Alte Quellen

Rathaus, Altes am Marienplatz


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Quelle Zauner - München in Kunst und Geschichte (263)
Jahr 1914
Straße Marienplatz

Rathaus, Altes am Marienplatz. Im „Alten Rathaus“ sind 3 Teile zu unterscheiden: a) das eigentliche alte Rathaus mit dem „Rathaussaal“ (oder „Tanzsaal“), b) das Rathaustor mit dem Torbogen, c) das „kleine“ Rathaus (oder „Bürger-Hofstätte“), jetzt Stadtarchiv und Standesamt (Petersplatz 3 und 4). Im 19. Jahrh. mußte sich der alte Rathauskomplex 4 Umbauten bezw. Restaurationen — meist im Interesse des Verkehrs — gefallen lassen: die 1. Umwandlung geschah 1860—65 durch die völlige Vernichtung der alten Fassadenmalerei des „großen Rathaussaales“ und Turmes (von August Demmel 1778), durch Abbruch des Turmhelmes nebst der vom Marienplatz zum Rathaussaal hinaufführenden Treppe; der 2. Umbau geschah 1880 durch Niederlegung sämtlicher Gebäude nach dem Viktualienmarkt zu (altes Hl. Geistspital, Fleischbank und Wieskapelle), wobei auch die hohe vom Petersplatz zum „kleinen Rathaussaal“ emporführende Treppe teilweise umgehaut und das jetzige Standesamt errichtet wurden. Den 3. Umbau nahm man 1883—89 am großen „Tanzhaus“ mit dem „großen Rathaussaal“ vor, und 1891—93 geschah die letzte Veränderung durch Abbruch der anmutigen Renaissancefassade des Alten Rathauses gegen den Marienplatz zu. Der älteste Teil des gesamten Komplexes ist, wenigstens in seiner untern Hälfte, das Rathaustor, mit dem alten Talbrucktorturm über dem östlichen Tordurchbruch durch die älteste Stadtmauer, dem Talbrucktor, das von der Stadt hinunterführte ins Tal (auch Talburgtor genannt).

Bei der Stadterweiterung 1315 unter Ludwig den Bayern wurde er als „Ratsturm“ zum Rathausbau hinzugezogen und diente seitdem als Verbindungsbau zwischen dem ältesten kleinen Rathaus — jetzt Standesamt und Stadtarchiv — und dem alten Rathaussaal. Das jetzige spitze Turmdach wurde 1862 an. Stelle der Renaissancekuppelhaube aufgesetzt. Die beiden Gemälde am Turm, 1892 von Rudolf Seitz geschaffen, stellen dar einerseits die Madonna als Patrona Bavaria und St. Benno, den Stadtpatron, andrerseits 2 Bannerträger mit dem Vers: „Wir stehen fest in jeglichen Gefahren, die gute Stadt und deren Recht zu wahren“.

Am Giebel des großen Rathaussaales 2 Statuen aus Zinkguß von Konrad Knoll. Heinrich der Löwe als der Gründer der Stadt und Kaiser Ludwig der Bayer, der tatkräftigste Förderer der Stadt. — Stadtarchiv und Standesamt. Da die bisherigen Registraturräume (bis 1315 im Besitz des Patriziers Sanders, dann vom Magistrat umgebaut) unzureichend wurden, wurde das benachbarte ehemalige, seit 1443 im Besitz des Magistrats befindliche Haus- des Ritters Gollier, Marienplatz 16, 1890/92 von 11. Grassel neuerbaut und durch das Bild des „Ritters Gollier“ (in Keimfarben) ausgezeichnet; die Gliederungen sind aus Muschelkalk. Gleichzeitig wurden auch die Fassaden der beiden alten Häuser entsprechend erneuert (Gliederungen aus Bettinger rotem Mainsandstein) und deren Inneres zweckmäßig umgestaltet. Betritt man letztere vom Petersplatz aus über die kleine Freitreppe, so gelangt man in den Vorraum, von dem einst eine Stiege nach dem Turm und Gerichtszimmer führte; links ist das Zimmer des Archivvorstandes, das — aus der hier durchbrochenen Hauptfrontmauer erkerartig vorgebaut — mit seinem spätgotischen Netzgewölbe mit einfach profilierten Rippen ungemein anheimelt. Im Nebenzimmer hat sich noch ein prächtiges Sterngewölbe mit Wappen des Münchner Kindls im Schlußstein erhalten; daran stößt das Archiv (Gewölbe Nr. 1 bemerkenswert durch seine im Empirestil grün und weiß bemalten Wände). Im Erdgeschoß ein Raum, umfassend 2 Joche und ein Diagonalrippengewölbe mit Quergurten, dessen schwere Rippen abgeschrägte Ecken zeigen.

Im 1. Stock, dem Petersplatz zu, liegt der eigentliche alte Rathaussaal, — im Gegensatz zum sogen, großen Alten Rathaussaal jenseits des Turmes, dem „Tanzsaal“ — der „kleine“ Rathaussaal genannt, zu dem eine eigene, steil abgedeckte Treppe vom Petersplatz aus direckt hinaufführt; an ihrem obern Ende ladet ein niedlicher Erkervorbau mit Wartebanken zum Ruhen ein. Im Saal selbst werden wir durch die alte, schwere eichene Tonnendecke — gestützt vom einem hübsch ornamentierten gotischen Unterzug — durch den schweren messingen Kronleuchter und das über dem Kamin befindliche Oelgemälde von 1568 — das uns von den einstigen prunkvollen Festen und Turnieren der glänzenden Renaissancezeit erzählt — in eine eigene feierliche Stimmung versetzt; hier in diesem wertvollsten und besterhaltenstem Raum des Traktes ist das alte Rednerpodium, umschlossen von einem barocken Eisengitter. Jetzt dient dieser „kleine Rathaussaal“ als Vorraum des Trauungszimmers vom Standesamt, das seit 35 Jahren im danebenhegenden ehemaligen „Ratsplenum“ mit seiner schönen Spätrenaissancedecke eingerichtet ist. Vom kleinen Bat- haussaal aus gelangt man in den Turmraum des ehemaligen Gerichtszimmers, und von da führt eine steinerne Wendeltreppe nach der im obern Turmgeschoß befindlichen, heute noch vorhandenen „Frohnvest“ mit ihren Haftzellen, wo die armen Sünder ihrer Aburteilung entgegensahen (der letzte der Gefangenen war ein Schäfflergeselle, der 1825 hier seine Strafe verbüßen sollte, jedoch auf Nimmerwiedersehen über die nachbarlichen Dächer entfloh). Im Aeußern, dem Petersplatz zu, stellt sich die Front mit den verschiedenen Erkern, Schutzdächlein, Durchgängen, dem hohen Ziegeldach im Verein mit der gegenüberliegenden altersgrauen Peterskirche als eines der schönsten Stadtbilder aus der Altmünchner Zeit dar [B 68]“. 

Großer Rathaussaal („Tanzhaus“). Bedeutende Brände, 1418 und 1460, legten den Bau des alten damaligen Rathauses größtenteils in Asche. Um 1470 begann unter dem städtischen Baumeister Jörg Ganghofer, dem Meister der Frauenkirche, der Ausbau des Traktes mit dem Großen Bathaussaal; Bauleiter war Peter Mannhart, und Ulrich Fueterer übernahm die malerische Ausschmückung des Innern und der Fassade; letztere wurde später im Sinne der Renaissance ausgestattet und 1862 wieder „regotisiert“;

Erasmus Grasser führte die Bildhauerarbeiten aus. Der Saal, „wohl der vollendetste, schönste Saal Deutschlands aus dieser Zeit der Gotik [B 08]“, nimmt den 1. Stock des Gebäudes in dessen ganzer Länge ein. An den Schmalseiten (gegen Tal und Marienplatz) sind je 3 Bundbogenfenster mit Maßwerk, an der Straßenseite 4 Fensternischen mit profilierten Segmentbögen und Maßwerk; auf der Seite gegenüber entsprechen 7 Wandnischen, von denen sich 3 zu Türen öffnen. Auf einem holzgeschnitzten Fries von je 53 Felderteilungen an den Langseiten (mit Wappen verschiedener Länder, Städte und Familien) wölbt sich die prächtige Sprengwerkdecke in einer gewaltigen Tonne von 17 m Spannweite die durch rippenartig angeordnete Gurten mit geschnitzten Blattranken gegliedert ist, denen sich wiederum — parallel der Tonnenachse angeordnet — Maßwerkverzierungen anlegen; die Schnittpunkte der Gurten (Schlußsteine) sind mit 11 Wappen geziert. Am Wappenfries unter dem Gewölbe die berühmten 10 (ursprünglich 16) Maruska-Tänzer des Erasmus Grasser, früher benannt die „Narren“ wegen ihrer phantastischen, schellenbesetzten Tracht sowohl wie wegen ihrer kecken Sprünge und Grimassen. In Wirklichkeit stellen sie flotte Tänzer dar mit Bezug auf die Bestimmung des Saales („Tanz-Saales“), frohen Festen zu dienen; und zwar ist es der polnische Maruska-Tanz, der „Vorläufer der Polka Mazurka, die seit dem 18. Jahrh. als polnischer Nationaltanz gilt, und für den dem Grasser der Pole Jannucz (Johannes) als Modell empfohlen wurde [W]“. In diesen Figuren „schuf Grasser das Originellste und Beste, was wir von der bürgerlichen Gotik besitzen [W]“, ein „einzigartiges Werk, ein Prachtstück deutschen Humors, der uns, versteckt in der mittelalterlichen Plastik an Wasserspeiern, Chorstühlen u. s. w., oft so köstlich begegnet und sich hier im heitern Festsaal formvollendet und frei entfalten kann. Der Künstler schwelgt bei diesen Tänzern geradezu in den schwierigsten Verrenkungen, durch die er — ebenso wie durch die höchst charakteristischen Physiognomien — die Temperamente und Stimmungen der Tänzer und Tänze mannigtaltigst schattiert; fein streift er dabei mit der komischen Steigerung der Affekte im Tanz an Karrikatur, zu der ja diese Belustigung so sehr lockt — nicht nur bei den temperamentvollen Maruskatänzern, sondern auch heute noch, wenn die Paare, geziert und steif, wohlgemessen durch den Saal walzen. Da hüpft zur Introduktion ein Jüngling mit langwallenden Locken sichern Sprunges herein; ungelenk aber leidenschaftlich stampft neben ihm Jannucz seinen Tanz, das Haupt mit einer Art Turban umwickelt; andern mag er häßlich erscheinen, sich selbst — wie uns sein Blick sagt — gefällt er. Mit Feuer aber sind alle bei der Sache, besonders aber auch jener, dessen phantastischen Kopfputz eine Schlange ziert und der uns mit rollenden Augen und zugreifenden Händen entgegenspringt. Zu einem starken, wirbelartigen Dreher holt der Mann mit der hohen schellenbesetzteu Mütze aus, während jener mit dem Federbusch im Kopftuch durch sentimentale Grazie bezaubert; langsames Dehnen gibt ihm günstige Gelegenheit, die schlanke Schönheit seiner Taille zur Geltung zu bringen, während sein häßliches, derbes Gesicht in komischem Kontrast zu seinem gezierten Wesen steht; ein andrer schließlich, der einem friedlichen Schneiderlein gar ähnlich sieht, hüpft fröhlich herum: ist er es doch, der des Tanzens höchsten Reiz erfaßt hat — nicht in holder Anmut wiegen sich Grassers Tänzer, sondern im ausgelassensten Jubel voller Schnurren und Fröhlichkeit jagen sie durch den Saal |RM 406j“. Für den „Kleinen Rathaussal“ Arch. Hugo Steffen in B08; im übrigen KB.


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