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Sagen & Geschichten aus München

Münchner Sagen & Geschichten

Der Schlafhaubenkramer

Mayer - Münchner Stadtbuch (1868)


Vor hundert und einigen Jahren mied Jedermann, Nachts dem Frauenfreithofe, — der damals noch als Gottesacker benützt wurde, — zu nahe zu kommen und machte lieber einen weiten Umweg, denn seit einiger Zeit ging daselbst ein unheimlicher Geist um mit einer weißen Schlafhaube auf dem Kopfe.

Damals gab es in München in der Weinstraße gegenüber der heutigen Polizeidirektion einen Kramladen, wo noch gegenwärtig ein Kaufmann sich befindet. Der damalige Krämer, ein tüchtiger, unternehmender, und dabei lustiger Mann, ging alle Abende nach dem Ladenschlusse zum Bier, und bei dem Läuten der Bierglocke wieder ordentlich über den Frauenfreithof, wohin ihn der nächste Weg führte, nach Hause. Eines Abends, als er wieder wie gewöhnlich beim Biere saß, wurde von einem andern Gaste als größte Neuigkeit erzählt, daß sich der unheimliche Geist mit der Schlafhaube wieder auf dem Frauenfreithofe sehen lasse. Unser Krämer lachte ungläubig über diese Märe, spöttelte darüber und vermaß sich, den Geist heute zu bestehen und mit ihm fertig zu werden, wenn er ihm etwa in den Weg kommen sollte.

Als die Stunde der Heimkehr gekommen war, nahm der Krämer, der sich zuvor noch Muth getrunken hatte, Hut, Stock und Laterne und trat seinen gewöhnlichen Nachhauseweg an. Siehe! als er den Freithof betreten hatte, da sitzt ein langer weißer Mann mit einer Schlafhaube an einem Grabsteine. Bei dem Anblicke des Gespenstes rieselte es zwar dem Krämer eiskalt und schauerlich über den Körper; aber beherzt, wie er war, faßt er Muth, eilt auf das Gespenst zu und gibt ihm mit der Faust eine solche Maulschelle, daß ihm die Schlafhaube vom Schädel fällt. Nach dieser heroischen That befiel aber plötzlich unsern Krämer eine panische Furcht; er lief, was er laufen konnte, das Gespenst aber ihm nach. Glücklich erreicht er noch sein Haus und die Hausthüre, und schlägt dem Verfolger die Thüre vor der Nase zu. Durch die Hausthüre konnte der Geist aber nicht durch, weil sie nach altem löblichen Brauche mit drei Kreuzen und den Buchstaben C. M. B. bezeichnet war. Der Krämer eilt über die Stiege hinauf in feine Stube, — aber, o Schrecken! da sieht die unheimliche Gestalt auch schon zum Fenster herein. In der Angst ergreift der Krämer ein Bild der heiligen Muttergottes von Altötting, reißt es von der Wand und wirft es dem Geiste entgegen, der hierauf augenblicklich verschwand. Der zum Tode erschreckte Krämer sinkt alsbald in tiefen Schlaf, und als er des andern Morgens gesund und wohl aufwacht, siehe, da hängt das Bild wieder ruhig an seinem Nagel an der Wand.

War nun diese Geistergeschichte etwa wirkliche Wahrheit, oder war sie vielleicht nur ein wüster Traum des etwas angetrunkenen Krämers, oder war sie ein neckender Spatz seiner Freunde, — kurz, von dieser Zeit an hieß dieser Krämer in der ganzen Stadt der Schlafhaubenkramer, und dieser Name blieb bis vor ein paar Jahrzehnten noch immer auf diesem Hause. Der Geist mit der Schlafhaube wurde aber von jener Stunde an nicht mehr gesehen; vielleicht war er durch die erhaltene Maulschelle erlöst.


Stunde Null