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Sagen & Geschichten aus München

Münchner Sagen & Geschichten

Rings in der Altstadt

Der Salvatorplatz und der Jungfernturm

Raff - So lang der alte Peter... (Seite 63)


Ein Friedhof, ein Theater, ein Gefängnis in einem Festungsturm. So ungleicher Art waren die Bauten, die hier in enger Nachbarschaft beieinander standen.

Vorher, zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, gab es da nur freies Feld und ländlichen Betrieb. Eben nach Schwaige und Viehtrieb nannte der Volksmund den Platz „in der Kuh".

Nicht weit davon, außer dem Schwabingertor, stand eine Kapelle mit dem leidenden Heiland, angeblich an der Stelle erbaut, wo im Jahre 1400 eine alte Frau die konsekrierte Hostie, die sie einem Juden hatte bringen sollen, fallen gelassen. Seitdem führte das Schwabingertor auch den Namen: „Unseres Herrn Tor".

Inzwischen genügten die beiden Friedhöfe bei St. Peter und bei Unserer lieben Frau nicht mehr, und der Rat mußte daran denken, für jede der Pfarreien einen neuen Freithof zu schaffen. Der für die Frauenpfarrei erstand „eben an der Hinteren Prandasgasse in der Schwaig"; 1480 am Freitag nach Mariä Himmelfahrt ward er vom Weihbischof Johannes Perger durch „ein gesungen ampt" eingeweiht.
Der erste Tote, der ein Jahr nach der feierlichen Einweihung dort bestattet wurde, war „ein Mallergesell", mit Namen Heinrich Kirnast. Am Einweihungstage hatte Herzog Albrecht IV. eine Denksäule auf dem neuen Friedhof setzen lassen, aus Sandstein mit sechs geistlichen Reliefdarstellungen; diese Säule samt einem später von Herzog Wilhelm V. gestifteten Totenlicht befindet sich heute im Hofe des neuen Nationalmuseums.

 

Im Jahre 1493 ward an „Unseres Herren Tor" ein Befestigungswerk, besonders wegen der Nähe des herzoglichen Zeughauses, errichtet. Da ließ Herzog Albrecht die alte Salvatorkapelle abbrechen und an deren Statt eine Gedächtnissäule stellen, die ein ewiges Licht trug; gleichzeitig ließ er auf dem neuen Freithof, an Stelle eines bisher dort vorhandenen Marienkirchleins eine neue Salvatorkapelle, vermutlich durch Jörg Ganghofer, erbauen, die fortan als Friedhofskirche diente.

Außer einer Beinkapelle hegte der Freithof um die Salvatorkirche auch die als uralt bezeichnete St. Georgskapelle, die Gruftstätte der Bruderschaft vom heiligen Georg. Bevor der Georgssaal in der neuen Residenz geschaffen war, wurden die Gottesdienste der Hof- und Erzbruderschaft hier abgehalten und Adelige zu St. Georgsrittern geschlagen. Später, nach der Säkularisation, wurde die Kapelle zu allerhand Zwecken vermietet und diente eine Zeitlang als „Schwanthalerische Arbeitshütte". Da kam hier der junge Ludwig Schwanthaler mit seinen Künstlerfreunden zusammen, und sie ließen sich erfüllen vom Geiste des Mittelalters und der Ritterzeit. — Aber, wie gesagt, das war viel später.

Zunächst bekam der Freithof, nachdem zweihundert Jahre lang viele von Münchens Besten hier ihre letzte Ruhe gefunden hatten, eine sehr weltliche geräuschvolle Nachbarschaft. Denn 1651 ließ Kurfürst Maximilian I. einen an die nördliche Friedhofsmauer stoßenden Getreidespeicher umbauen zu einem Opernhause für die bevorstehenden Vermählungsfestlichkeiten seines Sohnes Ferdinand Maria mit Adelaide von Savoyen. Und von da an bis tief ins 18. Jahrhundert bestanden Kirche, Kirchhof und Opernhaus einträchtig nebeneinander. Auf dem alten Wehrgang längs der Stadtmauer, dem sogenannten Hofgang, konnte der Hof trockenen Fußes von der Residenz hierher gelangen, um den künstlerischen Darbietungen hohen Ranges zu lauscheu. Im alten Opernhaus ist Carlo Broschi aufgetreten, der Sänger, der für den gemütskranken König von Spanien war, was David für Saul. Auch Faustina Bordoni, die herrliche Sängerin, die Gattin Adolf Hasses, hat hier die Hörer entzückt. Und Faustinas Landsmann, der Venezianer Agostino Steffani, der Abbate und berühmte Komponist, hat hier seine Opern aufgeführt, ist nach und neben Ercole Bernabei Kapellmeister dieses Theaters gewesen. Durch zwanzig Jahre war Steffani mit Münchens Kunstleben eng verbunden: Schüler von Kerll, Hoforganist, Hofmusikdirektor. Ja, das alte Opernhaus hatte gar Manchen, auf den es stolz sein konnte! Mit der Zeit bot es für die wachsende Menge der Dekorationen und Requisiten nicht hinlänglich Raum; deshalb verfügte ein kurfürstliches Dekret vom Jahre 1724 die Erbauung eines „Dekorationsstadels," zugleich aber, daß die seltener zur Benützung kommenden Dekorationen in dem alten Jungfernturm am Stadtgraben untergebracht werden sollten.

Der nunmehr zum Dekorationsspeicher gestempelte Jungfernturm, in nächster Nähe des Salvatorfriedhofes gelegen, war eines der Befestigungswerke, denen die erste alte Salvatorkapelle hatte weichen müssen. Er hatte 70 Schuh in der Höhe und 120 Schuh im Umkreis, seine Rundvorderseite reichte bis an den vorbeifließenden Stadtbach; auf der gegen die Stadt zu gerichteten Rückseite befand sich die durch einige Stufen erhöhte Eingangstür. Im Erdgeschoß, das mit dem Stadtgraben in gleicher Tiefe lag, war ein Durchgangsbogen; oben an der inneren Mauer lief der schon genannte Wehrgang hin um die Stadt.

Von diesem Turme gingen allerhand schaurige Sagen. Es sollte darin eine eiserne Bildsäule der hl. Jungfrau gegeben haben, die mußten die zum Tode Verurteilten umarmen und küssen; während dessen aber tat unter ihnen der Boden sich auf, und sie stürzten in eine finstere Tiefe hinab. Nach anderer Lesart wurde das Opfer zuerst durch eine Falltür hinuntergestürzt und sank dann in die Arme einer eisernen, ganz mit Dolchen und Schwertern gespickten Jungfrau, die es fest an sich drückte und es auf den Tod zerfleischte. Es hieß, die heilige Fehme hätte im Jungfernturm ihren Sitz gehabt; späterhin wurde der düstere Bau mit dem gefürchteten „geheimen Ausschuß", der zur Zeit des Kurfürsten Karl Theodor bestand, in Verbindung gebracht.

Im Jahre 1666 hatte der Obristzeugmeister Freiherr von Rouyer den „Jungkfrauturm" mit Zuziehung des Hofbauamtes daraufhin untersucht, ob er nicht zur Aufbewahrung des Saliters (Salpeters) für die Schießvorräte brauchbar wäre. Der Turm war als hierfür ungeeignet, zugleich als völlig leer bezeichnet worden; sechzig Jahre später wurde er also Dekorationsspeicher.

Die Zeit verstrich. 1751 ward Josef Graf von Salern, der Vertraute Max III. Josephs, Intendant der Hofmusik. Derselbe Graf Salern, von dem der junge Mozart, nachdem er (1777) vor ihm gespielt hatte, rühmte: „Der Graf versteht doch die Musik, denn er sagte allezeit Bravo, wo andere Cavaliers eine Prise Tabak nehmen, sich schneuzen, räuspern oder einen Discurs anfangen." — Als Graf Salern einmal wegen Opernkleidern im Jungfernturm zu tun hatte, soll er eine Falltür entdeckt haben, die in eine Art unterirdisches Verlies führte. Dort fanden sich bei genauer Untersuchung zwei fast ganz vermoderte, mit Lumpen bedeckte Leichen. Sie wurden ohne weitere Nachforschung herausgeschafft und drüben am Salvatorfriedhof begraben. Als dann 1804 der Jungfernturm abgebrochen ward, fand der damalige Polizeidirektor Baumgartner, der die obige Erzählung vom Grafen Salern gehört und sich aufgezeichnet hatte, bei genauer Prüfung des alten Turmes gleichfalls jene Falltür und darunter ein Gewölbe, wo in einer Nische eine Art von Ruhestätte hergerichtet war. Der Raum war nun wirklich leer; doch deuteten alle äußeren Umstände, die den Untersuchenden auffielen, darauf hin, daß einst in dem Jungfernturm ein unterirdisches Verlies sich befunden hatte. Derartige Kerker für unglückliche Gefangene gab es in den mittelalterlichen Türmen und Burgen genug. Es würde sich nur fragen, ob die Falltüre bei der militärischen Untersuchung im Jahre 1666 übersehen wurde, oder ob die schauerliche Benützung zwischen diesem Jahre und dem Zeitpunkt jener Leichenfunde stattfand? 

 

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ward der Freithof um die Salvatorkirche aufgelasien. Das ihm benachbarte Opernhaus ward bald darnach wegen Baufälligkeit abgetragen. Die Salvatorkirche aber, zu Beginn des 19. Jahrhunderts säkularisiert, wurde 1829 der griechisch-orthodoxen Gemeinde überlasten, die sie heute noch in Besitz hat. Zunächst der Kirche steht ein Schulhaus, rings umher ist ein gepflasterter Platz, auf den von Osten die Kuppel der Theatinerkirche hereinschaut, von Norden die Rückseite des Luitpoldblockes, an dem die Jungfernturmstraße sich hinzieht. Dort an einem Rest der einstigen Stadtmauer ist eine Tafel eingelassen, die besagt: „Hier stand der Jungfernturm, erbaut im Jahre 1495, abgebrochen im Jahre 1804."

 


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