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Sagen & Geschichten aus München

Münchner Sagen & Geschichten

Der Marienplatz

Der große Christoffel am Eiermarkt

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 30)


Bevor die alten Häuser an der Südseite des Marienplatzes niedergelegt wurden, hieß das Haus Nr. 19, das dort stand, allgemein „zum großen Christoffel am Eiermarkt." Ein riesiger nackter Mann, um die Lenden mit Baumzweigen gegürtet, auf dem Kopf eine Krone, in der rechten Hand ein Doppelkreuz und in der linken einen Knotenstock tragend, war darauf abgebildet. Die Münchner Sage erzählt: Das sei der heilige Christoph, der einst in eben solcher Größe und Gestalt nach München gekommen und über die Talbrücke in die Stadt eingewandert sei. Noch viel später, im Jahre 1659, sollte er bei einem großen Brand in der Burggasse ebenso erschienen sein und Wasser in die Flammen gegossen haben, bis die Feuersbrunst erlosch. In München bestand, wie auch anderwärts, der Glaube, daß, wer des Heiligen Bildnis geschaut habe, am selben Tage nicht jähen Todes sterben werde.

Das Bild am Eiermarkt aber war gar nicht das des hl. Christoph, sondern das des hl. Onuphrius. Von ihm weiß die Legende Folgendes zu melden:

Es war einmal in uralten Zeiten ein König in Persien, der war von finsteren Grillen geplagt und hielt sein Ehegemahl, obschon sie eine tugendliche Fraue war, für untreu. Als sie nun mit einem Kinde ging, wähnte er in falscher Eifersucht, ihr Kind sei das eines Buhlen und gebot, es sollte gleich nach der Geburt ins Feuer geworfen werden. Da nun ein Knäblein geboren ward, wollten die Knechte des Königs Willen tun; aber das Feuer erlosch, sobald das Kind es berührte, und also ward die Unschuld der Königin offenbar. Dem König aber erschien ein Engel Gottes und gebot ihm, er sollte sein Söhnlein nach Ägyptenland senden, in das Kloster Hereti, unweit Hermopolis, wo hundert Mönche in gottseliger Eintracht lebten. Der König tat also, und das Söhnlein, das Onuphrius genannt war, erwuchs in großer Tugend und Frömmigkeit. Da er aber zu seinen Jahren gekommen, verließ er, vom Geiste Gottes getrieben, das Kloster und ging in eine wilde Wüste, um dort als Einsiedler zu leben. Sechzig Jahre brachte er im Gebet und in frommer Betrachtung zu und sah keinen Menschen in all der Zeit; er lebte von den Wurzeln des Waldes und von frischem Quellwasser. Keine Sonnenglut noch Kälte tat ihm Schaden: seine Haare und sein Bart wuchsen so völlig, daß sie ihm bis zu den Füßen reichten und seinen Leib wie ein Kleid bedeckten. Da geschah es, daß der hl. Paphnutius vom Geiste in eben diese Wüste geführt wurde, und es begegnete ihm ein Mann von riesiger Größe, der mehr einem wilden Tier gleichsah, als einem Menschen. Das war Onuphrius. Beide wohnten nun gemeinsam in selbiger Wüstenei und wurden von Gott auf wundersame Weise täglich mit Brot gespeist. Endlich kam St. Onuphrius zu sterben; da flog seine Seele als weiße Taube gen Himmel und ward geleitet vom ganzen himmlischen Heer. Seinen Leichnam aber begruben zwei Löwen. Paphnutius jedoch ging darnach zurück in das Kloster Hereti und machte das Leben und Sterben des hl. Onuphrius offenbar. Da erhoben die Mönche seinen heiligen Leib, und von nun an genoß St. Onuphrius große Verehrung im ganzen christlichen Morgenlande. Häufig ward er abgebildet, unbekleidet und von riesenhafter Größe, mit Zweigen umgürtet, einen Knotenstock in der Hand.

Viele hundert Jahre später kam Herzog Heinrich der Löwe auf seiner Pilgerfahrt ins heilige Land auch nach Ägypten und besuchte die Einsiedeleien in der Wüste. Da ward ihm viel erzählt vom Leben des hl. Onuphrius, von seinen Wundertaten und der Macht seiner Fürbitte bei Gott. Herzog Heinrich erwählte ihn darauf zu seinem besonderen Schutzpatron und erbat sich von den Mönchen des Klosters, wo der Heilige begraben lag, eine Abbildung seiner und ein Stück seiner Hirnschale.

In einem Walde dortzuland traf der Herzog einen Löwen an, der im Kampfe mit einem feuerspeienden Drachen war. Der Herzog mit seinem guten Schwert erschlug den Drachen, worauf der gerettete Löwe ihm wie ein Hündlein dankbar folgte, über Meer und Land in die Heimat. Davon erhielt Herzog Heinrich den Beinamen des Löwen.

Als nun Herr Heinrich in München einzog, das er zur Salzstätte und einer Stadt gemacht, da wurde ihm das Bildnis und die Reliquie des Heiligen vorangetragen. Daher entstand die Mär, als sei der Heilige selbst, so wie er am Markt abgebildet war, in die Stadt gezogen. Das Stück von St. Onuphri Haupt kam schon bei Herzog Heinrichs Lebzeiten nach Braunschweig; das Bildnis des Heiligen aber ließ er an der alten Burg anbringen, die er zu München besaß. Mit dieser wird es dem großen Stadtbrand im 14. Jahrhundert zum Opfer gefallen sein. An Stelle der Burg erhob sich später ein Bürgerhaus; das gehörte im 15. Jahrhundert einem frommen Münchner zu, der Heinrich Pirmat hieß. Der tat, wie sein herzoglicher Namensbruder, die Fahrt ins heilige Land; und zum Dank, daß Gott ihm glückliche Heimkehr geschenkt hatte, ließ er an seinem Hause den großen hl. Onuphrius anmalen. Eine Kopie des Bildes, die als Wandgemälde ein Haus in der heutigen Promenadestraße zierte — es gehörte ehemals Herzog Wilhelm V. und ward 1857 abgerissen — befindet sich im bayerischen Nationalmuseum.


Stadtmodell von Sandtner