Hof der neuen Residenz versetzen, wo sie annoch zu sehen sind.

Wer die beiden Wettkämpfer des Herzogs „Kunrad" und „Philipp"

gewesen sind, wissen wir nicht. Herzog Christoph aber, geboren am

5. Juni 1449, war einer der fünf Söhne, die Albrecht HI. von seiner

Gemahlin, Anna von Braunschweig, gehabt. Von Gestalt hager und

unansehnlich, besaß er eine ungewöhnliche Stärke und Behendigkeit,

dazu eine feurige, unstete und unternehmende Sinnesart. In Kampf

und Ritterspiel, sei es zu Schimpf oder Ernst, tat es ihm keiner zuvor;

daher ward er der „Kämpfer" benannt. Ein harter und gar vergeb-

licher Kampf nahm lange Zeit feine beste Kraft: der um die Mit-

regentschaft Bayerns neben seinem Bruder, dem Herzog Albrecht IV.

Durch zweiundzwanzig Jahre (von 1463 — 85) währte der Bruder-

streit; gewaltsame Taten auf beiden Seiten zeitigte er. Herzog Albrecht

ließ seinen Bruder, vor dessen Anschlägen gewarnt, durch den Grafen

Niklas von Abensberg im Bade gefangen nehmen und in den runden

Turm setzen. Herzog Christoph, daraus befreit und längere Zeit hin-

durch mit seinem Bruder verglichen, geriet abermals in Fehde mit ihm

und nahm blutige Rache an Albrechts Parteigängern, zumal dem Abens>

berger, der im Gefecht bei Freising von Christoph und den Seinen

erschlagen ward. Die Gattin des Abensbergers, Frau Martha, eine

gebürtige Werdenbergerin, soll vor Schreck und Leid darüber gestorben

sein. Am Osterfest desselben Jahres — 1485 — aber wurde ein Land-

tag zu München einberufen, wo vierundsechzig Schiedsleute den Hader

zwischen den fürstlichen Brüdern schlichten sollten. Herzog Albrecht be-

währte seine von den Zeitgenossen oft gerühmte Klugheit, indem er

dem Spruch der Schiedsrichter zuvorkam und seinen Bruder zu sich ins

Schloß lud. Da vertrugen die Fürsten sich brüderlich dahin, daß Herzog

Christoph die Alleinherrschaft in Bayern seinem Bruder Albrecht abtrat.

Damit ward Friede zwischen den Fürsten, zumal Albrecht sich auch mit

seinem Bruder Wolfgang gütlich verglichen hatte; Sigmund hatte

bald nach dem Ableben des ältesten Bruders Johann der Regierung

entsagt.

Mehr denn zwei Jahrhunderte war das Land von beständigen Erb-

streitigkeiten, Teilungen, blutigen Fehden zerrissen worden infolge des

gleichen Erbrechtes aller nachgelassenen Söhne eines Fürsten. Mit

fester Hand griff Albrecht hier ein, indem er das Erstgeburtsrecht ein-

für allemal zum Hausgesetz erhob und dadurch die Herrschgewalt auf

einer Person vereinigte.

Wie Christoph der „Kämpfer" hieß, so ward Albrecht „der Weise"

genannt. In den beiden Worten liegt der ganze innere Gegensatz beider

Brüder beschlossen. Das feurige unruhige Wesen deS einen, der in

stetem Widerstreit mit sich und der Außenwelt seine Kraft ohne eigent-

liches Ziel verzehrte, und die klare scharfe Klugheit des anderen, die

unter stets ungünstigen Verhältnissen das Mögliche wirkte und erreichte,

viel mißkannt und angefeindet, wie denn zu gescheite Leute selten be-

liebt sind.

Die ritterlichen Eigenschaften Christophs, seine Kraft und Gewandt-

heit, die ihm beim Landshuter Turnier anläßlich der Hochzeit Georgs

des Reichen den Sieg über den stärksten Polenritter verschafft hatten,

glänzten noch in den Kriegen des Kaisers Maximilian I. in Flandern

und in Ungarn. Bei der Belagerung von Stuhlweißenburg, als das

Kriegsvolk schon den Mut zu verlieren begann, sprang der hagere,

dunkle Bayernfürst vom Pferde, riß einem Knecht die Lanze aus der

Hand, und mit dem Ruf: „Wohlauf, liebe Brüder, mir nach!" setzte

er über den Graben und erkletterte kühn die Stadtmauer. Seinem

Heldenmut, der die Übrigen anfeuerte, war hauptsächlich die Einnahme

der Stadt zu danken; Kaiser Max zeichnete ihn und seinen Bruder

Wolfgang dankbar bei jedem Anlaß aus.

* 123 *

* 122 *

Nachdem Christoph das dreiundvierzigste Jahr überschritten hatte,

beschloß und vollführte er, zur Sühne früherer Gewalttaten, zumal der

Ermordung des Abensbergers, mit noch anderen Fürsten und Edlen die

Wallfahrt ins heilige Land.

In Venedig schrieb Christoph, offenbar von Todesahnungen heim-

gesucht, seinen letzten Willen nieder (vollendet am Tage Christi

Himmelfahrt 1493) der gleichsam einen versöhnlichen und reuigen

Händedruck an seinen fernen Bruder darstellt; denn seine ganze Ver-

lasienschaft war darin dem Herzog Albrecht und dessen Leibeserben

vermacht.

Christoph erreichte mit seinen Genossen glücklich das gelobte Land,

betete am Grabe des Erlösers, beichtete und kommunizierte dort bei den

Franziskanern. Auf der Rückreise jedoch befiel ihn ein Fieber; krank

landete er auf der Insel RhoduS bei den Johannitern, deren Groß-

meister, Graf Rudolf von Werdenbcrg, sich seiner besonders liebevoll

annahm. Die Sorgfalt der Johanniter und ihres Großmeisters war

indeß vergeblich: am 15. August, dem Großfrauentag, erlag Herzog

Christoph seiner Krankheit und ward in der Kirche des hl. Antonius

auf Rhodus mit großer Trauer und Feierlichkeit bestattet. Nur seinen

Schild und sein Schwert brachten die Genossen seiner Pilgerfahrt heim

nach München; die wurden in der Burgkapelle aufgehängt und von da

in die Georgskapelle der neuen Residenz überführt, wo sie zum An-

gedenken des starken Herzogs noch bewahrt werden.

Herzog Wilhelms V. Hochzeit und die Mar vom

Doktor Faustus

Die Neue Veste hat viel Prunk und denkwürdige Schauspiele, auch

Zuzug von fremden Gästen gesehen, bei fürstlichen Hochzeiten und

Leichenbegängnissen und Herrschaftsantritten. Das glanzvollste Fest

aber, von dem weit über Bayern hinaus gesprochen ward, war die

Hochzeit, die Herr Wilhelm — nachmals Herzog Wilhelm V. — mit

Renata von Lothringen hielt im Jahre 1568. Dazu hatte sein Vater,

Herzog Albrecht V., alles aufgeboten, was künstlich und köstlich war:

die Stadt wimmelte von fremden Fürstlichkeiten und ihrem Gefolge,

die sämtlich auf das prächtigste gekleidet waren. Der Bischof von Augs-

burg, als Kardinal und päpstlicher Legat, vollzog die Trauung. Ver-

schiedene neue Kompositionen Orlando di Lassos wurden von der Hof-

kapelle aufgeführt; ja, Orlando verfaßte mit Massimo Trojano zusam-

men eine Harlekinskomödie, bei der er als Dichter und Musiker, Kapell-

meister und Schauspieler glänzte. Ein großes Jesuitenspiel „vom star-

ken Samson" ward zu höchster Bewunderung der Gäste dargestellt.

Die Festlichkeiten, Tanz, Turnier, Tafelfreuden, Schauspiel währten

über vierzehn Tage. Bei der Festtafel am Tage nach der Vermählung

wurde unter der Menge der Gerichte eine Pastete aufgetischt: aus der

stieg ein Zwerg des Erzherzogs Karl von Österreich, nicht ganz zwei

Spannen hoch, in silberweißer Rüstung, der alle Anwesenden, vorab

das fürstliche Brautpaar, aufs zierlichste begrüßte.

Welches Aufsehen die Hochzeitsfeier machte, zeigt sich auch daraus,

daß eine darauf bezügliche Sage in das 1587 erschienene Volksbuch

von Dr. Faust überging.

Der Inhalt der Sage lautet ungefähr also:

Doktor Faustus zu München

Es saßen auf eine Zeit drei Grafen, die zu Wittenberg studierten,

beisammen und redeten von der herrlichen Pracht, die auf der Hochzeit

von des Bayernfürsten Sohn zu München sein würde, wünschten,

auch dabei sein zu können. Da riet einer von ihnen: sie sollten Doktor

Faust darum angehen, und ihm eine Schenkung tun; der möchte ihnen

wohl dazu helfen, daß sie die Hochzeit sehen und zur Nacht wieder in

Wittenberg sein könnten. Nach dem Rat taten sie; und Faustus war's

wohl zufrieden, und sagte ihnen zu. Auf den Tag, da des Fürsten von

Bayern Sohn Hochzeit halten sollte, hieß Faustus die Grafen sich aufs

Schönste kleiden, führte sie dann in seinen Garten und breitete einen

großen Mantel aus; darauf setzte er die drei und sich selber, gebot

ihnen aber strengstens, daß keiner, so lang sie außen wären, ein Wort

reden oder einer Frage antworten dürfte. Das versprachen sie ihm.

Darauf hub FaustuS seine Beschwörungen an, und es kam ein star-

ker Wind und führte den Mantel mit ihnen durch die Luft davon, daß

sie rechtzeitig gen München kamen. Und sie fuhren unsichtbar, daß

niemand ihrer gewahrte. Nachdem sie die Pracht der Hochzeit den

ganzen Tag zugeschaut hatten, kamen sie am Abend, da es zum Nacht-

essen ging, in den Palast. DaS nahm der Marschall wahr und sagte

es dem Herzog an, wie alle Fürsten, Grafen und Herren schon zu

Tische säßen; draußen aber stünden noch drei Herren mit einem Die-

ner, die erst gekommen wären. Da ging der alte Herzog, sie zu em-

pfangen, aber sie antworteten auch dem alten Fürsten nicht auf seine

Rede, neigten sich nur. Derweil reichte man ihnen das Handwasser,

da vergaß sich der eine Graf und bedankte sich der Ehre. Es war

aber zwischen ihnen ausgemacht, daß sie, sobald Doktor FaustuS spre-

chen würde „Wohlauf", allesamt an seinen Mantel greifen und mit

* 124 *

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ihm davonfliegcn sollten. Da nun der Graf das Gebot des Schwei-

gens verletzte, rief Fauftus: „Wohlauf!", und die zwei anderen Gra-

fen, sich an seinem Mantel haltend, wischten mit ihm davon; der

Dritte aber ward ergriffen und ins Gefängnis geworfen. Da wurde

er befragt, wie das Ding zugegangen sei, und wer die drei Anderen

gewesen? Aber der Graf gab keine Antwort, besorgte, was daraus

entstehen möchte, wenn er seine Gesellen verriete. Also ließen sie ihn

für die Nacht geschloffen und mit Hütern bewahrt und bedräuten

ihn, daß man ihn morgen peinlich befragen wollte. Der Graf aber

getröstete sich, daß Dr. Fauftus, auf das Anhalten seiner Vettern,

ihn wohl erledigen würde. So geschah es auch: ehe der Tag anbrach,

kam Faustus zurück, und durch seine Zauberkunst fielen die Wächter

in tiefen Schlaf, und alle Türen und Schlöffer sprangen auf. Da

fuhr er mit dem Grafen durch die Luft nach Wittenberg, und die Drei

taten ihm eine stattliche Verehrung dafür.

Die zu München aber hatten das Nachsehen.

Albrecht V. und Orlando di Lasso

Die ausgesprochene, in großem Stil sich betätigende Kunst- und

Prachtliebe Albrechts des Fünften, dieses typischen deutschen Renais-

sancefürsten, war keineswegs eine Ursache reiner Freude für seine

Landstände und seine obersten Räte. Die sprachen ihm in einem

schriftlichen Gutachten vom Sommer 1558 ihr „herzliches Mitleiden"

aus, daß er „solche hergelaufene unbekannte, liederliche Leute am Ho-

fe überhandnehmen" und „zu so vilfeltigen gepewen, malereyen, kist-

lereyen" sich bereden laste. — Die guten Räte hatten von ihrem

Standpunkt, im sorglichen Hinblick auf ihres Herzogs wachsende

Schuldenlast, nicht ganz unrecht; aber auch der Herzog hatte nicht

unrecht, wenn er mit Unwillen das wohlmeinende Schriftstück auf-

nahm und ungnädig beantwortete.

Denn zu den „Malereien" die man ihm vorwarf, gehörten unter

anderen die Gemälde und Miniaturen von Hans Mielich, zu den

„Kistlereyen" (Holzschnitzereien) Jakob SandtnerS prachtvolle Holz-

modelle bayerischer Städte, vor allem das große Stadtmodell von

München, das eine Perle des bayerischen Nationalmuseums bildet.

Unter den „Gcbäuen" befand sich beispielsweise das heutige Münzge-

bäude, enthaltend das bauliche Kleinod des sogenannten Turnierhofs;

und mit den „hergelaufenen liederlichen Leuten" ward merklich auf

einen kürzlich neu Berufenen gezielt: Orlando di Laffo.

Ein Freund der Künste überhaupt, war Albrecht V. besonders ein

Freund der Tonkunst; die Liebe zur Musik war ein Erbteil der baye-

rischen Herzöge. Mit seinem Sohne Wilhelm, der zu Landshut

eine eigene Hofmusik hielt, wechselte Albrecht ausführliche Briefe

über neu zu gewinnende oder gewonnene Kräfte für die „Cantorey"

(Hofkapelle). Desgleichen schreibt der kaiserliche Vizekanzler und bay-

erische Gesandte in Brüffel, Dr. Seid, von „guten Singern", auch

Knaben, um die er sich für Albrecht bemüht. Das fürstliche Cantorey-

haus stand an der Ostseite des heutigen „Plahls", damals Graggen-

au geheißen; die einstige Stätte des CantoreyhaufeS nimmt ein Teil

des jetzigen HofbräuhaufeS ein. Die Hofkapelle pflegte bei den gesun-

genen Ämtern in der alten Hofkirche zu St. Lorenz mitzuwirken, so-

wie bei Hofe die Tafelmusik zu bestreiten; später ließ sie sich hören

in dem 1558 — 62 erbauten großen Saal der Neuveste. Ihre Mit-

glieder teilten sich in Sänger und Instrumentalisten; sie wurde, so

scheint eö, umgebildet nach dem Muster der kaiserlichen Kapelle

durch den hervorragenden Tonmeister und großen Kontrapunktisten

Ludwig Senfl, der von 1525 an am Hofe Wilhelms IV. gelebt hatte.

Er war ein Schüler des flandrischen Komponisten Isaak. Von allen

Zeitgenoffen war er gepriesen worden: der gelehrte Benediktiner Wolf-

gang Seidl aus Tegernsee hatte eine begeisterte sapphische Ode auf

ihn gedichtet; Luther hatte ihn hochgeschätzt und in einem Schreiben

an ihn die Wittelsbacher Herzöge, die er in religiöser Hinsicht befeh-

dete, höchlich gerühmt, weil sie die Musik so pflegten und ehrten.

SenflS Behausung befand sich in der Hofstatt Nr. 6, ganz nahe von

seinem Freunde Simon Schaidenreißer. Er starb zu München

um 1555.

Zu Beginn von Albrechts V. Regierung nun war der Kapellmei-

ster Ludwig Daser, ein geborener Münchner, Leiter der Hofkapelle,

der auch kompositorisch tätig war. Obschon erst ein Dreißiger, ward

er 1559 pensioniert, offenbar um Orlando di Laffo Platz zu machen.

Er ging später nach Stuttgart und starb als Kapellmeister dort 1589.

Ein Zug jener Zeit war das Vordringen des ausländischen, zumal

italienischen und niederländischen Elementes auf jedem künstlerischen

Gebiete. Im Falle Orlando di Laffos trat noch besten überrragende

künstlerische Bedeutung hinzu. Hans Jakob Fugger, dem der Grund-

stock von Albrecht V. Bibliothek und Handschriftensammlung zu dan-

ken ist, sandte 1556 eine Motette Orlandos nach München; durch

seine Vermittlung berief Herzog Albrecht den jungen Meister in seine

Hofkapelle und später zu deren oberstem Leiter. Alle Hauptwerke Or-

landos sind in München entstanden. Auf Bestellung Albrechts kom-

ponierte Orlando feine berühmten fünfftimmigen „Sieben Bußpsal-

men Davids". Unmöglich, die Fülle des von Orlando Geschaffenen

hier auch nur zu streifen. Kaiser Max II. verlieh ihm für seine „or-

* 127 *

* 126 *

ländischen Gesänge" (die Herzog Albrecht dem Kaiser mitgeteilt) den

erblichen Adel; Papst Gregor XIII. bereitete dem Künstler, als dieser

ihm in Rom persönlich seine fünfstimmige Meffe überreichte, einen

ehrenvollen Empfang und machte ihn zum Ritter des goldenen

Sporns. Dazwischen lud Karl IX. von Frankreich Orlando zu sich

nach Paris, um seine Meinung bei Errichtung der von dem König

gestifteten musikalischen Akademie zu vernehmen. Doch blieb der

Meister, trotz aller schmeichelhaften Anerbietungen, die ihm ander-

wärts gemacht wurden, stets München freudig getreu.

Dies änderte sich auch nicht, als 1579 Albrecht der Fünfte das

Zeitliche segnete und den Ruhm eines „gottesfürchtigen, stattlichen

und gar vernünftigen Herren" zurückliesi, „der gelahrte und kunst-

reiche leit vast lieb hält und baiern zieren wollt von innen undt von

außen." Denn Wilhelm V., fein Nachfolger, hielt Orlando nicht

minder in Ehren. 1580 lehnte der Meister einen Antrag des Kur-

fürsten August von Sachsen ab, unter Hinweis auf die reichliche

Entlohnung und sonstigen Güter, mit denen die Gunst der beiden

Bayernfürsten ihn bedacht hatte.

Um die zeitliche Wohlfahrt des Meisters Orlando war es also gut

bestellt; dazu kam noch die Auszeichnung und persönliche Wärme,

die er von den Herzögen genoß. Und neben den Ehren, die sein Schaf-

fen ihm erwarb, lebte er ein glückliches, häusliches Leben, vermählt

mit Regina Weckhinger, „einer herzoglichen Kammerdienerin", die

ihm achtzehn Kinder gebar, zehn Söhne und acht Töchter. Wenn

der Dienst seines Fürsten ihm nicht Zeit ließ, das von Wilhelm V.

ihm geschenkte Landhaus in Schöngeising an der Amper aufzusuchen,

weilte er des Sommers „zur Recreation" in einem anderen Garten,

den er „sambt einem Hauß darinn" vor den Toren der Stadt, in der

Lehel-Gegend besaß. Da fanden wohl auch die Freunde sich öfters ein:

Friedrich de Sustris und dessen Schwiegersohn Hans Krumpper,

Peter Candid, Lizenziat Müller und des Herzogs Leibarzt Dr. Tho-

mas Mermann mit dem tiefgründigen Forscherblick, den, wie des

Meisters Orlando Witwe noch bezeugt, „ihr Mann seliger" vor Al-

len geliebt hat am fürstlichen Hofe.

Orlandos letzte Jahre waren verdunkelt durch Schwermut und Ge-

mütsverdüsterungen, die Folgen rastloser geistiger Überanstrengung —>

über zweitausend Werke hat er geschaffen. Umgeben von Frau und

Kindern, sowie treuen Freunden starb er, zweiundsechzigjährig, eines

sanften Todes. Er ward bestattet bei den Franziskanern, deren Klo-

ster und Freithof sich bekanntlich an der Stelle des heutigen Natio-

naltheaters befand. Demgemäß ist von der Grabstätte des „Fürsten

der Musik", wie feine Zeitgenossen ihn nannten, keine Spur ge-

* 128 *

blieben; sein Grabstein jedoch steht im Bayerischen Nationalmuseum,

mit der Inschrift:

„ftlic facet Orlnnäus ills La88U8,

Qui lassum recreat orbem.“

Das Wohn- und Sterbehaus Orlando di Lassos ist die heutige

Gaststätte am „Platzl", die seinen Namen trägt.

Der erste Kurfürst

Er saß an seinem Schreibtisch zu München, in dem Gelaß, das er

selbst hatte entstehen sehen und nach seinem Sinn geschmückt hatte,

ehe der Krieg, der dreißigjährige, ihn und die Welt mit anderen Sor-

gen belud. Der ruhige Farbenglanz der Hauteliffe-Wandteppiche schim-

merte im späten Tageslicht; von der Decke sahen die gemalten Allego-

rien fürstlich-christlicher Tugenden zwischen Stuckmarmor und schwerem

Getäfel auf ihn herab, der sich in stetiger Arbeit abmühte, sie zu ver-

wirklichen. Da war die monatliche Zollrechnung, die wollte durch-

gerechnet sein, denn dies war des Fürsten Stolz im Alter, wie einst

in der Jugend, daß er „selbst zu seinen Sachen sah" und jede Rech-

nung selbst überlas. Ein altes deutsches Wort hatte er zum Leibspruch

erkoren: in jeder Hauswirtschaft muß man einen Zehrpfennig, Ehr-

pfennig und Sparpfennig haben. Zum AuSgeben des EhrpfennigS

kamen Fürsten leicht genug. Die bevorstehende Vermählung feines

Kurprinzen würde manches schöne Stück Geld dahin nehmen. Gut:

wer rechtzeitig spart, kann rechtzeitig ausgeben. Heute hatte er den

Bau deS neuen Opernhauses am Salvatorplah, der bereits tapfer

emporstieg, angeschaut. Es würde eine schöne Vista ergeben, wenn

eS fertig stand. Dem Fürsten schwellte ein gewisser Stolz die Brust,

im Gedenken der Aufgaben, die er, Maximilian L, den Künsten schon

gestellt hatte, er, den die Mitwelt als karg verschrie. Ein bißl gehörte

er ja selbst zum Handwerk: in seinen wenigen Mußestunden drehte er,

dessen ganzer sonstiger Tag zwischen Gebet und Arbeit verfloß, zier-

liche Gebilde aus Elfenbein. Und am Plan dieser seiner Residenz

hatte er fest mitgetan. Nichts von weltlichen Dingen bot dem Kur-

fürsten solche Erquickung als die Betrachtung von Kunstwerken. War

ihm jemals ein Brief, eine Mühe zu viel gewesen, um von den Nürn-

bergern oder anderswoher ein Stück seines geliebten Albrecht Dürer

zu erwerben? Mit Lust übersann er, was Alles er von des herrlichen

Meisters Hand besaß. Und die Gedanken wanderten weiter: zum

Grabmal, das er seinem kaiserlichen Ahnen Ludwig gesetzt hatte, zu

Peter Candids Malereien im Kaisersaal, zu dessen Himmelfahrt Mariä

in der Frauenkirche —

9

* 129 *

Da wandte Maximilians Sinnen sich ab von der Kunst, hinüber

zu seiner himmlischen Herrin, zu deren Füßen sein Leben verglomm

wie draußen überm Restdenzportal die ewige Lampe vor ihrem, von

Hans Krumpper geschaffenen, Erzbild. Voreinst hatte er eine, mit

seinem Blute geschriebene, Widmung an sie versaßt und in Altötting

niedergelegt. Keine irdische Liebe war je so stark gewesen, daß sie ihn

abwendig gemacht hätte dieser einen, rein geistigen, seine Seele be-

herrschenden Liebe zur Mutter des Herren. — „Ora pro nobis!"

— sprach er leise, und sah innig hinauf zu dem Marienbilde über

dem Tische an der Wand. Das war das Stück Schwärmerei, das

dem sonst Kühlen, Nüchternen innewohnte.

Sein Tagewerk brauchte wahrlich nüchterne, kühle Klarheit, brauchte

einen ungebeugten, zuweilen harten Willen. Hatte er es nicht hun-

dertmal schwerer gehabt, als sein Vater und Ahn? Hatte er nicht

fliehen müssen aus seiner Hauptstadt, nicht der Kriegsfurie in die

medusenartigen Augen gesehen? Hatten zu dem endlich Sieghaften,

wieder im Frieden Herrschenden nicht Hunger, Pest, Verwüstung

um Hilfe geschrien? Und es war ihm doch einigermaßen gelungen,

dem ärgsten Elend zu steuern; er hinterließ doch ein beruhigtes, ge-

ordnetes Land, einen gefüllten Schatz. Vor Allem: ein Volk, in

Ehrfurcht und im Väterglauben erhalten.

Wem hinterließ er es? Fürsten können so wenig als Andere ihr

Bestes, Stärkstes vererben. Nur den Besitz, nicht die bewahrende

Kraft. Und er, der Kurfürst, stand im neunundsiebzigsten Jahre;

täglich konnte Gott ihn abberufen. —

Die welke Greisenhand schob die Stöße der Rechnungen, Sup-

pliken, Berichte zur Seite; da und dort waren die Ränder der Pa-

piere mit kleinen unwilligen Anmerkungen bedeckt, wo irgend etwas

Mißfälliges sein scharfes Auge getroffen hatte. Er zog ein Heft her-

vor, das die Erfahrungssumme eines ganzen Fürstendaseins seinem

Nachfolger überliefern sollte, die „Treuherzigen väterlichen Lesestücke,

Erinnerungen und Ermahnungen" für seinen Sohn.

Sparsamkeit und Mäßigkeit, Erhaltung der Würde und Autori-

tät, jedoch mit Freundlichkeit und Sanftmut gepaart, Verschwie-

genheit bei wichtigen Geschäften, die goldene Regel, nur langsam zu

reden, verständig und mit gutem Bedacht, Neuerungen und a la

modisches Gebaren zu meiden. Alles hat sein Beispiel dem Prinzen

schon eingeprägt, nachdrücklicher als gemalte und in Erz gegossene

Allegorien. Und die rastlose hagere Hand schreibt, gleichsam als Mot-

to, noch die Worte: „Eifrige, arbeitsame Potentaten und Fürsten

sind den brennenden Kerzen zu vergleichen, welche sagen könnten:

aliis lucendo consumor! Anderen leuchtend verzehre ich mich." —

Anderen leuchtend? Es gab Viele, die den Kurfürsten Maximi-

lian tadelten oder fürchteten. Hart, streng, eigensüchtig hießen sie ihn,

freilich im Widerspruch zu Solchen, denen er als der Salomon Europas

galt. Er fragte den Einen und den Anderen nicht nach. Wie der baye-

rische Bauer nur zweierlei kennt: den Herrgott und das Stück

Heimatscholle, das er bebaut und mit Stolz seinen Hof nennt, so gab

es für Bayerns Herrscher auch eben nur Gott und den Staat. Aus

seinem ganzen kämpfereichen Leben entsann er sich unter den Sün-

den, die er bereute, keines Augenblicks, wo sein katholischer Christen-

glaube gewankt oder wo er das Wohl des Staates nicht bedacht

hätte. Käme jetzt seine letzte Stunde, so könnte er dies beteuern vor

Gottes Angesicht -

In das Gemach Mckte verglimmender Abendschein. Der greise

Fürst, im Gedanken an seinen Tod, hatte die Feder niedergelegt

und bekreuzte sich andächtig. Sein Antlitz trug den Ausdruck völligen

Friedens.

Schleißheim

Ein uralter Edelsitz und Kirchort, kam Schleißheim im 15. Jahr-

hundert zuerst an Herzog Ernst von Oberbayern, später an die Brü-

der Pfattendorfer, die natürlichen Söhne Herzog Sigmunds. Die

stille friedsame Lage des Ortes auf der Garchinger Heide, sowie die

Fruchtbarkeit des Bodens veranlaßten Herzog Wilhelm V., hier eine

Musterschwaige und ein Herrenhaus zu errichten. Später baute er

zu den im Umkreis schon bestehenden vier Kapellen noch fünf weitere

hinzu, jede mit einer Klausnerwohnung daran. Es waren nun im

Ganzen 9 Kapellen, die zu Sankta Maria, St. Jakob, Sankt»

Margaretha, St. Nikolaus, St. Korbinian, St. Franziskus, St.

Ignatius, St. Wilhelm und St. Renatus. Sie alle sind verschwun-

den, nur die St. Jakobskapclle besteht noch als Friedhofskapelle

von Hochmutting, und die Jgnatiusklause ist umgewandelt in die be-

kannte Gastwirtschaft „zum Bergl." In die Schleißheimer Klausen

pflegte Wilhelm V. mit seiner Gattin Renata und einigen Vertrau-

ten vom Hofe sich zurückzuziehen, wenn er einsam der Betrachtung

und den Andachtsübungen obliegen wollte. An diese Klausen mahnen

heute noch einzelne niedrige, einstöckige Häuschen. Später, als Wil-

helm V. seinem Sohne Maximilian die Regierung abgetreten hatte,

bot er dem neuen Herrscher die Schwaige Schleißheim, die sein per-

sönliches Eigentum war, zum Kaufe an. Es ist bezeichnend für den

sparsamen Sohn, daß er genau prüfen ließ, welchen Ertrag die

Schwaige abwarf, ehe er auf den Handel einging. Um jede Kleinig-

* 131 *

* 130 *

keil der Bewirtschaftung kümmerte er sich selbst, bis auf den Speise-

zettel für die Dienstboten herab. Doch behagte auch ihm Schleißheim

als Aufenthalt, denn er ließ durch seinen Liebling Peter Candid hier

an Stelle des einfachen Herrenhauses das alte Schloß aufführen,

den ältesten Renaissancebau in Münchens Umgebung. Seine Nach-

folger bauten die so geschaffene Sommerresidenz noch weiter aus,

schmückten sie mit Gemälden und Stuckarbeiten, gestalteten den Park

im Sinne der damaligen französisch-italienischen Gartenkunst. Fer-

dinand Maria, der gern hier weilte, starb in Schleißheim im Jahre

1.679; sein Sohn Max Emanuel ist der eigentliche Schöpfer des

neuen großartigen Schlosses. Es war fein Lieblingöbau, für fein per-

sönlichstes Wesen so bezeichnend, wie die MichaelSkirche für Wilhelm V.

oder der Plan der neuen Residenz für Maximilian I. Aus dem

Feldlager vor Namur sandte der Fürst, der seinem eigenen Geständ-

nis nach „schon glücklich war, wenn er Pläne zeichnete, nur das

Papier zu verschmieren" — seine baulichen Anordnungen hinsicht-

lich SchleißheimS nach Hause. Begonnen ward mit dem Schlößchen

Lustheim, das an Stelle der abgebrochenen Renatusklause des Ur-

ahns Wilhelm steht, die zierliche Nachbildung eines italienischen Ka-

sinos. Dann folgte der Bau des Hauptschlosses, das noch bei Max

Emanuels Tod nicht ganz vollendet war. Der Ehrgeiz Dessen, der

von einer Königskrone träumte, wollte, daß sein Schloß eines Kö-

nigs würdig sei; daneben spricht aus jedem Zug der Anlage seine

schwelgerische Sinnenfreudigkeit, das Stück Romantik, das in ihm

wohnte und sein wirkliches Kunstgefühl. Er hat Unsummen ver-

schwendet, dieser Kurfürst, über den die Meinung der Mitlebenden

so geteilt, häufig mit Recht absprechend war. Aber er hat der bildenden

Kunst, dem Kunfthandwerk, der Gartenkunst würdige Aufgaben ge-

stellt; und so leicht er in politischen Dingen sanguinisch daneben griff,

so sicher fand er die richtigen Persönlichkeiten heraus, die solche künst-

lerische Aufgaben lösen konnten. Für Schleißheim war es zuerst der

Graubündner Enrico Zuccali, dann Joseph Effner, der Dachauer

Gärtnerssohn.

Wenn schon der Plan des Schlosses nicht in vollem Umfange zur

Ausführung kam, ist der Eindruck dennoch majestätisch genug. Von

monumentaler Wirkung schon der Eintritt durch das Hauptportal,

herrlich der Blick von den Fenstern der Ahnengalerie herab auf die

blumigen Teppichgärtnereien und die ganze Gestaltung des Parkes,

der den Zusammenhang zwischen Schleißheim und Lustheim vermit-

telt. Die berühmte Gemäldegalerie, zum Teil von Max Emanuels

Vorfahren herstammend, aber durch ihn und seine Nachfolger be-

deutend gemehrt, umfaßte zu seiner Zeit schon !OOO Nummern.

Zwar ist aus dem Gemäldeschah das Beste inzwischen in die Alte

Pinakothek überführt worden, doch ist dafür wieder manches Wert-

volle in Schleißheim neu hinzugewachsen.

Während der Spätzeit Max Emanuels und der Regierung Karl

Albrechts weilte der Hof zur Sommerszeit abwechselnd in Schleißheim

und Nymphenburg. Es fanden hier wie dort die gleichen glänzenden

Feste statt: auf dem Kanalarm, der von Schleißheim nach Lustheim

führt, wurden venezianische Gondelfahrten unternommen, der Park

ward glänzend beleuchtet und großes Feuerwerk darin abgebrannt.

In den prächtigen Sälen, wo goldene und silberne Ornamente sich

an seidenen Stofftapeten hinaufranken oder in die Wandbespannung

kostbare Gemälde eingelassen sind, wurden Bälle und festliche Em-

pfänge, Konzerte und Theateraufführungen veranstaltet. Der graue

und rosige Marmor des Treppenhauses, die eingelegten Mosaikfuß-

böden spiegelten den Glanz der Kerzen und das Flackern der Wind-

lichter, mit denen den höchsten Herrschaften hernach in ihre Gemächer

geleuchtet ward. Und wenn dann die Lichter verloschen waren, und nur

der Mond sein Silber auf Park und Schloß ergoß, klang vielleicht

noch leises Liebesgeflüster da und dort aus den verschnittenen Buchen-

hecken oder den süß und schwül duftenden Fliederbüschen hervor. —

Seit dem Kurfürsten Max III. Joseph kam der Hof nicht mehr nach

Schleißheim. 1822 ward es landwirtschaftliche Lehranstalt, später

Kreisackerbauschule, dann Remontedepot. Heute, im Gegensatz zu

Nymphenburg, das vom Leben der bis zu ihm sich erstreckenden Haupt-

stadt umgeben wird, ist Schleißheim still. Abseits und einsam liegt

das Schloß inmitten des flachen moorigen Landes. Die Schönheit

und der Prunk dieses Kleinods dekorativer Kunst stechen seltsam ab

gegen die Ode ringsum. Der Besucher mag sich in den Sälen und

Parkwegen ergehen und Betrachtungen anstellen über die Vergäng-

lichkeit alles Irdischen. Aber im Scheiden wird er das Gefühl mit-

nehmen, zu Gaste gewesen zu sein in einer Welt, die dem Heutigen

fern und unwirklich scheint und deren Anhauch doch Jeder als einen

Zauber empfindet.

Kaiser Karl VII.

Im prunkvollen Fürftenschlafzimmer der Residenz liegt ein Ster-

bender. Die Krone auf dem hohen goldgestickten Baldachin über dem

Bette erscheint als eitler, törichter Gegensatz zu dem Leiden des ar-

men Dulders, den leibliches und seelisches Weh vorzeitig unter die

Erde bringt. Aus dem Dämmer heraus, das seine Sinne schon um-

spinnt, reckt er noch einmal die Hand nach den Weinenden, die sein

Sterbelager umstehen:

* 132 *

* 133 *

„Meine armen Kinder, mein armes Land, verzeiht Euerem armen

Vater!" Das sind Karl Albrechts letzte Worte in diesem Leben.

DaS Mitleid der Zeitgenoffen hat Karl Albrecht, Kurfürsten von

Bayern, als römischer Kaiser Karl VII., den „Unglücklichen" ge-

nannt. Mit nur zu gutem Grunde.

Er zählte noch nicht neun Jahre, da er, Max Emanuels ältester

Sohn, in Gefangenschaft der Österreicher geriet, von ihnen, die sei-

nen Vater befiegt und vertrieben hatten, aus München hinweggeführt

wurde, um erst in Klagenfurt, dann in Graz erzogen zu werden. Als

Jüngling ward er den Eltern und der Heimat wiedergegeben; als

nicht ganz Dreißigjähriger, jung vermählt, vom Glanze eines prunk-

liebenden, schönheitsfreudigen Hofes umgeben, trat er das Erbe sei-

nes Vaters an.

Er war deffen Erbe auch innerlich. Die verstehende Kunstliebe,

besonders die Freude am Bauen, die leicht erregbare Sinnlichkeit,

der Ehrgeiz und die persönliche Tapferkeit Max Emanuels waren

auch dem Sohne zu eigen. Aber alles um eine Note schwächer, zar-

ter, nicht mehr so ins Große gehend. Er verhielt stch zum Vater —

wie die Amalienburg zu Schleißheim. Und während die sanguinische,

abenteuernde Seele Max Emanuels in einem Körper wohnte, der

trotz Strapazen und seelischen Erschütterungen vierundsechzig Jahre

vorhielt, war Karl AlbrechiS Widerstandskraft mit achtundvierzig

Jahren verbraucht — ungeachtet des stählenden EinfluffeS der von

ihm so leidenschaftlich geliebten Jagd.

Erft wenige Zeit herrschte er, als ein furchtbarer Brand sein

Residenzschloß verheerte, Kunstschätze vernichtete, deren Verlust dem

Kurfürsten wahrhaft zu Herzen ging. Darnach kam eine Frist unge-

störten, beglückten Daseins, ein Entfalten aller persönlichen Neigun-

gen. Der Fürst, vor dem bei der feierlichen Landeshuldigung der Erb-

jägermeister, Graf Törring, einherschritt, den mächtigen Hetzrüden

an der Leine führend, streifte mit Gefolge oder einzeln, als einfacher

Jäger durch Wald und Moor. Wenn er dann heimkehrte, beutereich,

aber ermüdet, beschmutzt, dann gewährte eS seinem verfeinerten Em-

pfinden die köstlichste Erholung, auszuruhen inmitten hochgesteigerter

Pracht, erwähltester Form- und Farbenkunst, schöner graziöser Frauen.

Das waren die Jahre der Amalienburg.

Dann aber kam der Augenblick, wo Karl Albrecht den alten Kampf

seines Hauses mit Habsburg um die Vorherrschaft in Deutschland

aufnahm, die „Pragmatische Sanktion" anfocht, der „Großherzogin

von Toskana", wie er Maria Theresia nannte, das Erbe ihres Va-

ters, Kaiser Karl VI., bestritt.

Eine Spanne kriegerischer Erfolge, siegreichen Vordringens, frei-

lich im Bündnis mit anderen Mächten: Preußen, Sachsen, Spanien,

Frankreich. Und der Triumph, der höchste, den sein Vater vergeblich

ersehnt hatte: zum römischen Kaiser erwählt zu sein. Ein Triumph

voll grausamen Schicksalshohns. Denn inzwischen hat das Waffen-

glück sich schon gewendet: Maria Theresias Heere fallen siegreich in

Bayern ein. Während die Vorbereitungen zur glanzvollen Krönung

in Frankfurt a. M. getroffen werden, erreichen nur Unglücksbotschaf-

ten den zu Krönenden, der sich im Bette unter qualvollen Gicht- und

Steinschmerzen windet. Es lieft sich erschütternd, wie dem armen

siechen, sorgenzerriffenen Manne der schwere Krönungsornat angelegt

wurde, wie man ihn, der sich mühsam aufrechthielt, auf einen

geschmückten Zelter hob und in feierlichem Krönungszug dahin-

führte. Dennoch, so freudlos es in ihm aussah, strahlte persönlicher

Zauber von ihm aus: Goethes Mutter, die damals elfjährige Elisa-

beth Katharina Textor, hat es uns bezeugt. Sie sah ihn krönen, sie

sah ihn mit seiner Gemahlin am Charfreitag in Frankfurt von Kirche

zu Kirche gehen, Hand in Hand, gehüllt in lange schwarze Mäntel.

Beide hatten Lichter in der Hand, die sie gesenkt trugen... „Überall

kniete er auf der letzten Bank unter den Bettlern und legte sein Haupt

eine Weile in die Hände." Später sah sie ihn offene Tafel halten

unter Trompetengeschmetter, umringt von großen Herren; als seine

Gesundheit getrunken ward, jauchzte sie mit: „der Kaiser sah mich an

und nickte mir." Die wundersamen melancholischen Augen des kran-

ken Kaisers erweckten in der späteren „Frau Rat" ihre „erste rechte

und auch letzte Leidenschaft."

Schwerste Gründe zur Schwermut hatte er. Ein Bundesgenoffe

nach dem anderen fiel ab von ihm. Im Mai 1742 war, als die Pan-

duren in München einbrachen, von diesen unmenschlich gehaust wor-

den; am Lehel wurden vierzig Häuser in Asche gelegt, die Einwohner

niedergemehelt, die Schwerverwundeten, sowie viele kleine Kinder

lebend ins Feuer geworfen. Und im Juni ließ Österreich sich im be-

setzten Bayern huldigen — wie zu Max Emanuels Zeit.

Der Einfall der preußischen Heere in Böhmen 1744 erleichterte

Bayern und führte Karl Albrecht in seine Residenz, die er dazwischen

nur kurz wiedergesehen, zurück. Auf wie lange? Seine Umgebung

glaubte: bis zur baldigen eiligen Flucht. Er wußte es anders: er

fühlte sein Ende nahe. Seine LieblingStochter Therese Benedikte,

deren Tod ihm in dieser Leidenszeit fast das Bitterste gewesen, war

ihm vor der Heimreise erschienen, tod- und friedeverkündend. Er starb

am 20. Januar 1745. — „Er war sanft, menschlich herablaffend"

— urteilt von ihm die kritische Markgräfin Wilhelmine von Bay-

* 135 *

* 134 *

reuth, die Schwester Friedrichs des Großen, und meint: er hätte ein

befferes Schicksal verdient. - -

Sogar der Grabesfrieden wäre ihm nicht gegönnt gewesen, wenn

dem zu glauben, was seine Witwe, die Kaiserin Amalie, 1750 an

ihre Tochter schrieb. Darnach wäre sein Geist im Angerkloster in

München erschienen, kurz vor dem Tode seiner Schwester Maria

Karolina, die dort als Klarissin Gott diente. — „Noch einmal wagst

du, vielbeweinter Schatten, hervor dich an das Tageslicht" — Diese

Verse Goethes drängen sich einem unwillkürlich auf bei solcher

Kunde. Aber sie geleiten auch jeden, der an einem Frühlingstage den

Park zu Nymphenburg und die Amalienburg betritt, die Erinnerung

an den liebenswerten unglücklichen Kaiser als stille Genossin zur

Seite.

Nymphenburg

Der alte Name der Hofmark Nymphenburg ist „Kemnaten".

Unter diesem Namen schenkte eS Kurfürst Ferdinand Maria seiner

Gemahlin Adelheid „ins Kindbett", als sie ihn durch die glückliche

Geburt eines Thronerben erfreut hatte. Die Kurfürstin fand den bis-

herigen Namen zu gewöhnlich. Sie bat ihre Mutter, einen anderen

vorzuschlagen, und dieser andere war „borgo delle nymphe“ d. h.

Nymphenburg. Die Fürstin ließ den Mittelbau des heutigen Schloßes

durch den Bologneser Agostino Barelli aufführen, als einfaches Luft-

schloß, im Stile der italienischen Villa, umgeben von einem kleinen

Garten im französischen Geschmack. Aber erst der damals geborene

Kurprinz, spätere Kurfürst Max Emanuel baute Schloß und Park

in ihren heutigen Größen aus. Der „Adelaideftock", der Mittelbau,

wurde nach beiden Seiten fortgesetzt; der eine Flügel endete in einer

Kaserne, der andere in einem Kloster hetzt das der Englischen Fräulein),

bis viel später die den Schloßplatz umgebenden Beamtenwohnungen

sich daran reihten. Ländlich und doch großartig wirkt der Anblick des

weißen SchloffeS mit seinen Nebenbauten und der Fontäne, die in-

mitten des Platzes lichtfunkelnde Tropfen sprüht. — Der spanische

Erbfolgekrieg unterbrach die Bauten, die damals Anton Viscardi

leitete, für volle zehn Jahre. Als Max Emanuel gleich nach seiner

Heimkehr sie wieder aufnehmen ließ, ward ein Bayer, der in Paris

auf kurfürstliche Kosten ausgebildete Joseph Effner, damit betraut.

Auch die Parkanlagen wurden nun vollendet: breite Alleen, lauschige

Wege wurden angelegt; Wasierkünfte mit schimmernden Steinfigu-

ren, ein verträumter kleiner See und ein Kanal belebten die Land-

schäft. Als Ruhewinkel nach den mancherlei Gesellschafts- und Lauf-

spielen im Freien, die hier des Sommers betrieben wurden, entstand

die „Pagodenburg" im chinesischen Geschmack, ferner als prunkvolles

Badehaus die „Badenburg". Später jedoch, da Max Emanuel

alterte und die Stimmungen zerknirschter Andacht, die bei ihm sein

Leben lang mit gelegentlicher Frivolität gewechselt hatten, vorherr-

schend wurden, ließ er das St. Magdalenenkirchlein im Park auf-

führen und sich daneben ein paar einfache Zimmer, die Klause oder

Eremitage, einrichten. Die als künstliche Ruine begonnene, erst unter

Max Emanuels Nachfolger vollendete Kapelle enthält die weiße

Marmorfigur der heiligen Büßerin inmitten einer dunklen Grotte

aus Muscheln und Tuffstein, wo ein kleiner Brunnen rieselt. Es war

Sitte, daß alljährlich am Feste der heiligen Magdalena, 21. Juli,

die Kapelle, die für gewöhnlich verschlossen ist, für jedermann offen

stand. Daher schrieb sich ein großes Volksfest, das Magdalenenfest,

zu dem die Münchner noch jetzt scharenweise nach Nymphenburg

hinausgehen oder fahren. Denn das Wasser des Magdalenenbrünn-

leins galt im Angedenken der reuigen Tränen der hl. Büßerin als

heilsam für kranke Augen. Manche Besucher füllten davon in ein

Fläschchen und trugen eS zu täglichen Waschungen mit heim. Nach

der Andacht pflegte eine gemütliche Einkehr in einer der Wirtschaften

des großen Rondells zu Seiten des SchloffeS zu folgen, vornehmlich

beim „Controlor".

Karl Albrecht, unter dem die Magdalenenkapelle vollendet ward,

hat zu Ehren seiner Gemahlin Maria Amalie, der tapferen Jägerin,

auch das Juwel des Nymphenburger Parkes erbauen lassen, die

„Amalienburg". Sie ist das schönste Werk ihres Meisters Cuvillies

und eine Perle aller Rokokokunst überhaupt. Das Ganze ein Traum

in Silber, unterwebt mit Blau und Gelb, etwas unendlich Zartes,

Schimmerndes, der Lebensausdruck eines auf feinsten Daseinsgenuß

eingestellten Menschen, der die Schönheit in allem liebt. An die Be-

stimmung des Hauses zu Jagdzwecken erinnert — ein so leidenschaft-

licher Jäger Karl Albrecht auch war — nur der auf dem Dache er-

richtete „Hochstand" mit zierlicher schmiedeeiserner Einfassung, von

dem herab zumeist auf Fasanen geschossen ward. Die Raumverhält-

nisse, die Linien, die innere Ausstattung der Amalienburg bilden einen

Zusammenklang von vollendeter wunderbarer Harmonie; sie ist sozu-

sagen das Wahrzeichen des Nymphenburger Parkes: die Seele ihres

fürstlichen Bauherrn scheint in sie hinein gebannt zu sein.

Was Karl Albrechts Schöpfungen ebenso wie die seines Vaters

für das heimische Kunsthandwerk bedeuteten, beweist die entzückende

Feinheit der Holzschnitzereien, die sich an den Wandpanneaux empor-

* 137 *

* 136 *

schlingen und der köstlichen Stuckarbeiten der Plafonds. Die ersteren

stammen von einem „Schneidkiftler" in der Au, Joachim Dietrich,

die zweiten von dem Westobrunner Stuckator Joh. Bapt. Zimmer-

mann - alles Handarbeit nach Cuvillies Entwürfen.

Bekanntlich trug Karl Albrecht sich mit dem Gedanken, zwischen

München und Nymphenburg eine eigene Stadt, genannt „Karl-

stadt" zu errichten. Hierzu ließ es der österreichische Erbfolgekrieg

nicht kommen, doch haben Karl Albrecht und seine Gemahlin den

Grundstein zum ersten Hause der künftigen Stadt, der Taferne und

Bäckerstatt „Zum Controlor" persönlich gelegt (März 1728).

Dagegen entstand unter dem Kurfürsten Max HI. Joseph in Nym-

phenburg eine Neuheit von größter gewerblicher Bedeutung- In den

fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts nämlich hatte ein einfacher

Münchner Hafnermeister, mit Namen Johann Niedermayer, ohne

die feit einem halben Jahrhundert bestehende Meißener Porzellan-

fabrik zu kennen, das Geheimnis der Porzellantechnik entdeckt. Unter

Überwachung des Grafen Sigmund von Haimhausen, des kunstsinni-

gen Direktors der von Max III. gegründeten bayerischen Akademie,

ward Niedermayer erster technischer Leiter der Nymphenburger Por-

zellanmanufaktur, die sich in einem Nebenflügel des Schloffes be-

findet und deren künstlerische Schöpfungen sich Weltruhm erworben

haben. All die Anmut der Schäferspiele, der zierlichen Herren und

Damen, die ehemals auf den Parkwegen NymphenburgS lustwandel-

ten, die Nymphen und Gottheiten, die weißschimmernd aus dem

Gebüsch hervorlauschten, bis herab auf die Drölerie der zahmen

Hunde und Rehe, der Lieblingsvögel und Papageien, lebt fort in der

berückenden Kleinkunst der Nymphenburger Porzellanfabrik.

Der letzte Kurfürst und erste König Bayerns, Max Joseph I., hat

Nymphenburg besonders geliebt und ist hier 1825 gestorben.

Einer wenig bekannten Besonderheit des Schlosses zu Nymphen-

burg sei noch gedacht. In der großen Galerie des oberen Stockwerks,

über dem Einfahrtskorridor, hört, wer ruhig darin verweilt, mitunter

das Geräusch von Tritten und Menschenstimmen, ohne daß er jemand

sieht. Jedenfalls liegt dem eine akustische Eigentümlichkeit der Bau-

anlage zu Grunde; auf bängliche Gemüter wirkt der Vorgang spuk-

haft, wie er sogar von solchen gelegentlich mit dem Andenken König

Ludwigs II. in Verbindung gebracht wurde.

Denn auch die Wiege eines Königs hat in Nymphenburg gestanden:

Ludwig II- ist hier am 25. August 1845 geboren, zur größten Freude

seines Großvaters Ludwig I-, der an diesem Tage seinen GeburtS-

und Namenstag beging. Den Wünschen, die den kleinen Prinzen

beim Eintritt ins Leben begrüßten, sollte keine Erfüllung beschicken

x 138 -x

fein. Dies Leben, das so glückverheißend im schönheitsvollen Nym-

phenburg begann, endete leidenbeschwert an einem regendunklen

Pfingsttag in der Tiefe eines Bergsees.

Max HI. Joseph

Kaum achtzehnjährig kam er zur Regierung. Aber seine Jugend

war darnach angetan, ihn früh zu reifen: er hatte das schwere Ster-

ben und kämpfereiche Leben seines Vaters, Karl Albrecht, mitgeschaut.

Er übernahm von ihm ein schlimmes Erbe, den österreichischen Erb-

folgekrieg. Die erste Handlung des jungen Kurfürsten war, Frieden

zu schließen und das durch den Krieg entstandene furchtbare Elend

nach Kräften zu lindern.

Unendlich bezeichnend für Max Joseph ist ein Zug aus dem ersten

Jahr seiner Herrschaft. Er wollte eines Morgens mit Gefolge auf

die Jagd ausreiten, die er gleich seinem Vater und Großvater leiden-

schaftlich liebte. Unterwegs, in der Sendlingergasse, begegnete ihm

ein Priester von St. Peter mit dem Viaticum. Der Kurfürst stand

ab von der Jagd, stieg vom Pferde und folgte entblößten Hauptes

dem Priester hinunter zum Anger, in die Dachkammer eines dürftigen

Hauses, wo ein armer Handwerksbursch am Sterben lag. Der Fürst

wohnte knieend und tief ergriffen der heiligen Handlung bei, trat

dann an das Bett, um dem Todkranken Trost und Mut zuzusprechen

und geleitete, nachdem er ihn reichlich beschenkt hatte, still und ernst

das Altarsakrament in die Peterskirche zurück.

Er fühlte wahrhaft für sein Volk. Dies Gefühl ward erwidert,

wie die vom Volke ihm verliehenen Beinamen, der „Gütige" oder

der „Vielgeliebte" beweisen. Ebenso steckte die Liebe zu den Künsten

und Wissenschaften ihm tief im Blut. Unter ihm ist das köstliche Re-

sidenztheater geschaffen worden; unter ihm trat die bayerische Akade-

mie der Wissenschaften ins Leben. Für Musik hatte er ausgeprägte

Begabung: er spielte mit Leidenschaft Klavier, Violine, Cello und

Gamba, ähnlich seinem Großvater Max Emanuel, ja er komponierte

auch selbst. Der kunstsinnige, musikverständige Graf Salern war

sein Musikintendant, sein gelegentlicher Helfer desgleichen bei einer

anderen Liebhaberei, die Max Joseph mit seinem Großvater sowie

mit seinem großen Ahn, Maximilian I-, teilte: dem Verfertigen

kunstreicher Arbeiten aus Elfenbein. Er war als Drechsler in Elfen-

bein sehr geschickt und tatsächlich stolz darauf. Ebenso ehrte und för-

derte er die handwerkliche Geschicklichkeit eines jeden auf jedem Ge-

biet. Der Grundzug seines Wesens war neben der Güte eine milde

Heiterkeit, von der seine Umgebung mannen Zug berichtete.

* 139 *

In zweiunddreißigjähriger Regierung erlebte er viel Schweres.

Die ersten Jahre waren ausgefüllt mit dem Bestreben, das durch

jahrhundertlange Kriege völlig ausgesogene, verarmte und geschwächte

Land einigermaßen wieder aufzurichten. Er sparte in erster Linie an

sich selbst, setzte sein Einkommen herab zu Gunsten des Staates. Die

Schulbildung stand auf schauerlich niedriger Stufe; Max Joseph be-

mühte sich, sie zu heben, unterstützte das Wirken des vortrefflichen

Stiftskanonikus Heinrich Braun, der unablässig auf gründlicheren

Unterricht in der Muttersprache hinwies. Die Volksschulen wurden

reformiert, Realschulen gegründet, die Gymnasien verbeffert. Max

Josephs Kanzler Kreittmayr schenkte mit Zustimmung seines Fürsten

dem Lande ein neues Strafrecht, ein verständliches bayerisches Land-

recht. Äußere schwere Katastrophen verschonten die Regierung Max Jo-

sephs nicht, trotzdem sie friedlich war. Von dem großen Residcnzbrand

1750, der das Schloß seiner Ahnen in Asche legte, ist schon geredet wor-

den. Zwanzig Jahre darauf ward Bayern von einer fürchterlichen Hun-

gersnot heimgesucht. Das Elend war so groß, daß in der Umgegend

Münchens und teilweise auch in der Stadt, der Hungertyphus als

ständiges Übel auftrat. Der Kurfürst, der natürlich von dem Ge-

treidemangel gehört hatte — leider sperrten die deutschen Staaten,

ja sogar deren einzelne Provinzen sich gegeneinander ab, statt einander

in der Not auszuhelfen — fragte wiederholt, ob Münchens Bürger-

schaft genügend versehen sei. Doch fehlte es in seiner Umgebung nicht

an Leuten, die teils um ihre Unfähigkeit zu verdecken, teils um, wie

sie angaben, sein weiches Gemüt zu schonen, ihm die bittere Wahrheit

verschwiegen. Er erfuhr es auf eine schrecklich erschütternde Art. An

einem Samstag kehrte er aus der Mesie in der Herzogspitalkirche

zurück. Da wurde seine Karosse von einer ganzen Schar blasser ab-

gezehrter Gestalten umringt, welche ihn mit aufgehobenen Händen

um Hilfe anschrieen, da sie am Verhungern wären. Der Kurfürst

war außer sich. Er versprach sofortige Hilfe, befahl, die Kassen und

amtlichen Getreidespeicher zu öffnen. Sie waren leer. Der Kurfürst

ließ alsbald in Holland eine große Summe Geldes aufnehmen, für

welche Summe durch den Münchner Kaufmann Sabbadini ausländi-

sches Getreide aufgekauft und auf allen Schrannen um billigen Preis

ausgeboten wurde. Max Joseph schonte sogar seinen geliebten Wild-

bestand nicht. Er ließ eine große Menge Wild abschießen und das

Fleisch an die Armen verteilen. Leider hatte der Fürst ohne den Korn-

wucher gerechnet, den etliche der beauftragten Kornverkäufer ruhig

trotz der Größe der Not weiter betrieben. Das ging über die Milde

sogar des Kurfürsten. Er ließ zwei Kornwucherer zum Tode ver-

urteilen und verschloß sich am Tage ihrer Hinrichtung vor jedermann,

weil er festen Willens war, kein mündliches oder schriftliches Be-

gnadigungsgesuch für die beiden anzunehmen.

Eine segensreiche Neuheit wurde unter der Regierung Max Jo-

sephs HI- auf Antrag und Betreiben seines Intendanten, Grafen

Seeau, eingeführt: der erste Rettungsdienst. Nachdem Graf Seeau

einen scheinbar ertrunkenen Knaben durch andauernde Wiederbele-

bungsversuche seinen Eltern wiedergegeben hatte, wurden Geldpreise

ausgesetzt dafür: wer zuerst einem Wundarzt Mitteilung von einem

geschehenen Unfall machte, wer die geeigneten Hilfsmittel zur Stelle

schaffte, kurz, wer sich um Erhaltung von Leben und Gesundheit

eines Verunglückten verdient machte. Den doppelten Lohn empfing,

wer mit persönlicher Gefahr das Leben eines anderen rettete.

Im Jahre 1777 ging Max Josephs eigenes Leben zur Neige.

Er erkrankte an den Pocken, die von den Ärzten nicht erkannt und

daher verkehrt behandelt wurden. Es heißt, daß der Kranke seinen

Tod vorausahnte, daß die „drei Siebener" der Jahreszahl ihm ein

schwermütiges Vorgefühl erweckten. Doch starb er so friedlich wie er

gelebt hatte, dankte seiner Gattin Maria Anna Sophie für ihre

Liebe und treue Pflege, schied unter Segenswünschen von seinem

Volk und Land. Der rührende Auftritt, als auf sein Bitten das

Gnadenbild der Muttergottes aus der Herzogspitalkirche zu ihm ge-

bracht ward, ist bereits erzählt worden. Er konnte der Patrons Ba-

variae, die er zeitlebens mit ganzer Innigkeit verehrt hatte, getrost

in die Wunderaugen sehen. Soweit es menschlicher Unvollkommen-

heit möglich ist, hatte er seine Aufgabe in diesem Leben erfüllt, ein

Vater der ihm Anvertrauten zu sein.

Karl Theodor, Maria Anna und die

Zweibrückener

Mit Max III. Joseph erlosch der Stamm Ludwigs des Bayern.

Max Josephs Nachfolger, Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz, war

nichts weniger als ein lachender Erbe. Ungern dachte er daran, fein

Mannheim, das er zu einer Stätte der Musen gemacht hatte, zu ver-

tauschen gegen das rauhe, ihm ganz fremde Altbayern.

Der Mangel an Zuneigung zwischen Fürst und Volk, sowie

Karl Theodors Kinderlosigkeit wurden von Österreich dazu benutzt,

um dem Kurfürsten die Abtretung eines großen Teiles von Bayern

im Austausch gegen die reichen Niederlande vorzuschlagen. Einen

alten Erbanspruch aus dem 15. Jahrhundert auf das Straubinger

Gebiet nahm Kaiser Joseph II. zum Vorwand. Und Karl Theodor

gefiel der Plan sehr wohl.

* 140 *

* 141 *

In der Herzog-Maxburg zu München saß Herzogin Maria Anna,

Karl Theodors Schwägerin, die Witwe des Herzogs Clemens, deffen

Erzieher und späterer Kabinetösekretär Andreas Felix von Oefele

gewesen. Herzogin Maria Anna Charlotte war eine ebenso warm-

fühlige als hochgebildete Frau: sie unterhielt z. B. zu München die

herzoglich marianische Landesakademie, wo die Schüler in Mathe-

matik, Philosophie, Geographie, in Deutsch, Latein und Französisch,

aber auch in Musik, Tanzen, Fechten und militärischen Übungen un-

terwiesen wurden. In der Voraussicht deffen, was kommen würde,

hatte sie schon bei Max Josephs Lebzeiten auf die Errichtung eines

neuen Wittelsbachischen Hausvertrages gedrungen, der auch den Zusatz

enthielt, daß München der Wohnsitz des jeweiligen Kurfürsten bleiben

müßte. Als nun das Gefürchtete nahe rückte, rief Maria Anna den Her-

zog Karl August von Pfalz-Zweibrücken, den nächsten Erben Karl

Theodors, durch eine dringliche Botschaft nach München. Desglei-

chen hatte sie um Beistand an Friedrich den Großen, der ihr befreun-

det war, geschrieben. Noch ehe er ihren Brief empfing, traf sein Ab-

gesandter, der Graf von Görtz, in München ein, hielt sich bei Tage

in Maria Annas Gartenpalais vor dem Neuhausertor verborgen,

hatte aber zwei Nächte nacheinander eine lange, heimliche Unterre-

dung in der Maxburg mit der Herzogin, dem Herzog Karl August

und deffen Ministern. Darin wurde fest abgemacht, daß der Herzog,

als nächster Agnat, seine Zustimmung zu der geplanten Landabtre-

tung verweigern und den König von Preußen anrufen sollte, ihn

bei seinem Recht zu schützen. Dies Alles geschah, wie verabredet:

Friedrich der Große setzte sich mit allen Mitteln der Zerreißung Bay-

erns entgegen und griff, als Verhandlungen nichts fruchteten, zum

letzten Mittel, zu den Waffen.

Der sogenannte bayerische Erbfolgekrieg, in dem Friedrich II. und

Josef II. ihre Truppen persönlich anführten, begann im Frühjahr

1778 und währte bis zum Teschener Kongreß. Der trat zusammen,

nachdem sich Maria Theresia, die von Anbeginn den Gebietsanspruch

ihres Sohnes für unbillig und ungerechtfertigt ansah, mit Friedens-

vorschlägen ins Mittel gelegt hatte. In dem am 13. Mai 1779 unter-

zeichneten Friedenstraktakt wurde das Innviertel (jenseit von Salz-

ach, Inn und Donau) an Österreich abgetreten, wogegen das Haus

Habsburg sich jeden künftigen Anspruchs auf bayerische Gebiete be-

gab und das Erbrecht der Zweibrückener Linie auf alle wittelsbachi-

schen Lande nachdrücklich festgelegt ward.

Trotzdem tauchte das Gerücht, daß Kurfürst Karl Theodor immer

noch mit jenem Tauschgedanken liebäugle, wiederholt und nicht grund-

los auf. Nicht nur an ihn, sondern auch an den Herzog Karl August

* 142 *

wandten sich geheime Unterhändler, um diesen mit großen Summen

und Verheißung einer Krone zu locken, wie den Kurfürsten mit dem

Besitz der Niederlande. Karl August aber hielt fest an einem un-

zerriffenen Bayern und rief nochmals Friedrich von Preußen zu

Hilfe, der zur Aufrechterhaltung von Bayerns Selbständigkeit und

Üngeteiltheit 1785 mit mehreren Reichsständen den deutschen Fürsten-

bund schloß.Die natürliche Wirkung von alle dem war eine Kühle zwischen

Fürst und Volk, die vor Karl Theodors persönlicher Anwesenheit

in München nicht wich. Wie die Bayern mißtrauisch auf den Kur-

fürsten und die mit ihm gekommenen Pfälzer, die „Rheinschnaken"

blickten, so wurde er selbst durch den Widerstand, den er fühlte und

durch die beginnende Unruhe der Zeit argwöhnisch, unsicher. Viele

Anklagen gegen die Herrschaft Karl Theodors sind von Mit- und

Nachwelt erhoben worden. An den rauschenden Bäumen des engli-

schen Gartens, den er mit Benjamin Rumford anlegte, hat er seine

Fürsprecher, wie an den Weisen deutscher Tonmeister, die er mit Vor-

liebe erklingen ließ.

Dagegen trat, als die französischen Revolutionsheere Süddeutsch-

land mit Krieg überzogen, die mangelhafte Verfassung des Heeres,

wofür niemals Geld da war, kläglich zutage. Der Kurfürst selbst

flüchtete mit seiner Gemahlin nach Sachsen und überließ eö der von

ihm eingesetzten Regentschaft, sich mit den Feinden abzufinden, was

mittels einer zu zahlenden übermäßigen Kontribution und der Abtre-

tung wertvoller Kunstwerke im September 1796 gelang. Aber bald

brachte der wiederum und bedrohlicher aufflackernde Krieg eine neue

Gefahr: die in Bayern einmarschierende österreichische Armee, der

das Angftgerücht voranlief, daß sie nicht zur Bekämpfung der Fran-

zosen, sondern zur Besetzung des Landes da sei.

In diesem Augenblick höchster Bedrängnis, wo das Staatsschiff

Bayerns am Untergehen schien, ward auch der Steuermann abberu-

fen: Karl Theodor erlag am 16. Februar 1799 einem Schlagfluß.

Der ihn beerbte, war des verstorbenen Karl August jüngerer Bru-

der Max Joseph, als Kurfürst der vierte Maximilian.

Das Land war arm, machtlos, ohne Heer, umringt von Feinden,

und doch flatterten am Tage des Einzugs des neuen Herrn die weiß-

blauen Fahnen von allen Häusern, und Festfreude schimmerte aus dem

Straßenschmuck und leuchtete von den Gesichtern. Und als der Zwei-

brückner in seine Residenz einfuhr und freundlich vom Wagen aus

den neuen Untertanen die Hände reichte, machte ein richtiger Münch-

ner, der Kaltenegger Bräu, sich zum Sprecher des ganzen Volkes,

indem er, die Hand Max Josephs schüttelnd, ausbrach in den Erleichte-

rungsruf: „Na, Maxl, weil du nur da bist!"

* 143 *

Sieben Jahre später ward Bayern zum Königreich erhoben, Max

Joseph sein erster König. Das alte München, das der Herzöge und

Kurfürsten, war mit der Jahrhundertwende zu Grabe gegangen, das

neue München hatte begonnen.

V. Abteilung:

Außerhalb der Tore^j

n)RechtSderJsar

VonSt. Emmeram

Der heilige Gottesmann Emmeram gedachte gen Pannonien zu zie-

hen, um die Heiden allda zu bekehren. Auf dieser Reise rastete er

am Hofe des Bayernfürsten Theodo zu Regensburg; der bat ihn

zu bleiben, da auch in seinem Lande die Gemüter noch vielfach heidnisch

rauh und christlicher Unterweisung bedürftig seien. Der fromme Bi-

schof blieb allda und lehrte die Heiden und bekehrte ihrer viele. Da-

nach ergriff ihn große Sehnsucht, ins Land Italia zu pilgern und

am Grabe der Apostelfürsten zu beten. Derweil aber hatte die Tochter

des Herzogs, die schöne Uta, mit einem Ritter gespielt und ihren

Kranz verloren; das mochte sie nicht lange verhehlen und war in

großen Ängsten vor ihres Vaters Zorn und schwerer Strafe. Als

nun Sankt Emmeram seine Wallfahrt angetreten hatte, ging sie zu

ihrem Vater und klagte: der Bischof habe ihr die Ehre genommen

— vermeinend, sie käme dadurch besseren Kaufes davon, und dem

Entfernten vermöchte es nicht zu schaden. Etliche sagen: der fromme

Mann selbst hätte, als sie sich weinend ihm anvertraut, ihr erlaubt,

ihn zu verklagen, wenn sie damit ein milderes Gericht erlangen könnte.

In jedem Falle tat sie's und erwirkte, daß ihr nichts zu leid ge-

schah. Aber ihr Bruder, Lambert geheißen, ward darob voll Zorns,

noch mehr als ihr Vater, und saß eilends mit seinen Reisigen zu

Pferde, um dem gleisnerischen Übeltäter nachzujagen. Sie ritten,

was die Rosse vermochten; bei Helfendorf, unweit München, erreich-

ten sie Sankt Emmeram, der friedlich seines Weges zog. Da warfen

sie ihn zu Boden, richteten ihn mit ihren Schwertern grausam zu

*) Dies: „Außerhalb der Tore" bezieht sich natürlich auf Münchens alte

Zeit. Die meisten der genannten Orte sind heute kn München eingemeknvet.

und ließen ihn verstümmelt als einen Sterbenden in seinem Blute

liegen.

Es waren aber einige Landleute in der Nähe, die kamen herzu,

als die Mörder davongebraust waren. Denen gebot Sankt Emme-

ram, sie sollten ihn auf einen Karren legen, davor zwei Ochsen ge-

spannt wären; denn hier sei die Stätte nicht, da er sterben wollte.

Also zogen die Ochsen den Karren bis gen Feldkirchen in der Gemein-

de Aschheim; dort gab Sankt Emmeram den Geist auf, und alsbald

standen die Ochsen still. Die Kunde davon verbreitete sich rasch; der

entseelte Leib des Heiligen ward nach Aschheim gebracht und dort in

der St. Peterskirche beigesetzt. Aber darnach regnete es vierzehn Tage

lang ununterbrochen: das galt für ein Zeichen, daß dies die rechte

Ruhestatt nicht sei. Nochmals wurde der Karren mit den Ochsen be-

spannt und der heilige Leichnam darauf gelegt, auf daß die Vor-

sehung ihn geleiten möchte. Da schritten die Ochsen mit ihrer Last

bis an die Isar, nach Oberföhring, wo sie nicht mehr weiter konnten.

Also ward St. Emmerams Leichnam auf dem Wasser nach Regens-

burg in sein Bistum geführt, wo ihn Theodo, reuig ob der Tat seines

Sohnes, mit großen Ehren bestatten ließ.

Zu Oberföhring jedoch, an der Stelle, wo das Ochsengespann zu-

letzt stehen geblieben, ward dem heil. Emmeram ein Kirchlein errichtet;

und noch bis in die neuere Zeit — (jetzt ist es nicht mehr da) — wurde

er dort von Alt und Jung verehrt-

Frau Uta zu Trudering und Frau Uta

zu Föhring

Im Heideland bei Ramersdorf ist es nächtlicher Weile nicht ge-

heuer. In der Walpurgisnacht, der Allerseelennacht und den Geb-

nächten steigen die Toten aus den Gräbern der Freithöfe von Trude-

ring, von Ramersdorf, Perlach und Haidhausen. Da sitzen sie im

Kreise auf der Heide umher und halten Gericht über einen unseligen

Toten, der inmitten kniet, gleich den andern in längst verschollener

Tracht. Neben ihm steht der Henker mit Strick und Schwert; der

haut ihm, sobald das lautlose Gericht am Ende und das Urteil ge-

fällt ist, das Haupt ab. Im selben Augenblick schlägt es ein Uhr auf

der Kirche zu Ramersdorf — und die Geister sind sämtlich zerstoben.

Der, an dem dies nächtliche Gericht sich vollzieht, soll ein reicher

und mächtiger, aber ebenso harter und grausamer Ritter zu Trudering

gewesen sein, der seine Hörigen drückte und viel unschuldiges Blut

vergoß. Bei Trudering - bekanntlich dem ältesten, angeblich in graue

* 144 *

io

* 145 *

Heidenzeit hineinragenden Dorf um München — ist auf ebenem

Boden ein tiefes breites Loch; da hinein soll eines TageS das Schloß

des bösen Ritters samt dem Schloßherrn versunken sein. Die Schloß-

frau aber, Uta geheißen, war zur Zeit, als dies geschah, aushäusig;

heimkehrend, sah sie eben noch den Kamin des Schlosses in die Tiefe

versinken. Darnach wohnte Uta im Dorfe Trudering, tat den Armen

viel Gutes und vergabte der Gemeinde reiches Wald- und Ackerland.

Uta soll später einen bayerischen Herzog gefreit haben.

Etliche sehen in ihr die gleiche Uta, die den Tod St. Emmerams

verschuldete. Deutlich drückt dies eine zweite Form der Sage aus.

Die meldet: als St. Emmeram des Martertodes gestorben und seine

Unschuld offenbar geworden sei, hätte Herzog Theodo seine schuldigen

Kinder, Uta und ihren Bruder Lambert, in die Verbannung geschickt.

Da hätte Uta viele Jahre auf dem Schlöffe bei Trudering gelebt, in

großer Reue, und hätte zur Sühne ihrer Tat all ihr Hab und Gut den

Armen geschenkt. Nachdem sie aber gestorben und unter den Klagen

der ganzen Gegend bestattet worden, wäre ihr Schloß später eben

jenem bösen Ritter zugefallen, der in Allem das Gegenteil der ver-

storbenen Wohltäterin gewesen und darum nach seinem, durch Gottes

Zorn bewirkten Tode noch dem Gerichte verfallen sei.

Ungewöhnlich lange, wenn auch in widersprechender und verblaßter

Überlieferung hat sich Utas Angedenken in Trudering erhalten. Noch

bis in die neueste Zeit wurde der toten Guttäterin dankbar bei feier-

lichen Gottesdiensten gedacht; auch ward am Pfingstfreitag in der

Kirche Vesper und Litanei gehalten, weil an diesem Tage das Schloß

versunken sein soll. Der Platz, wo es versank, wird an der Landstraße

bei Trudering noch heute als „Utahöhle" gezeigt; desgleichen mahnt

die Bezeichnung einzelner Grundstücke als „Utta-Teil" in alten Tru-

deringer Katastern an die Schenkung, die Uta dem Dorfe gemacht.

Der Name Uta webt überhaupt durch die Ortschaften der späteren

Grafschaft Ismaning.

*

Das unbebaute Weideland an Stelle des heutigen Ober-Föhring,

samt zwei frühchristlichen Kirchen aus der Römerzeit, gehörte seit Kö-

nig Pippins Zeiten dem Bischof von Freising, der hier eine tüchtige

Holzbrücke über die Isar schlagen ließ, der Salzzüge wegen. Ein

Meierhof aber und etliche Hufen Landes dabei waren dem fränkischen

König zu eigen. Die vergabte König Arnulf der Karolinger seiner

Gattin Uta, die bayerischen Stammes war, als Witwensitz.

Sie soll die Gegend besonders geliebt und häufig der Andacht zu

dem Blutzeugen St. Emmeram in deffen nahegelegener Kapelle gepflo-

gen haben. Eine Sage knüpft sich an ihren Namen, ähnlich der von der

Psalzgräfin Genovefa oder der Jutta von Braunsberg in Tirol: daß

nämlich ein böser Ritter, dem König Arnulf zu sehr vertraute, eben

hier in Föhring die reine Königin mit sündlicher Leidenschaft bedrängt

hätte. Als sie ihn zürnend abgewiesen, hätte er listig üble Nachreden

gegen sie auszustreuen und den Kaiser selbst mit Mißtrauen gegen

sie zu erfüllen gewußt, bis er, auch von diesem beleidigt, sich zu deffen

Feinden geschlagen hätte, und als Rebell mit den Waffen in der

Hand gefangen genommen worden sei. Zur letzten Rache wäre er der

Königin anklagend gegenüber getreten und hätte sie schändlicher Un-

treue geziehen, was der verbitterte, argwöhnische Arnulf auch geglaubt

und seine Gattin vor Gericht gestellt hätte. Aber Uta betete zu Gott

und legte getrost ihre Hand auf das Evangelienbuch, um laut ihre

Unschuld zu beschwören; als dann ihr Verleumder trotzig dagegen

schwören wollte, tat Gott ein Zeichen an ihm, daß Hand und Arm

ihm gelähmt wurden. Da boten der König und seine Edlen der

Frau alle große Ehre; der Miffetäter aber ward hingerichtet. — So-

weit die Sage.

Geschichtlich ist, daß Uta den Meierhof zu Föhring besaß und daß

Ludwig das Kind, ihr Sohn, ihn von ihr empfing. Ihr Name und

ihre Andacht zu St. Emmeram sowie ihr bayerisches Fürstenblut ga-

ben vielleicht Anlaß zu einer Verwechslung mit jener früheren Uta.

Ob nicht am Ende die Uta-Stiftung zu Trudering mit ihr zusammen-

hängt? — /

Aber kehren wir zurück nach Föhring.

Als der Freisinger Dom abbrannte (903), schenkte Ludwig das

Kind sein von der Mutter überkommenes Hofgut zu Föhring dem

Bischof Waldo als Beisteuer zum neuen Dombau. Mehr und mehr

bildeten die Bischöfe den Handelsweg aus, den ihnen der Besitz Föh-

ringö und der Isarbrücke gewährleistete: den Weg vom Salzburgi-

schen über Föhring ins verkehrsreiche Augsburg. Auch eine Münz-

stätte gründeten sie zu Föhring am Ende des ersten Jahrtausends

nach Christus und blieben so fast zweihundert Jahre im ungestörten

Besitz. Noch spät, um die Wende des 13. Jahrhunderts zum 14.,

umfaßte das Freisinger „Amt Föhring" eine ganze Reihe von Ort-

schaften am Jsarrain und am Würmsee — —

Mitten hinein in die Entwicklung sprengte der bewaffnete berittene

Troß, mit dem Heinrich der Löwe, der Welfenherzog, um 1157 Ober-

föhring überfiel, Brücke und Markt zerstörte. Der von ihm vernichte-

ten Schöpfung des Bischofs setzte er eine eigene entgegen, ebenso

lebensfähig aus den gleichen Bedingungen der Natur und des Ver-

kehrs. Wo die heutige LudwigSbrücke steht, bei der Kohleninsel, jetzi-

* 146 *

* 147 *

gen Museumsinsel, legte er der Isar eine neue Brücke auf: sie führte

hinüber zu der Stätte, wo bisher hauptsächlich drei Benediktinerklö-

ster begütert waren, zum Dorfe „Bei den Munichen".

Ramersdorf

Der weitberühmte Kaiser Ludwig der Bayer besaß zu eigen einen

heiligen Kreuzpartikel, den trug er alle Zeit in einer Kapsel an einem

Kettlein um den Hals. Als er nun Anno 1347 Todes verblichen war,

da erbte sein Sohn, der Markgraf Otto von Brandenburg, gedachtes

Heiligtum und trug es gleichermaßen bei sich. Über eine Zeit tat der

Markgraf Otto mit seinem Bruder Stephan und anderen Herren

eine Pilgerfahrt zum heiligen Grab. Da verhielten sie sich eine ziem-

liche Frist in der Stadt Jerusalem, ohne doch irgend Jemand ihren

Stand und Namen kundzutun, denn sie wollten unerkannt bleiben.

Aber aller Vorsicht zum Trutz spürten etliche von den Türkischen es

aus, wer die Beiden wären, und gedachten: zwei Fürsten mit samt

ihrem Geleit wären ein feiner Fang, der ein hohes Lösegeld bringen

möchte. Also beschloßen die Heiden, die Pilger aus Bayerland an

einem Tag, wo sie alle beisammen wären, zu überfallen.

Es lebte aber zu Jerusalem ein Jude, Aaron geheißen, der hatte

früher eine Zeit in München gewohnt und mancherlei Guttat empfan-

gen von einem Münchner Patrizier, der hieß Johannes Ligsalz und

befand sich auch in Jerusalem mit dem Markgrafen. Nun kam zu

dem der Aaron und entdeckte ihm den bösen Anschlag der Türken, den

er weislich ausgekundschaftet hatte. Alsbald brachte der Ligsalz die

Nachricht seinen fürstlichen Herren. Die wußten wohl, wesien sie sich

von den blut- und habgierigen Heiden zu versehen hätten; darum

besandten sie eilig ihre Mitpilger und redeten untereinander ab, daß

Jeder einzeln und heimlich das Weite suchen sollte: erst außer der

Stadt wollten sie sich wieder zusammenfinden.

Die Türken derweil erfuhren von ihren Spähern: zur Zeit seien

die Wallfahrer alle unter einem Dach versammelt. Sie rückten also

stattlich an und umzingelten das Gebäu; aber da sie eindrangen, fan-

den sie es leer. Während sie nun hin und her stritten, nach welcher

Richtung die Vögel entwischt sein möchten, gewann die kleine Schar

der Bayern einen großen Vorsprung. Doch lag es am Tage, daß die

Türkischen ihnen nachsehen würden; und weil deren gar viele und

wohlberitten waren, sahen die Pilger den Untergang vor Augen, denn

weder die Fürsten noch ihre Gefolgschaft wollten sich gutwillig er-

geben. Da tat der Markgraf Otto ein Gelübde zu der seligsten Jung-

frau Maria, von der ein Bildnis in der Kapelle zu Ramersdorf ver«

ehrt ward: wenn ihnen Allen Rettung würde aus der drohenden Ge-

fahr, so wollte er seinen Kreuzpartikel in die Kapelle stiften und ihn

dort dem Marienbilde umhängen.

Die Türkischen aber hatten sich richtig aufgemacht und jagten den

Pilgern nach. Ein paarmal war es nahe daran, daß sie ihrer habhaft

geworden wären, aber immer führte irgend ein Umstand sie irr, und

sie suchten und suchten, als ob sie mit Blindheit geschlagen wären. So

kam es, daß die beiden Fürsten den Meeresstrand erreichten und ein

Schiff bestiegen, das dort vor Anker lag; das führte sie mit ihrem

ganzen Geleit davon.

Als sie schon dahinsegelten, gelangten die Türken auch ans Ufer

und verfolgten zu Schiff die Entflohenen. Doch ging es ihnen zu

Wasser wie zu Lande: ein widriger Wind trieb sie der Kreuz und

Quer, und die Anderen waren zu weit voraus — so mußten sie zu-

letzt grimmig enttäuscht das Steuer wenden und heimsegeln.

Die Wallfahrer aber priesen Gott und seine seligste Mutter dafür,

daß sie so glücklich entronnen waren; und als sie ins Land Bayern

zurückkehrten, da löste der Markgraf Otto alsbald fein Gelübde ein

und opferte seinen heiligen Kreuzpartikel der Jungfrau Maria in

Ramersdorf. Und es war eine große Freude über die Heimgekom-

menen und taten Viele den Dank für deren wunderbare Rettung durch

Opfer und milde Gaben gleichfalls kund. —

Das war im vierzehnten Jahrhundert.

Dreihundert Jahre später geriet nochmals eine kleine Schar von

Münchnern in große Not: anno 1632, da der Schwedenkönig Gustav

Adolf als Sieger die Stadt München in seiner Gewalt hielt. Zum

Entgelt, daß er nicht rauben und brennen hatte lassen, sollte ihm die

Stadt dreimalhunderttausend Taler Brandschatzung entrichten. Die

konnten nicht allsogleich bezahlt werden, und da ließ der König, bis

daß es geschehen wäre, zweiundvierzig angesehene Männer geistlichen

und weltlichen Standes als Geiseln ausheben und von dannen führen.

Sie wurden am 7. Juni in Kutschen gesetzt und unter starker solda-

tischer Bedeckung nach Augsburg gebracht, wo sie, gemeinsam mit den

Geiseln von Landshut, Freising und Weilheim, in Haft verblieben. In

der alten bischöflichen Pfalz wurden sie gefangen gehalten, mit großer

Härte behandelt, gelegentlich sogar mit dem Tode bedroht. Damals

taten sämtliche Geiseln das Gelübde, im Falle glücklicher Wiederkehr

nach München „einen löblichen Gottesdienst mit Predigt und Prozes-

sion zu Talkirchen oder Ramersdorf abzuhalten und dort der Mutter

und Patronin eine ewige Lobtafel" aufrichten zu lassen.

Nach dem Tode des Königs Gustav Adolf in der Lützener Schlacht

verschlimmerte sich das Schicksal der Geiseln beträchtlich, denn sie

* 149 *

* 148 *

sollten, wie ihnen angekündigt ward, nun nicht mehr Gefangene der

Krone Schweden, sondern derjenigen Generäle und Obersten sein,

denen der Rest der Brandschatzungssumme zugewiesen worden. Von

dieser Summe war aber erst die kleinere Hälfte bezahlt. Häufig wurden

Abgeordnete von den Gefangenen selbst — natürlich gegen Verspre-

chen der Rückkehr — in die Heimat gesandt; es kamen auch zu Beginn

des Jahres 1633 Abgesandte von München und vom Kurfürsten nach

Augsburg, um den schwedischen Generalen etwas von der noch aus-

stehenden Summe abzuhandeln. Aber das alles führte zu nichts; viel-

mehr wurden die Schweden noch dadurch erbittert, daß zwei der Gei-

seln, einer von München und einer von Landshut, trotz ihres Eides

von solch einer Gesandtschaft nicht zurückkehrten. Daraufhin wurden

im Juni 1633 die übrigen Geiseln gefeffelt zur Armee geführt, erst nach

Donauwörth, dann nach Nördlingen. Auf inständiges Bitten wurde

ihnen erlaubt, nochmals Abgesandte zu schicken, für deren Rückkunft

alle Übrigen sich „mit Leib und Blut" verbürgen mußten. Die Ver-

handlungen mit der Heimat und dem Kurfürsten brachten nur den

einen Gewinn, daß die Gefangenen wieder nach Augsburg geschafft

wurden.

Endlich ward der Handel so geschlichtet, daß gegen Salzlieferungen,

die von Bayern aus zu leisten wären, etliche Augsburger Handels-

herren sich bereit erklärten, den schwedischen Obersten das noch fehlende

Geld zu erlegen. Aber infolge des Mangels an Pferden und der

Kriegsschwierigkeilen überhaupt trafen die Salzlieferungen ebenso ver-

spätet und unregelmäßig ein, wie die Spenden an Geld und Lebens-

mitteln, die von München aus den unglücklichen Geiseln gesandt wur-

den; und diese litten deshalb oft bittere Not. Erst im März 1635

schlug ihnen die Erlösungsstunde und sie kehrten — mit Ausnahme

von dreien — nach fast dreijähriger Gefangenschaft zurück in die Hei-

mat, in die Arme der Ihrigen. Sie erfüllten alsbald ihr Gelübde, zogen

zu feierlichem Dankgottesdienst nach Ramersdorf und ließen die Votiv-

tafel machen, die sich zu ewigem Angedenken der Stifter heutigen

Tages noch dort befindet. Alle sind, im Gebet vor der seligsten Jung-

frau knieend, darauf abgebildet.

Das Andenken der Männer, die für sie gelitten, hat die Münchner-

stadt auch bewahrt, indem sie eine ganze Anzahl Straßen nach deren

Namen benannt hat.

Noch zwei andere Votivtafeln, gleichfalls mit den Bildniffen der

Stifter geschmückt, hängen zu Ramersdorf. Erstens die der sieben

Münchner Bürger, die 1683 — „alß der Türk Wien belagerent der

gantzen Christenheit den gäntzlichen Untergang anthroete" — eine jähr-

liche Meffe an jedem Sonn- und Feiertag des „Frauendreißigers" ge-

* 150 *

lobten, ein Verbündnis, das seit 1894 in die hl. Geistkirche überging.

Ferner eine Tafel ganz im Sinne der Schwedengeiseln errichtet von

den zwanzig Geiseln, welche im Oktober 1742 von den Österreichern

mitgenommen wurden, als diese München nach neunmonatlicher Okku-

pation verließen. Die Gefangenschaft der Armen — zuerst in Linz,

dann in Graz — währte dreiviertel Jahre; zwei der Geiseln starben

in dieser Leidenszeit. Die Übrigen kehrten glücklich heim und erfüllten

ihr Gelöbnis zu Ramersdorf.

Bogenha usen

Bogenhausen, im achten Jahrhundert „Puginhusir", später „Pu-

genhausen" benannt, war zuerst geistliches Land: die Benediktiner von

Schäftlarn waren dort begütert; später scheint es an das Hochstift

Freising gelangt zu fein. Hinwieder belehnte Herzog Ludwig II. („der

Strenge") 1272 den Edlen Heinrich von Schwabing mit allen Gü-

tern zu „Pugenhaufen und obern Beringen" (Bogenhausen und Ober-

föhring); schon im nächsten Jahr jedoch vertauschte der Lehensträger die

Güter gegen anderen Landbesitz an Bischof Konrad II. von Freising.

Auch ein Nonnenkloster (das von St. Clären) besaß um jene Zeit

schon in Bogenhausen zwei freieigene Höfe und eine Mühle.

Die Pfarrei Bogenhausen war im 14. Jahrhundert eine sehr aus-

gedehnte: sie umfaßte acht Filialen mit Begräbnisstätten, nämlich: Gie-

sing, Haidhausen, Harthausen, Trudering, Riem, Gronsdorf, Hart und

das Leprosenkirchlein St. Nicolaus am Gasteig. Im Jahre 1524 zählte

die Pfarrei achthundert Seelen.

Der dreißigjährige Krieg verschonte den friedsamen Ort nicht: die

Schmiede und etliche Häuser von Bogenhausen gingen beim Durchzug

der Schweden in Flammen auf. Später, da es sich wieder erholt hatte,

war das Dorf durch den Reiz seiner Lage jenseits der rauschenden Isar,

sowie ein paar gute Einkehrhäuser ein beliebtes Ziel der Münchner

Spaziergänger. Zwischen Wiesen und Bäumen lagen verstreut die herr-

schaftlichen Ansitze: am Jsarabhang der des Grafen Montgelas, des

eine Zeit lang allvermögenden Ministers unter König Max Joseph I.

Hier in Bogenhausen haben 1815 Fürst Taxis am 5. Oktober und

General von Wrede am 6. Oktober es gegen die Meinung des von

Napoleons Unbesiegbarkeit durchdrungenen Grafen Montgelas erreicht

und erstritten, daß Bayern sich von Napoleon ab und der deutschen

Sache zuwandte.

Oben auf aussichtsreichem Hügel über dem heutigen Brunnthal (das

Ende des 17. Jahrhunderts eine Art Weiberspittel gewesen sein soll)

* 151 *

stand der „Kögelhof", der sich allmählig zu einem Schlößchen auswuchs.

1740 wurde dies, Eigentum des Hofkammerrais Greg. Kafp. von La-

chenmayer, unter dem Namen „Neuburghausen" zu einem adeligen

Sih erhoben und mit Patrimonialgerichtsbarkeit ausgestattet. Später

kam Neuburghausen oder Neuberghausen in die Hände der Grafen

Törring, aus deren Hause zwei, Georg und Josef Ignaz von Törring,

auch in der St. Georgskirche zu Bogenhausen bestattet sind. Als >766

die Kirche neu erbaut ward — sie bietet eines der reizvollsten Beispiele

für eine ganz im Stil des Spätrokoko durchgeführte Dorfkirche --

stiftete Graf August von Törring, damals Besitzer von Neuberghausen,

den Choraltar, der das Bildnis des heiligen ritterlichen Kirchenpatrons

trägt und die Kanzel, über der drei schwebende Engel die Sinnbilder

des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe halten. Zu dankbarem Ge-

dächtnis des Stifters ist am Hochaltar das Törringsche Wappen ange-

bracht. Die Törring, Landjägermeister von Bayern, aus deren Stamme

bekanntlich außer Kriegs- und Staatsmännern ein vaterländischer Dich-

ter, der Verfasser der Dramen „Kaspar der Torringer" und „Agnes

Bernauerin" entsprang, waren auch ansässig drüben in Haidhausen (alt

Haidhusir), wo ihnen der prächtige ehemals Fuggersche Lustgarten ge-

hörte und ihr Lustschloß auf dem Bezirk etwa der späteren Schloßstraße

lag. Sie hatten dort zu Nachbarn noch ein Geschlecht, deffen Name

mit der bayerischen Geschichte eng verbunden ist, die Grafen von Prey-

sing-Hohenaschau.

Das Schlößchen Neuberghausen erwarb späterhin König Maximi-

lian II-, der ein Stift für die Töchter von Staatsbeamten daraus

machte. Der Plan des Königs, sich im Garten des Stiftes ein Mauso-

leum zu errichten, blieb unausgeführt.

Der feierliche Tag für Bogenhausen war ehedem, wie natürlich, der

Tag des Kirchpatrons, des hl. Georg, am 23. April. Die Flößer,

sowie die Ökonomen und herrschaftlichen Grundbesitzer der Umgegend

fanden sich in großer Zahl dazu ein. Nach dem levitierten Hochamt

(das jetzt am Sonntag nach Georgi stattfindet) ging eö in den Garten

der vormaligen Betz'schen Gastwirtschaft, wo Gelegenheit zu reichlicher

Erquickung durch Speise und Trank sich bot. Gewöhnlich war nächsten

Tages in der Zeitung zu lesen, wie viel Paar Würstel und wie viel

Kirchweihnudeln verzehrt, auch wie viel Banzen zu Ehren des Fest-

tages geleert worden waren. Mitten im Garten des Wirtshauses stand

eine der behaglichen alten Tanzlauben - ein überdachter hölzerner

Rundbau auf hölzernen Säulen — wie eine solche auch auf dem Wege

von Föhring nach dem heutigen Herzogpark jüngst noch träumte. Da

konnte das junge Volk zur Feiertagslust sich munter im Kreise drehen.

Die Decke der Tanzlaube war einst bemalt; ebenso schmückte bunte

Malerei das Kinderkarussel, das später unterm Dach des alten Tanz-

bodens aufgestellt war und bei Jugendfesten im Freien eine große An-

ziehungskraft ausübte.

Dies alles hat nun sein Ende gefunden, so gut wie das „Hendl-

braten" resp. „Hendleffen", das als eine rühmliche Besonderheit des

„alten Betz" galt. Jetzt ist die Gastwirtschaft aufgehoben, die Ge-

bäude sind zu einer Chemikalienfabrik umgestaltet, und nur die alte

Tanzlaube im Garten, ein verlasienes Überbleibsel, mahnt an Bogen-

hausenS idyllische Zeit, aus der zum Glück die zopfige Pfarrkirche und

das Pfarrhaus unverändert erhalten sind.

An der Mauer der kleinen Kirche befindet sich eine Steintafel zum

Gedächtnis des Hofastronomen Dr. Johann Söldner, Erfinder der

Söldnerschen CoordinatensyftemS; eine andere bezeichnet die alte Grab-

stätte Johannes von Lamonts, der, ein gebürtiger Schotte, vom Jahre

1835 an vierundvierzig Jahre Direktor der Sternwarte war. Die

Bogenhauser Sternwarte ward errichtet 1817. Zuvor im 18. Jahr-

hundert wurden die von der Akademie der Wiffenschaften ausgehenden

astronomischen Beobachtungen auf dem frei und hochgelegenen „Geister-

schlößl", das sich auf einer Bastion der alten Stadtumwallung befand

und Schauplatz aller möglichen Spuksagen war, angeftellt, sowie auf

der „Schwanenburg" am Gasteig, da wo heute das Gasteigspital steht.

Lamont, gestorben 1879, hat neben dem südlichen Bogenhauser Fried-

hofseingang ein größeres später errichtetes Grabdenkmal mit seinem

Bildnis und der Grabschrift:

„Li Lvelurn et terrain exploravit."

St. Nikolaus am Gasteig

Bei dem uralten, ehemals nach Bogenhausen eingepfarrten Kirch-

lein des hl. Nikolaus auf dem Gasteighügel stand das Spital der un-

heilbaren ansteckenden Kranken, der „Sundersiechen". Die Leprosen

(d. h. Aussätzigen), die nur hier und im Nikolausspital in Schwabing

untergebracht wurden, trugen besonders vorgeschriebene Tracht: schwarz

oder grau, darüber einen schwarzen Mantel bis an die Kniee und hier-

über einen breiten weißen Leinenkragen. Ebenso gingen auch die Weiber

„mit Übermäntl und Kragen und hatten hoch- oder spitzgupfige Hüte

wo nicht auch einen weißen Schleier um das Kinn." Sowohl die

Siechen zu Schwabing wie die am Gasteig hatten ein kleines Häuslein

am Weg „neben den Angern hin", wo die Leute aus der Stadt vorbei-

gingen, wenn sie eine der beiden Nikolauskirchen besuchen wollten. Die

St. Nikolauskapelle am Gasteig ward zumal am Ostermontag viel be-

* 153 *

* 152 *

sucht, „da man nach EmmauS geht". Die Siechen machten mit kleinen

hölzernen Pritschen die sie halten, „ein Getös", um die Aufmerksamkeit

und Gebefreudigkeit der Vorübergehenden zu erregen. Auch durften sie

zu bestimmten Zeiten, am Mittwoch und Freitag in der Quatember-

woche, in die Stadt kommen, wo sie mit ihren Pritschen „ein großes

Getös" machten und Almosen sammelten unter dem beständigen Ruf:

„GebtS, weilS lebtö! Manns nimmer lebts, könnts nimmer geben!

Vergelts Gott tausendmal, vergeltS Gott!"

Als der Aussatz, diese spezifisch mittelalterliche Krankheit, auf deut-

schem Boden erloschen war, blieb das Spital noch eine Zeit lang die

Zuflucht der mit anderen ekelhaften oder unheilbaren Übeln Behafteten,

bis es 1862 abgebrochen ward.

Neben der Nikolauskirche steht die kleine Altöttinger Kapelle, deren

Gründung auf den frommen Herzog Wilhelm V. zurückgeführt wird,

und die ebenfalls durch lange Jahre ein beliebtes Wallfahrtsziel der

Münchener war.

Am Gasteig wurde 1561, als Merkzeichen des hier endenden Mün-

chener Burgfriedens, ein Kalvarienberg errichtet. Noch keine hundert

Jahre hatte er bestanden, da kam der gelehrte Jesuitenpater und Poet

Jakob Balde heraufgewandelt und rastete am Kalvarienberg. Hierbei

entdeckte er, daß in dem hölzernen großen Kruzifix ein junger Bienen-

schwarm sich eingenistet hatte und ein ebenso emsiges als vergnügtes

Dasein führte. DaS regte den geistlichen Dichter zu sinniger Betrach-

tung an, und er verfaßte darauf hin eine Dichtung, benannt „Der

Bienenstock" in sieben lateinischen Oden, deren letzte mit frommer An-

rufung des gekreuzigten Heilands schließt. —

Die Sage läßt auch einen anderen hier oben kurze Rast halten,

nämlich den „ewigen Juden". Der soll 1702 von der Salzburger

Straße her zum Gasteig hingekommen sein und nach München herein-

gewollt haben; es wäre ihm aber nicht erlaubt worden. Da beschied er

sich in Demut, sagte zu vielen Leuten, die ihn umstanden: das ChristuS-

bild auf dem Hügel sei das wahre Abbild unseres Herrn, betete auch

lange davor und beschenkte etliche mit Rosenkränzen und sonstigen an-

dächtigen Dingen, ehe er seines Weges wieder von dannen zog.

Die wundersame Mär wird aber noch anders erzählt. Es wäre näm-

lich der AhasveruS 1721 am Jsartor erschienen, und es wäre, nachdem

er sich genannt, der Einlaß in die Stadt ihm verweigert worden. Dar-

auf hätte er jedoch in Haidhausen Unterkunft gefunden und dort mit

allerhand Geschmeide, das er bei sich trug, eine ergiebige Handelschaft

eröffnet. Der Zulauf zu ihm steigerte sich rasch, um so mehr als er um-

ständlich von den Wundern und dem Leiden des Heilands, auch von den

Aposteln, die er alle persönlich gekannt haben wollte, zu erzählen wußte.

* 154 *

Überdies hatte er, wie er sagte, schon siebenmal den ganzen Erdkreis

durchwandert und berichtete merkwürdige Dinge davon. Die Meisten

glaubten ihm aufs Wort und kauften desto lieber bei ihm ein. Das

Kruzifix auf dem Gafteigbergl bezeichnete er als das einzig wahre und

genaue Abbild unseres Herrn, betete auch mit großer Andacht davor.

Nachdem er einige Zeit dagewesen, verschwand er eines TageS so plötz-

lich wie er gekommen war.

In den nächsten paar Jahren soll der angebliche „ewige Jude" noch

anderwärts, so in Bamberg und in Würzburg, aufgetaucht sein, bis er,

überall ausgewiesen, endlich spurlos verschwand.

In der Au

Wo heute die Vorstadt Au ist, soll im 12. Jahrhundert noch nichts

gestanden haben als ein paar dürftige Fischerhütten und das Häuschen

eines ForftauffeherS. Es geschah nicht selten, daß die Isar, damals noch

der ungebändigte Bergstrom, der sie von Urzeit gewesen, mit Hochwaffer

daherwogte und daS bißchen Habe der wenigen Ansiedler wegzureißen

drohte. Das soll einmal im 15. Jahrhundert wieder geschehen sein, und

die Bedrängten wußten sich angesichts des immer höher schwellenden Ge-

strudels keinen Rat, als laut und inbrünstig zu beten. Da gewahrten sie

ein Kruzifix, das auf dem Waffer daherschwamm und auf einer Sand-

bank liegen blieb. Die Anwohner taten alsbald das Gelübde: wenn die

Gefahr gnädig vorüberginge, wollten sie an dieser Stelle ein Kirchl

bauen und das auf der Isar hergetriebene Kreuz auf den Altar sehen.

Als sich darnach das Wasier wirklich verlief, erfüllten die Geretteten,

was sie gelobt, und das alsbald erbaute Kirchlein konnte 1466 geweiht

werden, zu Ehren des hl. Kreuzes. Diese Kreuzkirche stand auf dem

jetzigen Mariahilfplatz bis ins 17. Jahrhundert; daneben wurde 1629

bis 1631 die alte Mariahilfkirche erbaut, an deren Stelle später die

heutige Pfarrkirche trat.

Bald nach dem Entstehen des ersten Kirchleins schuf sich Herzog Wil-

helm IV. hier außen in der damals noch freien waldigen Gegend „am

Neudeck" ein Jagdschloß mit Hofgarten, Falknerei und Pagenhaus.

Albrecht V. gelobte, in unmittelbarer Nähe des Schlößchens eine Kirche

des hl. Karl Borromäus zu erbauen, die jedoch erst unter seinen Nach-

folgern vollendet ward. Wilhelm V. gründete sich „am Neideck" zu zeit-

weiliger Weltflucht „ägyptische Einsiedeleien" wie in Schleißheim. 1627

berief Maximilian I. die Paulanermönche von Burgund nach München,

überwies ihnen das Neudeckschloß samt der Kirche, verstattete ihnen auch,

zur Erleichterung ihres Unterhaltes, den Anbau eines Mietstockes (wie

* 155 *

ihn später die Augustiner errichten durften) sowie die Einrichtung einer

Bierbrauerei. Eine weibliche OrdenSniederlaffung kam hinzu, da der

Münchener Patrizier Alberti neben einer von Hofbaumeifter GaiS-

reitter errichteten Kapelle ein Frauenkloster stiftete, das anfänglich nur

klein und von wenigen Paulaner-Tertiarierinnen bewohnt, dann aber,

nach seiner Vergrößerung und Vollendung, von 1715 an den Benedik-

tinerinnen des Klosters Niedernburg bei Passau überwiesen ward. Die

Anhöhe, auf der es lag, zuvor Geisberg genannt, empfing den Namen

„Lilienberg" von der Inschrift des Kloftereingangs:

„Unter reinen Lilgen weidet

Hier der Göttlich Präutigam."

Die Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts machte dem Be-

stehen beider Klöster ein Ende. Der Paulanerstock ward Strafanstalt;

im Benediktinerinnenkloster befindet sich heute das Bezirksamt. An

Stelle der Kirche und des Klosters der Paulaner steht das Amtsgericht

München II, besten Turmdach nach dem ehemaligen Kirchturm die Form

eines Priesterbiretts trägt. Ans Jagdschlößchen mahnt noch das Hirsch-

geweih und die Gedenktafel an der Südwand des Gasthauses „Neu-

deckergarten". Die Paulanerbrauerei aber, übergegangen erst an Franz

Taver Zacherl, dann an Schmederer, ist, jetzt noch am Nockherberg in

Giesing befindlich, die Quelle des weltberühmten „Salvatorbieres".

Wenn schon die Hauptgebäude der Au sämtlich ihre Bestimmung ge-

wechselt und ihr Äußeres der Neuzeit angepaßt haben, so ist doch die

alte Zeit nirgend so lebendig als hier. Da gibt es noch schmale Sträß-

chen mit einstöckigen aneinandergeklebten Häusern, kleinen Wasserläufen,

über die hölzerne Brücken führen, bescheidenen ländlichen Vorgärten,

kurz das ganze reizvolle Wesen, das heutige Maler ebenso unwidersteh-

lich anzieht wie einen Lebschee oder Karl Spihweg. Das „Paschihaus"

(ehemaliges Pagenhaus) überrascht auch jetzt, so sehr es umgebaut ist,

durch seine Gestalt und Lage; noch steht das Haus des „Radlwirt", das

zu Wilhelm IV. Zeit von Andreas Radl erbaut und als Wirtschaft

aufgetan wurde. An die Falknerei mahnen Falkenstraße und Falkenwirt.

Aber die bauliche Besonderheit der Au, die sie nur mit Giesing und

Haidhausen teilt, bilden die sogenannten „Herbergen".

Die Herbergen sind einstöckige Holzbauten in der Weise altbayeri-

scher Bauernhäuser; meist umgibt den niedrigen Oberstock ein hölzerner

Altan, auf dem Wäsche zum Trocknen hängt oder etwelche Pflanzen ge-

zogen werden. Bunte Fensterläden beleben den Ton des alten Holz-

werks. Oft hat jedes Stockwerk seinen eigenen Eingang über eine

schmale von außen hinaufführende Treppe oder kleine Brücke von der

Straße her. Jede solche Wohnung kann, soviel Räume sie eben um-

faßt, vom Besitzer selbständig veräußert werden, und bei Niederlegung

der Häuser müßte der Magistrat München sie den Jnsasten mit Geld

ablösen.

In diesen Vorstadthäusern vererbte sich lange Zeit ein frommer

Brauch, der freilich verschollen ist. Bald im einen, bald im andern Hause

kamen während der Adventözeit die Nachbarn Äbends zusammen, ent-

zündeten ein paar Wachslichter auf dem Tisch, stellten dazwischen als

„Sinnbild" die Figuren der hl. Jungfrau und des hl. Josef und Huben,

nachdem der Rosenkranz gebetet worden, die Herberggesänge zu singen

an. Der Hauptgegenftand dieser Lieder war: Maria bittet Josef, ihr

eine Herberg zu suchen, wo sie sich ihrer heiligen Bürde entledigen kann.

Aber vergeblich klopft Josef an alle Türen; mit groben Reden wird er

fortgescheucht: nirgends ist Raum für die Müden, die schließlich im

Stall sich ein Obdach suchen müssen. Die Sänger wehklagen darum

und sprechen ihre Entrüstung aus:

„Felsenharte Bethlehemiten,

Wie könnt Ihr so grausam sein? .."

um am Ende demütig und treuherzig zu bitten, daß die heilige Mutter

hier bei ihnen einkehren möchte:

„Ganz unwürdig solcher Ehre

Ist zwar dieses Sündenhaus;

Doch, o Mutter, mich anhöre:

Schlag mir nicht mein' Wohnung aus!

Wo du und dein Kind zugegen,

Da ist die Vergnügenheit." ..

Ebenso wird der heilige Josef innig eingeladen:

„Einstens batest du die Sünder,

Doch umsonst; jetzt bitt ich dich.

Wenn du kommst zu Menschenkindern,

Wer ist glücklicher als ich?!" —

Neben diesem häufigsten Thema der Obdachsuchenden heiligen Fa-

milie kamen meist Hirtenlieder zum Vortrag. Seltener wurde ein an-

deres Lied gesungen: wo ein Kind nächtlicher Weile ans Fenster pocht

und von der „Schäferin", die offenbar als Verkörperung der christ-

lichen Seele gedacht ist, Einlaß begehrt. Sie weigert sich zunächst, ist

voll Mißtrauen gegen den späten seltsamen Gast: . .

„Ich hier mich nur allein befind',

Magst etwa sein ein loses Kind;

[: Nein, nein, laß dich nicht ein." :]

* 156 *

* 157 *

Aber der Adel in den Worten des Kindes, das angibt, es wolle ein

ihm verloren gegangenes Schäflein suchen, überwindet sie:

„Glaub schwerlich, daß ein fremdes Schaf

Sich in der Au befindt.

Eh als ich dir die Port aufmach,

Sag mir: wer bist, mein Kind?

Oder wer ist der Vater dein,

Daß du schon jetzt ein Hirt mußt sein,

[: So jung, so zart, so fein?" :]

Worauf die Antwort kommt:

„Mein Vater ist von Ewigkeit,

Und ewig ist sein Reich;

Sein eingeborner Sohn zugleich

Ich ewig bin und bleib.

So merke nur und mich anhör:

Dein arme Seel von dir begehr;

Drum bin ich hier, schenk's mir!" :]

Den Heiland erkennend, bricht die bisher Zweiflerische in Entzücken

aus und öffnet ihm Heim und Herz:

„Mein Herz ich dir eröffnen thu,

Darin sollst finden Raft und Ruh.

[: Ich bitt, abschlag mirs nicht!" — :]

Den ganzen Brauch dieses Zusammenkommens und dieser Gesänge

nannte man „die Herberg abstatten". Erst um die Mitte des neun-

zehnten Jahrhunderts kam er ab.

Der Waisenvater

Durch die Straßen der Vorstädte rechts der Isar geht ein Mann,

dürftig gekleidet, wie ein Bettler den Hut in der Hand. Das Gesicht ist

dennoch nicht das eines bloßen Bettlers: in den Augen glimmt ein in-

neres Licht; die Haltung, der dunkle Rock sind mehr wie die eines Geist-

lichen, zum mindesten eines Lehrers. Das hat der Johann Michael Pöp-

pel, Faßbinderssohn aus der Au, einst auch werden wollen, hat die La-

teinschule besucht, ist Schulgehilfe gewesen in den Waisenhäusern zu

Freising und Erding und hat da gesehen, was elternlose Kinder sind,

was ihr Leben ist. -

Vielleicht war es die unbestimmte Furcht vor der Größe und Schwere

einer aufdämme^nden Bestimmung, was ihn flüchten ließ in Kloster-

frieden. Aber nicht für immer, nicht einmal für lange, denn die gleiche

Liebe zu aller Kreatur, die im Herzen des hl. Franziskus glühte, trieb

den Johann Michael aus dem Haufe des Heiligen wieder hinaus. Als

Privatlehrer — nach anderen als Tagschreiber — hauste er in einem

bescheidenen Stübchen in der Au, sah das Elend, das der österreichische

Erbfolgekrieg über sein Vaterland brachte, sah die Kinder, deren Väter

im Kriege gefallen waren, deren Mütter dem Hunger und der über-

mäßigen Arbeit erlagen, obdachlos, ohne Brot, verwildert herumirren.

Und der Johann Michael, der den Anblick nicht ertrug, reckte sich auf

zu einem Entschluß: der Vater all dieser Waisen zu werden.

Er erbat sich die Erlaubnis vom Gerichtsherrn des Pflegegerichts Au,

dem Freiherrn Franz Karl von Wideman», daß er versuchen dürfte,

was er vermöchte. Und sein Hausherr, der Gerichtsdiener Christoph

Nußbaum überließ ihm eine große Stube um billigen Zins. Darauf,

am letzten November, am Tage des hl. Andreas, holte sich Pöppel eine

Schar von völlig verlassenen Buben und Mädeln, dreißig im Ganzen,

zusammen; die führte er zuerst in die Mariahilfkirche — die alte, denn

die neue hat erst Ludwig I. erbaut — und betete zu Gott für sie und

sich. Dann nahm er sie heim in seine Stube und fing an, ihnen Vater

und Mutter zu sein, sie zu waschen und zu kämmen, zu kleiden, zu näh-

ren, zu unterrichten.

Noch mehr: er ging betteln für sie.

Von Tür zu Tür, bei Wind und Wetter, im dünnen schäbigen Rock,

verachtet, rauh abgewiesen, beschimpft. Er durste sich keine Empfind-

lichkeit gestatten, denn seine Kinder brauchten Brot. Es heißt, daß ein

Reicher, der nicht geben wollte, ihn einst mit dem Stock bedrohte und,

als der kecke Bittsteller sich nicht abweisen ließ, ihn wirklich schlug. Pöp-

pel hätte darauf geantwortet: „Schlagen Sie mich, aber geben Sie

meinen Waisen!" — und da wäre dem reichen Mann das Herz doch

weich geworden, so daß er fortan der Waisenschule freigebig spendete.

Sieben Jahre bettelte sich der Waisenvater so durch, von 1742 bis

1749. Er litt oft bittere Not mit seinen Kindern, aber er verließ sie

nicht. Als 1749 öffentliche Sammlungen für die Armen, Krüppel

und Waisen des nun beendigten Krieges veranstaltet wurden, erhielt

der Johann Michael ein gutes Teil von dem Ertrag; er konnte ein Haus

nahe der Mariahilfkirche kaufen und für seinen Zweck ausbauen. Da

trat zu der bisherigen Verspottung ein anderes: der Neid, der dem

Habenichts das Gelingen nicht gönnte. Häßliche Angriffe und Beschuldi-

gungen wurden gegen ihn geschleudert; des Eigennutzes, der Fahrlässig-

keit wurde er geziehen. Allerhand Hindernisse erschwerten ihm den Weg;

* 459 *

* 158 *

mehrmals stockte sein Bau, weil die Mittel fehlten. DaS Alles nahm der

Poppel hin wie ehedem den Schlag; seine Geduld war so unerschöpflich,

wie sein Mut. Und nach drei Jahren stand sein Hausbau fertig da.

Wie vor jedem Sieger, beugten sich Unverstand und Mißgunst vor

Dem, der innerhalb zehn Jahren das Alles erreicht hatte.

Begüterte Wohltäter spendeten so viel, daß die auf dem Waisen-

haus lastenden Schulden abgetragen werden konnten und noch ein Rest

von 4822 fl. als Anstaltsvermögen übrig blieb. Außerdem besaß Pöp-

pel seit 1751 ein behördliches Sammelpatent. Das „Waisenhaus zu

St Andrä in der Au", wie es nunmehr hieß, konnte als richtige Erzie-

hungsanstalt in verschiedene Klaffen eingeteilt werden; die Kinder, ge-

nährt und gekleidet, erhielten von Pöppel und einem Gehilfen Unter-

richt in Religion, Lesen, Stricken, Spinnen und Nähen.

Als Pöppel starb (1763), hinterließ er ein gesichertes Werk, das

heute, mit dem großen städtischen Waisenhause seit 1818 vereinigt, un-

ter Aufsicht des Magistrats München steht.

Pestsagen aus Giesing

Wie der „schwarze Tod" in Bayern umging, da machte er vor den

alten Dörfern rings um München so wenig Halt wie vor den stattli-

chen Häusern zu Füßen der Frauentürme. Immer wieder rollten ver-

mummte Totengräber den Pestkarren vor die Häuser und luden die

neuen Opfer, die der Tag gefordert hatte, darauf. Die Freithöfe boten

nicht Raum für alle die frischen Gräber; an vielen Orten mußten eigene

Pestfriedhöfe angelegt werden. Dies war auch in Obergiesing, dem alten

„Kyesinga", der Fall. So klein und frei der Ort auf waldiger Höhe

am Perlacher Forst lag, hatte er von allem Elend des dreißigjährigen

Krieges fein Teil getragen und trug es auch jetzt.

Hart am Waldrand stand ein schmucker Hof, der einem freien Bauern

gehörte. Der saß in Wohlstand und Wohlsein mit Weib und Kindern,

war bisher vor allem Unheil bewahrt geblieben und schien es fürder zu

bleiben, denn die Pest verschonte sein Haus. Um sich dankbar zu zeigen,

ließ der Bauer einen großen „Christus in der Rast" schnitzen, d. h.

ein Bildnis unseres Herrn in Ketten, während der kurzen Rast zwischen

der Geißelung und der Kreuzigung- Davor hielt der Bauer von nun

an stets seine Andacht. Aber die Pest, eine Zeit lang scheinbar erloschen,

kehrte wieder, grausiger als zuvor, und so brünstig der Bauer vor dem

Herrgottsbild betete, fielen doch all seine Hausgenossen der Seuche zum

Opfer, zuletzt sein Weib und seine Kinder. Da geriet der Mann in

Verzweiflung, lästerte Gott und schleuderte das Christusbild vor das

* 160 *

Haus auf die Erde. Darnach holte die Pest auch ihn. Weil aber das

Sterben immer zunahm, meinten die Umwohner, das fei die Strafe für

die Verunehrung des Heilandsbildes. Darum taten die von Giesing und

von der Au sich zusammen und wallfahrteten mit Kreuz und Fahne

nach Ramersdorf zur Gnadenkirche. Den geketteten Christus trugen sie

feierltch mit sich und stellten ihn bei der Rückkehr in der Giesinger Kirche

auf. Von da an begann die Pest mählich abzunehmen. Der Pestwagen

jedoch, der die Leichen zum Friedhof fuhr, soll noch lange oben unterm

Dach der Kirche aufbewahrt worden sein.

Der „Herrgott in der Raft" blieb in der Giesinger Dorfkirche, von

den Andächtigen voll Zutrauens verehrt, bis zum Jahr 1892, wo die

kleine Pfarrkirche abgeriffen und der sie umgebende Friedhof aufgehoben

wurde. Da übersiedelte der Herrgott in den Gottesacker, der eben in

jener schweren Zeit der Pestilenz als Pestfreithof angelegt worden war,

an der Stelle, wo heute der Giesinger Pfarrhof steht.

Von diesem Pestacker wird erzählt, daß ehemals zur Mitternachts-

stunde zwölf graue Männlein den Steig, der von der früheren Bäcker-

gaffe am Giesinger Berg hinaufgeht, sacht emporgewandelt seien, den

Pestfreithof umschritten und in der alten Dorfkirche gebetet hätten. Da-

von hätte das Bergl den Namen „Manndlbergl" oder „Mannderbergl"

geführt. Bei dem Freithof, so lang er bestand, soll eö zur Nacht über-

haupt nicht geheuer gewesen sein: wer vorüberging, vernahm rufende

Stimmen oder den Ton wie wenn mit Steinen oder Sand geworfen

wird.

1895 verschwand auch dieser Gottesacker; und der Herrgott in der

Rast" wurde von da an im Kloster der armen Schulschwestern in

Obergiesing aufbewahrt.

Das letzte äußere Gedenken der Pestzeit, eine Pestsäule auf dem We-

ge von Giesing nach Ramersdorf, erhielt sich bis gegen die Mitte des

vorigen Jahrhunderts, ist aber seitdem auch entfernt.

Vom Salvator

Zu Neudeck in der Au begingen alljährlich im Monat April die

Paulanermönche mit großer Feierlichkeit, acht Tage lang, das Fest ihres

Ordensstifters, des hl. Franz von Paula. Es begann am 2. April; nur

wenn etwa dieser Tag in die Karwoche fiel, ward der Festanfang auf

den ersten Sonntag nach Ostern verschoben. Während der Festoktav

konnte jeder andächtige Besucher der Paulanerkirche eines vollkommenen

AblaffeS teilhaftig werden. Auch wurden dort die ganze Festwoche hin-

durch die „heilig Vaterkertzen" geweiht, weshalb die Münchener Bür-

ii

* 161 *

gersfrauen korbweise das Wachs zum Weihen in die Kirche brachten.

Der Brauch schrieb sich her von einer Gewohnheit des hl. Franz von

Paula, nämlich: Hohen und Niedrigen geweihte Kerzen zu schenken;

deß zum Gedächtnis wurden alljährlich an seinem Feste in den Kirchen

seines Ordens geweihte Kerzen den Gläubigen ausgeteilt.

Wer einmal in die Au hinausgepilgert war, besuchte natürlich

auch die Mariahilfkirche und die übrigen Kirchen der Vorstadt. Nach

der Andacht war im Paulanerkloster gutes „heilig Vaterbier" oder

„heilig Vateröl" — so benannt, weil die Paulaner nur von Oel speisen

durften — zu bekommen.

Kurfürst Maximilian I. begab sich alljährlich am 2. April zu den

Paulanern, um einer Mesie beizuwohnen. Auch unter feinen Nachsol-

dern pflegte der kurfürstliche Hof den heil. Vaterfesten nicht fern zu

bleiben. Die Emporkirche im Heiligtum der Paulaner trug den Namen

„der Fürstenchor" — „weil die gnädigsten Herrschaften darauf dem

OrdenSfefte beiwohnen." Sowohl Max III. Joseph als Karl Theodor

versäumten nicht, am 2. April den Ausflug nach der Vorstadt Au zu

machen und die Mesie bei den Paulanern zu hören. Es war Sitte, daß

der Kurfürst unter Begleitung seiner Leibgarde, der Hartschiere, zu

Pferde und gefolgt von einer Kavallerieabteilung hinaus ritt, vor dem

Paulanerklofter abstieg und die Väter besuchte, ehe er sich in die Kirche

begab. Die Kurfürstin und die Prinzessinnen fuhren mit ihren Hofda-

men zu Wagen dorthin, gleichfalls von Hartschieren eskortiert, deren

prächtige Uniform und Pferde — sie ritten auf Schimmeln — einen

glänzenden Eindruck machten.

Der Konvent der Paulaner war stets bestrebt, auch an seinem Teil

das Fest würdig und feierlich zu gestalten; für die Feftpredigt ward ein

berühmter Kanzelredner aus der Stadt oder anderswoher gewonnen,

außerdem ein infulierter Prälat geladen, damit ein Pontifikalamt ab-

gehalten werden konnte.

Nicht minder beeiferten sich die Bewohner der Au, „den durchlauch-

tigsten Landesvater nach Fürstenwürde zu empfangen." Kanonendonner

begrüßte den festlichen Tag; am Auertor erwartete den aus der Resi-

denz kommenden fürstlichen Zug „die bürgerlich Auische Kavallerie",

die ihn von da ab „in schuldiger Ehrfurcht" eskortierte. Spalier bilden-

des Militär, Ehrenpforten, Schaugerüste mit allegorischen Darstellun-

gen, geschmückte junge Mädchen und weißgekleidete Schulkinder, dazu

das fröhliche Gewoge einer dichtgedrängten festlich erregten Menge

und das Geschmetter mehrerer Musikchöre — nichts fehlte, um die hohen

Gäste zu ehren und den Tag zu einem lange nachleuchtenden zu machen.

Nach beendigtem Hochamt wurde den fürstlichen Herrschaften in der

Klosterkirche die geweihte Vaterkerze überreicht, worauf der Hof noch

im Kloster bewirtet wurde. — Wie zu sehen, ging es umständlicher

damals her, als ein bekanntes Gedicht und Bild es darstellt, das den

Kurfürsten einfach vor der Klosterpforte anreiten und von Barnabas,

dem Bräuhausfrater, empfangen läßt . . .

„Mit dem Gruß, der bis zur Stunde

Sich erhielt in Volkes Munde:

8alve, Pater patriae,

Bibas, princeps optime.“

Von diesem Gruß nämlich: „Salve Pater“ usw. soll das Wort

„Salvator", das aber eigentlich von „Sankt Vaterbier" herkommt,

abgeleitet werden. Das Einzige, was von all dem Glanz uns Heutigen

geblieben, ist bekanntlich dies Sankt Vater- oder Salvatorbier.

Das Kloster der Paulaner ward 1799, nachdem es kurz vorher ein

letztesmal den Besuch des Kurfürsten (späteren Königs) Max IV. Jo-

seph empfangen hatte, aufgehoben. Es wurde nachmals Strafanstalt;

die Brauerei aber ging in weltliche Hände über, die es nicht minder

gut verstanden, das weitberühmte stark eingesottene Bier, das berau-

schendste der Münchner Doppelbiere (hierin dem vielbesungenen „Bock"

noch über) zu brauen. Der Salvatorkeller am Nockherberg in Giesing

öffnet seine Pforten alljährlich auch nur für kurze Zeit, weil nämlich,

zum Bedauern der Durstigen, der Stoff meist schnell ausgetrunken ist.

Hofmäßig geht es dabei freilich nicht zu, denn bekanntlich ist das Tragen

eines Zylinders z. B. verpönt, und ein solcher wird augenblicklich einge-

trieben. Von den Gesängen, die dabei üblich sind, darf behauptet wer-

den, daß sie an den eigentlich geistlichen Ursprung des Festes keineswegs

erinnern. Auch bedarf der Menschenstrom, der während des Salvator-

ausschankS zur Quelle wallt, keines Ehrengeleites, noch der Triumph-

pforten. Dennoch ist, wenn gleich in vergröberter Form, etwas vom

Charakter des Volksfestes diesen bierfrohen Frühlingstagen noch ver-

blieben.

Es hieß einst, daß zur Salvatorzeit der Brauer Franz Taver Zacherl,

der das BräuhauS von den Maltesern, den Nachfolgern der Paulaner,

erkaufte, bedeutend erweiterte und den nach ihm benannten Keller er-

baute, nächtlicherweile dort umgehen soll. Wer die Gäste vom Nockher-

berg herabkommen sieht, zweifelt bei ihrem Anblick sicher nicht, daß auch

dort und bei Tage der Zacherlgeist umgeht.

* 162 *

* 163 *

Von Pachem und vom Hachinger Bach

In ganz Bayern finden sich Sagen von versunkenen Orten, ähnlich

den norddeutschen Sagen von Vineta und Julin oder der Gerstäcker-

schen Erzählung vom verschwundenen Dors Germelshausen, das nur alle

hundert Jahr an die Oberfläche kommt. So geht die Mär von einem

Dorf, geheißen Pachem oder Bachheim, das nahe bei München, zwi-

schen Riem und Berg am Laim gelegen hätte. Der Ortsname Pachem

kommt in Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts vor, doch ist er,

wenn er sich wirklich von einem Bach ableitet, nach der heutigen Be-

schaffenheit der Gegend unverständlich, da kein Gewäffer sich ringsum

befindet. Möglich, daß ein Kirchdorf, das hier stand, zu Beginn des

16. Jahrhunderts gewaltsam zerstört, oder durch irgend ein Ereignis

vernichtet wurde. Leute, die an windstillen Tagen dort durch die Felder

gingen, haben erzählt, daß sie Menschenstimmen, Dengeln von Sensen,

zuweilen Geläute von Kirchenglocken aus der Erde heraufgehört hätten.

Deshalb erhielt sich die Überlieferung, daß ein großes Dorf dort in die

Tiefe versunken sei. Manche bringen deffen Schicksal in Verbindung

mit dem Wasier, das südlich von der sagenhaften Stätte fließt: dem

in seiner Art auch wundersamen, als Naturmerkwürdigkeit anzusprechen-

den Hachinger Bach-

Bei Deisenhofen wird er zuerst als schmale Wasierader sichtbar, von

Oberhaching an strömt er reichlicher, erreicht seine eigentliche Stärke

bei Taufkirchen. So bleibt er eine Weile, treibt mehrere Mühlen; von

Unterhaching an aber beginnt er abzunehmen und ist in Unterbiberg

nur mehr ein kleines Rinnsal, das außerhalb Perlach gänzlich versickert.

Diese Eigentümlichkeit wird geologisch aus dem engen Zusammen-

hang des Bachwasierspiegels mit dem unterirdischen Grundwasserspiegel

erklärt. Aber die Volksphantasie deutele den Vorgang anders und leitete

daraus eine Sage ab von einem feindlichen Brüderpaar, dessen Vater,

ein braver alter Müller, bei seinem Sterben den Beiden gemeinsam

die Mühle am Hachinger Bach nahe Perlach hinterlassen hätte. Durch

die Erbschaft fuhr der Geizteufel in die Söhne, die sich zuvor ganz gut

vertragen halten und sie wurden einander spinnefeind. Keiner gönnte dem

Anderen sein Teil, sie stritten und maulten den ganzen Tag, vernachläs-

sigten darüber Arbeit und Kundschaft und kamen so allmählich herab.

Damals floß an jener Stelle der Bach noch breit und hell. Als jedoch

die Zwei es immer ärger trieben und den würdigen Pfarrer von Per-

lach, der um der Liebe Gottes und des Gedächtnisses ihres Vaters wil-

len sie zur Eintracht mahnte, roh von der Schwelle jagten, da war ihr

Maß voll. Eines Tages war der Bach, gerade bei der Mühle, versiegt,

und die Mühle stand still.

Da half kein Fluchen und kein Jammern, keine Vorwürfe, die sich

die Beiden gegenseitig machten. Sie wurden zu Bettlern, und schließlich

suchten sie sich auf dem Wege von Perlach nach Ramersdorf zwei stark-

ästige Birnbäume aus, nahmen Jeder einen Strick und hingen sich

daran.

Nächtlicherweise sollen die zwei Müller als ruhelose Geister an der

Stelle ihres Selbstmordes spuken und zwar so lange, bis der Hachinger

Bach wieder seinen früheren Lauf hat.

Harlaching

Die kleine Wallfahrtskirche zu Harlaching, hoch am Ufer der Isar,

ist ursprünglich wohl sehr alt. Keine Gewißheit besteht über die Zeit

ihrer Erbauung; doch kommt der Ortsname selbst im 12. Jahrhundert

als „Hadelaichen", „Hadelahingen" vor. Die Kirche, der heiligen Mut-

ter Anna geweiht, hat eine schwermütig sagenhafte Entstehungsge-

schichte. Ein Münchener Patrizier soll mit einer schönen Jüdin auf einem

Landsitze in Thalkirchen verbotenes Liebesglück genossen, die Verführte

aber hernach verlassen haben. Da sprang sie verzweifelt in die Isar und

fand den Tod. Von seinem Gewissen beunruhigt, ließ ihr Verführer

die kleine Kirche von Harlaching erbauen. Bei der „Marienklause",

die 1865 aus einem Dankgelübde für Errettung von Hochwasser

und Felssturzgefahr entstanden ist, soll die Seele der Selbstmörderin

als blaues Irrlicht umherschweben.

Einem Dankgelübde wird auch das alljährliche große Kirchenfest,

der Harlachinger Ablaß, der am 8. September beginnt, zugeschrieben.

Es soll herrühren von einem Grafen, der zu Giesing seinen Ansitz hatte,

sich aber in einer kalten Winternacht während eines furchtbaren Schnee-

sturmes in den damals noch dichten Wäldern an den Jsarhängen ver-

irrte und den Tod vor Augen sah. In dieser Bedrängnis gelobte er, für

den Fall seiner glücklichen Errettung der nächsten Kirche eine reiche

Stiftung zu machen. Darnach vernahm er den feinen Ton eines Glöck-

leins, das gar nicht weit entfernt zu fein schien. Der bereits erschöpfte

Graf nahm seine Kräfte zusammen, ging dem Klang des Glöckchens

nach und kam so nach Harlaching, wo er alles wach und in größtem

Staunen fand, denn das Glöcklein hatte von selbst geläutet. Da erfüllte

der Gerettete sein Gelübde und stiftete, von reichen Spenden der Um-

wohner unterstützt, das „Harlachinger Ablaßfest".

Harlaching, ursprünglich dem Kloster Tegernsee gehörig, ward später

mit der Schwaige Harthausen (der heutigen Menterschwaige) zusam-

men Eigentum des Landesfürsten und wurde von ihm mehrfach als

* 165 *

* 164 *

Ritterlehen an verschiedene Adelige verliehen. Es gehört heute zur

Stadtgemeinde München und zur Pfarrei Giesing.

Das Schloß der bayerischen Herzoge, das in Harlaching stand und

berühmt war durch seine prächtigen Gartenanlagen am Bergabhange,

ist zu Ende des 18. Jahrhunderts durch Brand zerstört worden. Heute

erinnert, da die Kirche gleichfalls im 18. Jahrhundert völlig neu erbaut

ist, und der ganze Ort sich als vornehme Villenvorstadt entwickelt hat,

eigentlich nichts mehr an frühere Zeiten, als der uralte kleine Kirchhof

und das Denkmal, das König Ludwig I. bei der Kirche dem Andenken

des Malers Claude Gelee, genannt „Lorrain" setzen ließ. Dessen

Ansässigkeit zu Harlaching ist freilich neuerdings in das Bereich der

Sage verwiesen worden. Ludwig I. selbst weilte gern auf der benach-

barten Menterschwaige, die bis 1660 herzoglicher, resp. kurfürstlicher,

von 1793 an bürgerlicher Besitz war. Hierher, auf die — damals noch

Harthausen genannte — Schwaige flüchtete Herzog Johann II-, der

älteste der fünf Söhne Albrechts III-, vor der in München herrschenden

Pest, und hier, in dem nachmals abgebrannten Schlößchen, erlag er ihr,

sechsundzwanzigjährig, am 18. November 1463.

b)LinksderJsar

An der Isar

Untrennbar, landschaftlich wie geschichtlich, gehören München und

sein freudiger Karwendelsproß, der Isarstrom, zusammen. Ja, die Isar

darf sich rühmen als Ursächerin der Stadt. Wo ein solches belebendes

Wasser fließt, ist die gegebene Stätte einer größeren Menschenansiede-

lung. Mit der Zerstörung der einen und Erbauung der anderen Isar-

brücke, mit dem sich bekriegenden, durch die Isar bedingten Vorteil

zweier großer Herren hat Münchens Geschichte begonnen, das Werden

des Dorfes zu einer Stadt, die schon hundert Jahre nach ihrer Grün-

dung „ins Maßlose" wuchs. Die Brückenwacht der Isar, das ist Mün-

chen zu Anfang gewesen; die Lebensader der Stadt, das war die Isar.

Die „Schnelle, Reißende", soll ihr Name, der uralten Ursprungs

ist, bedeuten. Zu Zeiten der Schneeschmelze oder sonst bei Hochwasser

fährt sie wirklich reißend daher, mit hohen Schaumwellen gegen die

Ufer schlagend. Schön ist der Blick von den waldigen Hängen, etwa bei

Pullach oder Großhesselohe, herab auf den milchig grünen Strom, die

breiten hellschimmernden KieSftrecken, die Höhlen und seltsamen Bil-

dungen im Nagelfluhgestein. Kelten und Römer haben ihre Spur längs

des Flusses zurückgelassen; drüben am Osthang, wo die gotische Herzogs-

bürg Grünwald so stattlich in die Isar hinabschaut, liegt das alte

Römer-Kastell, das in jene fernste Vergangenheit zurückweift. Von der

Eisenbahnbrücke, die bei Großhesselohe die Isar überspannt, haben frei-

lich selbst die Römer sich nichts träumen lassen, so wenig wie der sin-

nende Mann im schwarzen geistlichen Gewand, der hier so gern die

Schau über das Flußbett und die waldigen Höhen genoß.

Inmitten all der Drangsal des dreißigjährigen Krieges hat hier der

„bayerische Horaz", der Jesuitenpater Jakobus Balde, eine seiner schön-

sten Oden gedichtet, das „Echo". Sie sind lateinisch, die Dichtungen

des gelehrten Humanisten, aber sein ganzes Empfinden war deutsch,

so wie der Schmerz um die Leiden seines Volkes, für das er den teuer-

werten Frieden so heiß ersehnte.

Auch ein Anderer, dessen Namen als den eines Zeitgenossen die Echo-

Ode nennt, hätte nach, zwar unverbürgter, Überlieferung hier oben ge-

weilt: Claude Gelee, benannt le Lorrain. Er hätte seine Studien ge-

macht an der Durchsichtigkeit der Luft, den duftigen Lichtwirkungen der

Ferne, so wie es nachmals noch mancher Meister des achtzehnten und

neunzehnten Jahrhunderts tat: Dillis, Beich, Lebschee, Schleich, Weng«

lein und wie sie sonst heißen. Eines Künstlers Gedächtnis erneuert auch

der Anblick von Brug Schwanegg, die sich Ludwig Schwanthaler er-

baute und damit einen Traum seiner frühen Jugend verwirklichte. Und

welche fröhliche Scharen hat der Wald zwischen Großhesselohe und

Pullach gesehen, wenn alljährlich bei der Habenschaden-Feier nach dem

Gedächtnisgottesdienst für den Stifter das Frühlingsfest der Künstler

sich entspann! —

Einen eigenen Reiz aber hat es, der Isar ganz nahe zu sein, dicht

am Strand im Gras der Jsarauen zu rasten, die von selbst, durch mäh-

liches Zurückziehen des Stromes in sein heutiges Bett, entstanden sind.

Oder auf einem Floß, das etwa von Tölz dahertreibt, sich fröhlich nach

München hinunterschaukeln zu lassen. Die Flößer und Uferanwohner

wissen mancherlei zu erzählen von den frühen märchenhaften Vorstellun-

gen, mit denen die Volksphantasie Fels und Strom belebte. Die Höh-

len bei Geiselgasteig und Großhesselohe wurden gedacht als von wilden

Leuten, Wassergeschöpfen und wohl auch räuberischen Unholden bewohnt.

In einer davon soll das „Schnarchermandl", einer aus der großen Fa-

milie der Zwerge, Kobolde und Wichtelmännchen seßhaft sein, dessen

lautes Schnarchen zu Zeiten sich über den Fluß hin vernehmen läßt.

Häufiger noch ist der eigentümlich klagende Ruf „Tutli —i —i" zu hö-

ren, der von einem Wasservogel herrührt, aber den Viele einem na-

mentlich zwischen Thalkirchen und Harlaching heimischen Spukgeist,

dem „Tutlipfeiferl", zuschreiben. Bald pfiff er dem Wanderer oder

Flößer dicht vor den Ohren, gleich darauf weit vom jenseitigen Ufer

* 167 *

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her. Die Einen knüpfen daran die Sage von einem wirklichen Pfeifer,

einem Spielmann, der das stolze Fräulein von Burg Grünwald geliebt

und dem sie aufgegeben hätte, ihr Geschmeide, das sie vor seinen Augen

hineingeworfen, aus der Isar zu holen. Er versuchte eö, kam aber nim-

mer herauf — es ist die Geschichte von Schillers „Taucher". Auch der

ruhelose Geist einer jungen schönen Selbstmörderin, die, entweder aus

Liebesgram oder einem Ehrenräuber zu entfliehen, in den Fluß gesprun-

gen sei, wird mit dem Tutlipfeiferl und seinem Klageruf in Verbindung

gebracht.

Als harmlos und gutartig gilt das „Wisperl", das nur zu heiligen

Zeiten, vornehmlich an Allerseelen, mit leisem Gezirp wie eine Grille,

bald nah, bald fern sich hören läßt. Ein geradeswegs böser Geist aber

ist das „Pfeiferl"; er pfeift grell durch die Finger, und wagt jemand

ihm zu antworten — flugs ist er da. Einmal ging einer zu später

Stunde durch die Isarauen, ahmte den Pfiff des „Pfeiferls" nach —>

da wuchs vor ihm aus dem Boden eine schwarze Gestalt. Der Mann,

beherzt, griff nach seinem Messer und schrie: „Trau di net zuawi, oder

du bist hin!" Aber das Gespenst schwoll zu dreifacher Mannshöhe em-

por; da packte den Kühnen das Grausen, und er rannte davon — hast

du nicht gesehen! Ob ihm Unheil widerfahren ist — denn das „Pfei-

ferl" bringt Unglück durch seine Begegnung — weiß man nicht. Am

besten ist's, wenn der Pfiff ertönt, sich still zu halten, ein Kreuz zu

schlagen und im Gehen für sich zu beten. So haben es ehedem auch die

Floßknechte gemacht, beim Überfahren des Isarwehrs an der Marien-

klaufe; denn dort in der Nähe haust die Isarnixe — die übrigens den

Meisten als gleichbedeutend mit dem „Tutlipfeiferl" gilt — samt ihrem

Gatten, dem Hakemann oder Hackenmann. Zu Zeilen singt sie ein selt-

sam berückendes Lied; wer sie singen hört, muß nach altem Glauben bei

einer nächsten Floßfahrt ertrinken. Drum schützten die Flößer sich dort

an den „Überfällen" durch Gebet und führten gern etwas Geweihtes

bei sich. -

War jede Unbill des Wassers und der Witterung samt jeglicher dä-

monischen Anfechtung überwunden, dann saß und trank der wackere

Flößer recht „grüabig" zu München beim „grünen Baum". Da wurde

das beliebte Tölzer Bier verzapft; da herrschte ein fröhliches Durch-

einander von Münchnern aller Stände, Gelächter und Gesang. Zur Zeit

König Ludwig I. pflegten auch die Künstler die Wirtschaft zum „grü-

nen Baum" mit besonderer Vorliebe zu besuchen. Der Wirt galt als

eines der vielen, just in seinem Stande nicht seltenen, Münchner Origi-

nale, so wie der „lachende Wirt", der diesen Namen trug, weil er, wie

die Prinzessin im Märchen, nur einmal gelacht hatte. An den Grün-

baumwirt knüpft sich die Münchner Redensart: „Da möchtst doch gleich

Greanbaamwirt wern!" — Angeblich führte der drollig-knurrige Wirt

selbst diesen Spruch im Munde, wenn ihm etwas widern Strich ging.

Der „grüne Baum", nach dem die Wirtschaft sich nannte, wurde,

als 1787 ein Sturm ihn brach, durch eine Linde ersetzt. Die Wirtschaft

selbst aber verschwand gleich der anderen, altbekannten Gaststätte „zum

Ketterl" an der Floßstraße, als der Durchbruch der Steinsdorfstraße

erfolgte und an die Stelle der ehemaligen Lände ein großstädtischer

Straßenzug längs der Isar trat.

Die Zeiten und ihre Bedürfnisse wandeln sich; Gebäude entstehen

und vergehen. Was aber unmittelbar aus Schöpferhand entsprungen

ist wie der leuchtende rauschende Bergfluß, der München durchströmt,

bringt stets, trotz menschlicher Regulierung und moderner Prachtbauten,

einen Ewigkeitshauch mit sich.

Schwabing

Die Schwabinger — die Nachkommen eines mutmaßlichen Swapo.

Schon seit dem sechsten Jahrhundert wahrscheinlich orisseßhaft, seit

dem achten Jahrhundert — Respekt! — urkundlich nachgewiesen. Bau-

ern, Fischer, Flößer, wie die Nachbarschaft der Isar es bedingte, meist

Untertanen eines ausgedehnten Edelhofes. Denn schon im zehnten

Jahrhundert gab eS dort einen Edelsttz „Derer von Schwabing".

Einen des offenbar zahlreichen Geschlechtes, den edlen Heinrich von

Schwabing, hat, wie früher erzählt worden, Herzog Ludwig II. „mit

allen Gütern zu Pugenhausen und Oberfehringen" belehnt; Bogen-

hausen und Oberföhring liegen ja Schwabing gegenüber. Besagter

Heinrich trat diese Besitzungen am anderen Isarufer bald an den Bischof

von Freising ab. Ähnlich handelte, jedoch aus höchst praktischen Grün-

den, ein Eberhard von Schwabing, im dreizehnten Jahrhundert. Der

hatte einen seiner Okonomiehöfe einem Münchner, dem Richter Jordan,

verpfändet um sechs Talente — und als die fällige Zeit herannahte,

wußte er das Geld nicht zu beschaffen. Da entschloß er sich kurz und

schenkte seinen Hof dem Kloster Schäftlarn mit dem Beding, daß dies

ihn auslösen müßte — was auch zu beiderseitiger Befriedigung geschah.

Zu Anfang des 14. Jahrhunderts starben die Edlen von Schwabing

im Mannesstamme aus; eine Erbtochter jedoch hatte zur Ehe den

Patrizier Gollier von München. Der Gatte oder erst der Sohn dieser

Schwabingerin war Ainwich der Gollier, den Herzog Ludwig um seiner

Verdienste willen zum Ritter schlug, und der auf dem Marktplatz in

München die Allerheiligenkapelle anstatt der zerstörten herzoglichen

Münze erbauen ließ. Dieser Ainwich soll auch das alte, gar kleine Kirchl

* 168 *

* 169 *

Johannes des Täufers in Schwabing größer und schmucker erbaut

haben aus Freude und Dank, daß er ein Söhnlein Johannes zur Taufe

gebracht. Nachmals starb dies Kind, die Kirche jedoch erstand abermals

größer und ward nach der zweiten Patronin, der hl. Ursula mit ihren

Jungfrauen, benannt. Die Kirche zu „Swäbingen pey München, da

rastent der gut Herr sant Johans, der Tauffer unseres Herrn Jesu

Christi und die heilige Elftausend Mayd" war freilich nur eine „Zu-

kirch" (Nebenkirche) des Gotteshauses zu Sendling; erst 1811 ward

Schwabing eine selbständige Pfarrei. Aber die Schwabinger hielten ihr

Kirchl hoch und heilig: bei den etlichen Malen, als die noch ungebändigte

Isar mit Hochwasser ging und wilde Wogen auf die Kirche zuwälzte,

wagten die Bauern und Fischer ihr Leben daran und eilten auf Flößen

und Kähnen ihrer „Sant Ursel" zu Hilfe.

Sogar in friedsam später Zeit forderte hier der Isarkanal ein junges

Leben: den 21. Juli 1783 ertrank darin „der kunst- und tugendreich

Pankratius Piebl, Buchdruckergesell in München, seines Alters 26" —

und ward beim alten Schwabinger Kirchl gefunden und bestattet.

Noch älteren Ursprungs soll das Kirchlein des hl. Nikolaus gewesen

sein, dessen Abbruch 1898 nicht bloß den Schwabingern, sondern auch

vielen Münchnern tief ins Herz griff. Nachgewiesen ist sein Bestehen

seit dem fünfzehnten Jahrhundert als „GotzhauS der Siechen", das

beim Leprosenspital stand und noch zu München gehörte. Die gelegent-

lichen Ausflüge der Münchner nach „Sand Nikolas bey Schwäbing"

namentlich am Pfingstfest und ihre Einkehr beim wirtenden Hausver-

walter des Spitals sind anderwärts erwähnt. Aber die Münchner,

sowie die Schwabinger kamen auch mit dem Kreuz gewallfahrtet, da

das Nikolaikirchl größtes Vertrauen und Ansehen genoß. Sankt Niko-

laus, als früher Patron der Schiffergilde, hatte billigen Anspruch auf

die Verehrung dieser ruderführenden Isaranwohner.

Die ehemaligen Untertanen der Edlen von Schwabing, wie sie ge-

diehen und sich mehrten, legten einen Zug ausgesprochener Selbst-

behauptung an den Tag. Durch die größere Hälfte des sechzehnten

Jahrhunderts währten die Händel, die sie hatten mit denen von Mün-

chen und von Freising wegen Verletzung der Fischereigrenze. Die

Schwabinger hätten bloß bis zum Frauenkreuz (gesetzt zu frommem

Andenken an eine ertrunkene Frau) und bis drüben zum Föhringer

„Engelturm" fischen sollen, aber sie zogen vor, es bis Garching zu tun.

Die Münchner, obzwar sie gelegentlich ihre Grenze energisch gegen diese

„unruehigen Vischer von schwebing" verteidigten, huldigten doch auch

wieder dem Satze: „da kann ma aa net so sein" — und ließen ein paar

ertappte Schwabinger laufen, „weil die ihnen guete Worte geben

haben, daß sy hinfüro nimmer khomen wellen." Die Freisinger prozes-

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fierten lange und heftig, wobei aber schließlich nichts herauskam, als ein

neuer Markstein zur Darnachachtung unterhalb des Frauenkreuzes.

Auch an diesen hielten sich die Schwabinger nicht unbedingt; und bei

dem „Blumbesuch" (Weiderecht) in der Hirschau, das sie mit denen

von Freimann, Föhring und Bogenhausen teilten, richteten sie es gleich-

falls so ein, daß nicht gerade sie im Nachteil blieben.

Von jener Zeit und dem pfiffigen, zugleich aber wehrhaften alten

Bauernschlag, der selbst der kurfürstlichen Regierung nicht allzuviel

Reverenz bewies, zeugen heute nur noch die paar alten Häuser und

Gärten unten beim Ursulakirchl (jetzt St. Silvefterkirche), an der

Biedersteinerstraße, der Maria Iosefastraße, und den andern, die sich

am englischen Garten hinziehen. Eigentlich ist es so recht der Garten

Schwabings, dies am einstigen Hirschanger von Kurfürst Karl Theodor

und seinem Mithelfer, dem Benjamin Thompson, Grafen Rumford,

geschaffene Stück Eden nördlich der Altstadt München. Wer vom

„Harmlos", diesem steinernen Hüter des Garteneingangs, hinunter-

schlendert zum „Chinesischen Turm", durch die umbuschten Schlängel-

pfade an Wasserfällen, Ruhebänken vorbei zum „Aumeister", ans

„Milchhäusl" oder nach Kleinhesselohe, der sieht dem Kurfürsten, des-

sen Verhältnis zu München ein so gezwungenes war, um dieser Schöp-

fung willen vieles nach. Freilich darf auch das Verdienst der Vollender,

der beiden ersten Könige und Ludwig von Skells, nicht vergessen

werden. Die Großstadt versinkt hier völlig vor dem Landschafts-

reiz eines Parkes, bei dessen Anlage die Kunst das von der

Natur Gegebene aufs glücklichste benutzt hat. Die kleinen, bald

raschflutenden, bald sacht dahinschleichenden Wasserarme, die schönen

alten Bäume, von einem linden Feuchtigkeitsdunst umwebt, die durch-

blümten Wiesen nehmen Blick und Seele gefangen. Und beim Hinauö-

schauen, Hinaustreten immer wieder irgend ein Ausschnitt aus dem

alten Schwabing, der das Bild ergänzt: der Wasserturm am Schwa-

binger Bach etwa — oder Schloß Biederstem oder SureöneS oder das

Gohrenschlößl.

Es gab noch einen Weg nach Schwabing: den trockenen „Türken-

graben", den Max Emanuel durch gefangene Türken hatte anlegen

lassen. Seinen Zweck als Wasserweg verfehlte der Kanal, wurde daher

1811 eingeebnet und mit Häusern und Gärten überbaut. Ganze Ge-

nerationen geputzter Münchner sind Feiertags durch den Graben oder

durch den Theodorspark gen Schwabing gewallt, etwa nach dem Serem-

pusgarten, auch Schwabinger Volksgarten, wo es Kegelscheiben und

Scheibenschießen für die Erwachsenen, Schaukel und Karussel für die

Kleinen gab. Aber das und der erste zoologische Garten, der hier außen

entstand, im Gumppenberg-Garten, gehörten einer späteren Zeit an;

* 171 *

früher war ein Hauptziel der Ausflügler die „kalte Herberge" nord-

westlich vom Dorf Schwabing. Eine üble Sage hing sich an den

Namen: das freiliegende Wirtshaus sei ein Mordhaus gewesen, wo

Leute kalt gemacht worden wären. Aber das soll Verleumdung gewesen

sein; und jedenfalls war die Einkehr sehr beliebt. Die Münchner

Gärtner hielten dort eine Zeitlang ihr IahreSfest.

Was Neu-Schwabing heute ist, ein Begriff für sich innerhalb Mün-

chens, weiß Jedermann; und es hat ja auch schon den Fall gegeben, daß

München zu Schwabing wie einst bei den Fischereihändeln, in Gegen-

satz trat. Aber wohlgemerkt: zu dem nicht bodenständigen, dem sozusagen

angeschwemmten Element. Denn Jung-Schwabing, das auf Schwabin-

ger Boden erwachsene, bewahrt im Grunde den Charakter des „alten

romantischen Landes", dessen äußeres Antlitz auch unterm neuen Ge-

wand der Villen oder Arbeiterviertel noch da und dort hervorschaut.

Und das ist gut so.

Sendling

Räumlich ist es eine ziemliche Strecke von Schwabing nach Send-

ling. Aber da Schwabing einst zur Sendlinger Pfarrei gehört hat,

ist der Schritt doch nicht zu weit. —

Auch Sendling ist alte Bajuwarenniederlassung, beurkundet seit

782. Bis in das 18. Jahrhundert waren im Reichental bei Ober-

sendling die Ruinen der Burgen sichtbar, die das Edelgeschlecht der

Sendlinger dort bewohnte. Auch eine Dingftätte (Gerichtsstätte) ist zu

Sendling gewesen. In Untersendling war das Kloster Benediktbeuren

begütert, dessen Besitzungen im 30 jähr. Krieg verheert wurden; ferner

besaß das Gotteshaus St. Martin in Ottendichl den „Diftelhof",

aus dem dann ein adeliger Sitz und später der heutige VergnügungS-

ort Neuhofen wurde. Jahrhunderte lang gehörte Sendling zur Pfarrei

Thalkirchen, doch hatten Mitter- und Untersendling schon 1315 eigene

Kirchen mit Freithöfen umgeben. Das alte Margarethenkirchlein und

sein Freithof sind Schauplatz der Sendlinger Mordweihnacht gewesen.

Ein grauer Christtag, der heranzieht am Ende des schicksalsvollen

Jahres 1705. Die letzten Hausen der Oberländler, deren Sturm auf

die Stadt München mißlungen ist, haben sich hinaufgeflüchtet nach

Sendling. Die Kaiserlichen unter General Kriechbaum halten sie in

weitem Bogen umschlossen; sie sind umstellt wie jagdbares Wild. Ein

Versuch, durchzubrechen, wäre vergeblich; er würde so viel bedeuten,

wie gewissen Tod. Das verschneite, vereiste Land ringsum ist bereits

bedeckt mit Verwundeten und Toten, die gefallen sind auf dem Rückzug

vom Jsartor bis Untersendling. Die noch Lebenden haben keine Wahl

als zu sterben oder sich zu ergeben.

Die Mehrzahl wählt den letzteren Weg; denn es ist Pardon ver-

heißen worden, unter der Bedingung, daß die Waffen sofort gestreckt

würden. Sie tun wie ihnen geboten ist, drängen hinaus auf das freie

Feld, werfen die Waffen von sich und sich selber auf die Knie." Die

Rosenkränze haben sie herausgezogen, winden sie um die Hände, die sie

aufheben zum Beten, zum Bitten — —

Eine Salve kracht. Geknatter und Geschrei — Geröchel. Dann

heißt eö: „Wer noch lebendig ist, stehe auf!"

„Und wie die erste Salva vorbey,, — so lautet ein zeitgenössischer

Bericht — „hat man gleich wieder Salva gegeben und türkisch um-

gemetzgert, bis 1100 Mann auf dem Platz geblieben". Reiter und

Fußvolk stürzen über die Wehrlosen her, mit Schüssen und Säbelhie-

ben. Das Morden setzt sich fort in die Dorfhäuser, auf den Friedhof,

in die Kirche hinein, wohin immer die noch Überlebenden sich zu bergen

suchen. Wie der damalige Pfarrer von Sendling, Simon Schoyer, drei

Tage später an den Fürstbischof berichtete, „hat man auch das Gottes-

haus nit verschont, diseö mit bluetvergießen, und beraubung der hinein-

geflichten Bauern profanirt, auch ... die dreh Sendling sammt Thalkir-

chen schröcklich beraubt, allen Bauern, Söldner und Tagwerkher all ihr

Geld, Fahrnuß und Vich, wie auch mir über die 700 fl. bares Geld,

auch alle meine Pferdt hinweggenommen." —

Die Pfarrkirche und ihre unmittelbare Umgebung waren Schauplatz

des letzten Verzweiflungskampfes. Erst hatten die Bauern nach Ge-

meinden zusammengeftanden, jetzt drängten sie durcheinander, wie wilde

Tiere wehrten sie sich. Nach der Überlieferung kämpfte inmitten des

verlorenen Haufens der SchmiedbaltheS von Kochel nebst seinen Söh-

nen. Reckenhaft stand er, schwang seinen Morgenstern, bis er selbst

zu Tode getroffen niedersank. Die geschichtliche Forschung hat keinen

Schmied von Kochel gefunden, wohl aber festgestellt, daß ein Schmied

Balthasar (BaltheS) Riesenberger von Bach im Mangfalltal, Pfleg-

amt Vallei, an jenem 25. Dezember sein Leben bei Sendling ließ. Viel-

leicht half eben sein Schreibname dazu, ihn im Andenken der späteren

Geschlechter überlebensgroß darzustellen.

Die Wenigen, die dem Blutbad entrannen, wurden auf Leiterwägen

in die Stadt geschafft, zum Gefängnis, zur Folter, zum Tode — sofern

sie nicht vorher aus Mangel an Hilfe ihren Wunden erlagen.

Vier äußere Denkzeichen mahnen an die Sendlinger Mordweih-

nacht. Auf dem südlichen Friedhof der eiserne Weihbrunnkessel, den

König Ludwig I. stiftete zum Gedächtnis der 682 Oberländler, die dort

ruhen. Ferner der von Geheimrat Philipp Zwackh errichtete Denkstein

* 173 *

* 172 *

auf dem Hügel des alten Sendlinger Friedhofes, der drei- bis vierhun-

dert jener Tapferen deckt — und am Untersendlinger Kirchlein das

Freskogemälde Lindenschmitt's, das deren letzten Kampf verherrlicht.

Gegenüber von Kirche und Kirchhof aber erhebt sich seit neuer Zeit

das eherne Brunnen-Denkmal des Schmiedbalthes mit dem Hammer

in der Faust, als die Verkörperung des mannhaften opferbereiten

Volkswillens, der sich gegen Unrecht mutig zur Wehr setzt, und dem

das Leben nicht als der Güter Höchstes gilt. Außerdem bewahren das

Andenken des Schmieds und seiner heldischen Mitkämpfer die Straßen

Sendlings, welche die Stadt München sämtlich nach Jenen und nach

ihren Heimatorten benannt hat.

Neuhausen und der Winthirstein

Weil Neuhausen — wohl im Gegensatz zu der älteren Ansiedlung,

die schon bestand, heißt es hier „bei den neuen Häusern" — bis vor

einem halben Jahrhundert eine Filiale der Pfarrei Sendling war

(gleich Schwabing) soll in diesem Zusammenhang von ihm berichtet

werden. —

Nahe dem heutigen Rotekreuzplatz steht, ein Wahrzeichen, daß hier

ehemals das kurfürstliche Jagdgehege begann, das kleine halbverfallene

Jagdschlößchen des Kurfürsten Karl Albrecht, das durch sein verblaßtes

Freskogemälde noch fetzt die Augen auf sich zieht. Schräg über davon

ragt ein schlichtes Brunnendenkmal: auf romanischer Säule ein Mann

im Reisegewand, mit treuherzig frommer Gebärde an ein Saumtier

gelehnt. Das ist der selige Winthir.

Ursprünglich hieß eö: der fromme Mann, der als ein Säumer an den

Strand der Isar gekommen, sei aus edlem fremdländischen Geschlechte

gewesen und hierher eingewandert, um in dem zum Teil noch heidnischen

Niuwenhusir (Neuhausen) das Evangelium zu predigen. Wahrschein-

lich hing er irgendwie zusammen mit den irisch-schottischen Mönchen,

die im siebenten Jahrhundert schon und zwar meist als scheinbare Händ-

ler, Säumer, Kaufleute, die Lande durchzogen und den Glauben ver-

breiteten. Das Vorhandensein einer Handelsstraße, wie es die von

Reichenhall herkommende, über die Isar, Munichen und Pasing nach

Augsburg führende Salzstraße war, bestimmte naturgemäß den Gang

solcher Glaubensboten. Winthir, dessen Auftreten in das achte Jahr-

hundert fallen dürfte, baute sich, wie die Legende berichtet, eine ein-

fache Klause hier zwischen den Angern und verbrachte darin sein Leben

mit Gebet und Werken der Wohltätigkeit. Sogar von Wundern, die

er gewirkt habe, meldet die Überlieferung. Da er starb, wurde er an der

* 174 *

Kirchenmauer bestattet in einem steinernen Sarge, unter dem Wehkla-

gen des ihn verehrenden Volkes. Als anno 1600 die Neuhauser Kirche

vergrößert werden sollte, ward an der bezeichneten Stätte gesucht, und

wirklich fand sich der Steinsarg mit Winthirs Gebeinen. Nun wurde

die Wand der Epistelseite weiter hinausgerückt, sodaß WinthirS Gruft,

über der später ein Altar sich erhob, in das Innere der Kirche zu liegen

kam. Außerdem stand jahrhundertelang an der Wendlstraße in Neu-

hausen ein Stein, die sogenannte Winthirsäule, die vermutlich nur ein

Markstein war, dem Volke aber als Wahrzeichen galt, daß hier die

Klause stand, wo Winthir wohnte und predigte. Der Winthirstein, wie

die Säule auch hieß, war lange Zeit ein Ort beständiger Andacht: in

irgendwelcher Not und Bedrängnis flüchteten die Beter dorthin. Es

hieß auch: durch Winthirs Fürbitte seien die Fluren umher von allen

Hagelschlägen und sonstigen Wetterschäden verschont geblieben. Einmal

soll ein reicher Bauer, der zu Neuhausen wohnte, es doch erlebt haben,

daß ein Hagelschauer zerstörend über seine Felder ging; da hätte der

Betroffene, der ein großer Geizkragen war, auf den seligen Winthir,

als auf einen Betrüger, furchtbar gelästert und geflucht, sich auch daran

gemacht, aus Rache den Winthirstein umzustürzen. Mit Hacke und

Spaten ging er ans Werk, aber ein Blitz traf ihn, daß er tot an der

Stelle seines Frevels niederfiel.

Im 18. Jahrhundert fanden regelmäßig zu Neuhausen feierliche

Winthirprozessionen statt unter Beteiligung einer großen Volksmenge,

zuweilen auch des kurfürstlichen Hofes, denn feit 1715 gehörte die freie

Hofmark Neuhausen zum Besitz der Wittelsbacher. Unter ihren frühen

Eignern befanden sich, außer den Bischöfen von Freising und später dem

Augustinerkloster zu München, zwei seitliche Abkömmlinge des herr-

schenden Hauses, Herzog Sigmunds natürliche Söhne: Hans und

Sigmund Pfattendorfer. Eines der größten höfischen Feste hat übri-

gens in Neuhausen seinen Anfang genommen: die Hochzeit Wil-

helms V. mit Renata von Lothringen. Hier im Dorf waren die beiden

Gezelte geschlagen, wo am 21. Februar 1568 die feierliche Einholung

der hohen Braut geschah. Herzog Wilhelm, der Bräutigam, von einem

glänzenden Geleite umgeben, geführt von seinem Vater, Albrecht V.

und dem Großmeister des Deutschordens, traf zuerst ein, harrte im

Bräutigamszelt der Braut, die von Dachau herannahte, ebenfalls mit

stattlichem Gefolge. Sie begab sich zunächst in das noch leere Gezeit,

dann trat sie hinaus, und zwischen den zwei Zelten begegnete sich das

Paar zur Begrüßung. Darnach, unter Geschützdonner und Glockenge-

läute, wogte der Zug in die Stadt, nach der Kirche Unserer l. Frau,

wo das De Oeum gesungen ward.

Solche Pracht hat Neuhausen später nimmer gesehen, nur etwa einen

* 175 *

Abglanz davon, wenn der Kurfürst hier mit seinen Begleitern eine

Rast vor oder nach der Jagd hielt. Auch den Kreuzgängen zu Ehren des

seligen Winthir machte der Beginn des 19. Jahrhunderts ein Ende.

Doch wurde die Säule, die seinem Andenken galt, noch im Jahre 1873

erneuert und erst, als der wachsende Verkehr in dem großgewordenen

Orte ihre Entfernung ratsam erscheinen ließ, an die westliche Mauer

des Friedhofes versetzt. Damit eS aber nicht etwa heiße: Aus den

Augen, aus dem Sinn — steht dafür WinthirS neues Denkmal

am Eingang der Vorstadt Neuhausen, nahe dem Hause des Roten

Kreuzes, wo die Werke der christlichen Nächstenliebe unabläffig geübt

werden.

Die Entstehung von Thalkirchen

Als Herzog Stephan, zubenannt Fibulatus, mit den Augsburgern

in Fehde lag, da haben ihm vornehmlich die tapferen Grafen und

Gebrüder Christian und Wilhelm von Frauenberg Beistand getan.

Es war ihm aber, trotz solcher Hilfe, das Kriegsglück nicht immer hold,

und die Fehde war gar lang und blutig. Anfang des Jahres 1372 zog

der Herzog mit seinem Volk an der Würm entlang, da sperrten die

Kriegsknechte derer von Augsburg ihm in großer Zahl den Weg. Weil

die Feinde die mehreren waren, blieb dem Herzog und seinem Haufen

nichts, als sich zurückzuziehen. Graf Christian von Frauenberg hatte

den Auftrag, den Rückzug zu decken und führte ihn mannhaft aus,

geriet aber dabei in große Not, denn die Feinde drängten ungestüm

hinterdrein, und die kleine herzogliche Nachhut befand sich unversehens

eingeklemmt zwischen die feindliche Reiterei und die reißende Isar bei

Thalkirchen. Da mochte der tapfere Graf Christian gedenken, daß Gott

die Kinder Israel glücklich durch das rote Meer geführt habe, während

ihre Verfolger ertrunken seien. Also rief er Gottes Hilfe an und gelobte,

wenn ihnen hinübergeholfen würde, an dieser Stelle eine Kirche samt

Kloster zu Ehren der Gottesmutter zu erbauen. Darauf sprengte er

beherzt mit seinen Reitern in die Isar hinein und durchschwamm sie

glücklich, ohne daß Einer von ihnen umS Leben kam. Die nachsetzenden

Feinde aber ertranken. Seinem Gelöbnis treu, ließ der Graf Christian

alsbald die Kirche erbauen, hatte auch die Absicht, ein Kloster dabei

zu errichten. „Als er" — so meldet ein Chronist — „darnach anno

1396 mit Pfalzgraf Rupprecht auch anderem Bayerischen Adel König

Sigmund von Ungeren wider die Türken zuzogen, soll er endtlichen

Vorhabens gewest seyn, auf seine Wiederkunft das Kloster vollends

zu bauen, derhalb auch etlich Geld verordnet, aber er ist daselbst sammt

vielen anderen umbkommen in der Schlacht bei Nikopolis, 26. Sep-

tember 1396." So weit die Meldung, die auch durch zwei alte Ver-

löbnistafeln in der Wallfahrtö- und Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt

zu Thalkirchen bekräftigt wird. Das eine Bild zeigt den Vorgang,

wie der Graf mit den Seinigen die Isar glücklich übersetzt, während

die feindlichen Krieger verdutzt und enttäuscht am jenseitigen Ufer Zu-

rückbleiben. Das Gemälde pflegt große Befriedigung bei den Betrach-

tern hervorzurufen, weil die feindlichen Kriegsknechte „gar so dumm

schauen", wie einmal eine Kirchenbesucherin sich ausdrückte. Die. zweite

Votivtafel zeigt eine Jsarlandschaft mit der bereits im Bau befind-

lichen Gnadenkirche, im Vordergründe den Grafen Christian, dem der

Baumeister den Plan des Gotteshauses überreicht. Das erste Gemälde

hat eine erklärende Aufschrift in Prosa; die des zweiten Gemäldes

'lautet: „Dies Gotteshaus im schönsten Flor 1 Stieg 1372 hier empor 1

Durch Grafen von Frauenberg, als er hier war 1 Mit seinen Kriegern

i» Gefahr.1 Es wurde erbaut zur Muttergottes Ehr'1 Weil sie mit Sieg

gekrönt das bayerische Kriegesheer."

Urkundlich erwiesen ist aber, daß allerdings Graf Christian der

Frauenberger diese Kirche hat erbauen lasten und daß er im Falle

seiner glücklichen Rückkehr aus dem Türkenkriege einen halben Dom

gelobte. Doch hat offenbar einzig seine Frömmigkeit ihn zum Kirchen-

bau bewogen, während die Erzählung von der glücklichen Errettung

aus Feindeshand und aus den Fluten der Isar nur schöne Sage ist.

Besonders verdienstlich haben sich, nachdem 1632 die Kirche von

den Schweden arg verwüstet worden, ihrer die kurfürstlichen Hof-

musiker Münchens angenommen, indem sie 1656 zusammentraten und

einen frommen Bund schloffen mit der Absicht, für den Schmuck des aller

Zierde beraubten Gotteshauses Sorge zu tragen und daselbst den

Frauendreißiger durch ihr Zusammenwirken möglichst feierlich zu be-

gehen.

Aus diesem Bunde entwickelte sich das jetzt noch bestehende „Ma-

rianische Ehr- und Zierbündnis". Von innen und außen gänzlich

erneuert, ist die ehemals gotische Kirche in ihrer heutigen Gestalt voll-

kommen eine Schöpfung des 18. Jahrhunderts.

Wo von Kirchenschmuck und vom achtzehnten Jahrhundert die Rede

ist, darf billigerweise Maria Einsiedel nahe Thalkirchen nicht un-

erwähnt bleiben und zwar um der Brüder Asam willen, die 1763 die

Kapelle dort erbauten, in Erinnerung ihrer vorhergegangenen Arbeit

an der gleichnamigen berühmten Wallfahrtskirche in der Schweiz. Das

Landhaus, das sie sich selbst neben der, jetzt abgebrochenen, Kirche ge-

schaffen, mit ehemals reichem äußeren Schmuck, ist als Gasthaus noch

erhalten.

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Die Birg bei Hohenschäftlarn

Auf der Straße von Wolfratshausen her nach Schäftlarn hat einst

vielhunderifacher rüstiger Männertritt gedröhnt: als die Oberländler

von Tölz, von Benediktbeuren, von Starnberg sich sammelten zur Be-

freiung Münchens von der österreichischen Zwangsherrschaft. Zu Hohem

schäftlarn und Kloster Schäftlarn war der Sammelplatz in jenen ver-

hängnisvollen Dezembertagen 1705; von hier zogen die vielen Tapferen

in Kampf und Tod. —

Östlich von der Ortschaft, jenseits der Landstraße, führt durch den

Wald der Fußweg von Schäftlarn nach Baierbrunn. Zwischen den

Stämmen wölben sich keltische Hochäcker; aus keltischer Zeit stammte

wohl schon das verschanzte Lager, das hier oben über der Isar lag.

Die Römer kamen ins Land, bauten die Birg aus als Kastell mit

Wällen und Gräben, benützend, was vorher war und was die Natur

hergab. Ein bayerisches Rittergeschlecht späterer Zeit machte seine Burg

daraus. Von ihrem Ende handelt die Sage, die hier, an der Stätte

uralter Vergangenheit, lebendig ist:

In der Birg wohnte ein Ritter, namens Sachsenhäuser; er war

der Sohn eines Tyrannen, welcher die Leute erschoß, wenn sie auf

Flößen auf der Isar herabfuhren. Die Birg wurde einst belagert,

konnte aber nicht genommen werden, bis eine alte Frau von Baierbrunn

den Belagerern den Rat gab, das Waster abzugraben. „Gebt," sagte

sie, „einem Roß drei Tage lang kein Waster, dann wird es die Quelle

finden." Die Belagerer befolgten den Rat: das dürstende Pferd

scharrte und fand die Quelle; da wurde an dieser Stelle die Wasser-

leitung der Birg abgegraben. Die Belagerten hatten kein Wasser

mehr und mußten sich ergeben. Der besiegte Sachsenhäuser zog in das

Kloster Schäftlarn, um dort bußfertig zu enden. Am Jahrestag, da

solches geschehen, nämlich am Tage Pauli Bekehr, haben vormals die

Klosterherren ein Erinncrungsfest gefeiert: sie hielten am Vormittag

in der Kirche einen Gottesdienst ab, darnach ließen sie drei Banzen

Bier für die armen Leute laufen und teilten Hefennudeln an sie aus.

Die Alte aber, die den Rat gegeben hatte, mußte nach ihrem Tod

geistern und ist als „Birgweibl" Vielen erschienen. Sie ist von kleiner

Gestalt, schlecht gekleidet; auf dem Kopf trägt sie einen Strohhut, in

der Hand einen Stock und einen Korb. Wenn sie von der Birg weg-

ging, und es begegnete ihr jemand, dann fragte sie jedesmal um den

Weg nach Baierbrunn; ging sie aber gegen die Birg zu, so fragte sie,

wo der Weg nach Schäftlarn geht. Aber sie kam niemals weder dahin

noch dorthin, denn sie ist in die Grenzen der Birg gebannt und kann

darüber nicht hinaus.

Wolfratshausen

a) Vom seligen Konrad Nantwein

Um das Jahr l 286 kam ein Pilgrim mit Namen Konrad Nantwein

nach Wolfratshausen, der wollte gen Rom wallfahrten gehen. Der

Richter dort war aber ein ungerechter und habgieriger Mann; dem

stand der Sinn nach dem Reisegeld des Pilgers. Darum ließ er ihn

durch falsche Zeugen einer schändlichen Tat verklagen, in den Kerker

werfen und nach gefälltem Spruch den Feuertod erleiden. Das Urteil

ward dem Pilger auf dem Gerichtsplatz der Burg Wolfratshausen

angekündigt. Als er nun — so meldet die Sage — von den Schergen

befragt worden, wo er seinen Geist aufgeben wolle? da hätte er den

Knopf seines Pilgerstabes gelockert und gesagt, wo der beim Hinweg-

schleudern niederfalle, dort wolle er gerichtet sein; darauf habe er den

Knopf des Stabes mit Macht hinausgcschleudert und wo dieser nieder-

gefallen, sei er verbrannt worden.

Noch andere erzählen, daß er nicht verbrannt, sondern auf einem

glühenden Rost zu Tode gemartert worden sei; und das wäre im

sogenannten Deisenbergerhaus geschehen.

An der Stelle aber, da Nantwein den HenkerStod erlitten hatte oder

(wie Etliche sagen) da er verscharrt worden war, geschahen mannig-

fache Wunderzeichen, aus denen die Unschuld des Gerichteten offenbar

ward. Alsbald strömten von allerwärtS die Andächtigen herbei, und schon

nach wenigen Jahren ward die Verehrung des Seligen eingeführt und

erlaubt. Uber derfelbigen Stätte erhob sich später die Wallfahrtskirche

St. Nantwein (geweiht dem hl. Laurentius), etwa zwanzig Minuten

von Wolfratshausen.

Im Deisenbergerhaus wurde noch lange das Gewölbe gezeigt, wo

Konrad Nantwein eingekerkert gewesen. Als ein früherer Besitzer des

Hauses, seines Zeichens ein Schloffer, die Kelten, an denen der Selige

gelegen hatte, wissentlich verarbeitete, soll er drob närrisch geworden

sein. Das hölzerne „Pilgramsflaschl" und die in Silber gefaßte Hirn-

schale des seligen Nantwein wurden lange Zeit mit großen Ehren auf-

bewahrt; und an seiner Kirchweih wurde noch im 17. Jahrhundert

den Wallfahrern Wein aus dem Fläschchen gereicht. I860 jedoch wurde

beides angeblich nach London verkauft.

b) Vom Ga st abudl

Der Gafteigpudel ist ein Gespenst, das sich allnächtlich um die

Geisterstunde auf dem Gasteig bei Wolfratshausen umtrieb. Es hat

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das Aussehen eines kohlschwarzen Pudels von mittlerer Größe mit feu-

rigen Augen; wie etliche behaupten, schleift er eine lange feurige Kette

nach sich. Aus der Schlucht zwischen dem Schloßberg und dem anderen

Bergl, an dem die Münchner Landstraße hinanführt, kommt der

Gasteigpudel oder — mit dem Volksmund zu sprechen: Gastabudl -

hervor, klimmt das Bergl empor und erscheint auf der Straße. Gar

manche wissen vom Schrecken zu erzählen, den er ihnen eingejagt;

zumal in den Erinnerungen alter Floßknechte, die sich auf dem Heim-

weg von München verspätet und bei später Nacht erst den Gasteig be-

schritten hatten, spielte der Gastabudl eine Hauptrolle.

Einmal aber gingen mehrere Wolfratshauser Bürger von Starn-

berg spät nach Hause: es war stockfinster, und sie nahmen daher in

Dorfen eine Laterne zu leihen. Wie sie auf den Gafteig kommen, läuft

etwas vor ihnen in einiger Entfernung her, schwarz und vierfüßig,

ähnlich einem Hund. „Aha!" riefen sie durcheinander. „Dös iS meinoad

da Gastabudl!" — „Nacha is's also wirkli wahr?" — „Den müaß

'ma derlösn!" Also Huben sie den bekannten frommen Spruch an:

„Alle guten Geister loben Gott den Herrn; sag an, Geist, was ist dein

Begehrn?" — Aber das schwarze Ding lief dahin, redete und deutete

nichts; die Bürger, mit ihren Stöcken und der Laterne, liefen mutig

hinterdrein. Wie sie am Fuß des Bergls angekommen sind, verschwindet

das Gespenst — haft du nicht gesehen? — in einem Hof, der zu einem

Hause gehört. Da haben es die Männer endlich erwischt, und siehe: eS

war ein friedlich grunzendes Schwein! und die Frau vom Haus rief

aus dem Fenster: was denn los sei? ob sie ihr vielleicht die Sau mehgern

wollten mitten in der Nacht? — Da zogen die Wackeren beschämt

davon.

Trotz dieser mißglückten Erlösung muß aber der Gastabudl endlich

Frieden gefunden haben; denn man hört schon lang nichts mehr von ihm.

Maria Eich

„Es hielt einstmals der Kurfürst von Bayern in den Wäldern um

Planegg eine große Hofjagd ab. Dabei ging es laut und wild her und

wurde von den Jägern, Hofherren und Rittern manch ein edles Wild

zur Strecke gebracht. Da ersah der Fürst selber von ferne einen prächti-

gen Hirschen mit mächtigem Geweih, so stattlich, wie er meinte, noch

keinen erblickt zu haben. Asbald ward auf diesen Jagd gemacht: die

Schar der Jäger und die Meute der Hunde war hinter ihm drein,

aber der schnellfüßige Hirsch floh allen weit voraus. Plötzlich gewahrten

die Verfolger, wie der Hirsch bei einem großen Eichbaum stehen blieb,

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sich an den Stamm hindrückte und unverwandt an ihm emporschaute.

Der Kurfürst mit seinem Jagdgefolge nahte heran, allein das edle Tier

blieb ruhig stehen. Als sie nun zu dem Eichbaum hinkamen, sahen sie

oben daran ein Bildnis der allerseligsten Mutter Gottes befestigt, wie

wenn es droben gewachsen wäre. Der Fürst, ergriffen und gerührt,

schenkte dem Hirschen, der seine Zuflucht zu der Himmelsherrin ge-

nommen hatte, Leben und Freiheit. Um den Eichbaum herum aber ließ

er ein Kirchlein nebst einer Klausnerhütte erbauen."

So meldet die Sage. Richtig ist, daß ein frommer Knabe aus

Planegg in einem hohlen Eichbaum ein tönernes Marienbild aufstellte

und häufig davor betete, auch daß solche Andacht von anderen Nach-

ahmung fand. 1743 ward ein Kapellchen über dem Baum erbaut und

fünfundzwanzig Jahre später zur heutigen Kapelle umgemodelt. 1809

fuhr während des Gottesdienstes ein Blitz in den Baum, ohne jedoch

das Gnadenbild zu beschädigen. Darnach ward der zerspellte Baum

bis auf den Strunk abgesägt, doch steht das wundersame Marienbild

noch dort über dem Tabernakel und ist Gegenstand hoher Verehrung

von allen den vielen Wallfahrern, die jahraus jahrein den Gnadenori

Maria Eich besuchen. Eine große Zahl von Votivtäfelchen, die an den

Wänden des Kirchleins aufgehängt sind, kündet den Dank für göttliche

Hilfe und Gebetserhörung. An der Außenwand ist auf einer Tafel der

wirkliche Hergang jenes Jagdabenteuers gemalt zu sehen. Das begab

sich am 12. Oktober 1775, dem Namenstage des Kurfürsten Max III.

Joseph, folgendermaßen: Der von kurfürstlichen Jägern gehetzte Hirsch

war endlich gestellt worden, dicht bei der Kapelle, an die er sich nun

zitternd hinschmiegte. Der Kurfürst, als ein inbrünstiger Verehrer der

Gottesmutter und zugleich ein besonderer Tierfreund, ehrte das Asyl

des Hirschen, wie die Verse unter dem Bilde verkünden:

„Ein abgejagter Hirsch in seiner vollen Flucht

Hat Schutz und Sicherheit an diesem Ort gesucht.

Und was er hat gesucht, das hat er auch gefunden;

Die Jäger haben sich zu seinem Tod verbunden:

Der Churfürst selber kommt und sieht das Schauspiel an,

Er giebt dem Tiere Schutz und wandte seine Bahn.

O Vater, welcher Preis muß Deinen Namen zieren:

Der beßte kommt Dir zu, bei Menschen und bei Tieren."

* 181 *

Wie Karl der Große geboren ward

(M ühlthal bei Starnberg)

Pippin der Frankenkönig hielt eine Zeit lang Hof auf der Burg

Weihenstephan bei Freising. Da gedachte er sich zu vermählen und ließ

werben um eines mächtigen Fürsten Kind aus Schwaben, die war ge-

heißen Bertha und hoch gepriesen um ihre Schönheit und Tugend. Der

König sandte nun seinen Hofmeister, einen seiner ersten Ritter, die

Braut zu holen; da nahm sie weinenden Abschied von ihren Eltern

und folgte dem Gesandten. Außer ihrem Brautschatz führte sie mit sich

ihr Lieblingshündlein und ihr Wirkzeug, denn im Weben, wie im

Spinnen kam ihr keine gleich.

Der Hofmeister aber war argen Herzens und gedachte, dem König

anstatt der fürstlichen Braut seine eigene Tochter unterzuschieben, die

jener ähnlich sah. Darum ließ er, ehe sie das letzte Nachtlager auf der

Reise hielten, das Gefolge vorauf ziehen und nächtigte mit der ihm

Anbefohlenen und zweien seiner vertrauten Knechte in der tiefen Wild-

nis zwischen dem Würm- und Ammersee. Als Jungfrau Bertha kaum

eingeschlafen war, mußten die Knechte sie ungestüm aufwecken und ins

tiefe Dickicht führen; die Arme folgte ihnen voll Schrecken, gehüllt in

ein schlichtes Gewand, das der Hofmeister ihr anstatt der königlichen

Kleider vor ihr Lager gelegt hatte. Ihr treues Hündchen lief ihr nach.

Da sie zu tiefst im Walde waren, wollten die Knechte sie töten, wie

von ihrem Herrn ihnen geboten war. Aber Bertha bat so flehentlich,

daß die Knechte sich über ihre Jugend und Schönheit erbarmten und

sie leben ließen. Nur mußte sie ihnen mit einem teuren Eide geloben,

daß sie nie wieder in ihre Heimat trachten wollte, auch keinem ihren

Stand und Namen aussagen wollte, noch was ihr geschehen sei. Als

sie das beschworen hatte, töteten die Knechte statt ihrer das Hündlein

und brachten sein Herz und seine Zunge sowie das von seinem Blut

bespritzte Obcrkleid Berthas dem Hofmeister zum Wahrzeichen, daß

sie die Jungfrau umgebracht hätten. Da ward der arge Mann voll

Freude, nahm die königlichen Gewänder Berthas und tat feine Tochter,

die er in der Nähe verborgen hatte, damit an. So führte er sie dem

König Pippin zu. Dem deuchte sie nicht so schön als das Bildnis, das

ihm zuvor von rhr gezeigt worden, doch löste er sein Königswort ein

und nahm die falsche Braut zu seiner Gemahlin.

Die verlasiene Bertha hielt sich in der Wildnis verborgen so lange,

bis bitterer Hunger sie zu Menschen trieb. Sie irrte lange umher, ehe

sie einen Köhler fand, der sie aus dem Walde heraus nach der Reis-

mühle bei Gauting führte; da bat sie den Müller, ihr Obdach zu ge-

* 182 *

währen als einer Magd. Dort iui Hause blieb sie, und es reute den

Müller nicht, daß er sie ausgenommen, denn sie fertigte wunderschönes

Gewirk aus Gold und Seide: das trug der Müller gen Augsburg und

verkaufte es den Händlern um gutes Geld. So schwanden Jahr und

Tag dahin.

Einst kam der König Pippin in jenem Walde zu jagen und verirrte

sich darin, so daß er sein Gefolge verloren und niemand bei sich hatte

als seinen weisen Arzt und Sterndeuter nebst einem Knecht. Zuletzt

fanden sie densclbigen Köhler, der führte sie, wie er Bertha geführt,

zur Reismühle, damit sie dort nächtigten und sich erquickten. Am

Himmel zogen die Sterne auf; der weise Meister blickte empor und

sprach zu Pippin mit Staunen: „Herr, Ihr sollt noch diese Nacht von

Eurer Hausfrau einen Sohn gewinnen, vor dem die Christenkönige

und die Heidenkönige sich neigen." Da sprach Pippin: „Wie kann das

sein? Meine Hausfrau und meine Burg sind weit." Der Sterndeuter

ging noch einmal hin, beschaute das Firmament und sprach: „Herr, es

ist so: Ihr werdet diese Nacht bei Der sein, die Eure rechte Hausfrau

ist und schon lange war." Alsbald bedrängte Pipin den Müller, daß

er sagen sollte, wer außer ihm und den Seinen noch im Hause wäre?

Der Müller gestand zuletzt: es sei schon sieben Jahre bei ihm eine

engelschöne Jungfrau verborgen, die lasse sich vor keinem Menschen

sehen. Da mußte die Jungfrau herfürgehen, und als Pipin sie ansah,

erkannte er, daß sie seinem Weibe glich, aber noch mehr dem Bildnis

der edlen Maid Bertha, das ihm einst gesandt worden. So beschwor

er sie, ihm zu sagen, wer sie sei, denn in den Sternen stehe geschrieben,

daß sie sein ehelich Weib. Darauf schwieg sie und weinte — er aber

gewahrte an ihrer Hand den Brautring, den er ihr durch seinen falschen

Hofmeister geschickt hatte. Alsbald hielt er sich nicht länger, sondern

umfing sie minniglich. Sie aber bat ihn, nicht mehr in sie zu dringen

mit Fragen, denn ihr Mund sei mit dreifachem Siegel geschlossen.

Am Morgen, da er ungern schied, nahm Pippin den Müller beiseite

und sprach zu ihm: „Ich muß nun zu Felde ziehen wider die Sachsen;

pflegt meiner Fraue wohl, und bringt sie mir ein Kind, so sendet mir

Botschaft: einen Pfeil, wenn es ein Knabe, eine Spindel, wenn es ein

Mädchen ist!" Darnach ritt er von dannen.

Während er zu seinem Heereszug rüstete, erstand er von augsburgi-

schen Händlern ein köstliches Geweb für sein KönigSzelt; das war aus

bunten Seiden und Gold gewirkt und stammte von Berthas eigener

Hand. Darauf hatte sie ihre Geschichte dargestellt: wie der Hofmeister

sie aus ihrer Eltern Burg geführt hatte und dann den Mördern über-

antwortet, und wie sie, um das Leben zu behalten, ihnen den teuren Eid

schwören gemußt. Ihr Bild und das des bösen Hofmeisters waren

*

* 183

deutlich erkennbar; und je mehr der König die Schilderei ansah, desto

klarer ward ihm, welche Untat da geschehen war. Sogleich ließ er die

beiden Knechte heimlich zu sich berufen und bedräute sie, bis sie nieder-

fielen und alles gestanden. Da versammelte Pippin seine Räte und

auch den Hofmeister; denen erzählte er die Missetat und fragte den

Hofmeister vor allen, was einem gebühre, der solches verbrochen hätte.

Der Hofmeister erblaßte und zitterte und wollte sein eigenes Urteil

nicht sprechen. Die Räte aber, vor denen der König ihn anklagte, ver-

dammten ihn zum schmählichen Tode. Seine Tochter, die falsche Köni-

gin, ward in strenge Haft genommen, wo sie vor Gram bald hernach

starb.

Pippin aber zog zu Felde, und es währte Jahr und Tag, bis er

siegreich aus dem Sachsenkrieg wiederkehrte. Da kam ihm, als er der

Heimat sich näherte, schon der Müller entgegen und reichte ihm einen

Pfeil, zum Zeichen, daß die schöne Berta ihm einen Knaben geboren.

Da ward Pippin fröhlich und hieß all seine Edlen und Ritter mit ihm

reiten nach der Reismühle, um ihre Königin in Ehren abzuholen. An

der Türe der Mühle bot ihnen Frau Berta Willkommen und reichte

dem König seinen Sohn dar. Und er führte sie und ihr Kind mit

großem Jubel nach Weihenftephan — da wurde sie als Königin gekrönt

und ihr Knäblein getauft und Karl genannt. Also behielten die

Sterne recht, und Karl der Große ward ein Held, vor dem sich

Christenheit und Heidenschaft in Ehrfurcht neigten.

Bucintoro (Starnberg)

Lange Zeit war um den Würmsee herum nichts als Wald und

moosige Aue; Fischer und Bauern wohnten dort. Das Dorf, das am

Rande des Sees mählich entstand, hieß Aheim; die Burg, die es auf

einer Höhe überragte, hieß nach dem Namen ihrer Besitzer, der Edlen

von Starenberg. Sie verarmten und verzogen bald; zu Ende des

14. Jahrhunderts ward das Schloß Eigentum der Herzoge von Bayern.

Herzog Ernst und Herzog Albrecht IV. weilten hier gern. Albrecht V.

ließ im Schloßgarten ein prächtiges „Sommer- oder Fürstenhaus"

erbauen, hatte auch auf dem See eine eigene Luftflotte, darunter „eine

königliche Fregatte, drei Schiffe von Lärchenholz mit eichenen Säulen

darauf, Gondeln nach Venediger Art, alles zierlich geschnitzt, bemalt

und vergoldet". Er fuhr oft auf dem See, geriet einmal (1575) in

das „groß Hagelwetter, das zu Starnberg gewest, hat die leut undt

das Schiff jämmerlich abklopfft, aber dem Herzog, Gott lob, nichts

geschehen." j

Die hohe Zeit für den Würmsee oder, wie er später hieß, den

Starnbergersee, brach jedoch erst an unterm Kurfürsten Ferdinand

Maria, dessen schöne prachtliebende Gemahlin Henriette Adelaide auf

dem See „das größte Vergnügen der Welt" genoß.

Für den Aufenthalt des Hofes am See wurde ein eigenes Prunk-

und Staatsschiff gebaut, von venetianischen Baumeistern, darunter

Francesco Santurini. Als Muster diente ihnen das berühmte StaatS-

schiff, das den Dogen Venedigs an feierlichen Tagen hinaus auf die

Adria trug: der Bucintoro. Aber der jüngere bayerische Namensvetter

übertraf seinen Vorgänger um eines Stockwerks Höhe, wie auch an

Glanz der Ausstattung. Ringsum war das Schiff mit Sirenen, Na-

jaden und Tritonen bemalt; diese Gemälde sowie die in den Kajüten

stammten von Joh. Spielberger aus München. Am Vorderteil schwang

Neptun, auf einem Delphin thronend, seinen Dreizack; ferner war da

der die Himmelskugel tragende Atlas (ein Werk Kaspar Amortö),

sowie im Saal eine Statue des Herkules. Ein giebelförmiger Aufbau

mit zwei vergoldeten Löwen und einer vergoldeten Laterne krönte die

oberste Galerie; eine vergoldete Pallas vom Bucintoro befindet sich

noch im Nationalmuseum, wo auch die Abbildung des Schiffes zu

sehen ist.

Es hatte zwei Segel, wurde aber durch hundert Ruderer, die in die

bayerischen Farben gekleidet waren, hauptsächlich bewegt. Dem prächti-

gen Anblick, den es mit seiner Bemannung und den glänzenden Fahr-

gästen sicherlich gewährte, scheint allerdings die Seetüchtigkeit des

Fahrzeugs nicht völlig gleichgekommen zu sein. Denn bei den auf dem

See sich häufig und jäh erhebenden Winden war es mit seinem Tief-

gang von nur drei Fuß ein hilfloser Spielball für Sturm und Wellen.

Dieser Fehler in der Bauart kam wahrscheinlich von dem irrigen

Glauben an verborgene Felsklippen im See, der schon im 16. Jahr-

hundert bei den ersten Segelschiffen mit Masten, die für den Würmsee

erbaut wurden, sich äußerle. Jedenfalls geriet 1669 der Kurfürst

mit seiner Gattin auf dem Staaisschiff bei stürmischem Wetter in

augenscheinliche Lebensgefahr. Sie hatten samt ihren Kindern auf dem

Wasser, nahe bei Possenhofen, gespeist, als unvermutet der Sturm sich

erhob und den Bucintoro, der obendrein sehr breit war und einen Flach-

boden ohne Kiel hatte, mit größtem Ungestüm hinaus in den hoch-

gehenden See trieb. Zum Glück sah dies vom Gestade der Fischer Georg

Schropp, sprang, da das Schiff gegen seine Behausung getrieben

wurde, bis an den Hals ins Wasser und half den Gefährdeten glücklich

ans Land, wo dann die fürstliche Familie in seinem Fischerhäusl sich

trocknete und bis nach Ablauf des „groben Unwetters" verblieb.

Vermutlich hat der wackre Fischer, dem übrigens sogleich eine Gnade

* 184 *

* 185 *

versprochen ward — er erhielt dann später den „Steurmaifterdienst"

zu Starnberg — im Stillen seine Betrachtungen angestellt über das

Befahren oberbayerischer Gebirgsseen mit venetianischen Prunkschiffen,

und im letzten Herzensgründe hat er möglicherweise den herrlichen Bu«

cintoro für ein „Gelump" erklärt.

Die glänzenden Feste auf dem See nahmen jedoch ihren Fortgang:

es gab Konzerte, Feuerwerke, Tanzbelustigung, Spielpartieen, ja sogar

Hirschjagden auf dem Waster. Hierzu wurde aus den Wäldern bei Berg

der Hirsch aufgescheucht und in den See gesprengt; die Hunde schwam-

men ihm nach. Der Bucintoro und sein Gefolge kleinerer Schiffe waren

in drei Reihen schlachtmäßig aufgestellt; man sah von Bord aus, wie

der gehetzte Hirsch ermattete: schließlich wurde der mit dem Tode Rin-

gende durch einen Schuß oder Partisanenstoß zur Strecke gebracht. —

Eine solche Jagd fand statt im Jahre 1722, als Max Emanuels

ältester Prinz, nachmals Kurfürst Karl Albrecht, sich mit der KaiserS-

tochter Marie Amalie vermählte.

Karl Albrecht, gleich seinem Vater ein besonderer Freund des Starn-

berger Sees, war übrigens der Letzte, der auf dem Bucinioro den

Starnberger See befuhr. Mit ihm nahm die Zeit der Glanzfeste auf

dem See ihr Ende; 1758 ward das Prunkschiff abgebrochen.

Fürstenfeldbruck

a) Ludwig des Bayern Tod

Als der vielgeliebte und vielgeprüfte Kaiser Ludwig schon

sechzig Jahre seines Alters zählte, pflegte er noch körperliche Gebresten,

die ihn befielen, am liebsten durch Bewegung in frischer Luft zu ver-

treiben. Am elften Oktober deö Jahres 1347 spürte er während der

Mittagsmahlzeit Schmerzen im Unterleib; da ließ er sein Roß auf-

zäumen, bestieg es und ritt auf die Bärenhatz gen Fürftenfeld. Da er

hinter dem Dorfe Puch über eine Wiese sprengte, sah sein Gefolge,

dem er weit voraus war, ihn plötzlich im Sattel wanken und vom

Roste herab zu Boden sinken. Etliche Landleute, die draußen arbeiteten,

liefen erschrocken hinzu; in den Armen eines Bauern verschied der

Kaiser. Seine letzten Worte waren: „Süße Königin, unser Frau, bis

(sei) bei meiner Scheidung!" Als die Seinen herbeieilten, war er schon

tot. Der Anger, da dies geschehen, wird noch heute die Kaiserwiese

genannt. An der Stelle, wo der Kaiser starb, wurde ihm zum Ge-

dächtnis eine kleine Kapelle erbaut; nachmals verfiel sie, und heute steht

dort ein Gedenkstein in Pyramidenform aus Ettaler Marmor.

„Am andern Tag nach dem Tode des Kaisers" — so meldet die

Überlieferung — „ist geschehen in einem Kloster zu StamS — (andere

sagen: bei den Patres Franziskanern zu München) — daß ein überaus

frommer und andächtiger Pater den Gottesdienst vollbrachte und Meste

las. So er nun gekommen war bis auf die heil. Wandlung, schwieg er

eine kleine Zeit gar still, darnach sprach er zu deutsch dreimalen: ,O wie

weh ist dir, und wird dir doch schier wohl bester!' Nach diesen Worten

vollbrachte er sein Amt und wandelte. Auch so er wollte genießen das

hochwürdige Sakrament, verzog er abermals eine kleine Zeit und

schwieg still. Darnach sprach er, wie vor, in deutsch zu dreimal: ,O wie

weh ist dir, und wird dir doch schier wohl bester!' Nach dem genoß er

das heil. Sakrament. Das alles vernahm der Altardiener, und so

die Meß vollendet war, fragte der Diener gar demütiglich den Priester,

was er doch mit den deutschen Worten, die er in dem Amt der Meß also

gemeldt, gemeint oder angezeigt hätte. Antwortete ihm der Priester

und verkündt ihm, wie Kaiser Ludwig gestorben und ihm in der Meß

fürkommen in großer Pein, aber doch daraus erlöst worden sei. Daraus

männiglich mag merken, daß er ist in den Gnaden Gottes des All-

mächtigen."

b) D i e heilige Edigna zu Puch

Die Jungfrau Edigna war eines mächtigen Königs Tochter aus

Frankenreich. Ihr Vater wollte sie einem reichen Fürsten vermählen;

sie aber mochte keines Mannes fein, denn sie hatte sich Gott allein

gelobt und diente ihm mit Fleiß. Sie hatte einen Hahn, der weckte sie

in aller Frühe durch sein Krähen, da stand sie alsbald auf und betete

und rief mit einem silbernen Glöcklein auch ihre Gespielinnen zum

Gebet. Ihr Sinn aber stand nach der Einsamkeit, und sie sehnte sich

weit hinweg vom Prunk des Hofes. Drum lag sie ihrem Vater an mit

Bitten, bis daß er sie ziehen ließ. Und zog aus auf einem schlechten

Wagen, davor zwei Ochsen gespannt waren, und nahm nichts mit sich

als ein härenes Gewand, ihren Hahn und ihr Glöcklein. Sie vertraute

aber, daß Gott ihr den Ort anzeigen werde, wo sie fürder bleiben sollte;

wenn sie dahin gelangte, sollte ihr Hahn krähen und die Glocke von

selbst läuten — dies Zeichen hatte sie von Gott erbeten.

So fuhr sie viele Tage und kam in deutsches Land, dahin, wo die

Bojoaren hausten. Durch ein waldiges Tal fuhr sie, darin ein schönes

grünes Waster floß, die Amper geheißen. Von dem langen Weg aber

ward die Fürstentochter müde und schlief ein. Da war ihr, als hätte der

Hahn gekräht und das Glöcklein geläutet; sie wachte auf und fragte

ihren Fuhrmann, ob er nicht den Hahn hätte krähen und die Glocke

läuten hören? Der Fuhrmann sprach ja und wies ihr die Statt, wo

* 187 *

* 186 *

beides geschehen sei. Das war an einem Hügel, der heute zum Dorf

Puch gehört, und es stand eine hohe dickstämmige Linde darauf. Da

hieß Edigna den Fuhrmann umkehren nach der Stelle — denn sie

waren schon vorbeigefahren — und stieg ab an dem Hügel und sandte

den Wagen hinweg. Wie sie zur Linde schritt, fand sie den einen der

zwei Hauptäste hohl; darin machte sie sich ein Bette von Moos und

wohnte dort fünfunddreißig Jahre und diente Gott mit Gebet und

Bußübungen. Das Volk umher aber hielt sie in hohen Ehren, denn sie

tat allen Gutes und spendete Rat und Trost jedem, der zu ihr kam,

verkündete oft auch verborgene und zukünftige Dinge. Morgens und

abends läutete sie ihr ■ Glöcklein, um die Waldleute zum Gebet zu

mahnen. Sie lebte nur von Wurzeln, Kräutern und Milch; die Milch

erhielt sie aus einer Schwaige, die unweit des Berges stand, denn das

Dorf war noch nicht da.

Einmal kam ihr Vater aus Frankenreich dahergefahren, der hatte

Sorge, wie es seinem Kind etwa erginge in der Wildnis und fragte,

ob sie nicht wieder heimkehren wollte mit ihm. Aber die heilige Edigna

mochte nichts mehr wiffen vom Glanz der Krone und bat, daß er sie

laffen sollte, wo sie Frieden gefunden. Da gab er sich drein, und sie

blieb wohnen in der Linde, bis sie selig verstarb, zu großer Trauer des

Landvolks umher, das den heiligen Leichnam an selbiger Stelle be-

stattete. Aus der Linde floß hernach ein heilsames Öl; aber als geizige

Menschen es um Geld verkaufen wollten, vertrocknete es alsbald.

Darnach, da sich immer mehrere dort angesiedelt hatten und ein

Kirchlein erstand, wurden die seligen Gebeine erhoben und in das

Kirchlein verbracht, wo auch EdignaS Glocke lange Zeit gezeigt ward.

Zahlreiche Votivbilder, sowie wächserne Abgüsse von Gliedern und

Tieren bezeugen das Vertrauen, das die Umwohner in EdignaS Für-

bitte setzen. Bei Viehseuchen zumal wird sie häufig angerufen. Die

Linde ist heutzutage umfriedet, und darin steht eine zierliche Bildfigur

der heiligen Edigna. Zwischen den Zweigen sind kleine Engel an-

gebracht, weil in den langen Jahren ihrer Einsamkeit die Heilige von

Engeln bewacht und behütet worden.

Vom seligen Grafen Rasso

Es war zur Zeit der letzten Karolinger ein Graf zu Andechs und

Dießen mit Namen Rathold; das war ein arger Mann und grausamen

Sinnes. Er hatte zur Ehe eine liebholde Frau, Adalona, eine Gräfin

von Hohenwart: an der fuhr er so übel, daß sie, so geduldig sie war,

eS zuletzt nimmer ertrug, zumal da sie noch für ein zweites Leben Sorge

zu tragen hatte. Also floh sie mit Angst und Wehklagen von dannen,

gedachte Schutz zu suchen bei ihrem Bruder, der nicht gar zu weit

entfernt wohnte; denn er war Pfarrherr im Dorf Gerezhausen nahe

von Landsberg. Aber weil sie großen Leibes war, kam sie nur mühsam

vorwärts; und ehe sie noch Gerezhausen und den dortigen Burgstall

erreichte, am Fuße des Burgbergs, wo der Weg von Mühlhausen nach

Gerezhausen führt, ward sie von den Wehen überfallen und genas eines

Sohnes. Fromme Leute brachten die Mutter und das Neugeborene in

das Haus des Pfarrers; da empfing das Kind die heilige Taufe und

mit ihr den Namen Rasso.

Der Kleine ward zuerst bei seinem Ohm aufgezogen und zeigte sich

gar verständig, auch wuchs er gewaltig an Gliedern und Leibesstärke.

Darnach kam er in ritterliche Zucht, und nach der Schwertleite ward

er den deutschen Königen Heinrich und Otto ein tapferer Kämpfer

gegen die heidnischen Ungarn. Dafür wurde er Gaugraf des Husen- und

Ammergaus; auch war seines Vaters Erbe, die Grafschaft Andechs-

Dießen, ihm zugefallen. Weil aber sein Sinn noch eifriger nach den

himmlischen Dingen stand als nach weltlicher Herrschaft, so trug er

große Sehnsucht, die Stätten zu sehen, wo unser Heiland auf Erden

gewandelt; darum geleitete er im Jahre 949 seine Base Judith, die

Gemahlin des Bayernherzogs Heinrich I., auf ihrer Fahrt nach Rom

und Jerusalem. Von da brachte er eine große Menge köstlicher Heil-

tümer mit, die zu sammeln der Papst zu Rom ihm huldreich bewilligt

hatte.

Als der Graf Rasso wiederkehrte von seiner Pilgerfahrt, da tat er

sich der Waffen ab, gedachte nimmer zu Felde zu ziehen, vielmehr still

in der Heimat zu bleiben und durch fromme Werke seine Sünden zu

sühnen. Er besaß die Altenburg bei Andechs; auch die Sonderburg oder

Sünderburg bei Schöngeising, wo vordem die Römer gehaust haben,

soll ihm eigen gewesen sein. Am liebsten aber wohnte er auf der Raffen-

burg beim Dorf Wildenroth, von dem er gesagt haben soll: es liege

ähnlich wie Bethlehem. Das Schloß aber ist sehr groß gewesen, und

die Vormauern sind bis zu dem Turm gegangen, der heute zur Kirche

von Höfen gehört, selbiger Zeit aber ein Wachtturm war. Einmal stand

der Graf Rasso auf den Zinnen seines Schlosses und schaute auf die

Stelle nieder, wo die Amper eine Insel bildet, die sie mit zwei Wasser-

armen umschlingt. Da sprach der fromme Graf: „Dorthin, wo mein

Speer fällt, will ich mir ein Klösterlein bauen." Dieweil er so sprach,

erhob er gewaltigen Armes seinen Speer — andere sagen: seinen

Streithammer — und schleuderte ihn über die Amper hinweg. Der

Speer fiel nieder dort, wo heute das Kloster und die Wallfahrtskirche

zu Grafrath steht. Alsbald begann Graf Rasso den Bau des Klosters

* 189 *

* 188 *

an derselbigen Statt, und da es vollendet stand, übertrug er die Herr-

schaft seines Gaus an seinen Sohn Friedrich. Er selbst aber trat als

Laienbruder in das Kloster, das er gestiftet und weihte sein Leben

fortan dem Dienste Gottes und den Werken der Buße und Mildtätig-

keit, bis er Anno 954 im Rufe der Heiligkeit verstarb.

Das Kloster wurde schon im Jahr nach seinem Tode von den Ungarn

zerstört. Die Heiligtümer, die er aus Jerusalem und Rom gebracht

und dem Kloster vergabt hatte, wurden mit Not noch geflüchtet auf die

Burg Andechs. Es heißt, daß die Ungarn auch das Grab des Seligen

zerstören wollten, aber daß sie, wie mit Blindheit geschlagen, es nicht

fanden. Hernach bauten Rasios Nachkommen eine Kirche über dem

Grab und schenkten sie dem Kloster Dieffen; das Kloster Dieffen, auch

von den Andechsern gestiftet, baute im 17. Jahrhundert an die Grab-

und Wallfahrtskirche ein neues Klösterlein und später die heutige neue

Kirche.

Dort in der Kirche zu Grafrath, das nach seinem Namen also be-

nannt ist, steht des seligen Grafen Grabmal mit seinem Steinbild.

Auf dem Hochaltar werden seine Gebeine verwahrt, woran zu erkennen,

wie stark und mächtig von Gliedern er gewesen ist; um sie zu verehren

und seine Fürbitte anzurufen, kommen noch häufig Wallfahrer dorthin.

An der Stätte aber, da er im Freien geboren worden, unterm Burgsel

bei Gerezhausen, steht eine steinerne Säule, darin eine Tafel, die gleich-

falls das Bild des seligen Rasso und daneben das seiner Mutter zeigt.

Welche von den Anwohnern des Lechrains nach Grafrath kirchfahrten

gegangen sind, die halten, wenn sie vom Grabe Raffos zurückkehren,

ihre letzte Raft und ihre letzte Andacht gern bei seiner Geburtsstatt,

oder sie machen es umgekehrt.

Vom heiligen Berg Andechs

über dem Ammersee ragt er auf, umrauscht von allen Quellen deut-

scher Vergangenheit. Schon zu Karls des Großen Zeit hätte eine

Veste auf dem Berg gestanden; die Sage nennt Burg Andechs als die

GeburtSstätte Ludwigs des Frommen. In ungewissem Dämmer der

Vorzeit verliert sich das Edelgeschlecht, das zuerst hier oben hauste;

einer Überlieferung nach sollen es die tirolischen Grafen von Taur,

deren Hauptsitz zwischen Hall und Innsbruck lag, aus deren Stamm

der heilige Romedius (im vierten Jahrhundert) entsprossen war, ge-

wesen sein. Beurkundete Besitzer von Andechs sind seit AuSgang des

zehnten, Beginn des elften Jahrhunderts nach Christus die Grafen

von Diessen-AndechS.

Die Geschichte dieses Hauses böte Stoff für einen historischen

* 190 *

Roman, sowohl was die bewegten äußeren Schicksale, als die seelischen

Besonderheiten der Andechser betrifft. Zu höchsten geistlichen und welt-

lichen Ehren sind die einen gelangt; blutig und gewaltsam haben andere

geendet. Von dem so mächtigen als frommen Grafen Rasso, dem Sohne

Ratolds und AdalonaS, ist schon erzählt worden. Die Heiligtümer, die

er mit päpstlicher Genehmigung nach Bayern brachte, wurden nach

seinem Tode bei der Zerstörung des von ihm gegründeten Klosters nach

Andechs gerettet; die mitgeflüchteten Mönche von Wörth bewachten

sie, bis später die Mönche von Seeon (auch Kloster Seeon hatten im

IO. Jahrhundert die Ahnen der Andechser gestiftet) dies Amt über-

nahmen. Graf Berthold II., der Begründer des Klosters Dieffen, wird

als erster Stifter eines Klosters auch auf Andechs bezeichnet. Ein vor-

heriger Versuch Bertholds, die Reliquien nach Seeon zu übertragen,

soll daran gescheitert sein, daß die Pferde plötzlich erlahmten. Graf

Berthold ist der Vater der seligen Mechtildis, deren goldene Haarlocke

in die Wetterglocke des Klosters Diessen mit hineingegossen worden wäre

und ihr segnende Kraft verliehen hätte. Als nach der Säkularisation

das wilde Feuer in die Kirche schlug, der Turm abbrannte und die

Glockenmasse glühend herunterrann, sei die Haarlocke der Seligen un-

versehrt zum Vorschein gekommen.

Inzwischen stieg die Machtfülle der Grafen von Andechs so, daß sie

beinahe der der bayerischen Herzoge gleichkam. Nicht nur zwischen Lech

und Isar, auch am Inn, an der Donau, und in Franken, wo die

Plassenburg ihnen gehörte, waren sie begütert, ferner in Burgund,

Italien, Kärnten und Steiermark, Dalmatien und Kroatien. Die letz-

teren Besitzungen wurden als „Herzogtum Meranien" zusammengefaßt.

Herzog von Meranien und Markgraf zu Istrien nannte sich schon Bert-

hold IV., der 1188 starb und dem ein so bedeutsames Geschlecht ent-

sproß. Die älteste Tochter war die hl. Hedwig, Herzogin von Schlesien

und Polen; die andere, Gertrud, ward Königin von Ungarn und

Mutter der hl. Elisabeth; sie starb ermordet. Königin Gertruds

Schicksal ist poetisch behandelt in Grillparzers Drama „Ein treuer

Diener seines Herrn". Tragisch fiel auch das Los der schönen

und fühlsamen Agnes, die von König Philipp II. Augustus von

Frankreich geliebt und zur Ehe begehrt wurde. Als sie einst —

so erzählt die Legende — in der Burgkapelle vor dem den Hoch-

altar schmückenden Kruzifixus um die Erfüllung ihres Herzens-

Wunsches gebetet hatte und darüber in Schlummer sank, wäre ihr im

Traum der Gekreuzigte erschienen und hätte gesprochen: „Kröne mich

mit der Dornenkrone". Bald hernach ward die Vermählung vollzogen,

und Agnes kam nach Frankreich. In Paris aber ward ein großer Teil

von der Dornenkrone des Erlösers aufbewahrt; die hätte der hl. Ger-

* 191 *

manuö im sechsten Jahrhundert dorthin gebracht. Da Agnes das Heilig,

tum sah, gedachte sie an ihren Traum und auch daran, daß schon Lud-

wig der Fromme ihrem Ahnherrn ein paar Zweiglein davon geschenkt

hätte. Mit Erlaubnis des Königs, den sie darum bat, ließ sie durch

einen Benediktinermönch, Isaak aus Seeon, der ihr Begleiter ge-

wesen, sieben Zweige der hl. Dornenkrone nach Andechs bringen. Damit

widerfuhr der Burg und Kapelle großes Heil, aber der Königin Agnes

war in Frankreich kein Glück beschieden. Vielmehr ward ihr die Krone

gleichfalls zu einer Dornenkrone; denn ihr Gemahl, vom Papste ge-

bannt, mußte sich von ihr trennen und seine widerrechtlich verstoßene

Gattin Ingelberga zurücknehmen. Agnes, die - wie es heißt - in

gutem Glauben gewesen, als sie den König ehelichte, starb ein Jahr

nach der Trennung an gebrochenem Herzen.

Wiederholt hatten die deutschen Kaiser auf der Burg Andechs ge-

weilt, Heinrich II-, der Heilige, und Heinrich HL während der Zeit

seiner Minderjährigkeit. Die Gnade der Kaiser vermehrte den Heilig«

tümerschatz der Burg durch die drei wunderbaren heiligen Hostien, die

als päpstliches Geschenk sich zu Bamberg befanden. Da Berthold des

Vierten Bruder, Otto, Bischof von Bamberg war — wie nachmals

Bertholds Sohn, Eckbert — so geht die kostbare Stiftung offenbar

auf bischöfliche Fürbitte zurück.

Inmitten allen Glanzes brach Verderben über Andechs herein.

Heinrich, der Sohn Bertholds IV., ward der Mitschuld geziehen an der

Ermordung Kaiser Philipps (1208) durch Otto von Wittelsbach. Graf

Heinrich, vor dem Kruzifirus in der Schloßkapelle betend, gleich seiner

unglücklichen Schwester Agnes, sah acht Tage lang das Kreuzbild Blut

schwitzen. Wenige Wochen später irrte er geächtet umher; sein Gebiet

aber ward von den Kriegern Herzog Ludwigs I-, des Kehlheimers, ver-

wüstet. Die Mönche auf Andechs vergruben, ehe sie flüchteten, den Re-

liquienschatz; nur jenes Kruzifir nahmen sie mit sich, um es nach Seeon

zu bringen. Unterwegs, bei Forstenried, ward das Kreuz so schwer, daß

sechs Pferde es nicht von der Stelle bewegen konnten. Daraus ward

erkannt, daß hier die Stätte seiner künftigen Verehrung sei. Zwei

Mönche, Isaak und Berthold, blieben bei ihm zurück; bald erhob sich

über dem wundertätigen Kreuzbild von Forstenried ein Kirchlein und

wurde daraus ein berühmter Wallfahrtsort.

Graf Heinrich, der wie fein Ahn Raffo ins heilige Land gepilgert

war, kehrte heim, als feine Unschuld sich erwiesen hatte; doch starb er

bald darauf. Vor seinem Tode noch empfing er den Besuch seiner

Nichte, der heiligen Elisabeth, von der auch das Brustkreuz und ein

Teil ihres Brautkleides, sowie andere Reliquien unter den Kleinodien

des Kirchenschatzes bewahrt werden. Auf der halben Höhe des Berges

* 192 *

Andechs fließt das St. Elifabethenbrünnchen, das durch ihr Gebet

entweder erweckt oder so gesegnet worden sei, daß ihm vielfache Heilkraft

zugeschrieben wird.

Bald nach Heinrichs Hinscheiden wurde die Burg angeblich völlig

zerstört. Das Geschlecht der Andechser jedoch stand in hohen Ehren noch

unter Otto VII., Heinrichs Bruder, der wie der gleichnamige deutsche

Kaiser den Beinamen der Große erhielt, und Otto VIII., beide Herzöge

von Meranien und Pfalzgrafen von Burgund. Mit Otto VIII. starben

die Andechser aus (1248).

Auch die Wallfahrt zu den Heiligtümern auf Andechs schien aus-

gestorben, bis eine blinde Frau von Widdersberg, durch ein Traum-

gesicht ermahnt, hinaufpilgerte, ihre Augen mit der Wurzel eines, aus

den Trümmern des Kirchleins auffproffenden Wachholderstrauches gerie-

ben und alsbald das Augenlicht wieder erlangt hätte. Der wundersamen

Erzählung, wie die Reliquien wieder aufgefunden wurden, ist schon im

Zusammenhang mit dem „Münchner Gnadenjahr" Erwähnung ge-

schehen. Fast vierzig Jahre sind die Reliquien in München verblieben,

und eS heißt: die Münchner hätten sie gerne behalten, wenn nicht

Wunderzeichen sie davor gewarnt hätten, — wie deün jede teilweise

oder ganze Verpflanzung der Heiligtümer auf übernatürliche Art ver-

eitelt worden wäre. Also kehrte 1428 der Schatz nach Andechs zurück,

wo inzwischen die neue Kirche erbaut worden. Herzog Ernst errichtete

bald darnach ein Benediktinerkollegialstift auf dem „heiligen Berg", wie

er von da an hieß. Albrecht III. machte aus dem Stift ein wirkliches

Benediktinerkloster, und 1455 zogen, am Georgitag, die ersten Mönche

aus Tegernsee droben ein. Der „heilige Berg", den Legende und Ge-

schichte so mit unverwelklichery Grün umranken, erlangte und bewahrte

einen hohen Ruf als der berühmteste bayerische Wallfahrtsort nächst

Altötting. Allein im Pestjahr 1465 sind fünftausend Menschen hinauf-

gepilgert. Andechs überstand die Stürme des dreißigjährigen Krieges,

wie es die des spanischen und österreichischen Erbfolgekrieges und

auch die Säkularisation schließlich überwunden hat. Denn nachdem das

Kloster 1803 aufgehoben worden, hat Ludwig I. es neu gestiftet und

seiner Lieblingsschöpfung, der neugegründeten Benediktinerabtei St.

Bonifaz in München, als Priorat einverleibt. Der Ruhm der Fröm-

migkeit und Gelehrsamkeit, der die alten Klöster des Ordens stets

schmückte, ziert in hohem Maße auch das neuzeitliche zu München und

seine Tochteranstalt auf dem heiligen Berge. —

Es weilt sich schön droben, als wandernder freundlich aufgenom-

mener Gast. Bei einem kühlen Trunk aus der Klofterbrauerei rastet

der Fremdling von den Eindrücken der Kirche mit ihren Wunder-

schätzen und der Erziehungsanstalt — denn ein Heim für verwahrloste

13

* 193 *

Knaben ist mit dem Kloster verbunden. Weit schweift der Blick umher,

zu den leuchtenden Gipfeln der Gebirgskette, auf die Seen und die

Dörfer drunten, über die Ebene, in der München liegt. —

Auf dem Boden der Benediktiner, der frühesten Glaubensboten, ist

„Munichen" erwachsen. Von benediktinischem Boden aus, hoch über

der Welt, grüßen wir am Ende unseres Rundganges die traute Stadt.

VI. Abteilung:

Alt-München in Brauchen, Sitten

und Meinungen

a) Das tägliche Leben

Das Bezeichnende ist für München, daß es die Hauptstadt eines

Volkes von Bauern und Hirten, Jägern und Fischern war, aus dem

umgebenden agrarischen Hinterland nicht nur mit leiblicher Nahrung,

sondern auch mit aller Überlieferung und bodenständigen Anschauungen

gespeist. Der Name „Kulturdorf", den München gelegentlich empfing,

hebt das Schollenhaste, Wurzelechte hervor, wodurch die Kultur Mün-

chens sich von der anderer Großstädte von /eher unterschied. WaS an

alten Sitten heute noch in München lebt, ist ländlichem Volkstum

entsprossen; was in der Stadt längst nicht mehr gilt, ist auf dem

Lande, in den Bergen teilweise noch lebendig.

Auch das Münchner Slraßenbild erhält ein besonderes Gepräge

durch die verhältnismäßige Häufigkeit volkstümlicher Typen, die nament-

lich an Festtagen zwischen der modisch langweiligen Allerweltstracht

einherwandeln. Ehemals freilich bot auch die Kleidung der Städter

einen abwechslungsreichen Anblick, zumal die Freude am Farbigen und

Prächtigen in München trotz sonstiger Einfachheit stets hervortrat.

Seit dem 13. Jahrhundert schon machten Luxusgesetze sich notwendig.

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war der Aufwand, der in der guten

Stadt München mit Kleidern getrieben ward, so groß, daß er einem

hohen Rate bedenklich erschien. Die Münchner Bürger verschmähten

es, sich, ihre Frauen und Töchter in schlichte Stoffe zu kleiden, sie

trugen feine flandrische Tücher, davon die Elle 50 Pfennige kostete,

auch Mäntel und Wämser von Seide, wohl gar mit kostbaren Pelzen

verbrämt und mit Gold, Perlen und Edelsteinen geziert, bald mit

offenen (sogenannten „zerhauenen") oder mit einfachen langen Ärmeln.

Die Frauen trugen lange Schleppgewänder, dazu Silberketten und

Goldgeschmeide, kostbare Gürtel, das Haar mit Bändern und Perlen-

kränzen — Schapeln oder Gebende genannt — durchflochten. Im

Jahre 1405 sah der Stadtrat von München sich genötigt, eine strenge

Kleiderordnung zu erlassen, darin er den Frauen und Jungfrauen alle

Perlenkränze, auch Haarbänder von Gold und Perlen verbietet und

ihnen nur Haarbänder von Seide oder von zwei Lot Perlen erlaubt.

Keine soll mehr als anderthalb Mark Silber auf ihrem Leib tragen,

es soll fürder keine Frau noch Jungfrau einen Rock tragen mit Vehen

(ausländischem Pelzwerk) gefüttert und verbrämt. Auch die Sitte der

offenen Ärmel wird untersagt, sowie das Tragen eines Mantels oder

Rockes, der länger als zwei Finger auf der Erde nachschleift. Die Ver-

letzung dieser Gebote wurde nicht an den schönen Übertreterinnen,

sondern an deren Mann oder Vater mit einer Geldstrafe gebüßt.

Solche Verordnungen halfen jedoch immer nur für gewisse Zeit; bald

war die alte Üppigkeit wieder eingerissen und eine abermalige strenge

Mahnung notwendig. Die letzte derartige Kleiderordnung datiert vom

Jahre 1749, also aus der Regierung Kurfürst Max III. Joseph. Die

komischen Folgen derselben schildert eine „Relation" vom Beginn des

Jahres 1750: „Am heiligen Neujahrstag", - heißt es da — „sind

verschiedenen Weibsbildern, und wie man sagt bey 60 Personen ihre

schönen bordierten Hauben von den Stadtamtleuten vom Kopfe weg-

gerissen und abgenommen worden. Sodann bis 12 Uhr haben.. meistens

vor den Gotteshäusern sehr viele Hauben von den Weibsköpfen sprin-

gen müssen. Einige Weibsbilder haben auf der Gaffen gleich anderen

schwarze Hauben bis zum Eingang der Kirche getragen, unterm Portal

aber solche abgetan und verborgene bei ihnen getragene reiche Hauben

aufgesetzt, beim Ausgang aus der Kirche abgetan und versteckt; es sind

aber dergleichen Vortel den Amtleuten sogleich bekannt und folglich

die Weibsbilder endlich gar ausgesucht worden"........Solche, die

Ratsfrauen waren, wurden nicht angegriffen, sondern notiert. Diesen

wurde dann solange, bis sie zu gesetzlicher Strafe gezogen waren, zur

Nachtzeit militärische Exekution in die Häuser gelegt. „Einem Bräu-

knecht sind die seidenen Strümpfe von den Füßen abgezogen, dann

mehr anderen Bräu- und Metzgerknechten ihre auf dem Hut gehabten

Borden, weiters einigen Bürgers- auch Bauernmenschern die Brust-

flecke herausgerissen und die darangewesten Borden abgetrennt

worden."...

Daß diese übermäßige Strenge nicht lange vorhielt, beweist die

übliche Münchner Kleidung im 18. Jahrhundert bis zu Anfang des

19., wie sie vornehmlich Westenrieder beschreibt. Darnach trug der

* 194 *

* 195 *

Münchner Bürger an Werktagen Rock und Weste von Landtuch, letz-

tere auch von Leinwand, eine Halsbinde von Flor oder weißer sehr

feiner Leinwand und einen großen runden, mit Schnüren zu drei

Flügeln aufgeschlagenen Hut, ferner lederne Beinkleider nebst grauen,

blauen oder weißen baumwollenen Strümpfen. An Feiertagen trug er

Rock und Weste von feinem ausländischen Tuch und einen ebensolchen

sehr weiten Mantel, der ihm in vielen Falten von den Schullern bis

zu den Schuhen hinabging. Der Kragen des Mantels war nicht selten

mit silbernen oder goldenen Borten verbrämt; von geschlagenem Silber-

waren auch die Schnallen am Hute und an den Schuhen, sowie die

Knöpfe an Rock und Weste. Dazu kam noch ein silberner oder goldener

Ehering und eine Sackuhr.

Außerdem gehörte zur Feiertagskleidung ein spanisches Rohr mit

silbernem Knopfe. „Auch ein Degen, aber niemals beides zugleich".

(Nach der vorerwähnten Kleiderordnung vom Jahre 1749 war den

Lakaien oder Handwerksburschen das Tragen eines Degens untersagt.)

Der Bürger trug abgeschnittenes Haar, zuweilen auch die Perücke.

Das Gesicht war glatt rasiert. Die meisten Zünfte hatten an feier-

lichen Tagen ihre besondere Tracht, z. B. die Müller hellblaue Röcke,

die Schmiede und Schlesier braune, die Metzger hochrote Westen usw.

Ratsherren und Doktoren trugen sich meist dunkel und bedienten sich

der Perücke. Merkwürdigerweise ward den Weltpriestern noch 1789

vom bischöflichen Ordinariat Freising eingeschärft, schwarze Kleidung

mit einem Kollar oder, da dies sehr teuer kam, doch dunkle Farben

zu tragen. Die Tracht der geistlichen Orden blieb sich natürlich gleich.

Eigentümlich will uns Heutigen der Brauch erscheinen, die Kinder in

Ordenshabite zu kleiden, wozu sie noch „Gehänge" trugen, nämlich ein

Amulett, das an einem schönen Bande von der rechten Schuller herab-

hing, an dessen Seiten aber Denkmünzen mit Ohrlein oder andere

Raritäten festgemacht wurden. So ward Kurfürst Karl Theodor durch

seine fromme Mutter Maria Anna, in Folge eines Gelübdes, schon als

zartes Kind in das Ordensgewand der Paulaner gekleidet.

Die Bürgersfrauen trugen gewöhnlich einige Unterröcke; der Ober-

rock war von Leinenzeug, oft auch von Seide oder feinstem Tuch, unten

mit einem Silber- oder Goldspitz verbrämt. Dazu kam ein Fürtuch

(Schürze), dann ein Oberleib oder Mieder mit Fischbein ausgespannt

und überaus steif. Dies Mieder aus Brokat oder Seide mit einem

dazu passenden Brustfleck wurde geschlossen durch ein Geschnür aus

silbernen Ketten, woran etliche Schaumünzen, Kreuzchen und dergleichen

„angeöhrlt" waren. Darüber eine kurze Weste, Wams genannt, von

Tuch oder Zeug und ein Brusttuch aus Seide oder feinem Linnen. Den

Hals schmückte eine silberne oder gar goldene Kette von IO—18 „Gän-

* 196 *

gen" (Reihen) mit reicher Schließe; auch waren die Finger mit Ringen

und die Schuhe mit silbernen Schnallen geziert. Zur völligen Tracht

der Bürgerefrauen und Bürgerstöchter an Sonntagen gehörte ein mit

Silber beschlagenes Gebetbuch und ein Rosenkranz von kostbaren Ko-

rallen oder Steinen. An feierlichen Tagen war die Kleidung gewöhnlich

schwarz oder braun; statt der Westen wurden die sogenannten „Schal-

keln" getragen und mit silbernen Kelten zugeschnürt. Das Haar ward

nicht gepudert; die Frauen trugen es geflochten und in Knoten um den

Kopf gebunden. Im Winter setzten sie darauf große Hauben, deren

äußerer Boden von Seiden oder Samt, die Verbrämung aber von

Pelz war. Auch die Jungfrauen trugen im Winter Hauben, welche

den ganzen Kopf bedeckten. (Späterhin, als der Dreispitz auf den

Männerköpfen dem hohen zylinderförmigen Hut gewichen war, diente

zur allgemeinen Zier der Bürgerstöchter die den Vorderscheitel frei-

lassende Riegelhaube aus Silber- oder Goldftoff.) Im Sommer ward

um das Haar eine Krone geflochten, „welche von schwarzen Bändern

oder gemeinen Perlen, oft aber mit kostbaren Steinen besetzt ist und

diese machen sie mit einer silbernen oder goldenen Nadel, welche sie

durch die Krone und die Haare stechen, fest." So trug sich namentlich

die ehrsame Jungfrau als Antlaßjungfer bei kirchlichen Umgängen,

oder als Kranzljungfer bei Hochzeiten, nachdem der Kranz, resp. die

Krone das Zeichen der Jungfräulichkeit — anstatt des vormals frei

herabwallenden Haares — geworden war.

Diese Trachten beschränkten sich auf die eigentlich bürgerlichen Kreise.

Der Hof und die adelige Gesellschaft, denen die reichsten und ange-

sehensten Bürger gern nacheiferten, kleideten sich im 17. Jahrhundert

auf spanische, im 18. auf französische Art, machten alle „Fa?ons" der

Zopf- und Empirezeit mit, parlierten und gebarten „n In mode“. Der

Bürger- und Handwerkerstand jedoch behielt auch in Sitte und häus-

lichem Leben die schlichten altväterischen Daseinsformen bei. Die Eh-

halten (das Gesinde) aßen am Tische der Dienftgeber, desgleichen am

Tische des Handwerksmeisters dessen Lehrlinge und Gesellen. Früh

ward aufgeftanden, wenn irgend möglich der Frühmesse beigewohnt;

gefrühstückt wurde eine einfache Morgensuppe, wenn das Frühstück nicht

ganz ausfiel. Der Kaffee, dessen erstes Auftreten zur Zeit und an dem

Hofe Karl Albrechts ftattfand, hat sehr langsam sich in der eigentlichen

Münchner Bevölkerung eingebürgert. Um 11 Uhr ward zu Mittag ge-

gessen - noch jetzt ist die durchschnittliche Essenszeit um 12 Uhr -

die Zeit des Abendessens war um 6 Uhr. Die häufigsten Gerichte

waren: Suppe, Voressen (Lungenragout), gesottenes und geselchtes

Fleisch, Gemüse und Salat, auch Knödel verschiedener Art. Braten

gab es nur an Sonn- und Feiertagen und dann vornehmlich KalbS-

* 197 *

oder Gansbraten. Im Backen und Bereiten von Mehlspeisen hat die

Münchner Hausfrau stets eines guten Rufes genosien. Bestimmte

Gewerbe hatten herkömmliche Vorzugsspeisen: so mußte bei den Schu-

stern des Abends stets Kopfsalat aufgesetzt werden. Das gemeinsame

Tischgebet, das der jüngste Tischgenoffe vorzubeten pflegte, sowie der

abendliche Rosenkranz waren allerwärtS üblich.

Nach dem Abendessen ging der Hausherr, auch etwa der erwachsene

Sohn gern noch zu einem guten Abendtrunk in irgend eine Wirtschaft

oder späterhin auf einen Keller; wohlgemerkt durfte er nur so lange

beim Trünke sitzen, bis die Bierglocke läutete und ihn mahnte, daß es

für ehrbare Leute Zeit zum Heimgehen sei. Hatte er außerhalb der

Tore gezecht, so mußte er auch der Torsperre gedenken, die das Ver-

gnügen etwas verteuerte. Die kleine Torsperre trat sogleich nach dem

Gebetläuten ein, also an kurzen Wintertagen schon um halb fünf Uhr,

im Hochsommer dagegen um halb neun Uhr. Die Stadttore blieben

dann zwar geöffnet, aber jede eintretende Person bezahlte einen Kreuzer

und für ein Pferd zwei Kreuzer. Das Zeichen zur großen Torsperre

gab eine Glocke vom Frauenturm und zwar im Winter um neun, im

Sommer um zehn Uhr. Darnach wurden die Tore geschloffen, und nur

bei dem sogenannten Einlaßtor, das davon seinen Namen hatte, war der

Eintritt für jeden Menschen und für jedes Tier, gleichviel ob Pferd

oder Hund, zu 6 Kreuzer. Natürlich kam es vor, daß besondere Güte des

Bieres oder Weines einen Trinklustigen Maß und Stunde über-

schreiten ließ. Herzog Wilhelm III. legte 1410 während seines Tiroler

Feldzugs beim Magistrat München briefliche Fürbitte ein für seinen

Werkmann (Hofmaurermeister), den Pogl Mauerer, der sich „von

Weins wegen vergeßen und etwas töricht .... gehandelt habe". Der

Herzog gibt hinsichtlich desselben zu: „wenn er sich überweint, daß dann

Niemand übler Behandlung vor ihm sicher ist"; weil er aber sonst ein

guter und bescheidener Werkmann ist, bittet der Herzog, ihm die Geld-

strafe, die er verwirkt hat, zu erlaffen. Im Mittelalter wurde in

Bayern selbst der Weinbau emsig getrieben, am linken Donauufer

zumal, von Kelheim bis nach Donaustauf, aber auch an der Altmühl,

an der Isar, am Inn und am Lech. Der eigentliche „Baiernwein", eben

aus jener Donaugegend, soll in heißen Jahren wirklich gut geraten

sein, während der bei Landshut oder bei der Herzog Maxburg in

München selbst gewachsene Tropfen es über den Rachenputzer nicht viel

hinausbrachte. Die Herbigkeit solchen einheimischen Rebensaftes ward

durch Zusatz von Honig gemildert. Auf die Einfuhr fremder Weine

war ein „Ungeld" (Steuer) gesetzt; eingefübrt wurden Weine aus

Franken, aus Österreich und Tirol, ferner Neckarwein, Romanier,

Wälschwein (aus Südtirol), Malvasier, Rainval (aus Rivoglio in

Istrien). Zur Niederlage und zum Faßverkauf der fremden Weine

diente der „Weinstadel" in der Dienersgaffe. Der Weinmarkt aber

wurde in der Weinstraße gehalten, woran der Name der Straße noch

gemahnt. Bezüglich des Weinausschankes und des etwaigen Wein-

pantschens bestanden ebenso ausführliche und strenge Gesetze, wie hin-

sichtlich des Bierausschankes. Es war verboten, Branntwein oder

Weidenasche oder anderes „Gemächt" in den Wein zu tun, aus zweier-

lei Zapfen zu schenken und den guten Wein mit geringerem zu mischen.

Wenn bei der magistratlichen Weinbeschau gefälschter Wein sich vor-

fand, so wurde der Weinschenk mit strenger Strafe belegt. Seit der

ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat das Bier den Wein aus der

Volksgunst verdrängt.

Bei dem Beleuchtungszustand der Straßen verstand es sich von

selbst, daß der Biedermann, der sich zu später Stunde heimbegab, eine

Laterne mit sich führte, denn wer ohne Licht in den Straßen betroffen

ward, den hielten die Sicherheitswächter an, abgesehen von allem Un-

lieben, was ihm sonst zustoßen konnte. Oft ließ der Hausvater sich von

seinem Knecht oder Lehrling, die Frau von ihrer Magd vorleuchten.

Übrigens waren im Jahre 1782 die Straßen Münchens bereits durch

mehr als 600 Laternen erhellt; auch gab es damals bei weiteren Wegen

ober schlechtem Wetter schon die Kutsche und daneben den Tragseffel

(portechaise), besten vornehme Damen sich gern bedienten.

Als ausgesprochener Freiluftmensch verlegte der Münchner von jeher

seine liebste Erholung hinaus in Gottes Natur. Die Fahrten nach

einem der Beluftigungsorte, die uns heute ganz nah dünken, Schleiß-

heim, Nymphenburg, Starnberg, Großheffelohe, galten damals freilich

als weite Ausflüge, die mindestens einen ganzen Tag erforderten und

mit der Kutsche unternommen wurden. Aber die allernächste Umgebung

bot genügende Wanderziele: die Isarauen, das Isarbergl, den englischen

Garten, die zahlreichen Biergärten, in denen es sich so gemütlich saß.

Wohlgemerkt durften nur in den vier Sommermonaten die Brauer

auf ihren Kellern vor der Stadt „Gäste sehen und Bier in ininuto ver-

schleißen." Nichts anderes als Bier durfte gereicht werden, weshalb sich

bis in neueste Zeit die Münchner ihr Esten auf den Keller mitbrachten.

Im Frühjahr, wo nach allgemeiner Ansicht etwas zur Erneuerung des

Geblütes geschehen mußte, war es Sitte, entweder zum Maibock oder

zum „Schön- und Stärketrunk", nämlich zum Met, zu gehen. Dies

geschah vorzugsweise am ersten Sonntag nach Ostern. Die beliebteste

Metschenke war in der Neuhausergaste beim Lebzelter Thumberger.

Ein besonderer Brauch war, daß die Dienstmädchen am Tage des

DienftwechsclS, dem sogenannten „Schlenkltag", im Sonntagsstaat

von ihren Liebhabern zum Thumberger geführt wurden. Die gebräuch-

* 199 *

* 198 *

lichen Ziele zum schlenkeln waren: Lichtmeß (2. Februar), Georgi

(23. April), Jakobi (25. Juli) und Michaeli (29. September). Die

paar Tage, die sich der Dienstbote zwischen dem Verlaffen des alten

und dem Antritt des neuen Dienstes gerne gönnte, hießen die

„Schlenklweil". Vorzugsweise an Georgi gingen die Pärchen zum

Metschenken, saßen dort in den Gartenlauben, „Beichtstühle" ge-

nannt, und verzehrten zum süßen Würztrunk die Lebkuchen, die „Schif-

fer!" hießen.*)

Als Frühlingskur wurde ferner nach altem Brauch die Ader ge-

schlagen, und die Wundärzte hatten genug zu tun. Mit fortschreitender

Jahreszeit dachten die Begüterten auch daran, eine Landfrische, ein

„Badl" aufzusuchen. Das Volk im allgemeinen hielt sich an die her-

kömmlichen Ausgänge, die meist ein kirchliches Ziel hatten. Am Oster-

montag, wo es Brauch war „nach Emmaus zu gehen", wurde, wie

schon erwähnt, das Gasteigbergl erklommen und dort im Nikolauskirchl

eine Andacht gehalten. Ein Gleiches geschah an Pfingsten in der St.

Nikolauskapelle zu Schwabing, neben der sich wie am Gasteig ein

Siechen- oder Leprosenhaus befand. Bei dem Pfleger desselben „war

gutes, weißes Bier zu trinken". Von der allgemeinen Wanderung der

Münchner in die Au zum Kloster der Paulaner am Feste des heiligen

Ordenövaters, wo es die geweihten St. Vaterkerzen und das süße

starke Salvatorbier gab, ist auch schon gesprochen worden, ebenso vom

großen vielbesuchten Ablaßfest in Harlaching, dem das zu Ramersdorf

gleichkam.

Außer diesen freundlichen Unterbrechungen des täglichen Lebens

wurden besonders in Ehren gehalten und ausgiebig gefeiert sowohl die

Feste des Familienlebens, wie die hohen Kirchenfeste. Von den ersteren

möge zunächst die Rede sein.

b) Liebe,Hochzeit,Geburtund Tod

Die alte Sehnsucht, die beide Geschlechter zu einander zieht, war in

Altmünchen so mächtig, wie allerwärts. Manches Mädchen, wenn es

am Lenztage ins Freie kam, fragte heimlich den Kuckuck, wie viel Jahre

noch bis zur Hochzeit? und zählte dann, wie oft er seinen Ruf erschallen

*) In den 80er Jahren vorigen Jahrhunderts sah dle Schreiberin dieser

Blätter in einer damals in der Augustenstraße befindlichen Filiale der Seidl-

Bäckerei noch ein altes Gemälde, das eine männliche und weibliche Figur kn

Altmünchner Tracht, umgeben von obigen Leckereien, zeigte mit der Unterschrift:

»Komm her meine liebe Gret,

Hier gibt es guten Meth.

Willst du auch was guats dazua

Das kannst du haben alles gnua.*

ließ. Die Begegnung eines Schimmels galt als glückbringend, weil der

Hochzeitswagen gewöhnlich von Schimmeln gezogen ward. Zu den Ehe-

patronen, der hl. Katharina, dem hl. Nikolaus, vor allem dem hl. An-

tonius betete das Mädchen fleißig, tat ihnen Gelübde für Erfüllung

des heißesten Herzenswunsches. In bestimmten „Loönächten", so in der

AndreaSnacht (50. November) und der ThomaSnacht (21. Dezember),

versuchte die Heiratslustige zu erforschen, welcher Hochzeiter ihr etwa

beschieden sei. Völlig entkleidet stieg sie von rückwärts in ihr Bett oder

trat eS mit der großen Zehe und sprach dazu: „Bettstatt ich tritt dich 1

heiliger Andreas (hl. Thomas) ich bitt dich, 1 laß mir erscheinen 1 den

Herzliebsten meinen," worauf ihr im Traum der Zukünftige erscheinen

sollte, zumal wenn sie neben dem Bette zwei geweihte Kerzen brennen

hatte, um von keinem Teufelsspuk geäfft zu werden. Das gleiche geschah

in der Christ- und Silvesternacht, wie auch in beiden Nächten jetzt noch

Blei gegossen wird, um aus der Gestalt der Bleistückchen die Zukunft

zu erforschen. Oft werfen die Mädchen in der ThomaSnacht, entkleidet

am Boden hockend und der Türe den Rücken wendend, ihren linken

Schuh über den Kopf. Fällt er so, daß die Schuhspitze gegen die Türe

weist, so bedeutet es, daß sie im Laufe des Jahres das Haus verlaffen

wird. Auch schaut die Liebende gerne in den Brunnen oder durch ein

Stück Kirchenfenfterglas, um die Gestalt des Ersehnten zu erblicken; in

den Spiegel zu schauen, soll den gleichen Erfolg haben. Doch

soll es auch schon geschehen sein, daß die Neugierige anstatt

eines schmucken Bräutigams den beinernen Tod sah und von

ihm auch richtig im nächsten Jahre heimgeholt ward. Trotz der

Frömmigkeit der Münchnerinnen kam es bisweilen vor, daß eine

unglücklich Liebende magische Mittel zur Erreichung ihres Zieles

anwandte. So trachtete sie z. B. ein Läppchen, worauf Tropfen

ihres Blutes gefallen, mit einem anderen, das ein Tropfen vom

Blute des Geliebten genetzt hatte, unter das Altartuch zu verber-

gen, so daß eine hl. Meffe darüber gelesen ward; oder sie versuchte einen

Tropfen ihres Blutes dem Manne in Bier oder Wein zu trinken zu

geben. Der schaurige Aberglaube des „Totbetens" (durch Rückwärts-

Beten des Vaterunsers) ward geübt, wenn ein Mädchen sich an einem

Ungetreuen rächen wollte. Eine Andere erzählte in der Mitte der

80er Jahre des vorigen Jahrhunderts: „Jetzt bet ich alle Abend ein

Vaterunser für die allerärmste Seele, für die sonst keinö mehr bittet,

die laßt ihm nachher keine Ruh', bis er wieder zu mir kimmt."

Wie streng in früherer Zeit die Gefallene gerichtet wurde, ist bekannt.

Eine Alt-Münchner Redensart lautet: „die darf am Antlaß (am Pro-

zefsionStage) auch schon in die Frühmeß' gehen", d. h. sie darf nicht dem

Hochamte beiwohnen, von dem die unbescholtenen, kranztragenden Jung-

* 200 *

* 201 *

frauen ausgehen. Heutzutage sind die Anschauungen beträchtlich ge-

lockert, und über ein lediges Kind, das auf dem Lande ohnehin keine

zu schlechte Stellung hat, regt sich das Volk auch in der Stadt nicht

mehr besonders auf. „Wenn er (der Verführer) Mann ist, wenn er

an Charakter hat, wird er sie wohl heiraten," hört man höchstens sagen.

Wurde aber von Anfang an der rechtmäßige Weg betreten, so tat

in Altmünchen nicht der Freier selbst — auch wenn Beide sich schon

einig waren — sondern ein älterer, ehrsamer Mann, meist ein naher

Verwandter, die Anfrage, ob die Sippschaft des Mädchens und dieses

selbst der Vermählung geneigt sei. War zwischen den Familien alles

abgeredet, so erfolgte der feierliche Verspruch, jedoch nur im engsten

Familienkreise. Mit um so größerem Prunk wurde dagegen die Hochzeit

gefeiert; jeder, der irgend zur Freundschaft (Verwandtschaft) gehörte,

mußte dazu geladen werden. „Ich gehe dir auf die Hochzeit" war ein

Versprechen, das freundliche ehrende Gesinnung ausdrückte. Es galt

und gilt als schwere Kränkung, Jemand hierbei zu übergehen. In alter

Zeit fanden die Hochzeiten stets im Elternhause des Bräutigams, erst

später in dem der Braut statt. Die Feste und Gastlichkeiten dauerten

oft mehrere Tage, so daß der Rat von München zu Beginn des 15.

Jahrhunderts den übermäßigen Aufwand bei derartigen Festen rügen

mußte. Es wurde damals verordnet, daß zu einer Hochzeit höchstens

24 Frauen und Jungfrauen aus der Verwandtschaft geladen werden

dürften, außer es seien Fremde da. Kinder unter 10 Jahren sollte man

gar nicht zur Hochzeit gehen lassen. Die Hausfrau setzte besonderen

Stolz darein, bei solchen Anlässen vor den Gästen mit ihrem schönsten

Geschirr zu prunken; in wohlhabenden Bürgerhäusern war damals an

glänzendem Zinn und Kupfer, sogar an getriebenem Silber kein Man-

gel. Vom Umfange hochzeitlicher Gastmähler berichten einzelne noch er-

haltene Speisezettel, die uns Heutige mit fassungslosem Staunen über

solche Leistungsfähigkeit erfüllen. Außerdem erhielten die Gäste am

Schlüsse eine zierlich in ein Tuch eingewickelte Mitgabe, die sie mit

heimnahmen und die das „Bfcheidessen" hieß. Später bürgerte sich all-

gemein die Sitte ein, das Hochzeitsmahl in einem Wirtshaus zu hal-

ten, wie dies auch heute noch in den weitesten Volkskreisen Brauch ist.

Zum Kirchgang wurde im alten München vom Turme herab geblasen.

In frühen Zeiten begab sich der Brautzug in die Kirche zu Fuß, später

bediente man sich bei vornehmen Hochzeiten der Kutsche, wenigstens für

die Braut und die beiden Ehrenmütter. Die Braut trug den reich ge-

stickten Brautgürtel und den Kranz resp. die mit Blumen durchflochtene

Brautkrone. Der Bräutigam steckte an Hut und Sonntagsrock ein

Sträußchen von goldenen und silbernen Flitterblumen, mit bunten

Bändern durchflochten, dazu ein Zweiglein Rosmarin. Vor dem Kirch-

* 202 *

gang pflegte das Brautpaar noch den Eltern für alle bisher genossenen

Guttaten zu danken, ihren Segen zu erbitten und zu empfangen.

Nach altem Volksglauben soll die Braut niemals umblicken während

der kirchlichen Trauung, sonst „sieht sie sich nach dem Zweiten um",

d. h. ihr junger Gatte wird sterben. Viele der einfachen Zuschauerinnen

bei einer Hochzeit achten jetzt noch darauf, wer von den Brautleuten

weiter vom Altar zurückkniet oder an wessen Seite die Altarkerze

schneller herunterbrennt; denn das Betreffende wird zuerst sterben.

Ebenso ist viel verbreitet der Aberglaube: derjenige, der während der

Trauung seinen Fuß auf den des anderen setzt, oder die Hand

beim Segen oben hat, werde in der Ehe die Herrschaft haben.

Die Brautleute sollen während des Segens so nahe beieinander

knieen, daß niemand zwischen ihnen hindurchblicken kann. Sehr

alt war der unheimliche Glaube: um jede liebende Annäherung

der Vermählten aneinander zu hindern, dürfe jemand nur ein Schloß,

das er in der Hand halte, während des Segens zuschnappen lassen und

dies Schloß hernach ins Wasser werfen. Auch wer beim Gratulieren

die Hände des Brautpaares mit einem Nagel rieb, der am Charfreitag

an das heilige Schmerzenskreuz gedrückt ward, sollte die Eintracht

beider zerstören; doch versündigte er sich schwer dadurch. Ehemals be-

stand die schöne Sitte, daß eine vom Land stammende Braut in ihrer

Heimattracht vor den Altar trat; die aus Tölz gebürtige Schwester

eines bekannten vaterländischen Forschers trug an ihrem Hochzeitstage

das schöne Gewand der Ahnfrau, obschon sie in ein vornehmes Münchner

Haus einheiratete. Die Ausstattung der Braut wurde in solchem Falle

gleichfalls auf geschmückten Wagen — „Kammerwagen" sagt man auf

dem Lande — in das neue Heim geführt. Die Spitze des Wagens bil-

dete ehedem die Braut oder Brautjungfer mit der Kunkel, später die

Wiege. Es war bräuchlich, einer solchen Fuhre bei der Abfahrt einen

Teller oder Hafen so nachzuwerfen, daß das Geschirr an den Rädern

zerschellte. Gab es viel Scherben, so bedeutete dies Glück in der Ehe,

nach anderen Herrschaft des Mannes.

So lange Münchens Kirchen noch mit Friedhöfen umgeben waren,

galt der alte fromme Brauch, daß sich das neugetraute Paar beim Ver-

lassen der Kirche an die Gräber der dort bestatteten Anverwandten, zu-

mal der Eltern, begab, um im stillen Gebet daran zu verweilen. Beim

Verlassen des Friedhofes sperrte gewöhnlich ein Strick mit frischem

Grün umwunden den Ausgang, und dieser mußte erkauft werden, indem

der Bräutigam kleine Münzen unter die den Strick haltende, mut-

willige Jugend warf.

Beim Betreten des Hauses, wo das Hochzeitmahl stattfand, war es

ehemals Sitte, daß die Köchin der Braut entgegentrat, sie begrüßte

* 203 *

und aufforderte, das Kraut zu versuchen, worauf die Braut in die

Küche ging, die Suppe salzte und etwas vom geweihten Hochzeitswein

in den Fleischtopf tat. Späterhin pflegte die Köchin während des Mah-

les mit verbundener Hand im Saale zu erscheinen, klagend, daß sie vor

Freude und Aufregung sich so arg verbrannt hätte und nicht weiter

kochen könnte. Doch stellte ein Trinkgeld des Bräutigams sie alsbald

wieder her.

Auf uralte Germanensitte geht der Brauch zurück, daß während des

HochzeitmahleS die Braut plötzlich verschwunden, nämlich gestohlen war.

Der Bräutigam mit seinen Beiständern machte sich auf, sie zu suchen,

fand sie endlich in einem Nachbarhause versteckt und mußte sie von den

jungen Leuten, denen der Raub gelungen war, mit Geld wieder aus-

lösen. Bei oder nach der Mahlzeit wurde stets in irgend einer drolligen

Umhüllung der Braut eine Anspielung auf künftige Mutterfreuden,

etwa ein Wickelkindchen, überreicht.

Den Reigen nach der Tafel eröffnete der Hochzeiter mit seiner

Hochzeiterin, darnach forderten beide alle anwesenden Ehrengäste der

Reihe nach zum tanzen auf. Mitunter gab es zu Anfang des Tanzes

eine kleine Verzögerung, indem die Hochzeiterin mit einem Male hinkte.

Es stellte sich heraus, daß eine größere Münze in ihrem Schuh das

Hinken veranlaßt hatte. Das Hindernis wurde entfernt und den auf-

fpielenden Musikanten eingehändigt.

Bis zur Schwelle des hochzeitlichen Gemaches gaben ehemals dem

Brautpaar die nächsten Angehörigen das Geleite; bei vornehmen Hoch-

zeiten wurde dem Paar mit Fackeln vorgeleuchtet. Das Ehebett kirchlich

einsegnen zu lassen, ehe die Gatten ihr Gemach betraten, war weit ver-

breitete Sitte. Der Tag nach der Hochzeit hieß „der goldene Tag". Er

wurde durch ein kleines Mahl im Hause der Brauteltern gefeiert, an

dem aber nur die nächsten Verwandten teilnahmen. Die jungen Gatten

pflegten an diesem Tage die Kirche zu besuchen; außerdem wurde am

goldenen Tage die Mitgift der Frau dem Gatten ausgehändigt. Sie

selber trat die Herrschaft an im neuen Hauswesen, wo sie von nun

an wacker schaltete — wenn sie nicht gar zu bald „nach Rom reisen

mußte", wie ein gewisser hoffnungsvoller Zustand in München all-

gemein genannt wird.

Kindersegen war voreinst viel mehr als heute ersehnt und, falls er

ausblieb, bitter vermißt. Wo die Kunst der Ärzte versagte, flüchtete die

unfruchtbare Frau meist zur Gottesmutter in irgend eine Gnadenkirche.

In solchen Kirchen sind häufig seltsame, krötenähnliche Gebilde, meist

aus Eisen zu sehen, Sinnbilder der sogenannten „Bärmutter", gewid-

met von Frauen, die Befreiung von einem weiblichen Leiden erflehen.

Auf erbetenen Kindersegen weist das Votivgeschenk eines kleinen Kind-

* 204 *

chens aus Wachs oder gar aus Silber. Wenn fleißiges Kirchfahren

nicht half, so lag der Altmünchnerin der Verdacht nicht ferne, daß sie

„vermeint" oder verhext sei. Hat doch sogar Kurfürst Maximilian I.

die Unfruchtbarkeit seiner ersten Frau der Verhexung zugeschrieben!

Im 16. und 17. Jahrhundert, wo der Hexenwahn wie eine Seuche

wütete, wandten viele^Frauen sich irgend einer „wissenden" Person zu,

die sich auf „weiße Magie" verstand, nämlich auf magische Mittel,

welche, ohne gegen den Christenglauben zu verstoßen, der schwarzen

Magie, der Hexenkunst, entgegenwirken sollten. Doch sind auch die

Volksmeinungen zahlreich, die sich mit anderen Gründen der Kinder-

losigkeit beschäftigen. Daß ein zorniges Weib nicht leicht Mutter werde,

war eine weitverbreitete Anschauung. Auch die Nichterfüllung eines Ge-

lübdes oder des feierlichen Versprechens, das man einem anderen ge-

geben hatte, konnte die Ursache der Unfruchtbarkeit sein.

Die werdende Mutter, nachdem sie ihrer Hoffnung gewiß war, sollte

stets etwas Geweihtes an sich tragen, um sich vor dem „Vermeinen" zu

schützen. Sie soll nicht Branntwein oder Schnaps trinken, denn damit

brennt sie dem Kind „das Herzl aus". Es ist auch nicht gut, wenn die

Mutter vor der Geburt die leere Wiege schaukelt: damit nimmt sie dem

Kinde den Schlaf. Den Anblick eines Toten soll sie meiden, sonst kann

ihr Kleines sterben oder doch Totenfarbe erhalten. Während eine Wöch-

nerin im Bette liegt, soll nach altem Glauben das Feuer auf dem Herde

nicht ausgehen, das brächte Unglück. Gerne legte man ehemals der

Mutter und dem Neugeborenen etwas Geweihtes ins Bett oder hing

es ihnen um den Hals, weil über die noch nicht aufgesegnete Frau und

das ungetaufte Kind der Böse Gewalt hätte. Die Hebamme räucherte

mit Kranewitt (Wachholder), der gegen Zauber hilft; sie hing übers

Bett einen Trudenstein (ein kleiner schwarzer Kiesel, durch den von

Natur ein Loch geht), wenn sie glücklicherweise einen solchen besaß.

Auch zündete sie eine geweihte Kerze an und machte mit dem Benedik-

tenkreuz der Kindbetterin drei Segenskreuze auf Stirne, Brust und

Füße. Mit der Taufe ward von jeher so sehr als möglich geeilt, damit

der kleine Mensch nicht der ewigen Seligkeit verlustig gehe. Den Zu-

stand der Ungetauften im Jenseits dachte die Volksmeinung als leid-

und freudlos. Noch im 18. Jahrhundert wurden bisweilen die Leichen

von Kindern, die bei der Geburt gestorben waren, in irgend einer

Gnadenkirche vor den Altar gelegt unter andächtigem Gebete, solange

bis der kleine Leichnam „zeichnete", d. h. irgend eine Veränderung

zeigte, die als ein Merkmal flüchtig wiedergekehrten Lebens gelten

konnte. Dann durfte er die Nottaufe empfangen und somit der Christen-

heit beigezählt werden. Ungetaufte oder totgeborene Kinder kamen

ehemals nicht in geweihte Erde, sondern hatten auf dem Freithof oder

* 205 *

angrenzend an denselben ihr eigenes kleines Totenfeld, den Unfchuldigen-

Gottesacker. Allgemein war und ist jetzt noch der Brauch, eine Mutter,

die bei der Geburt stirbt, in Kranz und Schleier wie eine Jungfrau

zu begraben. Die tiefe und schöne Bedeutung davon ist, daß die Gebä-

rerin durch ihren Opfertod die ursprüngliche Reinheit wieder erlangt hat

und geradeswegs in den Himmel eingeht.

Nach alter Anschauung sollte bei einem Kinde, außer dem namenge-

benden Paten, auch eine Person des anderen Geschlechtes zu Gevatter

stehen. DaS bedeutete dem Kinde künftiges Liebes- und Eheglück.

Ferner galt in Altmünchen der Brauch, einem Knaben gleich nach der

Taufe ein Schwert oder sonstiges Gewaffen in die Hand zu geben,

damit er nicht verzagten Sinnes würde. Die Hebamme, von dem Paten,

resp. der Patin geleitet, trug das Kleine zur Kirche, wohlgemerkt in

die Sakristei, denn das Betreten des heiligen Raumes selbst ist erst dem

in die christliche Gemeinschaft Aufgenommenen gestattet. Am alten

Frauenfreithofe befanden sich an fünf Stellen Öffnungen in der Kirch-

hofsmauer, die durch eine Drehschranke (einen Pfahl, auf dem eine

Drehscheibe in Kreuzesform liegt) abgeschloffen waren. Im Volks-

mund hießen diese Drehschranken „wart ein bißl". Hier hatte der Täuf-

ling seinen ersten Aufenthalt: die Wehmutter mußte mit ihm warten,

bis der Meßner kam und gegen ein paar Kreuzer Schrankengeld beide

hereinließ.

Nach der Taufe brachte die Wehmutter der Wöchnerin das Neuge-

taufte zurück mit dem Spruche: „einen Heiden haben wir fortgetragen,

einen Christen bringen wir."

In guten Bürgerhäusern war es Sitte, daß darnach ein kleines

Taufmahl abgehalten wurde, an welchem der Geistliche, die Paten,

die Hebamme und die nächsten Verwandten teilnahmen. Fleischspei-

sen waren von diesem Mahle ausgeschlossen; als unerläßliche Speisen

aber wurden aufgesetzt: Schneeballen (eine Art Krapfen), Käse,

Konfekt, Früchte und Wein. Hernach wurde von all diesem den

Gästen noch etwas in ihre Wohnung geschickt. Käse mußte beim Kind-

taufmahl dabei sein, weil das Kind, wenn es ein Knabe war, sonst

später keinen Bart bekam.

Einige Tage nach der Taufe pflegten die Frau Gevatterin und die

sonstigen Nahestehenden der Kindbetterin ihren Besuch abzustatten.

Dabei wurden Geschenke gebracht, meist Eier, Butter, Mehl und dergl.

Das altbayerische Wort für das Kindbett- oder auch Hochzeitsgeschenk

lautet „Weisat". Sogar im altbayerischen Weihnachtslied, wenn die

Hirten sich aufmachen gen Bethlehem, wird beraten, was sie dem gött-

lichen Kinde und der reinsten Mutter „weisen" wollen, und der älteste

Hirt mahnt die jüngeren:

Und bal ma zu dem Kind hinkemma 1 So bucktS enk sauber fei,

Tuats Weisat in die Hand nemma 1 Und geatS schö zugsam nei!"

Ein Münchner Kind empfing vom Paten (Göd, Godel ist der bayerische

Name für Pate und Patin) einen Patenthaler, meist eine schöne, alte

Denkmünze, in die Wiege. Später, wenn es größer war, einen silbernen

Patenlöffel mit dem eingravierten Namen des Herrn Göden. Außerdem

bekommt das Patenkind, bis es erwachsen ist, vom Göd oder der Godel

an jedem Allerseelentag einen Seelenwecken oder Seelenzopf. Dies Ge-

bäck, künstlich geflochten, vom einfachen Hefenteig bis zum feinsten

Bisquit- oder Makronenteig, ziert in allen Größen, mit bunten Pa-

pierblumen besteckt, während der letzten Oktober- und ersten Novem-

bertage die Auslagefenster sämtlicher Münchner Feinbäcker und Kon-

ditoren. Am Palmsonntag wurde das Kind ehedem im Hause des Paten

mit Met und Konfekt bewirtet. Göd oder Godel stehen dem Kinde

näher, als selbst die Blutsverwandten; denn sie sind es, welche das

Kleine „aus dem Waffer" (der Taufe) holen und ihm den Namen

schöpfen. Ehemals war eS Brauch, daß am Tage der Firmung das

Patenkind nochmals brieflich dem Göd oder der Godel ehrerbietigen

Dank sagte dafür, daß sie ihm einst zur christlichen Taufe verhalfen

hatten.

Wenn Fremde ein kleines Kind berufen, so soll die Mutter zur Seite

auöspucken oder noch beffer das Kind sofort bekreuzen. Noch heute be-

steht im Volke der Glaube: einem von plötzlicher Krankheit, z. B. den

Fraisen, befallenen kleinen Kinde könnte etwas „angetan", d. h. es

könnte verhext sein. Eine Münchner Arbeitersfrau dagegen, deren

Kleines in Krämpfen lag, erklärte: „Dös glaub i wieder net, daß

dem Kind was antan worden iS; S' Gehirn wachst halt und so oft dös

an Ruck tut, beutelt's das Kind a weng umanand." Wo Kinder sind,

galt es als heilsam, ein Rotkehlchen im Käfig zu hallen, weil bei Ma-

sern oder Scharlach der Kinder dieser Vogel die Krankheit an sich

ziehen soll. Hier und da ward noch bis vor kurzem behauptet, daß man

einem kleinen Kinde die Fingernägel nicht beschneiden, sondern, wenn

sie wachsen, ihm abbeißen soll, weil das Kind sonst ein Dieb wird.

Recht bedenklich war die alte Sitte, das Kind, fast bis es stehen

konnte, fest zu „fatschen", d. h. zu wickeln, wobei die Ärmchen eng an

den Körper gepreßt wurden. Es gehörte die eingeborene Gesundheit

eines kräftigen Volksstammes dazu, daß nicht viel häufiger Krankheiten

und Verkrüppelungen hieraus entstanden.

Das Trotzen auf diese Gesundheit verriet und verrät sich auch in dem

frühen Darreichen schwer verdaulicher Nahrung, in dem vorzeitigen

Biergenuß und ähnlichen Dingen, die jedoch in München erfreulich ab-

* 207 *

* 206 *

genommen haben, dank der unablässigen Einwirkung sozialer und hy-

gienischer Vereinigungen.

Das Kind ward größer und die Eltern walteten ihrer Erzieher-

pflicht. Sie lehrten es, nicht ohne Morgengebet aufzustehen, nicht das

Waschen und Kämmen zu vergessen, nichts anzunehmen aus fremder

Hand; denn durch alles dies könnte feindliches, nächtiges Wesen Macht

über Leib und Seele gewinnen. Auch nichts aufheben von der Straße

sollte das Kind. Es soll jetzt noch nicht bei Tische das Messer mit der

aufwärtsgekehrten Schneide hinlegen, damit nicht ein Englein oder

eine arme Seele sich daran schneidet. Eßbare Gegenstände wegzuwerfen

gilt als Sünde gegen die Gottesgabe, sie verkommen lassen, ebenso. Eine

Ausnahme macht, wenn das Kind ein Stück Brot ins Freie auf einen

Kreuzweg legt oder in ein Bächlein wirft mit den Worten: „für die

armen Seelen." Wer den Tisch Abends nach dem Nachtmahl nicht or-

dentlich abräumt, nimmt den armen Seelen die Ruhe; wer ohne Nacht-

gebet einschläft oder die Stiefel verkehrt vors Bett wirft, den kann

die „Trud" (der Alp) drucken, oder der Teufel kann einsteigen zu ihm.

Der kann auch einfahren in Solche, die beim Gähnen nicht die Hand

vor den Mund halten oder ein Kreuz davor machen. Recht eitle

Dirndln, die sich voll Hoffart in den Spiegel schauen, sollen ein Teufels-

antlitz oder einen Totenkopf statt des ihrigen sehen. Eine Münchner

Mutter lehrte ihr Dirndl: ,,D' Hoffart ist die öberste Sünd; weil dös

an Lucifer die feine g'weft ist. Der hat nöt unferm Herrgott zu Füßen

sitzen mögen, und a seins Paar Schuh' hält' er wöllen, er alloanig, wo

doch alle lieben Engerln bloßfußet gehen."

Wenn die Kinder fragten, wo sie hergekommen feien, ward ihnen

gerne weißgemacht, die Eltern hätten sie vom Baume herabgeschüttelt

oder aus einem tiefen Brunnen heraufgeholt. Erst ziemlich spät hat der

gute Storch sich in München eingebürgert.

Nach Sonnenuntergang, wo alles Unholde um den Weg ist, sahen

sorgliche Eltern nicht gern, daß ihre Kleinen noch draußen spielten; auch

jetzt rufen sie dieselben meist nach dem Aveläuten in die Stube.

Unzählig sind die Spiele alten Herkommens, die das Münchner

Straßenkind noch heute spielt: „Fangemandl", (Haschespiel), „Schnei-

der leih' mir die Scher", (ein Platzwechselspiel), „Räuber und

Schandi" und das in allen möglichen Lesarten übliche „Engerl- und

Teuferlspiel". Das allbekannte: „Ringel ringelreihe", wobei die Kin-

der sich an den Händen halten und eine Runde bilden, ist von altersher

den Münchner Kindern geläufig, nicht minder das Reihenlied „Marie-

chen saß auf einem Stein", über dessen grauslichen Sinn (Ermordung

des Mädchens durch den treulosen Geliebten) die Harmlosigkeit der

Kinder glücklich hinweggeht.

Was den Schulunterricht in Altmünchen betrifft, so war bis zu Be-

ginn des neunzehnten Jahrhunderts Niemand verpflichtet, feine Kin-

der in eine öffentliche Schule zu schicken; vielmehr stand Jedem frei, sie

nach eigenem Plan erziehen zu lassen. Der Adel wählte meist den letz-

teren Weg, hielt sich Privatlehrer; die Bürgersöhne besuchten öffent-

liche Schulen. Die beiden Normal- und Trivialschulen bei Unserer

lieben Frau und bei St. Peter waren nur für Knaben, desgleichen das

Gymnasium, in dessen lyceistischer Abteilung Philosophie und Theologie

von geistlichen Lehrern gelehrt wurden, während in den Realklassen und

der humanistischen Abteilung auch weltliche Lehrer sich befanden. Außer-

dem gab es gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch zehn Normal-

schulen in den verschiedenen Stadtteilen. Die üblichen Prüfungs-

gegenstände waren: Religions- und Sittenlehre, Schönschreiben, Hi-

storie und biblische Geschichte, Rechenkunst. Den Unterricht der Mäd-

chen übernahmen hauptsächlich die Nonnenklöster, so die Englischen

Fräulein, die Salesianerinnen, die Servitinnen. Zur Ausbildung armer

fähiger Knaben für den Priesterstand hatte Albrecht V. noch das Gre-

gorianum in der Neuhauserstraße (außerdem auch Albertinum

genannt) begründet. Es hieß nach dem großen Papst Gregor, dem beson-

deren Gönner und Patron der armen Bettelstudenten. Ein ganz eigen

Münchnerisches Kinderfest, das gleichfalls mit dem Papste Gregor I.

zusammenhing und an seinem Tage stattfand (12. März), war bis zum

Ende des 18. Jahrhunderts im Schwange. Zu diesem „Gregori",

mit dem der winterliche Schulunterricht abschloß, wurden aus der

Zahl der Schulknaben dreie gewählt, deren einer den Bischof, die

zwei anderen seine Pfarrer (Diakone) darstellten; die übrigen Buben

verkörperten verschiedene Stände: Doktoren, Handwerker usw. Nach

diesen angenommenen Charakteren gekleidet, zogen die Kinder am

genannten Festtage von der Schule zur Kirche, wo eine Predigt

mit Hochamt abgehalten ward. Nach der Predigt wurde von den

Kindern das Gregoriuslied: „Hört ihr Eltern, Christus spricht"

gesungen, darauf hielt der kleine Bischof eine ihm eingelernte Predigt

in Versen. Nach dem Gottesdienst zog die Kinderschar unter Führung

des „Bischofs", der anstatt des Krummstabes eine Bretzel auf einer

Stange trug, durch die Stadt und erhielt von allen Seiten Kuchen

und Bäckereien geschenkt. Eine „Münchner Schulmeisterordnung" vom

Jahre 1563 besagt: „Mit dem Gregori oder Umgehen zu St. Gre-

gorientag soll es hinfüran noch wie von alters her gehalten werden und

ein jeder Schulmeister mit seinen Kindern denselben zu einer Freud

und Ergehung züchtig umgehen. Aber zu der Mahlzeit, die nach dem

Umgehen gehalten worden, soll hinfür niemand verbunden sein, seine

Kinder zu schicken, sondern in eines Jedweden freien Willen stehen,

n 208 *

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ob er seine Kinder bei dem Schulmeister will effen und zehren lasten

oder nicht."

Allmählich wurde der Brauch, der als unpassend und veraltet er-

schien, in eine Art Maifest umgewandelt, das an einem schönen Tage,

etwa zwei Wochen vor Jakobi, mit einem Gottesdienst begann und

stch dann in ein großes fröhliches Treiben auf der alten Schießstätte

vor dem Karlstor fortsetzte. Noch Lorenz Westenrieder hat es mit

Freuden gesehen und beschrieben. Um die Wende des >8. zum 19. Jahr-

hunderts hörte der Kindergregori auf. Die altbayerische Mundart kennt

noch den Ausdruck „Gregori", als Bezeichnung eines ausgelassenen

Treibens, eines Drüber und Drunter.

Am 20. Dezember herrschte in Altmünchen der Brauch, daß jedes

Kind sich eine Rute aus Wachholderzweigen machte und die Erwach-

senen damit fitzen durfte, was man „pfeffern" hieß, bis sie sich durch

ein kleines Geschenk loskauften. Desgleichen durften bis ins 18. Jahr-

hundert die Knaben am Vorabend und Nachmittag des Palmsonn-

tags auf dem hölzernen Palmesel, der die segnende Heilandsfigur trug,

die Kirchen umfahren. Von den übrigen mit den kirchlichen Hauptfest-

zeiten verbundenen Kinderfreuden, wie dem Niklo, dem Klöpfeln usw.

wird noch zu reden sein. —

Um ein Kind, das in seiner Unschuld gestorben, mithin ein Engel ge-

worden ist, soll die Mutter nicht zu heftig weinen, weil sie ihm damit die

himmlische Freude verstört. Wer kennt nicht das schöne Märchen, wie

das tote Kindlein der weinenden Mutter erscheint und sie bittet, nicht

mehr so zu weinen, weil sein Hemdchen von ihren Tränen so naß wird?

Und die Mutter, aus Liebe zu ihrem Kind, zwingt sich, nicht mehr zu

weinen.

Den toten Kindern ward ein Kränzlein auf den Kopf und um die

Hände gegeben; sie wurden schon binnen 24 Stunden begraben. Mit

einer Kinderleiche ging kein Mann, mit dem Leichenzuge eines Erwach-

senen dagegen keine Frau. (Erst seit ein paar Jahrzehnten ist diese

Sitte durchbrochen worden.) Dem SeelengotteSdienst dagegen wohnten

Männer und Frauen bei.

Den Verstorbenen ledigen Standes, die schon zur Kommunion ge-

gangen waren, legte die Seelnonne vor das Haus ein Kreuz von Stroh,

hierauf einen Ziegelstein und auf diesen eine Krone, die jedoch vor

Nacht weggenommen, erst des Morgens wieder hingeseht ward. Den

Verheirateten wurden das Kreuz und der Stein ohne Krone hingelegt,

wie auch ihr Sarg nicht gleich dem von Kindern und Ledigen mit Kro-

nen geziert war. Bei Erwachsenen pflegte das Trauergeleite nicht zur

Begräbnisstätte zu fahren; Kinderleichen wurden (nach Westenrieder)

in der Kutsche hingebracht. E'gene Leichenfuhrwerke gab es bis Ende

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des 18. Jahrhunderts nicht; die Toten wurden zu Grabe getragen. Erst

im März 1798 beantragte Graf Rumford, der Vertraute des Kur-

fürsten Karl Theodor, bei der Staatskammer die Beschaffung von Kin-

derleichenwagen; im selben Jahre schaffte die Stadtgemeinde Mün-

chen drei Leichenwagen für Erwachsene an. Die Sitte des Totentragens

war jedoch so allgemein, daß die Fortschaffung der Leichen mittelst

Leichenwagen noch 1848 bei Strafe anbefohlen werden mußte. Bis tief

ins neunzehnte Jahrhundert kam es vor, daß die Seelnonne (Leichen-

frau) ein totes Kind auf den Friedhof trug.

Die Einrichtung von Leichenhäusern, die Vorkehrungen gegen die

Bestattung Scheintoter entstammen auch erst dem neunzehnten Jahr-

hundert, desgleichen die heutige Sitte, die Toten hinter den großen

Glasfenstern der Leichenhallen auszustellen. Als zu München noch nicht

die jetzigen Vorschriften bestanden, laut welchen ein Verstorbener späte-

stens 12 Stunden nach eingetretenem Tode in die Leichenhalle über-

führt werden muß, wurden die Leichen der Erwachsenen bis zur Be-

stattung, also 36 — 48 Stunden im Hause aufgebahrt; zuweilen voll-

zog stch die Aufbahrung in einer Kirche. Bei dem Verstorbenen hielten

Angehörige und Freunde abwechselnd unter Gebet die Totenwacht;

fand die Aufbahrung in einer Kirche statt, so ward dies Amt auch von

Geistlichen übernommen.

Die Begräbnisse gewöhnlicher Leute geschahen in Altmünchen meist

am frühen Morgen, die der Bürger nach Vesperzeit, und zwar war die

Stunde um so später, je vornehmer der Rang des Verstorbenen. Bei

vornehmen Leichen gingen die Hauptleidtragenden in der „Gugel", d. h.

in einem schwarzen kuttenartigen Gewand mit schwarzer Kapuze, die

nur die Augen freiließ. Dieser Brauch erhielt sich nachmals nur bei den

Leichenbegängnissen bayerischer Könige, und zwar war es die Münchner

Laderinnung (Trockenlader), der die Gerechtsame zustand, den toten

Fürsten als „Gugelmänner" zu geleiten. Sie schritten, wie dies noch

bei der Bestattung König Ottos I. geschah, unmittelbar vor dem

Sarge, vierundzwanzig an der Zahl, der Letzte trug das Bildnis des

hl. Georg, des Schutzpatrons des wittelsbachischen Königshauses. An-

läßlich der Bestattung des letzten KönigSpaareS wurden die Gugel-

männer durch ehemaliges Hofpersonal gestellt.

Wo eine Leiche an einer Kirche vorübergetragen wurde, läuteten in

Alt-München jedesmal die Glocken. Bei den Seelgottesdiensten

herrschte in München der auf dem Lande noch bestehende Brauch, daß

sämtliche Anwesende zweimal um den Altar zum Opfer gingen. Der

Hauptkläger behielt bei der ersten Seelenmesse den Hut auf. Allgemein

war es üblich, den Freunden, die den Toten geleitet hatten, hernach ein

Leichenmahl zu geben, wobei es nach reichlichem Trünke mitunter sehr

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lärmend zuging. Ebenso ward Brot und bisweilen Geld nach der

Kirche den Armen ausgeleilt; noch jetzt stellen in einem Trauerhause

Bettler sich zahlreich ein. Am siebenten oder am dreißigsten Tage nach

dem Todesfall fand ehemals noch ein Leichentrunk für die Leidtragenden

nach Kirch- und Opfergang statt. Bis ein Monat abgelaufen, kamen

jeden Abend die nächsten Freunde zusammen, um im Trauerhause für

den Verstorbenen zu beten, wobei sie dort bewirtet wurden. Nach altem

Glauben aber sollte kein Fremder im Hause effen, solange der Tote

noch darin lag; das galt als unheilbringend. Ebenso wurden ehemals

die Schüsseln, die beim Leichenmahl gedient hatten, zerschlagen, wegen

des Glaubens, daß, wer daraus wieder äße, schwer erkranken würde.

Wenn Eins in „die Züge greift", d. h. wenn der Todeskampf ein-

tritt, wurde (und wird) eine geweihte Kerze angezündet und das Fenster

geöffnet, damit die Seele leichter vom Leibe scheide; auch wurden sonst

die Wände mit Weihbrunn besprengt, auf daß der Böse keine Gewalt

habe. Das Waschen und Ankleiden der Leiche oblag von Alters der

Scelnonne. Beim Hinaustragen eines Toten wurde streng darauf ge-

achtet, daß er „mit den Füßen voraus" fein Heim verließe; auch ward

ihm ein Gefäß mit Wasser nachgeschüttet, — Beides, damit er nicht

als Spukgeist wiederkehre.

An Tod und Grab hat sich von jeher der Aberglaube mit Vorliebe

gehängt. Wenn z. B. in einer Münchner Kirche ein Licht auf dem

Altäre von selbst auslöschte, so ward daraus geschlossen, daß bald ein

Priester dieser Kirche sterben werde. Das Ablaufen einer Turmuhr

sollte einen Todesfall in der Herrscherfamilie anzeigen; ganz besonders

galt dies von der Uhr auf der Theatinerkirche. übrigens ward auch

das plötzliche Ablaufen von Uhren in Privathäusern als unheilkündend

angesehen. Das hartnäckige Heulen eines Hundes in einem Hause, wo

jemand krank liegt oder das Krächzen eines Raben auf dem Dache

waren und sind in den Augen vieler alter Münchnerinnen bestimmte

Todesvorzeichen. Der Totenwurm (Holzwurm), dessen leises Picken

gleichfalls Tod weissagt, ist unterm Namen ^,Erdschmiedl" bekannt

und unbeliebt. Wenn der Kranke auf Hühner- oder Taubenfedern

liegt, so stirbt er hart. Erst recht hart stirbt, wer eine unbereute

Sünde auf sich hat oder Unrecht eines andern gegen ihn nicht

verzeihen mag. Wenn einer Leiche im Sarge ein Band des Toten-

kleides in den Mund gerät, so — meinte man einst — saugt sie daran

so lange, bis noch ein anderes Familienglied stirbt. Auch wenn das

Gesicht einer Leiche rot aussieht, soll noch jemand aus der Sippschaft

sterben. Die beiden letzten, an Vampyrsagen gemahnenden Arten von

Aberglauben sind längst verschollen, ebenso die alte Sitte, dem Toten

ein Geldstück in den Mund zu legen, damit er, im Falle er einen ver-

borgenen Schah hinterließe, nicht als Spukgeift umgehen dürfte. Da-

gegen wird es von furchtsamen Gemütern noch heute als gefährlich be-

trachtet, einem Toten irgend etwas, das einem Lebenden gehört, mit

ins Grab zu geben, weil dadurch der Tote ihn nachziehen könnte. Alt-

münchnerisch hieß es: „wenn ein Zweiglein von einem Rosmarin-

strauche einem Toten ins Grab mitgegeben wird, so verdirbt der Stock,

sobald das Reis im Grabe fault". Manche haben es nicht gern, wenn

ein Toter die Augen nicht fest zu hat, sodaß er zu blinzeln scheint; er

soll dann nach dem nächsten Toten schauen. Weit verbreitet ist die

Meinung, daß die Trauernden keine Träne auf den Toten fallen lassen

dürfen, weil sie ihm sonst die Ruhe nehmen.

Ein Nagel von einer Totenbahre unter eine Türschwelle gelegt,

sollte nach altem Glauben verhindern, daß ein Dieb hereinkäme; wurde

ein solcher Nagel an den Standort eines Pferdes gesteckt, so sollte es

nicht weiter können, sondern stehen bleiben müssen. Ein Nagel, auf dem

Kirchhof gefunden, bringt dem den Tod, in dessen HauStüre er ein-

geschlagen wird.

Bisweilen geben sogenannte „könnende" oder „wissende" Frauen

den Rat, Kirchhofserde auf ein geschwollenes oder entzündetes Glied

zu legen: das heile trefflich. Ein alter Taglöhner, dem dieser Rat erteilt

wurde, nickte bedeutsam: „Sell glaab i scho," sagte er — „Kirchhofs-

erden heilt uns allesam."

c) Von den Festtagen

Eng verbunden ist das Münchner Volksleben mit der reichen Sym-

bolik des katholischen Kults. Gleich in den Beginn jedweden neuen

Jahres fällt das Fest der Erscheinung des Herrn, „Dreikönigstag"

genannt. In alten Urkunden wird er als der „obriste Tag" bezeichnet;

mit ihm schließt die geheimnisvollste Zeit des Jahres ab, die der zwölf

Rauchnächte (von Christi Geburt bis 6. Januar), in der christliche und

uralt heidnische Überlieferung sich wundersam vermischen. Am Vorabend

schon wird in der Kirche Wasser, Salz, Kreide und Weihrauch geweiht.

Mit dem Weihrauch, der früh beim Gottesdienst an allen Kirchtüren

zu Kauf steht, wird das Haus durchräuchert, während auf die Türen

von Haus und Stall die Anfangsbuchstaben der heiligen drei Könige

ch C -f- M j- B j- mit geweihter Kreide gemalt werden. Ehemals

räucherte der Hausherr sein Heim mit der Glutpfanne aus, auf die

außer dem Weihrauch noch Wachholder und andere heilsame, zur Ab-

wehr finsterer Mächte dienende Kräuter gelegt wurden.

An Dreikönig soll auch die Wünschelrute geschnitten werden, außer-

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dem noch zur Fastnacht und am Johannistag. Um Sonnenaufgang und

wann der Mond sich erneut, soll der Schnitt geschehen; ein jähriger

Trieb der Haselftaude hat die meiste Kraft. Während des Schnittes

soll man sprechen: „Ich schneide dich, liebe Ruten, daß du mir mußt

sagen, um was ich dich tu fragen und dich solang nit rühren, bis du die

Wahrheit tust spüren." Darnach ward die Rute getauft in der Hl.

Dreifaltigkeit Namen und auf einen der hl. drei Könige.

Sowohl am Vorabend wie am Abend des Dreikönigstages zogen

ehemals Kinder und junge Leute Gaben heischend umher unter Ab-

singen der uralten Dreikönigslieder, auch Sternlieder genannt. Meist

waren drei dabei, die sich als „Könige" hergerichtet hatten und auf

einer Stange einen goldpapierenen Stern trugen. Alte Münchner,

zumal in den Vorstädten rechts der Isar, erinnern sich noch wohl an

das „Ansingen" von Tür zu Tür; fast überall ward gern gespendet

für den frommen Sang. Außerdem aber hat der Dreikönigstag noch

die besondere Bedeutung, daß mit ihm der Fasching beginnt, der bei

der genußfreudigen Münchner Bevölkerung von Alters wie noch heute

sein volles Recht behauptet hat. Es muß jedem auffallen, wie gern

und leicht sich der Münchner in einer Mummerei, einem angenommenen

Charakter bewegt, zumal wenn eine Augenluft sich damit verbindet.

Alle Schichten und Stände sind sich darin ziemlich gleich.

Im 16. Jahrhundert pflegte der Magistrat von München noch

am Sonntag nach Dreikönig eine große nachmittägliche Schlitten-

fahrt zu veranstalten, an der die Bürgermeister, Ratsherren und

Patrizier samt ihren weiblichen Angehörigen teilnahmen. Die Herzoge

mit ihren Familien sahen aus den Fenstern der Neuvefte, später der

Residenz, dem Schauspiel zu und stifteten zu der Mahlzeit, welche her-

nach in der Trinkstube am Marienplah stattfand, das Wildbret, fanden

sich wohl auch bei dem nachfolgenden Tanze persönlich ein. Vom Jahre

1592 an suchte jedoch der Magistrat sich diesem Herkommen zu ent-

ziehen, während offenbar der herzogliche Hof, als einer ihm gebührenden

Huldigung, darauf bestand. Bei Herzog Wilhelm V. entschuldigte sich

der Magistrat im obengenannten Jahre mit der Tatsache, „daß bisher

noch kein Schnee gefallen sei" — bat auch aus diesem Grund um

Ausfallen der diesjährigen Schlittenfahrt, weil „mehrere ihrer Haus-

frauen schwangeren Leibes seien und daher das Herumfahren mit Schlit-

ten auf dem bloßen Pflaster gefährlich für sie fei." Mit Herzog Mari-

milian I. gab es eine längere Verhandlung in Sachen dieser Umfahrt.

Der Herzog ließ dem Magistrat zu Beginn des Jahres 1604 fein Miß-

fallen wegen der unterlaßenen Schlittenfahrt ausdrücken und gab den

Befehl, herum zu fahren, „es schneie oder nicht". Worauf unterm

18. Januar die Ratsherren dem sparsamen Fürsten hinrieben, daß er

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ihnen diesmal das Wildbret zum Bürgcrmahl nicht hätte zuordnen

lassen, und daß sie daher geglaubt hätten, er selbst wolle den Brauch

wegen der großen Unkosten abftellen. Sie rechneten ihm darnach die

Ausgaben vor, die auch sie gehabt hätten und baten, die Umfahrt

wenigstens bis zum Vorhandensein einer Schlittenbahn aufzuschieben,

zumal wieder etliche ihrer Hausfrauen krank oder in gesegneten Um-

ständen sich befänden. Es gab noch einiges Hin und Her, bis im De-

zember des gleichen Jahres der Rat dem Herzog auseinandersetzte: sie

(die Ratsherren) hätten nicht finden können, daß das Herumfahren

„aus einiger Schuldigkeit" geschehen, sondern es sei nicht anders, als

eine aus freiem Willen angestellte Ehrenbezeu-

gung. Der „Pöbel" aber habe in letzter Zeit davon spöttlich geredet,

als geschehe es dem Magistrate zum Spott und wegen einer von alters

verschuldeten Strafe. Es fei auch geschehen, daß die alten Geschlechter

merklich abgenommen haben, so daß sie kaum mehr sechs Geschlechts-

personen des Äußeren Rates ersehen können .... und Seiner fürst-

lichen Durchlaucht nur schlechte Ehr' erzeigt werde. Sie bitten daher um

gänzliche Aufhebung dieses Gebrauches. - Im Jahre 1608 ward ihnen

dann vom Herzog das jährliche Herumfahren wirklich für immer erlassen.

Es versteht sich, daß der Hof auch seine eigenen Faschingsfeiern

hatte; namentlich unter Max Emanuel und Karl Albrecht, doch auch

noch unter Max III. Joseph war als höfisches Karnevalsvergnügen

besonders die Nachahmung einer ländlichen Wirtschaft oder Bauern-

hochzeit beliebt. Schon im Februar 1670 unter Ferdinand Maria

stellte des Kurfürsten Schwägerin, Herzogin Febronia, die Wirtin eines

in der Residenz sehr geschickt nachgeahmtcn Wirtshauses dar; der Hof-

raispräsident Fürst von Fürstenberg spielte den Wirt, die übrigen Per-

sönlichkeiten des Hofes figurierten als Dienerschaft oder als Gäste.

Noch lustiger waren die Bauernhochzeiten, welche im Jahre 1719 ihren

Anfang nahmen. Der Hof und der hoffähige Adel, in die verschiedensten

bayerischen Bauerntrachten gekleidet, versammelte sich in Nymphenburg

und fuhr von dort im Schlitten nach München zur Residenz. Dort

stiegen sie ab und begaben sich in den Georgssaal, an dessen Türe ein

Schild mit der Aufschrift „zum bayerischen Löwen" hing. Am Eingang

des Saales wurden sie vom Kurfürsten als Bauernwirt und von der

Kurfürstin als Wirtin empfangen und bewillkommnet, worauf alles

nach Weise einer wirklichen ländlichen Hochzeit, zu der auch Stühle,

Gedeck und alle Äußerlichkeiten stimmten, durchgeführt ward. Die

Tänze waren im bäurischen Geschmack, die Musik bestand aus Geigen,

Dudelsack und Schalmeien, der Hochzeitlader brachte seine ländlichen

Sprüche in Knittelversen vor. Später wurden diese Bauernspiele durch

die mehr und mehr aufgekommenen Schäferspiele verdrängt.

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Minder üppig, aber um so lustiger und ungebundener, ging es im

Volke her. Das eigentliche Faschingstreiben zu München entfaltete sich

am letzten Donnerstag im Fasching, dem „unsinnigen Pfinztag". Da

zog alles in Maskengewändern, mitunter derb drolligen Verkleidungen

einher. Typische Figuren waren: der Hansl und die Gretl (auch Dudl

und Bartl genannt), die meist von jungen Burschen der Umgebung dar-

gestellt oder ausgestopft auf einem Karren geführt wurden. Zwei

groteske Bauerngestalten, er mit einem Stock und sie mit einem Korb.

In der Neuzeit fand das in München außerordentlich beliebte „Masch-

keragehen" hauptsächlich in den drei letzten FastnachtStagcn vom Sonn-

tag bis zum Dienstag statt. Ehemals war es am Fastnachtsdienstag

der Brauch, die Fastnacht in Gestalt einer hanswurstmäßig hergerichte-

ten Stroh- und Lappcnpuppe zu verbrennen; später, im München der

Prinzregentenzeit, gab es richtige Fastnachtszüge mit geschmückten Wa-

gen und allerlei witzigen Anspielungen auf jüngste Geschehnisse des

öffentlichen Lebens. Die allbekannten, weithin berühmten Künstlerfefte,

die sich von der Zeit Ludwigs I. bis in die Jahre kurz vor dem Welt-

krieg erstreckten, pflegten den Höhepunkt des Münchner Faschings zu

bilden.

Ein bedeutsamer Tag im Februar ist Mariä Lichtmeß (2. Februar),

an dem das Wachs für die Kerzen und diese selbst geweiht werden. An

diesem Tage soll sonnenloses Wetter sein, nach der alten Wetterregel:

wenn der Dachs an diesem Tage seinen Schatten sieht, schlieft er

wieder für 40 Tage ins Loch. Im übrigen tröstet sich jedermann, daß

die kurzen Tage zu Ende sind, denn bis Neujahr wächst der Tag einen

Hahnenschritt, bis Dreikönig einen Mannschritt, bis Sebastian (20.

Januar) einen Hirschensprung und bis Lichtmeß eine ganze Stund.

„Lichtmeß tut bei Tag eß", lautet ein bayerischer Spruch, der sich auf

das ehemals übliche Nachtmahl um 6 Uhr bezieht, das an diesem Tage

schon ohne künstliches Licht eingenommen werden konnte.

Der Aschermittwoch macht heute wie ehemals dem Faschingstreiben

ein Ende. Im Brunnen am Marienplah wäscht nach drolligem alten

Brauch manch Einer den leeren Geldbeutel aus. Die bis Mitternacht

gelacht und getollt haben, werden früh in der Kirche mit dem Aschen-

kreuz an der Stirn bezeichnet und vernehmen die alte, ernste Wahrheit:

„Gedenke Mensch, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehren

wirst!"

Die nun angebrochene Fastenzeit, die stille und hoffnungsreiche, wurde

und wird bekanntlich unterbrochen durch die Bock- und Salvatortage

mit ihrer derben Genußfreude. Fällt Ostern sehr früh, so kann der Aus-

schank der beiden berühmten Starkbiere in die Festzeit kommen; meist

aber sind sie das, was sie auch heißen: Fastenbiere. Inzwischen regt

sich schon überall das Walten des Frühlings: an Mariä Verkündigung

(25. März) kommen die Schwalben wiederum; der verschiedenen Früh-

jahrsbräuche und Frühjahrskuren ist bereits gedacht worden. Die wackere

Münchner Hausfrau läßt vor Ostern ihr Heim gründlich „stöbern"

(groß reinemachen), wie das auch im Herbst geschieht; hauptsächlich aber

nahm und nimmt die Sorge um den Schmuck der Seele, den die hohe

kirchliche Festzeit bedingt, die Gemüter in Anspruch. Am Palmsonntag

früh drängt sich jung und alt zur Palmenweihe. Die ersten jungen

Zweige und Triebe der Palmweide mit ihren grauen, sammetnen Kätz-

chen werden entweder als Sträuße oder in künstlicher Form um den

geschälten Stab einer Hasel gebunden, nach der Weihe heimgetragen

und daheim in der Wohnstube, meist im sogenannten Herrgottswinkel

(wo das Kruzifix hängt), aufbewahrt. Bei Ungewittern ein Stück der

geweihten Palmen auf dem Herdfeuer zu verbrennen, galt als Schutz

gegen Blitzschlag.

Am Gründonnerstag läuten bekanntlich die Glocken der katholischen

Kirchen zum letztenmal. Nach altem Volksglauben, der noch lange Zeit

in der Vorstellung namentlich der Kinder haften blieb, reisten die

Glocken in der Nacht nach Rom, um ihren Teil von dem Segen zu

empfangen, den der Papst am Karfreitag spendet; in der Nacht vom

Freitag auf den Samstag flogen sie dann wieder heim. Während die

Glocken schweigen, wird mit der „Ratsche", einer Art hölzerner Klap-

per, zum Gottesdienst gerufen. Eine Weibsperson, die mit ihrem

Sprechwerk allzu ausgiebiges Geräusch macht, bezeichnet der Münchner

Volksmund als „Karfreitagsratschen". Am Vormittag des Grün-

donnerstags werden in der Kirche die heiligen Ole geweiht; den

„12 Aposteln" (ehrbaren bedürftigen Greisen) wusch ehmals der König

die Füße und beschenkte sie; das Gleiche tut jetzt noch der Erzbischof,

wie auch in allen Klöstern die Fußwaschung ftattfindet. Daß am Grün-

donnerstag mittags eine grüne Suppe („Kräutlsuppe") verzehrt wird,

ist wohl überall Brauch. Nachmittags strömen die Andächtigen zu den

heiligen Gräbern, die bis zum Karsamstag in allen Kirchen errichtet

und mit bunten Lampen (Grabkugeln), Blumen und Kerzen geschmückt

sind. Am Karfreitag ward ehemals ziemlich allgemein gearbeitet; jetzt

bürgert sich in München mehr und mehr der Brauch ein, geräuschvolle

häusliche Arbeiten zu unterlassen, um die weihevoll trauernde Ruhe

des Tages nicht zu stören.

Der Karsamstag Morgen war in Alt-München fröhlich bedeutsam

dadurch, daß sich zumal die Knaben jeder Gemeinde in aller Frühe zur

Feuerweihe einfanden. Dies Feuer, das auf dem Kirchhofe oder in der

Vorhalle der Kirche entfacht und vom Priester geweiht wird, dient

dazu, um daran zuerst die dreiarmige Kerze, die das Sinnbild der Drei-

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faltigkeit ist, hernach die Osterkerze, die den auferstandenen Christus

bedeutet, anzustecken. Wer an diesem geweihten Feuer ein Holzstück,

Reisigbündel oder was immer Brennbares anzündet, trägt sich damit

den Segen nach Hause. Drum hatten die Buben und jungen Burschen

es eilig, die am Osterfeuer entzündeten Scheite heimzubringen, wenn

möglich brennend, wofür sie dann ein kleines Geschenk (Ostereier oder

dergleichen) erhielten. Auch alte Reime wurden bei dem Lauf gesungen.

Hier und da in den Münchner Vorstädten besteht der Brauch noch.

Gegen Abend wird, nachdem zuvor die „Auferstehung der Glocken"

in gleichzeitigem weilhallenden Geläut stattgefunden, die Auferstehung

des Herrn gefeiert, wobei in früherer Zeit tatsächlich ein wächsernes

oder hölzernes Heilandsbild, mit der roten Osterfahne in der Hand,

überm Altar emporgezogen ward. Jetzt geschieht dies nur noch in länd-

lichen und einzelnen klösterlichen Kirchen; aber die Osterwonne, die aus

aller Augen strahlt, ist darum nicht geringer.

Wer einem Nahestehenden eine Ostergabe reichen wollte, stand ehe-

dem recht früh am Ostersonntag auf und brachte ein Körbchen voll

leckerer Dinge in die Kirche, wo bei der ersten Messe die Speisen ge-

weiht werden. Da standen, resp. lagen nebeneinander das Tüchel, in

das etwa ein alter Austrägler die von ihm zu verschenkenden Eier ge-

bunden und der Korb mit Osterschinken, Ofterfladen, Eiern und sonsti-

gen Leckerbissen, den eine begüterte Hausfrau ihren Gefreundeten zm

gedacht hatte. Erft die Nahrungsknappheit der letzten Jahre hat den

schönen Brauch eingeschränkt. Von geweihten Speisen (vom „Geweich-

ten" heißt eö kurzweg) dürfen Reste und Abfälle nie weggeworfen

werden: auf dem Herdfeuer werden sie verbrannt, damit der Segen

beim Hause bleibe. Die liebe Jugend ergibt sich mit Eifer dem Spiel

des „Eierspeckens", indem zwei Kinder je ein buntes Osterei in der

Hand halten und diese gegeneinanderklopfen; wessen Ei dabei zerbricht,

der hat verloren und muß es dem anderen abtreten. So umgeben

freundliche und neckische Bräuche das hohe Auferstehungsfest. Sogar

die Sonne soll nach altem Glauben am Ostersonntag, wenn sie aufgehl,

drei Freudensprünge tun. Das Wasser, das jemand an diesem Tage vor

Sonnenaufgang in heiligem Schweigen aus einem Bach oder Fluß

schöpft, gilt als heilsam.

Das Fest Christi Himmelfahrt schließt die Ofterzeit kirchlich ab.

Altmünchnerische und überhaupt altbayerische Sitte war es, an diesem

Tage wieder eine, den Heiland darstellende Figur durch das Kirchen-

dach hinaufzuziehen. Etliche gaben dabei immer scharf acht, nach welcher

Himmelsrichtung das Heilandsbild sein Antlitz gewendet hielt, denn

daher sollten im Sommer die meisten Gewitter kommen. In München

aber hatte dieser Brauch noch ein Vorspiel. Am Vorabend des Himmel-

fahrtötageS vermummte irgend ein „Bacchant" oder „Vagant" (fahren-

der Gesell) sich als Teufel und wurde von etlichen, die als „Druden"

ebenfalls greulich hergerichtet waren, mit Krücken und Ofengabeln

unter Hallohgefchrei durch die Stadt gehetzt bis in die Hofburg, wo

man ihm zu trinken gab. Darnach ward die Teufelsverkleidung ihm

ausgezogen, fein mit Heu und Stroh ausgestopft, und diese Figur hing

über Nacht an einem langen Strick aus dem Fenster des einen Frauen-

kirchturmö heraus. Wenn dann am Himmelfahrts-Nachmittag die

Gestalt des Herrn emporgeschwebt war, warf man die Teufelspuppe

von der Höhe des Gewölbes herab, als ein Zeichen, daß der Fürst der

Finsternis durch den Heiland überwunden fei. Dann schleiften die

Buben die Teufelspuppe vor die Stadt auf den Gafteig, wo sie unter

Lärm und Jubel verbrannt wurde.

Ein durchtriebener Schalk vom Hofe Herzog Wilhelms IV., mit

Namen Liendl Lautenschlager, führte einst den Streich aus, den

„Herrgott", der gen Himmel fahren sollte, vorher aus der Frauenkirche

zu entwenden und mit ins Wirtshaus zu nehmen, wo er ihn hinter

den Tisch setzte und ihm fleißig zutrank. Das Ding ward ruchbar und

die Heilandsfigur ward zur Himmelfahrt in die Kirche zurückgebracht,

Liendl aber wegen seines Frevels zur Verantwortung gezogen. Er gab

an: er habe ja nur „die Letz" getrunken mit unferm Herrn, damit es

der ihm einst vergelte und im Himmel ihn freihalte. Der Herzog

verwies ihm streng seinen unzeitigen Scherz: mit dem Teufel könne

er Schwank treiben, nicht aber mit unferm Herrgott. Darauf ging

Liendl am nächsten HimmelfahrtStag hin und bemächtigte sich der vom

Frauenturm herabhängenden Teufelspuppe und stellte sie nächtlicher

Weile an den Pranger, nachdem er ihr noch einen schönen Fuchspelz,

den er unter anderem Vorgeben von seinem Wirt entlehnt, angezogen

hatte. Der Streich kam alsbald auf; Liendl jedoch, wiederum verklagt,

redete sich frischweg auf den Herzog aus, der ihm im Vorjahr befohlen

habe, künftig mit dem Teufel Scherz zu treiben. Diesen Schelmen-

streich hat kein Geringerer in Versen verewigt, als der teure Meister-

singer Hans Sachs, der 1514 während seiner Wandcrzeit sich in

München aufhielt. (Hans Sachs hat außer diesem Schwank noch

andere auf München bezügliche Dichtungen und einen gereimten Lob-

spruch auf die Münchnerstadt verfaßt.)

Bald nach dem Himmelfahrtötage ist wiederum „Pfingsten das

liebliche Fest" gekommen, wo alle Kirchen mit Maien (jungen Birken)

geschmückt und die Altäre mit Pfingstrosen geziert sind. Auch der häus-

liche Tisch prangt mit Blumen und Grün. Vormals hielt zu München

— (ein Brauch namentlich der Handwerksgesellen und Lehrlinge) — der

„Pfingstlümmel" oder „Wasservogel" seinen Umzug, eine ganz in

* 218 *

* 219 *

Grünwerk vermummte Jungemannsfigur zu Pferde, von andern fungen

Burschen zu Fuß oder zu Pferd umgeben. Er sagte seinen alten, in

verschiedenen Fassungen üblichen, Spruch auf und wurde mit Eß-

waren, auch mit etwas Geld beschenkt. Bis gegen Ende des 18. Jahr-

hunderts pflegten auch aus der Umgebung Münchens junge Bauern-

burschen beritten nach München zu kommen, wobei sie zwei ausgestopfte

groteske Figuren, HanS und Grell genannt, herumführten. Diese

Figuren waren an den entgegengesetzten Enden eines umlaufenden

RadeS befestigt, reichten einander wie zum Tanz die Hand und wurden

von ihren Führern vor jedem Wirtshaus unter Hersagen eines gereimten

Spruches, sowie unter großem Jauchzen und Johlen der Zuhörer vor-

geführt. Das allzu ausgelassene Gebaren der Burschen bei Übung dieser

Pfingstbräuche war schuld, daß das „Pfingstlreiten" verboten ward.

Da um Pfingsten die Zeit der Firmungen ist, herrscht große Nach-

frage nach Firmpaten. Diese Würde ist zwar minder verantwortungs-

voll als die Taufpatenschaft, doch kann sie stets nur einer Person

und zwar vom selben Geschlecht wie der Firmling übertragen werden.

Das mit dem größten Prunk und Aufbietung aller künstlerischen

Kräfte begangene Kirchenfest im alten München war die Fronleich-

namsprozession. Ihren Höhepunkt erreichte die Ausgestaltung dieses

Festes unter Herzog Wilhelm V., der seinen Rat, den Lizenziaten

Müller, einen Freund Orlando di Lassos, zum Generaldirektor der

Prozession bestellte. Wochenlang vorher erwog im Verein mit diesem

eine Anzahl von Hoftheologen, Hofbeamten, Mitgliedern des Stadt-

rates und erfahrenen Werkleuten alle Vorbereitungen. Gebete um

schönes Wetter wurden angeordnet und durch Almosen unterstützt. Fast

sämtliche Figuren des Alten und Neuen Testaments wandelten in

Gruppen vorbei. Gottvater selbst erschien als würdige, bejahrte

Mannesgestalt mit langem grauem Barte; ein ähnlich ehrwürdiges

Ansehen mußten die Patriarchen und Propheten haben, während die

Hohenpriester und Pharisäer feiste, aufgeblasene Gesichter und künstlich

ausgestopfte Bäuche zur Schau trugen. Sechzehnmal im Zuge trat

die Gestalt der Gottesmutter Maria auf: die auf dem Esel Sitzende

bei der Flucht nach Ägypten mußte das längste Haar, die als schmerz-

hafte Mutter Auftretende verweinte Augen haben. Hiob, auf dem Miste

sitzend, kratzte sich von Zeit zu Zeit mit Scherben; Jonas, der Prophet,

dargeftellt durch einen kecken, gewandten Buben, schlüpfte an bestimm-

ten Straßenecken in seinen Walfisch hinein und an anderen wieder

heraus. Die Pharaonen durften in kostbaren Schlafröcken aus dem

Nachlaß Herzog Albrecht V. prangen, mußten aber, wenn sie trinken

wollten, zur Vorsicht ein „Tifchfazinetl" (Serviette) vornehmen. Bei

den neunzig Engeln hatte der Generaldirektor sehr darauf zu achten,

* 220 *

daß nicht etwa einflußreiche Eltern ihre unansehnlichen Knaben unter

die holdselige Schar hineinschmuggelten; überhaupt ward dem wackeren

Manne das Leben so sauer gemacht, wie nur irgend einem heutigen

Theaterintendanten, und er mußte ernstlich darauf Hinweisen, daß das

Mitwirken an diesem gottseligen Werk gleich verdienstlich sei, ob eines

nun eine hervorragende oder geringere Rolle spielte.

Der Eindruck so vieler wohlgebildeter und schöngewandeter Gestalten

hat übrigens hie und da (wiewohl diese Ausgestaltung der Prozession

auch zahlreiche Gegner fand) sehr anmutige Wirkungen gezeitigt. So

hatte Lizenziat Müller einmal für die Darstellung der Rebekka am

Brunnen die Köchin eines angesehenen Münchner Hauses mit Namen

Veronika, die „ein schönes, wohlbetendes und gottesfürchtiges Mensch

war", erkoren. Die sah ein vermöglicher Handelsmann aus Bozen, der

zum Zusehen gekommen, und fand solches Gefallen an ihr, daß er sie

vom Fleck weg heiratete.

Die hübscheste und bekannteste Geschichte, die sich an jene prunk-

vollen Umgänge knüpft, ist Müllers Erzählung von der Prozession des

Jahres 1584, wo morgens um 4 Uhr ein schreckliches Wetter losging

— der Generaldirektor erhob sich an diesem Tage stets um halb zwei

Uhr — und auch zu Beginn der Prozession der Himmel jeden Augen-

blick mit Regen zu drohen schien. Im Augenblick aber, als das Aller-

heiligste aus der St. PeterSkirche herausgetragen ward, und Meister

Orlando di Lasso seinen „herrlichen, wohlkomponierten, lieblichen Ge-

sang ,Gustafe ed videte1" anheben ließ, brach die Sonne hervor und

schien während der ganzen Prozession zur innigsten Freude des Lizen-

ziaten Müller, sowie auch des Fürsten und aller Teilnehmer. Erft nach-

dem die Prozession vorüber war, fing eS wie mit Schäffeln zu gießen an.

Gut Wetter am Fronleichnamslage gilt auch der Ernte wegen für

wünschenswert, denn „Corpus Christi hell und klar, deutet ein gutes

fruchtbares Jahr."

Am Fronleichnamstag sind selbstverständlich auch heute die Straßen,

welche die feierliche Prozession durchschreitet, mit grünen Birken be-

steckt; bunte Decken und Teppiche hängen aus den offenen Fenstern der

Häuser, in reichem Blumenschmuck prangen die im Freien aufgerichteten

Ältäre, an denen die vier Evangelien gelesen werden. Und wenn schon

vom Bilderreichtum der früheren Zeit so gut wie nichts geblieben ist,

tut der Anblick der hohen und höchsten geistlichen Würdenträger, das

Mitgehen der Bruderschaften und katholischen Studentenkorporationen,

der lieblichen weißgekleideten Kinder und jungen Mädchen immer noch

seine Wirkung. Nach der Prozession stürzen die Zuschauer, die jugend-

lichen zumal, sich auf die straßenschmückenden Bäume und reißen sie in

Stücke, um ein Zweiglein mit heimzutragen.

* 221 *

Bald hinter dem Lorpu8 Okristi-Tag kommt Johannes des Täu-

fers Tag mit seinem lohenden Feuerzauber. Vom Sonnwendfeuer zu

München ist schon erzählt worden; wer darüber sprang unversengt, galt

für ein Jahr als gegen Fieber gefeit. Wer durch den Kranz, den er beim

Tanzen um das Feuer getragen hatte, hindurch ins Feuer sah, den

befiel angeblich kein Augenweh; ein noch glühender Brand vom Subend-

seuer sollte ein Feld, in das er gesteckt wurde, vor Hagelschlag schützen.

Gegen solchen Aberglauben trat schon frühzeitig die Kirche auf; doch

erhielt der Brauch des Sonnwend- oder IohannisfeuerS sich zu Mün-

chen bis ins achtzehnte Jahrhundert, bis wiederholte polizeiliche Ver-

bote ihn als feuergefährlich abstellten. Wunderschön anzusehen sind die

Bergfeuer am Johannisabend, die, auf einer Anhöhe oder Bergkuppe

entzündet, wie große Sterne die Nacht erleuchten. Durch Hinein-

schauen in ein fließendes Wasser, in der St. Iohannisnacht unter An-

rufung des Heiligen, hoffen junge Dirnen ihren künftigen Liebsten zu

erblicken. Wasser, das schweigend in der Frühe des Johannistages aus

einem dem heiligen Täufer geweihten Brünnlein geschöpft wird, soll

gleiche Heilkraft haben, wie das am Morgen des Ostersonntags geholte.

Wer sich des Tages noch besonders freut, sind die Jäger und die Wil-

derer, denn zu Johanni geht die Jagd auf.

An den Johannitag knüpfte sich zu München ein alter Handwerks-

brauch, der bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts bestanden hat. Die

Lehrlinge der Schmiede und Schlosser trugen nämlich an diesem Feste

eine kleine als Schmied gekleidete Puppe, je zu vier und vier, herum.

Vor den Häusern ihrer Kunden schnellten sie die Puppe auf einem

Leintuch auf und nieder, was man das „Jackelschutzen" hieß: Dazu

sangen sie:

Wir schützen den Jackl in alle Höh',

Daß ihm's Weiß in 'n Augen vergeh'.

Eins, zwei, drei.

Der Jackl, der hat a groß' Paar Augen,

Der taugt uns wohl zum Geld aufklauben.

Eins, zwei, drei.

Der Jackl, der hat a große Nas'n,

Die taugt uns gut zum Feuer anblasen.

Eins, zwei, drei.

Der Jackl ist gar hochgeborn,

Hat wenig Hirn und lange Ohrn.

Eins, zwei, drei.

Natürlich empfingen sie von den Kunden für das Jacklschutzen ein

kleines Geschenk. Der Name soll sich herleiten von dem großen Schmied-

hammer, den die Schlosser und Schmiede „Jackl" nennen.

Auf Johannitag folgt der Festtag der Apostelfürsten Peter und Paul

(29. Juni), der zwar vom Städler auch mit Besuch der Gottesdienste

und Rasten von der Alltagsarbcit gefeiert wird, doch nicht so eifrig wie

auf dem Lande, wo die zwei hohen Apostel als besondere „Wetter-

herren" geehrt sind.

An Mariä Heimsuchung (3. Juli) hat es Jedermann nicht gern,

wenn es regnet, denn sonst regnet es drei Wochen lang. „Wie unser

liebe Frau übern Berg geht" - (naß oder trocken) — „so geht sie

wieder zurück."

So lange die Frucht auf dem Felde steht, sind Prozessionen und

Bittgänge in Münchens Umgebung häufig, um Regen und Sonne, Ge-

deihen des täglichen Brotes zu erflehen. Desgleichen ist der Sommer

die Zeit der meisten Wallfahrten. „Mit dem Kreuz gehen" heißt das

Wallfahrten auf altbayerisch, und die Wallfahrer heißen auch „Kreuz-

leut". Von berühmten Gnadenorten nahe bei München steht schon an

anderen Stellen dieses Buches zu lesen. Ein Haupttag, um nach Maria

Eich oder gar zur Muttergottes von Altötting zu wallen, ist der „Groß-

frauentag", nämlich Mariä Himmelfahrt (15. August). Nichts ist

holder, als die an diesem Tage in allen Kirchen schimmernde bunte

Blumenfülle, denn an Mariä Himmelfahrt werden Blumen und

Kräuter in großen Buschen und Körben zur „Kräuterweihe" gebracht.

Die schönsten Blüten des Spätsommers umduften den Altar; heilsame

Kräuter — heißt es — haben besondere Heilkraft in dieser Zeit, wie

auch die giftigen oder für giftig geltenden Tiere und Pflanzen in ihr

die giftige Eigenschaft verlieren.

Mit Mariä Himmelfahrt, dem schon erwähnten Großfrauentag, be-

ginnt der „Frauendreißigft". Etliche Bäuerinnen, auch Städterinnen,

hangen fest an der Meinung, daß die während des „Dreißigft" ge-

legten Hühnereier sich besser halten als alle übrigen, wie ja auch die

Küchenkräuter in dieser Zeit am besten seien. Der „kleine Frauentag",

Mariä Geburt (8. September), schließt den Dreißigst ab und schließt

die schöne Jahreszeit, denn „an Mariä Geburt ziehen die Schwalben

furt". Dem kleinen Frauentag vorher geht noch das Erntedankfest,

nachdem das „tägliche Brot" glücklich in Scheunen und Vorratsräumen

geborgen ist.

Die in den Herbst fallende Kirchweih bringt fett gebackene Schmalz-

nudeln und die rösch gebratene Kirchweihgans. Die Hauptfreuden des

Herbstes sind übrigens dann für den Münchner alter und neuer Zeit

eigentlich schon vorüber, da das vierzehn Tage währende „Oktoberfest",

der Kirchweih voraufgeht. Dies Fest, von König Max I. eingeführt,

hat als Zweck und Ursprung eine Ausstellung der Landwirtschaft Bay-

erns, zumal des heimischen Viehstandes. Die besten Tiere inländischer

* 222 *

* 223 *

Zucht erhalten Preise, deren Verteilung ehemals vor dem weißblau

gestreiften, inmitten der Therefienwiese errichteten KönigSzelt stattfand.

Es kamen drollige Szenen dabei vor, wie z. B. daß ein Bäuerlein dem

verstorbenen Prinzregenten Luitpold die Hand dankbar schütteln, oder

ein etwas protziger Großbauer nach der Prämierung seines Stieres

dem ersten Bürgermeister von München ein Trinkgeld geben wollte.

Wettrennen von tüchtigen Bauerngäulen finden statt, auch Preisschie-

ßen um eine Ehrenscheibe und eine Menge von Volksbelustigungen,

wie eine solche Gelegenheit sie mit sich bringt. Der erste Sonntag im

Oktober war der Haupttag: da bewegte sich der Feftzug, in dem auch

heute alle möglichen Münchner Vereine und ländliche Trachten vertre-

treten sind, auf die von Menschen wimmelnde Festwiese zu Füßen der

ehernen Bavaria. Die Budenstadt, die sich da ausbreitet, gewährt

einen nahezu phantastischen Anblick; es duftet nach Eß- und Trinkba-

rem von aller möglichen Art. Das Fest dauert noch eine Woche nach dem

Hauptsonntag; dann beginnt, nach nur achttägiger Ruhepause, die

Herbftdult (Michaelidult) in der Vorstadt Au, wo man ehemals die

schönsten alten Stoffe, Geräte, Bücher um ein Spottgeld kaufte.

Heute sind alle diese Dinge dort so teuer, wie sie auf allen Messen und

Märkten und in sämtlichen Trödlerläden sind. —

Mählich wird es still in Stadt und Land. Über die kahle Erde pfeift

der kalte Wind. Das ernsteste Fest des Jahres naht: Allerheiligen-

Allerseelen. (I. und 2. November.)

Am letzten Oktober schon stehen viele Gräber geschmückt; es wimmelt

und hastet zwischen den Grabfeldern, durch die Kirchhofsportale. Lam-

pen und Kerzen werden herbeigetragen, die letzten Herbstblumen als

Kränze und Sträuße über die Hügel ausgestreut. Es fällt oft schon

der erste Schnee um diese Zeit, wenn der Geistliche im Rauchmantel,

mit dem Weihwedel den Gang um die Gräber antritt. Liegt viel

Schnee, so sagte man ehemals, daß im kommenden Jahre viel Wöch-

nerinnen sterben würden. Der alte Aberglaube, daß der, welcher in der

Allerseelennacht um zwölf Uhr sich auf den Friedhof oder auf einen

Kreuzweg stellt, die Toten des künftigen Jahres vorbeiziehen sieht, ist

bekannt. Altbayerischer Glaube ist außerdem: die in der Fremde begra-

ben liegen, kommen in der Nacht vor Allerseelen an ihren Heimatort

geflogen, um am Libera und Segen auf dem heimischen Gottesacker

ihren Anteil zu haben. Noch eine alte Überlieferung erzählt von den

nächtlichen Gottesdiensten der abgeschiedenen Seelen in Kirchen und

Domen. Die Nacht vom l. auf 2. November gibt alle Geister frei.

Fährt der Wind heulend und mit unheimlicher Macht einher, so hören

feine Ohren das Klagen der abgeschiedenen Seelen heraus. In alten

Zeiten war es Brauch, den armen Seelen Speise hinzustellen; wer

* 224 *

ihnen diese wegaß, mußte noch im selben Jahre sterben, dafern er nicht

durch eine besondere Guttat einer armen Seele aus dem Fegfeuer

half. Besonders verdienstlich sind Gebete und Liebeswerke für das Heil

der allerärmsten Seele, deren sonst Niemand mehr gedenkt.

Am 25. November ist in München in vielen Gasthäusern „Kathari-

nentanz", weil hernach, im Advent, die fromme Vorbereitung auf die

Ankunft des Gotteskindes solche Vergnügungen nicht zuläßt. Daher

der Spruch: „Sankt Kathrein stellt's Tanzen ein."

Advent! — Im „Engelamt" in der dunklen Frühe tönt der alte

flehende Gesang: „Tauet Himmel den Gerechten, regnet Wolken ihn

herab! Auf tue sich die Erde und sproße den Heiland!"

Dem von den Kleinen so sehnlich erwarteten Christkind geht noch

ein Gabenspender voraus, der Nikolaus oder Niklo am 6. Dezember.

Nach alter Sitte erschien er als heiliger Bischof, meist beritten, weiß-

gewandet mit goldenem Hauptschmuck; als finsterer Gefährte schritt

ihm der haarige, ungefüge Klaubauf zur Seite. Heutzutage kommt,

um Fleiß und Betragen der Kinder zu prüfen, ehrwürdig im langen

Bart und Pelzrock der „Niklo" mit Sack und Rute, macht aber von

der letzteren selten Gebrauch, schüttet hingegen fleißig den süßen In-

halt des ersteren aus. Alle Bäcker-Schaufenster Münchens liegen voll

eßbarer Nikolausfiguren aus Marzipan- und Lebkuchenteig, zum Teil

nach entzückenden alten Modeln, zum Teil grotesk modern: Teufel,

Bauernweiber, Bergfexn und dergleichen.

Eine anmutige Art, das Schicksal zu befragen, bringt kur; vorher

der Tag der heiligen Barbara, der 4. Dezember. Überall wurden und

werden an diesem Tage „Barbarazweige" feilgeboten, d. h. Zweige

vom Flieder, vom Kirschbaum, der Kastanie usw., die schon Augen an-

gesetzt haben. Die stellt man in laues Wasser in einen warmen Raum

und tut bei jedem Zweig einen heimlichen Wunsch. Hat der Zweig bis

Weihnacht Blüten getrieben, so geht der Wunsch in Erfüllung.

Die drei letzten Sonntage vor dem Christfest hießen ehemals: der

„kupferne", der „silberne" und der „goldene"; an allen dreien durf-

ten die Verkaufsläden geöffnet fein.

Im alten München hieß der Abend des letzten Donnerstages vor

Weihnachten „die Klöpfleinsnacht". Es war üblich, daß die Dienst-

mägde bei den Krämern, Bäckern und sonstigen Gewerbsleuten, wo sie

das Jahr über einkauften, desgleichen die Lehrlinge bei den Kunden

ihrer Handwerksmeister, ein kleines Geldgeschenk oder auch Lebkuchen,

Kletzenbrot und Ähnliches erhielten. Dabei sagten oder sangen sie

folgenden Spruch:

15

* 225 *

„Hollah, Hollah, klopf an!

D' Frau Hot an scheanen Mann.

Geit mir d' Frau a Küchl zum Lohn,

Daß i an Herrn gelobt hon;

A Küchl und an Zelten.

Da Peter wirdS vergelten;

Da Peter is a heil'ger Mann,

Der alle Ding vergelten kann."

Womit gesagt sein sollte, daß St. Peter, der Himmelspförtner, der-

einst den Mildtätigen mild vergelten und ihnen die Himmelstüre öff-

nen werde.

DaS „Klöpfeln" auch „Anfingen" ward außerdem sowohl an den

Abenden vor Weihnachten, wie in der ganzen Zeit zwischen Weihnacht

und Dreikönig geübt. Anklopfend und die alten schönen Weihnachts-

lieder singend, zogen Kinder und junge Leute von Haus zu HauS, wur-

den überall reich beschenkt. „Halloh, halloh, Klöpflesnacht 1 Wer nir

gibt, der iS nit brav", riefen sie strafend an den Häusern empor, wo

ihnen nicht alsbald aufgetan ward. Jetzt ist der Brauch nur noch hie

und da auf dem Lande lebendig.

Mit zahlreichen Wundern schmückte die Volksphantasie ehedem die

gnadenreiche Weihnacht aus. Um Mitternacht sollten an den dürren

Asten der Obstbäume goldene und silberne Blüten aufsprießen; aus

dem Brunnen sollte lauterer Wein rinnen, aber dem Vorwitzigen, der

absichtlich deswegen von der Christmette daheimblieb, konnte es übel

ergehen. Ein Schlemmer und Trunkenbold erpaßte die Mitternacht,

um gierig an den nächsten Brunnen zu eilen und deffen Strahl sich

ins Maul laufen zu lasten. „I schmeck an Wein", schrie er beglückt,

und - „du bist mein", ergänzte der Teufel, der schon lange auf ihn

gelauert hatte und nun mit ihm davonfuhr. Um Mitternacht soll auch

das Vieh im Stalle menschliche Sprache erhalten und die Zukunft

offenbaren können.

Da sehr viele Münchner zur Christmette gehen, sind die Straßen

Münchens gegen Mitternacht so belebt, wie am Tage. Das Schießen

aus Freude ist lange abgekommen; daegegen ist in jüngster Zeit die

alte Sitte des nächtlichen Blasens vom Kirchturm wieder neu belebt

worden. Auf den Friedhöfen, obschon diese jetzt weit außerhalb der

inneren Stadt liegen, geht es am hl. Abend lebhaft zu. Tannen-

bäume und Lichterkronen brennen auf vielen Gräbern, ein Zeichen,

daß die Liebe nimmer aufhört.

Wie schon erwähnt, fand in München am zweiten Weihnachtsfeier-

tage, dem Tage des Erzmärthrers Stephan, der Stephansritt statt.

Denn dieser Heilige ist, außer dem heiligen Leonhard und dem heiligen

Wendelin, der Hauptpatron für das Vieh, zumal für die Pferde. An

seinem Feste ließ man darum den Pferden zur Ader oder ritt sie um

eine Stephanskirche herum, wie dies in München um die StephanS-

kirche des alten (südlichen) Friedhofes geschah.

Die Nächte zwischen Weihnachten und Dreikönig führen gemein-

sam den Namen „Rauhnächte" oder „Rauchnächte" und gelten sämt-

lich als zum „Löffln" geeignet. Um z. B. zu erfahren, ob ein Verschol-

lener noch am Leben ist, bindet der Fragende in einer der Rauhnächte

einen Ring an einen Faden und nimmt diesen zwischen die Finger,

indem er sich vor den Tisch stellt. Auf den Tisch sind ein Stück Brot

und ein Häufchen Erde gelegt; neigt nun der zwischen den Fingern

baumelnde Ring sich nach dem Brot, so lebt der Verschollene noch — i

im andern Falle ist er tot. Vollends am letzten Tag des alten und er-

sten Tag des neuen Jahres, tritt alter Brauch und Glaube, auch

Aberglaube in sein Recht. Nachdem in den Kirchen feierlicher JahreS-

schluß stattgefunden hat, gibt eS allerorten fröhliche Silvesterfeiern mit

Punsch und Krapfen. Auch wird mit großem Lärm um Mitternacht

das neue Jahr angeschoffen. Aber daheim im Stübchen legt vielleicht

Mancher oder Manche sich einen geweihten Gegenstand unter das

Kopfkiffen, weil es heißt, daß einem dann das Erleben des neuen

Jahres träumt. Oder ein Mädchen übt einen von den schicksalskünden-

den Bräuchen, die in der Silvesternacht gang und gäbe sind. Eine

Art, um zu erforschen, welcher Art der künftige Gatte sein würde,

war folgende: Am Neujahrsmorgen stellte sich das Mädchen früh vor

die HauStüre, einen vom Christabend aufbewahrten Apfel schälend.

Wer dann zuerst vorbeiging, ein Schuster, Schloffer, Schreiber usw.

aus deffen Stande sollte ihr Liebster sein. Es galt und gilt auch noch

für wichtig, wer Einem am ersten Januar zuerst begegnet. Alte und

Kranke sollen Unglück bringen, Kinder und junge, schmucke Leute

Glück.

Das Neujahrsingen ist, wie überhaupt das Singen und Klöpfeln

dieser Festzeit, aus München verschwunden; ehemals war es allge-

meiner Brauch. Die schönen alten Lieder, die dabei gesungen wurden,

bezogen sich alle auf die gnadenreiche Geburt des göttlichen Kindes,

auf das neue Jahr, „das uns hereingeht", außerdem enthielten sie

Wünsche für sämtliche Hauögenoffen. Solch ein Lied möge hier am

Schluffe im Auszug stehen:

„Wir treten einher ohn' alles Gefahr,

Wir wünschen euch Allen ein glückseligö Neujahr,

Ein neues Jahr, eine gute Zeit,

* 227 *

* 226 *

Die uns Gott Vater vom Himmel geil.

Wir wünschen Euch einen goldenen Tisch,

An jedem Eck ein' gebackenen Fisch

Und in der Mitten ein GläSlein Wein,

Das soll euch wohl bekommen sein!

Wir wünschen euch zum neuen Jahr

Ein neugeborns Christkindl mit krausem Haar.

Wir wünschen Gesundheit für Klein und Groß,

Gott behüt' eure Truhn, eure Rinder und Roß;

Und daß wir aufs Jahr wieder kommen gegangen,

Und daß wir uns Alle mit Freuden empfangen.

Sprecht Amen, sprecht Amen! das werde wahr:

Gott führ' uns allsammen zur himmlischen Schar!

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Lorenz Westenrieder „Abriß der Baierischen Geschichte" (München 1822).

F. p. Zauner „München in Kunst und Geschichte" (München 1914).

F. p. Zauner »Münchens Umgebung in Kunst und Geschichte".

Zeitschrift des „Vereins für Volkskunde" (Berlin).

Zeitschrift des „Htstor. Vereins für Oberbayern" (München).

Zeitschrift des „Bayer. Heimatschutz" (München).

Ferner: zahlreiche heimatkundliche Aufsätze in den letzten Jahrgängen der

großen Münchner Tageszeitungen.

* *

*

Außer dem Danke, den ich den obgenannten Verfassern und Quellen

schulde, bin ich für wertvolle mündliche Aufklärungen und Winke den Herren

prof. Or. Max Buchner, Oberregterungsrat, prof. Or. Karl Alex. v. Müller

und prof. Or. Karl Trautmann höchlich verpflichtet. Gütige Auskünfte auf

einzelne Fragen, vorab von den Herren des Städt. Archivs, haben mich sehr

gefördert. D. Verf.

Inhalts-Verzeichnis

Getto

Vorwort.......................................................................................................... 5

I. Abteilung: Geschichtliches und Sagenhaftes v. MünchnerDom7—23

Die Erbauer / Der Teufelstritt unter der Orgel / Unser Herr am Slberg / Das schwarze

Kruzifix, die Mrkenfahne und die „kunstreiche Uhr' / Der heilige Benno, Münchens Schutz-

patron /Das Bild mit den gesenkten Händen/Konrad paumann/Kaiser Ludwigs Grabmal

II. Abteilung: Der Marienplah....................................23 — 52

Das Rathaus/Dlez Swlnburg / Was auf dem Marktplatze sonst geschah / Das Wurmeck /

Der große Chrlstoffel am vermarkt / Der Bürgerstrett mit den Herzögen und der Tag von

Alllng / Dle Schweden in München / Die Pest in München / Der Schäfflertanz / München

im spanischen Erbfolgekrleg / Vom Mchgersprung / Die Marlensaule

III. Abteilung: Rtngs in der Altstadt.............................52 — 114

a) Nördlich und westlich vom Marlenplatz: In der Burggasse / Der Max Iosephplatz / Dle

dleblsche Dohle/Der Spleaelbrunnen/AuS der Gruftgasse /Der Schlafhaubenkramer /Kloster

und Kirche der Theatlner/Der Salvatorplatz und der Iungfernturm/Die Studkenklrche und

dle Drelfattkgkettsklrche / Der Bau der MlchaelSkirche / Unsere llebe Frau vom Herzogfpttal/

Der Bürgerfaal und dle Augustlnerkirche / Die drel Raben / DaS Ettaler HauS an der Für-

stenfelderstraße / Der schöne Turm

b) Südlich und östllch vom Markenplatz: Von Sankt Peter / Herzog Fordlnand und Marla

pettenbeck / In der Sendllngerftraße / Dle Johann NepomukS-Kirche in der Sendllnger-

straße / Das Sendllngertor und das Fausttürmchen / Dle schmerzhafte Kapelle und das Ka-

puzlnerkloster / Vom alten Friedhof „am Kreuz" und vom südlichen Friedhof / HundSkugel zu

München / Sankt Jakob am Anger / Das Münchner Gnadenjahr / Vom Münchner Bier/

Die Münchner Sauerbäcken / Die Wadlcrbrezen / Kirche und Spltal zum heiligen Geist

IV. Abteilung: AusMünchensFürstenschlössern.............114 — 144

Von den Burgen und Schlössern / Ludwig „der Strenge" / Der Turmaffe im „alten Hof"/

Herzog Christoph der Kämpfer /Herzog Wilhelms V. Hochzeit und die Mär vom Doktor Fau-

ftus/Albrecht V. und Orlando di Lasso/Der erste Kurfürst/Schleißheim / Kaiser Karl VH./

Nymphenburg / Max Hl. Joseph / Karl Theodor, Maria Anna und die Zweibrückener

V. Abteilung: Außerhalb der Tore.............................144—194

a) Rechts der Isar: Von Sankt Emmeram/Frau Uta zu Truderkng und Frau Uta zu Föhrkng/

Ramersdorf / Bogenhausen / St. Nikolaus am Gafteig / In der Au / Der Walsenvater /

Pestsagen aus Giesing/Vom Salvator / Von pachem und vom Hachlnger Bach/Harlaching

b) Links der Isar: An der Isar / Schwabing / Sendling /Neuhausen und der Winthirstein/

Die Entstehung von Thalkirchen/Die Birg bei Hohenschäftlarn / Wolftalshausen: a)Vom seli-

gen Konrad Nantwein,- b)Vom Gastabudel/Marla Elch/Wie Karl der Große geboren ward

(Mühlthal b. Starnberg) / Bucintoro (Starnberg) / Fürstenfeldbruck: a) Ludwlg des Bayern

Tod/ b)Dke helllge Cdigna zu Puch / Vom seligen Grafen Rasso/Vom helllgen Berg AndechS

VI. Abteilung: Alt-München in Bräuchen, Sitten und Meinungen

a) DaS tägliche Leben, b) Liebe, Hochzeit, Geburt und Tod, c) Don den Festtagen 194 — 228

Benutzte Literatur..............................................229—230

Vorwort

Dies Buch ist keine Chronik, überhaupt kein gelehrtes Buch. Es

läßt sich auch nicht als ein Führer durch München und Umgebung be-

zeichnen, denn ein Führer hat hinzuweisen auf gute, billige Unterkünfte,

auf Sehenswürdigkeiten und schöne Aussichtspunkte. Unser Buch will

den Wanderer durch Münchens Straßen, in Münchens Umgebung

erinnern an das, was an der und der Stätte geschehen ist oder was für

eine Mär davon erzählt wird. Nicht zuletzt aber will es ihn mahnen

an die Sonderart, die Vorstellungen, Meinungen und Sitten des

kernigen deutschen Stammes, der hierzulande haust. Gewöhnlich wird

über der Gegend oder den in einer Stadt angesammelten Kunst-

schätzen und Vergnügungsstätten vergessen, daß hinter alledem ein Volk

steht. München gilt den Meisten als das „gemütliche München", wo

fidel zu leben ist, als die Kunststadt, die Stadt des Faschings und der

internationalen Sommerfreuden. Selten, daß Einer mehr in die Tiefe

dringt, sich Gedanken darüber macht, wo eigentlich Münchens und ganz

Bayerns Kraft und Ehre liegt. Nicht einmal alle Eingesessenen tun

das, geschweige denn die Fremden. Darum schadet Keinem ein bescheide-

ner, treuer Begleiter, der ihn manchmal am Ärmel zupft und mit dem

Finger hindeutet auf den Zusammenhang zwischen Land und Leuten,

zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dies Rückdeuten soll sich

namentlich beziehen auf die Zeit der Herzöge und Kurfürsten; denn mit

dem Anfang des l 9. Jahrhunderts und des Königtums beginnt das

neue München, das in Aller Munde und vor Aller Augen ist. Dagegen

ist die alte deutsche Stadt ziemlich versunken; nur Weniges von ihr

lebt im Verborgenen fort. Und ein Weniges hiervon meldet dies Buch,

das gern dem Leser Lust machen möchte, sich zu versenken in all das

Viele, was über Alt-München schon gesagt ist und noch zu sagen wäre.

Ob die Absicht dem Büchlein gelungen ist, muß der geneigte Leser

entscheiden.

München. HeleneRaff.


Stadtmodell von Sandtner