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Sagen & Geschichten aus München

Münchner Sagen & Geschichten

Ein Bäckersohn von München. 1553

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


In der Mitte des sechzehnten Jahrhundertes lebte in München ein Bäckermeister, Namens Klesel, geringen Vermögens und ohne Ansehen, aber ein Mann alter Treue und Redlichkeit und frommen christlichen Sinnes. Dem wurde von seiner lieben Hausfrau im Jahre 1553 ein Sohn geboren, der in der heiligen Taufe den Namen Melchior erhielt.

Früh schon zeigte der Knabe, der zudem von schöner Leibesgestalt war, herrliche Anlagen des Geistes und des Herzens und einen Drang zur Wissenschaft, so daß seine Aeltern ihn zum geistlichen Stande bestimmten. Nach zurückgelegten theologischen Studien, die er bei den Jesuiten machte, wurde er zum Priester geweiht und in den Orden der Gesellschaft Jesu aufgenommen.

Hier fand sich bald ein erweiterter Schauplatz seiner Thätigkeit; die Jesuiten, seine Kenntnisse sowohl als seine Klugheit und seinen Eifer für die katholische Kirche erkennend, fanden ihn geeignet, ihm einen wichtigeren 

Wirkungskreis anzuvertrauen. Durch Vermittelung derselben wurde er dem Erzherzoge Mathias von Oesterreich empfohlen, bei welchem sich Melchior Klesel so sehr in das Vertrauen zu setzen wußte, daß er dessen geheimer Rath ward. In kurzer Zeit wurde er Administrator von Neustadt und später Bischof von Wien. In dieser Eigenschaft entfaltete Klesel nunmehr feine ganze Thätigkeit und seine Einsicht in Staatsangelegenheiten. Als Erzherzog Mathias aus Böhmen,, wo er dem Kaiser die ungarische , Krone abgerungen, nach Oesterreich zurückkehrte, wurden die protestantischen Stände schwierig, und verlangten vor ihrer Huldigung Abstellung ihrer Beschwerden und freie Religionsübung. Hier war es nun Bischof Melchior Klesel, welcher diesem Begehren entschieden entgegen trat und dem Erzherzog Mathias unausgesetzt vorstellte, „es sei besser, die Protestanten nähmen alle katholische Kirchen mit Gewalt ein, als daß man ihnen etwas mehr einräume, als sie zuvor gehabt." Dessen ungeachtet mußte am Ende Erzherzog Mathias nachgeben und am 21. Februar 1609 den evangelischen Ständen Oesterreichs die freie Ausübung ihrer Religion bewilligen.

Inzwischen hatte den Melchior Klesel eine große Sehnsucht ergriffen, nach langer Zeit seine Vaterstadt und seinen greisen Vater wieder zu sehen. Deshalb reisete er Ende Juni 1607 nach München, wo er als Kirchenfürst mit großen Ehren empfangen wurde. Dortselbst las er zwölf Tage nacheinander am Altare des heiligen Benno, dessen Gebeine erst vor einiger Zeit nach München gekommen und im Jahre 1580 in die Kirche zu U. l. Frau 

transferirt worden waren, die heilige Messe und stiftete in diese Pfarrkirche auf den 11. Juli ein Meßstipendium. In dem darüber ausgestellten Stiftungsbriefe nannte er sich: „Wir Melchior Klesel, nominirter Bischof zu Wien, Administrator des Bisthumes Neustadt, römisch kaiserlicher Majestät Rath und Hofprediger." —  Am 22.Juli hielt er in der Frauenkirche eine Predigt unter großem Zudrange des Volkes.

Am 3. Juni 1612 wurde Mathias durch einstimmige Wahl der Kurfürsten zum deutschen Kaiser ernannt. Die nächste Folge dessen war die Erhebung des Melchior Klesel zum Kardinale. Die religiösen Wirren nahmen in der Zeit fortwährend zu, in Böhmen hatten die Unruhen begonnen, die den Ausbruch des dreißigjährigen Krieges herbeiführten. Der friedliebende Kaiser Mathias, alt und kränklich, dazu ohne bereite Heeresmacht, ohne zureichende Geldmittel, neigte sich zur Nachgiebigkeit gegen die aufrührischen Böhmen; in diesen Gesinnungen wurde er namentlich von seinem einzigen Vertrauten, dem Kardinal Klesel, der sich allen von den beiden Brüdern des Kaisers, den Erzherzogen Ferdinand und Maximilian vorgeschlagenen kriegerischen Maßregeln eifrigst und energisch widersetzte, unterstützt. Da beschlossen die beiden Erzherzoge, des Kaisers vertrauten Rath, der ihren Ansichten im Wege stand, mit Gewalt zu entfernen. In der Hofburg zu Wien wurde Melchior Klesel eines Abends ergriffen gefangen und unter der unwahren Beschuldigung des Einverständnisses mit den böhmischen Protestanten in ein Kloster in Tirol geführt.

Der römische Hof nahm diese Eingriffe in seine geistlichen 

Jurisdiktionsrechte sehr übel auf; nur den Bemühungen des gelehrten Kardinals Bellarmin gelang es, von den beiden Erzherzogen und allen Mithelfern dieser Gewaltthätigkeit die kirchliche Erkommunikation abzuwenden. Pabst Paul V. sendete aber als ausserordentlichen Legaten den Auditor der römischen Rota, Fabrizio Verospio, nach Wien ab, um die Ausantwortung des Kardinals Klesel zu seiner Vernehmung vor dem Kardinals-Collegium in Rom zu verlangen. Allein die Bemühungen des Legaten waren fruchtlos, die kaiserlichen Räthe bestanden darauf, daß die Sache Klesel's in Wien unter Zuziehung einiger vom Pabste zu delegirenden Richter untersucht und entschieden werde. Pabst Paul V. war inzwischen verstorben, aber fein Nachfolger Pabst Gregor XV. nahm sich der Angelegenheit lebhaftest an, und sendete wiederholt den Fabrizio Verospio mit dem gemessensten Befehle nach Wien, die Auslieferung des Kardinales Klesel zu erwirken. Dießmal gelang es; Klesel wurde aus der Klosterhaft entlassen und dem Legaten übergeben, wobei er ausrief: „Wir wollen gehen, wo Ihr uns hinführet; die Unschuld hat nichts zu befürchten, werde sie dem Pabste oder dem Kaiser vorgestellt."

Nach seiner Ankunft in Rom wurde Klesel zwar in der Engelsburg verwahrt, allein die gegen ihn geführte Untersuchung ergab bald die Unwahrheit aller erhobenen Verläumdungen und seine völlige Unschuld, so daß er vom Kardinalseollegium einstimmig freigesprochen und der Haft entlassen wurde.

Bald hernach verblich Pabst Gregor, und Kardinal Klesel betrat das Conelave, welches den Pabst Urban VIII. 

erwählte. — Als die Heiligsprechung des Ignaz Loyola, des Stifters des Jesuitenordens, erfolgte, saß auch hier Melchior Klesel im Collegium und ist die Kanonisationsbulle von ihm mit unterschrieben.

Da aber bisher das Bisthum zu Wien noch immer erledigt stand, begab sich Melchior Klesel, vom Pabste mit vielen Heiligthümern beschenkt und mit der päbstlichen Benediktion entlassen, wieder dahin, wurde in Wien im Triumphe empfangen und stand diesem Bisthume noch sieben Jahre bis zu seinem im Monate Oktober des Jahres 1630 erfolgten Tode vor. Sieben und siebzig Jahre war er alt geworden.

Kurz vor seinem Hinscheiden übersendete er seiner Vaterstadt München seinen Kardinalshut zum Andenken, daß er ein schlichter Bäckerssohn dieser Stadt sei. Dieser Kardinalshut wurde in der Pfarrkirche zu U. l. Frau im Chore an der Decke des Gewölbes aufgehängt, woselbst er bis in die jüngste Zeit zu sehen war, ein ehrenvolles Denkzeichen für die Münchener Bürger!


Denkmal an Gerd Müller