Alte Quellen

Nymphenburg


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Quelle Zauner - München in Kunst und Geschichte (225)
Jahr 1914

Nymphenburg. Die Geschichte dieser fürstlichen Schloßanlage (samt den Erweiterungen entstanden von 1663—1728) fällt zusammen mit der Geschichte der Fürsten, die hier ihren Wohnsitz aufschlugen. Anläßlich der Geburt des langersehnten Thronerben (Max Emanuel) schenkte 1663 der glückliche Kurfürst Ferdinand Maria seiner Gemahlin Adelheid, einer lebenslustigen italienisch-savoyischen Prinzessin vom Turinerhof, „Grund und Boden“ vom nahen Kemnaten „fürs Lustschloß ins Kindbett“, nachdem er die dortige Hofmark des Freiherrn von Gaßner gekauft und zu einer ansehnlichen Liegenschaft abgerundet hatte. Adelheid bat ihre Mutter um Baupläne, Entwürfe und auch Vorschläge für einen neuen Namen, da der jetzige — „Kemnaten“ (von „Kammer“) — ihr „tropcommun“ wäre. Da indessen die Pläne des Turiner Hofarchitekten nicht gefielen, hielt sie sich an den derzeitigen italienischen Hofbaumeister am Münchner Hof, den Bolognesen Agostino Barelia, der auch die Theatinerkirche (ebenfalls eine Dankesschöpfung Ferdinand Marias aus Freude über die Geburt des Thronfolgers) erbaute, und ließ durch ihn den jetzigen Mittelbau des Schlosses aufführen, den Grundstock der später so weit ausgebreiteten Schloßanlage; das Schloß selbst erhielt auf Vorschlag der Mutter den Namen „Borgo delle nimfe“, d. h. Nymphenburg. Es ist ein einfacher, ungegliederter Bau im Viereck mit Walmdach und 5 successive an Höhe abnehmemden Stockwerken, ohne Pilastergliederung, durch glatte Gurtgesimse geteilt, der als einziges Schmuckstück auf der Südfront (und wahrscheinlich ebenso auf der •Gartenfront) eine zweiflügelige Treppe aufwies. Der Italiener hat demnach in diesem für deutschen Geschmack etwas ungefügen, fast klotzig wirkenden Landhaus etwas hingesetzt, was mit der heimischen Tradition nur in geringer Verbindung stand; Barelli ist, ebenso wie Zuccali, in erster Linie auf plastische .Wirkung aus: das „Volumen“ selbst soll sprechen; alles andere, was aus der Umgebung oder aus dem Keiz der Flächenbehandlung gewonnen werden kann, ist für sie von sekundärer Bedeutung. Dieses älteste Lustschloß entsprach also noch ganz dem italienischen Typus der „Villa“, der in den Albanerberpen bei Bom während des 17. Jahrh. mehrmals wiederkehrt. Um das „Maison de plaisance“ herum breitete sich der Garten („Giardinetto“) mit seinen Fontänen in streng geometrischen Linien aus, die durch die geschnittenen Buchsbaumbecken scharf in die Augen stachen — ungefähr in der Größe des Parterres im jetzigen Park; gegen die Mauer hin in der Richtung auf Pasing und Pipping wurde der Baumwuchs etwas dichter und unkultivierter und hieß deswegen das „Boschetto“ oder „Salvatico“. Die ganze Schloßanlage war Zauner, München klein und entsprach noch durchaus nicht jenen großen Landschlössern, die Adelheid schon in ihrer Jugend in Turin kennen gelernt. Aber schon Kurfürst Max Emanuel, Ferdinands Sohn, ging daran, Nymphenburg zu vergrößern und zu „modernisieren“: Wasserkünste, Parkanlagen und Annexbauten am „Adelaidenstock“ entstanden, — kurz, es war dasselbe Programm, das Zuccali und Effner für Schleißheim durchführten.

1702 übernahm die Bauleitung Ant. Viscardi, der Meister der Dreifaltigkeitskirche sowie der Klosterkirche zu Fürstenfeldbruck, und fügte beiderseits, niedrige, im Erdgeschoß in offene Arkaden aufgelöste Galerien hinzu, denen sich je im Grundriß vortretende Eckpavillons anschlossen. Dadurch entstand eine Vertiefung nach rückwärts, jene Art von machtvoller Einbuchung, deren Eindruck noch ganz wesentlich verstärkt worden ist, als dann noch weitere langgezogene Flügelund schließlich noch die Kaserne und das Kloster (der Englischen Fräulein) als äußerste Endigungen dazukamen. Diese ohnehin schon wirkungsvolle Anlagen ist endlich zu wahrhaft verblüffend großen Dimensionen gesteigert worden, als dann auch nach vornehin, dem Schloß gegenüber, der Halbkreis des „Rondells“ mit den einzelnen Beamtenwohnungen geschaffen wurde. Inzwischen erfuhr schon 1704 die eifrige Bautätigkeit durch den Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges eine unliebe Verzögerung. Und als dann endlich Max Emanuel nach erfolgtem Friedensschluß 10 Jahre später aus Compicgne, seinem Zufluchtsort in Frankreich, zurückkehren konnte, war sein erstes, daß er auf die welschen Architekten verzichtete und die Bauleitung dem aus Dachau gebürtigen Joseph Effner unterstellte, der auf des Kurfürsten Kosten unterdessen in Paris war ausgebildet worden. Damals schon war wie heute der ganze Gebäudekomplex in der einfachen Putz Verkleidung gehalten; die Fassade war allerdings reicher geplant; doch blieben diese Entwürfe unausgeführt.

Der Adelaidenstock allein, in dessen Hauptsaal die Einrichtung noch unversehrt im ursprünglichen Schmuck glänzt (die Stuckaturen sind erst aus 1756), wurde durch eine Pilasterordnung ausgezeichnet, die die 3 Obergeschosse zusammenfaßt und dem Mittelbau mit dem Festsaalbau eine überragende Rolle vor den Flügeln sichert; die beiden Galerien zu Seiten des Mittelsaales wurden damals vom, Münchner Meister Joachim Franz Beich (zu dem sich dann der Niederländer Nollet gesellte) mit Veduten von wittelsbachischen Landschlössern,, die in die Wand eingelassen wurden, ausgestattet. Der Oberbau im Hauptstock enthält reizende Stuckaturen von Dubut.

Fast bescheiden, jedenfalls, ländlich schlicht, ist die Architektur dieses Schloßbaues; aber die weite Anordnung der Gebäude im Halbkreis um das große Brunnenbecken wirkt doch auch heute noch interessant: tatsächlich ist die Umspannung des offenen Raumes mit zusammenhängenden Flügelbauten, Pavillons, und Mauern, die im weiten Halbkreis angelegt sind, ein einfacher und doch großartiger Ausdruck für den Hauptgedanken aller Barockschlössern nirgends, weder im Hof noch im Garten, noch an der Zufahrt und im Gelände vor dem Schloß den Zufall der natürlichen Situation und die sich selbst überlassene freie Natur eindringen zu lassen. Dafür wurde ein stattlicher Verbindungsweg mit der Stadt angelegt: eine geradlinige „Auffahrt“ zum Schloß war von vornherein projektiert, ebenso eine ähnliche Avenue auf der Gartenseite.

Indes nicht Liebe zur Einsamkeit bewog die Fürsten jenes Zeitalters, zeitweilig ihren Wohnsitz außerhalb der Residenzstadt aufzuschlagen; nur eine glänzendere Fortsetzung höfischen Brauchs war dabei beabsichtigt. Die Monotonie des Glanzes stumpfte nur zu schnell wieder ab „und in den großen Sälen fand sich die Lust nicht ein, die hier doch zu Hause sein sollte; die Jagd nach dem Vergnügen gewährte in den Riesenräumen keinen Genuß mehr; und so suchte man die guten Geister heitrer Laune in winzigen Puppenhäusem mit nur W'enigen kleinen Zimmern, die gleich einem Spielzeug verwöhnter Glückskinder im Park versteckt lagen: jedes war eine Idylle, ein lustiger Einfall, keines dem andern gleich, alle Phantasiebauten fürstlicher Laune“. Zur frühesten dieser „Gartenburgen“ zählt die 1716 von Max Emanuel selbst entworfene Pagodenburg, bestimmt als Plätzchen zum Ausruhen nach einem anstrengenden „jeu de passe“ (einer Art Krocketspiel) oder einem „jeu de quilles“ (Kegelspiel) oder einem sehr verzwickten „Mailspiel“; der zierliche Pavillon nach Art der damals modernen „Maisons des Indes“ zeigt im einfachen Grundriß die Form eines Maltheserkreuzes; das Innere war, wie es dem Namen entsprach, wie eine indische „Pagode“ mit Chinoiserien und lustigen Drölerien geschmückt (von Kunstmaler Gumpp 1717—1718); im Hauptsalon war der Estrich mit rotem und weißem Marmor, die Wandverkleidung mit holländischen Fayencen ausgelegt. 1718 folgte die Badenburg, nach französischen Mustern entworfen von Effner — ein leichtes und luftiges Sommerhaus, zu einem luxuriösen Bad (daher der Name) eingerichtet. Heute fast allen Schmuckes beraubt, hatte sie früher vor dem Eingang ein Paar Sphingen, und auf der entgegengesetzten Seite führte unmittelbar aus den mit allem erdenklichen Zauber ausgestatteten Baderäumen eine Marmorterrasse auf ein lauschiges Rosenparterre, das von dichten Laubgängen umschlossen war. Nach der Nordfront ist der Bau einstöckig und hier liegt der große Ovalsaal, erleuchtet durch Glastüren und Ochsenaugen, mit dem durch virtuose Licht- und Farbengebung ausgezeichneten Deckengemälde des Venezianers Amigoni. Dahinter zu Seiten eines rechteckigen Raumes nach links eine Anzahl kleiner Zimmer in 2 Stockwerken, nach rechts das große Badebassin, dessen Grund in Kellertiefe liegt. Rote, stuckierte Wände, ein Plafondfresko von Eertin, ein schmiedeeisernes Gitter auf kräftigen Konsolen bilden heute die mäßige Ausstattung. Interessant ist die Stuckierung (nicht eigentlich Rokoko) im Ovalsaal von der Hand des Franzosen Charles l)ubut, der schon in Schleißheim arbeitete. Die toskanischen Pilaster mit dem Hauptgesims, die schweren Puttengruppen in den Ecken darüber, die vollen und massigen Festons über den Ochsenaugen, die lang und schwer herabhängenden Aehrengaben sind in den charakteristischen derben und anspruchsvollen Formen des Barocks gehalten; mit der Dekoration der spätem Amalienburg verglichen, geben sie Gang und Ziel des Dekorationsgeschmackes innerhalb der künstlerisch reichen und entscheidenden 20 Jahre von 1720—1740. Der gleiche Fürst, der die Pagodenburg und Badenburg baute, ließ 1725 im späten Alter auch das St. Magdalenenkirchlein aufführen und sich für die Jahre seines Alters neben der Grotte ein paar einfache Zimmer, die Klause oder Eremitage, einrichten. Solches Nebeneinander von Kontrasten war jedoch in den Fürstengärten jener Zeit nichts ungewöhnliches: neben dem Tanzsaal baute man eine Einsiedelei, mitten im blühenden Rosenhag ein Beinhaus; allerdings „war auch hier nur eine sinnliche Wirkung berechnet: les extremes se touchent; die Kavaliere und Damen bereiteten sich zu ihren religiösen Uebungen — ,,pour faire leurs salut“ — wie zu weltlichen Festen vor, und eine minutiöse Etikette war hier wie dort erstes Gebot“.

Uebrigens ist die als künstliche Ruine aufgeführte Kapelle zwar unter Max Emanuel begonnen, aber erst unter seinem Nachfolger Karl Albrecht vollendet worden. Große Risse ziehen sich durch die rohe Mauer, der Bewurf haftet nur an wenigen Stellen, Gesimse und Kapitelle sind morsch und zerschlagen — ein erbarmungswürdiger Verfall inmitten des reichen Glanzes, der über dem schönen Schloß und seinem reichen Park liegt. In der dunklen Grotte aus zierlichen Muscheln und Tuffstein steht die weiße Marmorfigur der büßenden Magdalena von Volpini: „zerknirscht ringt die schöne Sünderin ihre Hände, untröstlich ist ihr Harm und wie anmutige Perlen rinnen die Tränen aus ihren zum Himmel aufgeschlagenen Augen — es ist die Koketterie des Schmerzes“. Die theatralischen Deckengemälde aus dem Leben der hl. Magdalena sind von Nikolaus Stüber. Als seltenes Kleinod gilt das noch vorhandene Kruzifix aus Narval, vielleicht wie manche andere kunstvolle Schnitzereien ein Werk von der Hand des schnitzkundigen Kurfürsten Max III. Das schöne Eisengitter vom Pariser Schlosser Mottee kostete 3520 fl.

Kurfürst Karl Albrecht, der Sohn Max Emanuels und spätere Kaiser Karl VII., bevorzugte Nymphenburg vor allen übrigen Lustschlössern und hielt im anstoßenden, 8 Meilen im Umfang messenden Wald jene großartigen Parforcejagden ab, unter denen die am Hubertustag (3. November) stets zu den glanzvollsten gehörten: „Am Morgen wohnte der ganze Hof einemJHochamte bei, und ausschließlich Jagdinstrumente mit Fanfaren begleiteten den Gesang einer eigens hierzu vom Münchner Maestro Torri komponierten Messe; hernach stieg alles zu Pferd, die Hirschjagd begann und endete mit stürmischem Hallali; dann gab es große Tafel im Salon und bei jedem Trinkspruch erklangen vom Garten her Jagdfanfaren; als denkwürdiges Ereignis galt es, wenn nach der Mahlzeit ein dunkelfarbiges Getränk — Kaffee — in chinesischen Schalen präsentiert wurde oder wenn sich gar von den beherztesten Nimroden einer vermaß — Tobak zu trinken“ [Heigel, 1. c.]). 1)

Alsbald (1734—1740) ließ der fröhliche Jagdherr der ebenso jagdlustigen kurfürstlichen Gemahlin Amalie mitten im Fasanengarten des Nymphenburger Parkes die „Amalienburg“ erbauen und zwar speziell als „Hochstand“ eingerichtet; von der über dem Mittelsaal angebrachten umgitterten Plattform aus sollte die Fürstin die aufgejagten Fasanen im Fluge schießen können. In Wirklichkeit aber wurde dieses Werk des genialen Fr. Cuvilliés die Krone aller existierenden Rokokodekoration, in Vergleich zu welchem das 18. Jahrh. nichteinmal in Frankreich ein gleichwertiges Werk hervorgebracht hat [W 159]“. Durchaus günstig für diesen Stil ist die Beschränkung des Maßstabes. Der Aufbau ist eingeschossig und die Zimmersohle ohne Unterkellerung nur wenige Stufen über den Gartenboden gelegt, so daß die eindringende Feuchtigkeit bereits kostbare Einrichtung zu gefährden drohte. Der Grundriß ist überaus einfach, aber von vollendeter Geschlossenheit: um einen achteckigen Mittelraum mit Flachkuppel legen sich beiderseits nur wenige kleine Gemächer, Schlafzimmer, Bad, reizende Küche: „und alles mit einer in Deutschland noch nicht bekannten Geschmeidigkeit ineinander gefügt [D]“. Schon im Aeußern wagt Cuvillies trotz der weißen Putzbehandlung eine feinere Gliederung durch jonische Pilaster und ein glattes Gebälk; über dem Sims ist eine zierliche Attika, im Bogenfeld über der Haustüre eine plastische Gruppe, zu beiden Seiten ein stuckiertes Arrangement von Waffen und Blumen, dazu kleine Nischen mit Büsten zwischen den Fenstern, graziöse Stuckaturen über Türen und Fenstern, „die bei aller Ruhe der Gesamtgliederung auch dem Aeußern einen Hauch der Rokokostimmung geben“. Aller Reichtum aber und alles Raffinement ist dem Innern zugewendet. Eine luxuriöse Gediegenheit der Arbeit verblüfft den modernen Kunsthandwerker, der — an die Hilfe der Maschinen gewöhnt — kaum begreifen kann, wie die wunderbare Geschicklichkeit dieser Holzschnitzer das kostbare Filigranwerk in einem Zeitraum von nur wenigen Jahren bewältigt hat — und das alles nur mit der Hand; freilich war eine solche Leistung nur möglich, wenn die feinfühlige Hand des Handwerkers dem Willen des zeichnenden Architekten bis in die feinsten Kleinigkeiten verständig folgte. Die geschnitzten Panneaux der 3 Repräsentationszimmer gehören zu den Meisterleistungen der gesamten Epoche des Rokoko, ebenso die Stuckierungen der Plafonds: ein Münchner Meister, Joachim Dietrich, „Schneidkistler in der Au“, hat die Köstlichkeiten nach Cuvilliers Vorlagen in Holz geschnitten, und der Wessobrunner Stuckator Joh. Bapt. Zimmermann hat die Stuckteile geliefert — es ist also heimische Arbeit und der Kurfürst genoß demnach hier die Früchte einer klugen Pflege der kunstgewerblichen Geschicklichkeit seiner Landeskinder, deren besten Meister schon von seinem Vater auf die Höhe der Zeit geführt worden waren und einen Ehrenplatz in der Münchner Kunstgeschichte verdienen. Außer diesen beiden sind noch als Künstler der Amalienburg zu nennen: der Chinoiserienmaler Joseph Moreti, der die netten und flotten Malereien blau auf weiß im „Hundezimmer“, an den Gewehrkästen und in der Küche ausführte; dann Georges Besmarees, der die Porträts des Kurfürstenpaares malte, ferner der Niederländers Peter Horemans, der Meister der „Karussel- und Jagdstücke“ im ersten gelben Zimmer, worauf ungefähr 200 Mitglieder des Hofes bildnisgetreu wiedergegeben sind (der Gehilfe des Dietrich war der Bildhauer Jakob Gersten, und die Versilberung an den Schnitzereien und Stuckaturen besorgte der Hofvergolder Lauro Bigarello). Von besonderer Bedeutung für den künstlerischen Erfolg ist bei aller Ueppigkeit des Ornaments die Buhe der Gesamtwirkung — erreicht durch die geniale Auswahl der Farben. Weiß, Gold und Kot bildet die normale Skala aller offiziellen Zimmerdekorationen im 18. Jahrh., wobei das Weiß überwiegt: hier in der Amalienburg ist das Silber der koloristische Hauptton, der sich wirksam von den ganz kalten Farben abhebt: einem Mattblau im runden Saal, einem Zitronengelb im anstoßenden Kabinett; und der Akkord, durch die wittelsbachischen Wappenfarben bestimmt, ist von höchstem Baffinement; namentlich ist zu beachten, wie jeder warme Ton vermieden ist; erst in dieser Umgebung kommen z. B. die energischen Farben der Kurfürstenporträts zur richtigen Geltung, die sonst als selbständige Arbeiten nicht einmal besondern Wert beanspruchen könnten. Wollen wir den ganzen Zauber der Bokokokunst der Amalienburg aesthetisch auskosten, so vernehmen wir aus Weeses Feder [160] die anschauliche Schilderung eines abendlichen Soupers des kurfürstlichen Kreises im „Blauen Saal“, etwa nach einem aufregenden Parforceritt im Nymphenburger Forst: „Die Türen des Saales stehen offen, wenige Stufen führen zu den Beeten, die aus Tausenden von blühenden Pflanzen den weichen Blumenduft ausatmen. Hohe dunkle Laubwände, von der Schere des Gärtners schnurgerade beschnitten, umgeben das versteckte Jagdschloß und schützen das paradiesische Gehege, in dem die abgeschiedene und ganz entzückte Einsamkeit durch kernen Mißklang gestört wird. Nun genießen der Kurfürst und die nächsten Vertrauten seines Gefolges die Stille und Intimität des kleinen Kreises. Die Tafelrunde sitzt um den ovalen Tisch und das rötliche Licht der Wachskerzen strahlt durch die hohen Scheiben auf die abenddunklen Wiesen und Beete; in den Kristallen der venezianischen Lüstern bricht sich der warme Schein, aus den glatten Spiegeln über den reichen Trumeaus wird es tausendfältig reflektiert; flammend und gleißend zieht es über die silbernen Schnitzereien der Wände und die zierlichen Banken und Gewinde, die bis zum Plafond aufsteigen. Das warme Licht umspielt die geschmeidigen Körper der Putten, Nymphen und Amoretten, die auf dem Gesims tanzen und schweben, es funkelt im rinnenden Wasser der Fontänen und Quellen, mit denen die Stuckos den Plafond phantastisch belebten; überall an all den scharf geschnittenen und kantigen Formen der versilberten Ornamente blitzt es auf, und das Kerzenlicht setzt sich mit seiner sanften Wärme am kalten Grundton des blauen Saales erst recht in Wirkung — es müssen Gefühlserregungen von höchster aesthetischer Feinheit sein, denen sich das vom Genuß fast erschöpfte Geschlecht hingab; mit den zartesten Mitteln wehrte es die harte Wirklichkeit ab, die unbekannt und ungefragt draußen vor den Mauern des Kiesenparkes lag“. Unter dem Kurfürsten Max III., 1745—1777, der vor allem bedacht war, dem Lande die Wunden zu heilen, die ihm die beiden schrecklichen Erbfolgekriege (der spanische und österreichische) geschlagen hatten, zeigte Nymphenburg eine-gänzlich veränderte Physiognomie: zwar wurden auch jetzt noch bei besonderen Anlässen Feste ver- staltet, aber in vielem, was in und um Nymphenburg geschaffen wurde, trat der nüchterne, praktisch deutsche Sinn des Fürsten zutage. An Bauten ist aus seiner Zeit verzeichnet der den Platz auf der dem Schloß entgegengesetzten Seite abschließende große Halbkreis von Dienstwohnungen sowie die Einschließung des ganzen Schloßbestandes durch eine Mauer. Von größter kunstgewerblicher Bedeutung dagegen wurde die 1758 in einem Flügelgebäude gegründete und bis heutigentags weitberühmte „Nymphenburger Porzellaninanufuktur“. Ein einfacher Münchner Hafnermeister nämlich, Johann Niedermayer, entdeckte unabhängig von der seit 1704 bestehenden Meißener Porzellanfabrik, das Geheimnis, Geschirr in Oefen mit weißer Glasur und goldenen Ornamenten zu verzieren, also die Porzellantechnik. Während die technische Leitung in die Hände Niedermayers gelegt wurde, übertrug der Kurfürst die künstlerische Ueberwachung dem kunstsinnigen Grafen Sigmund von Haimhausen, dem damaligen Akademievorstand. Unter dem zweitnächsten Nachfolger Max III., dem letzten Kurfürsten und spätem König Max I. (1799—1825) wurde von 1803 ab durch den Hofgartenintendanten Ludwig Shell der Schloßgarten, der bis dahin im steifen „französischen“ Stil Le Notres angelegt war, einer Umformung im Sinne des „englischen“ Naturparkes unterzogen. Dies gab freilich der in ihr reich ausgebreiteten Plastik eine veränderte Umgebung und veränderte damit auch (nicht günstig) ihre dekorativen Werte; manches ging auch ganz zugrunde. Von Interesse sind die Kindergruppen und das Gitter vor dem Schloß von Dominik Auliczek, die Figuren an der Fontäne von Wilhelm de Groff und die an der Kaskade von G. Volpini sowie die Pangruppe an der Südseite des Gartens von P. Lamin. — Das Schloß Nymphenburg wurde die Geburtsstätte König Ludwigs II. und dient jetzt den Prinzen Ludwig Ferdinand und Adalbert zum Aufenthalt. [Nach Weese „München“ und K. Th. von Heigels „Nymphenburg“ in der Zeitschrift des b. Kunstgewerbevereins, 1803. SE.]

 

1) Karl Albrecht trug sich sogar, was die Münchner Bürgerschaft nicht ohne Besorgnis vernahm, mit dem Gedanken, zwischen München und Nymphenburg, aber näher bei diesem, eine eigene Stadt anzulegen, die „Karlstadt“ und ihr das Stadtrecht zu bewilligen, worüber sich im Reichsarchiv eine besondere Urkunde vorfindet; und in einem Schriftstück von 1729 wird beurkundet, daß Franz Christoph Hieber, „Hofkontrolor“ und Eigentümer einer Tafernbehausung — jetzt noch Wirtschaft „Zum Kontroloi“ —, „die erste Behausung in der daselbst vorgehabten Stadt Karlstatt erbaute“ [Heigel, 1. c.].


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{Karl Stankewitz}