Kunst & Kultur

Name Gedenkstele für Gustav Landauer
Stadtbezirk 7. Sendling-Westpark
Stadtbezirksteil Am Waldfriedhof
Objekt Gräberfeld 95
Gruppierung Waldfriedhof
Übergabe 29.6.2017
Personen Landauer Gustav  
Künstler:innen Knittel Markus
Kategorie Schriftsteller  Literatur  
Rubrik Denkmal Gedenktafel 
Gedenkstele für Gustav Landauer
© Gerhard Willhalm, Gedenkstele für Gustav Landauer, CC BY-NC 4.0

   

„Aufruf zum Sozialismus“ aus dem Jahre 1908: „Jetzt gilt es, noch Opfer anderer Art zu bringen, nicht heroische, sondern stille, unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben“.

MICHAEL STEPHAN

Rede bei der Enthüllung des neuen Gedenksteins für Gustav Landauer am Waldfriedhof (Alter Teil, Gräberfeld 95) am 29. Juni 2017

„Gestern nachmittag lernte ich Gustav Landauer kennen, der einige Tage das Schicksal und speziell das geistige Schicksal Münchens - er selber hoffte: Bayerns - bedeutet hat. Nur die lang herabfallenden Haare verrieten den Sonderling: sonst macht der hagere Mann mit dem ergrauenden Vollbart einen völlig kultivierten, weder revolutionären noch proletarischen Eindruck; die großen braunen Augen blicken viel eher gütig als fanatisch, Stimme und Ausdrucksweise sind von geschliffener Milde.“

Diese Zeilen vom 18. April 1919 stammen aus dem 2015 edierten „Revolutions-Tagebuch“ des Romanisten Victor Klemperer, der die politischen Geschehnisse in München 1918/19 hautnah miterlebt hat. Klemperer hatte vor dem Krieg in München promoviert und sich habilitiert, ab 1915 leistete er Kriegsdienst, den er im Dezember 1918 formal korrekt in München beendete. Ende Januar 1919 kam er dauerhaft nach München zurück, wo er dann (bis zu seiner Übersiedelung nach Dresden 1920) als außerordentlicher Professor an der Universität München tätig war. Klemperer suchte das Gespräch mit Gustav Landauer, weil dieser in der kurzen Zeit der ersten Räterepublik vom 7. bis 13. April 1919 als Volksbeauftragter für Volksaufklärung fungierte und damit auch für die Hochschulpolitik zuständig war.

Landauer hatte am 7. April 1919 zusammen mit dem anarchistischen Schriftsteller Erich Mühsam die erste Räterepublik Bayern ausgerufen; beide gehörten in verantwortlichen Positionen dem revolutionären Zentralrat an, dessen Vorsitz der Schriftsteller und Münchner USPD-Vorsitzende Ernst Toller übernahm. Der 7. April, ein Montag, wurde zum Nationalfeiertag erklärt. Am gleichen Tag schickte Gustav Landauer an seinen Freund Fritz Mauthner, den er seit
1889 aus Berliner Studentenzeiten kannte, eine Postkarte - auf der Vorderseite mit seinem Porträtfoto, auf der Rückseite mit folgendem Text:

„Die bayrische Räterepublik hat mir das Vergnügen gemacht, meinen heutigen Geburtstag zum Nationalfeiertag zu machen. Ich bin nun Beauftragter für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft, Künste und noch einiges. Läßt man mir ein paar Wochen Zeit, so hoffe ich etwas zu leisten; aber leicht möglich, dass es nur ein paar Tage sind, und dann war es ein Traum.“

Diese erste Republik der Philosophen, Dichter und Träumer endete tatsächlich nach nur wenigen Tagen: Am 13. April kommt es zu dem von der republikanischen Schutztruppe durchgeführten sogenannten Palmsonntagsputsch, bei dem mehrere Mitglieder des Zentralrats der Räterepublik verhaftet werden, darunter auch Erich Mühsam. Der Putschversuch wurde zwar von Soldaten der bayrischen Roten Armee unter dem Kommando Rudolf Egelhofers vereitelt, jedoch verblieb Mühsam in Haft, da er außerhalb der Zugriffsgewalt der Räteregierung inhaftiert wurde - im Zuchthaus Ebrach. Die Räterepublik konstituierte sich an diesem 13. April neu, nun unter kommunistischer Führung, deren sogenannter Aktionsausschuss im Wesentlichen von Eugen Levine und Max Levien dominiert wurde. Landauer begrüßte zunächst diese Umgestaltung und erklärte seine Bereitschaft zur Mitarbeit an dieser zweiten kommunistischen Räterepublik.Doch schon am 16. April distanziert er sich mit folgendem Schreiben an den Aktionsausschuss, in dem in nuce Landauers politisches Denken deutlich wird:

„Ich habe mich um der Sache der Befreiung und des schönen Menschenlebens willen der Räterepublik weiter zur Verfügung gestellt; als der alte Zentralrat von einer Organisation ersetzt worden war, die von dem Vertrauen der Münchner Arbeiterschaft getragen zu sein schien. Sie haben meine Dienste bisher nicht in Anspruch genommen. Inzwischen habe ich Sie am Werke gesehen, habe Ihre Aufklärung, Ihre Art den Kampf zu führen, kennengelernt. Ich habe gesehen, wie im Gegensatz zu dem, was Sie ,Schein-Räte-Republik‘ nennen, Ihre Wirklichkeit aussieht. Ich verstehe unter dem Kampf, der Zustände schaffen will, die jedem Menschen gestatten, an den Gütern der Erde und der Kultur teilzunehmen, etwas anderes als Sie. Ich stelle also fest - was schon vorher kein Geheimnis war - dass die Abneigung gegen eine gemeinsame Arbeit gegenseitig ist. Der Sozialismus, der sich verwirklicht, macht sofort alle schöpferischen Kräfte lebendig; in Ihrem Werke aber sehe ich, dass Sie auf wirtschaftlichem und geistigem Gebiet, ich beklage es, sehen zu müssen, sich nicht darauf verstehen.“

Als Victor Klemperer Landauer einen Tag später zum Gespräch traf, war also Landauers kurzer Ausflug in die aktive und praktische Politik schon wieder vorbei. Klemperers Tagebucheintrag vom 18. April fährt mit einem Zitat Landauers fort:

„,Wenn Sie die Zukunft der Universität kennenlernen wollen (sagt er etwas schwermütig), dann wenden Sie sich an Herrn Hoffmann [also den am 17. März vom Bayerischen Landtag gewählten sozialdemokratischen bayerischen Ministerpräsidenten und offiziellen Kultusminister Johannes Hoffmann, der am 8. April mit seinem Kabinett unter dem Druck der Münchner Räterepublik nach Bamberg ausgewichen war|. Hier geht es ja nicht mehr lange so weiter. Und ich kann nichts verfügen, Herr Levien müsste ja alles unterschreiben. Diese Menschen fassen ihre Republik rein materialistisch auf, sie haben auch nur noch die engste Stadtrepublik, das ganze Land ist gegen sie ... Ich dagegen, ich wollte auf den Geist wirken/ Ich glaube es ihm aufs Wort und kann ihn doch nicht bedauern: wer so rasch von den schlimmsten Elementen beiseite gedrängt werden konnte, hat dadurch seine politische Unfähigkeit erwiesen. Die deshalb noch längst keine geistige Unfähigkeit ist. |... ] Nein, ich kann nicht bedauern, dass er als Alleinherrscher seine Rolle so rasch ausgespielt hat. Er ist ein Anregender, ein Journalist, eine große, aber ganz kindliche Begabung. [...] Er ist ein Kind und ich wünsche ihm (und uns allen), dass ihn niemand zum Märtyrer mache.“

Ob Klemperer mit seiner eher konservativen Einschätzung der Persönlichkeit Landauers richtig lag, sei dahin gestellt, aber seine prophetische Ahnung von Landauers Ende wurde leider Wirklichkeit.

Am 1. Mai 1919 - am Vortag hatte Rudolf Egelhofer, der Kommandant der Roten Armee, zehn Geiseln, darunter Mitglieder der rechten Thule-Gesellschaft, erschießen lassen - zogen Reichswehr und Freikorpsverbände in München ein und schlugen in den folgenden Tagen die kommunistische Räterepublik mit aller militärischen Gewalt nieder; insgesamt forderten die Kämpfe um München 625 Opfer.

Auch Gustav Landauer, der sich im Hause der Witwe Kurt Eisners in München-Großhadern versteckt hielt, wurde am 1. Mai 1919 denunziert und verhaftet. Einen Tag später, am 2. Mai 1919, ermordeten ihn bei der Einlieferung ins Münchner Zentralgefängnis in Stadelheim Freikorpssoldaten auf brutalste Weise.

Erich Mühsam, der zu diesem Zeitpunkt immer noch im Zuchthaus Ebrach saß (wenn man so will - in Sicherheit; später verurteilte man ihn wegen seiner Beteiligung an der Räterepublik zu 15 Jahren Festungshaft), hielt einige Tage später, am 5. Mai 1919, die Ereignisse in München, die er immer nur bruchstückhaft erfuhr, in seinem Tagebuch fest:

„Seit von der Erschießung von Geiseln die Rede ist, bin ich die Angst um Landauer nicht losgeworden. Grade er hätte sich entschieden dagegen gestemmt. [...] Es wäre ja schauderhaft, wenn man grade Landauer tötete. Was wissen denn diese Barbaren von seinem großen, klaren, starken Geist? Was von seinen Lehren, Bekenntnissen, Werbungen, Leistungen, was von den Bereicherungen, die er als Philosoph und Sozialist diesem Volk gegeben hat? Wie tief mich persönlich dies Furchtbare träfe - davon rede ich nicht, jetzt nicht. Denn ich glaubs nicht und wills nicht glauben.“

Doch am nächsten Tag erfuhr Mühsam die ganze Wahrheit:

„Landauer tot. Ich will und kann es nicht für möglich halten und muß es doch glauben. (...) Gelyncht also - wie Rosa Luxemburg von einer durch Lügen und verleumderische Verhetzung fanatisierte und mordgierig gemachte Soldateska schnöde ermordet. Es ist so furchtbar - so grauenvoll: mein Freund und Führer, mein Lehrer und Genosse. - Und ich sitze da, eingekerkert von denselben Verbrechern, die seinen Tod verschuldet haben und kann nicht helfen, niemanden trösten, nicht zu seinem Begräbnis gehn, kein Wort des Gedächtnisses für ihn sprechen. Und niemand - auch von denen nicht, die jetzt erbittert sind gegen seine Mörder - niemand weiß, welch ein Geist hier zerstört ward.“ 

Was für ein Geist, was für ein Mensch war Gustav Landauer? Ulrich Linse, der 1974 die politischen Reden, Schriften, Erlasse und Briefe Landauers aus der Revolutionszeit 1918/1919 herausgegeben hat, bezeichnet ihn als „revolutionären Geist“ (so der Titel seines Vorworts). Nach ihm gehört Landauer „zu den hervorragendesten theoretischen Vertretern des deutschen libertären Sozialismus in der Wilhelminischen Ära und der aus ihrem Schoß entspringenden Revolutionszeit. In einzigartiger Weise verbindet er deutsches romantisches Denken, jüdisches Erbe und die sozialistisch-anarchistische Tradition der Bismarckzeit und formte sie um in das, was er selbst einen ,Verwirklichungs-Sozialismus', andere einen ,Kultursozialismus' nannten, ohne damit Landauers Verbindung von ,Mystik' und sozialer Utopie voll gerecht werden zu können.“

Gustav Landauer wurde am 7. April 1870 in Karlsruhe (also im damaligen Großherzogtum Baden) als zweiter Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren.

Er studierte in Heidelberg, Straßburg und Berlin Germanistik und Philosophie. Noch in seiner Studentenzeit verfasste er seinen ersten Roman „Der Todesprediger“. In Berlin wird Landauer Mitglied des „Vereins unabhängiger Sozialisten“ und Mitbegründer der „Neuen Freien Volksbühne“; beides waren Gegenentwürfe, sowohl zur Sozialdemokratischen Partei als auch zu der von der SPD dominierten „Freien Volksbühne“. 1892 heiratet er gegen den Willen des Vaters Grete Leuschner, die er in der Berliner proletarischen Szene kennengelernt hat, in Zürich und muss dann aus finanziellen Gründen sein Studium abbrechen. Nach der Rückkehr nach Berlin übernimmt er im Februar 1893 die Redaktionsgeschäfte der Zeitschrift „Der Sozialist“, das - so der Untertitel - „ Organ aller Revolutionäre“. Landauer wird Führer des anarchistischen Flügels des Vereins unabhängiger Sozialisten, der dann ab Juli 1893 auch die Zeitschrift alleine führt (bis 1897). Im August 1893 nimmt Landauer als Delegierter am Internationalen Sozialisten-Kongreß in Zürich teil, bei dem aber die Anarchisten ausgeschlossen werden. Im Oktober 1893 wird Landauer zum ersten Mal wegen eines Zeitungsartikels zu zwei Monaten Haft verurteilt, die im Dezember 1893 auf neun Monate wegen Aufreizung zum Aufruhr ausgedehnt wird (es sollten noch zwei weitere Gefängnisaufenthalte im Januar 1897 und von August bis Dezember 1899 folgen). Nach der Haftentlassung im Oktober 1894 wandelt sich seine Auffassung vom Sozialismus, die er in vielen Artikeln in seiner Zeitschrift „Der Sozialist“ darlegt. Es kommt in den folgenden Jahren zu einer politischen Isolation Landauers und Distanzierung von der Arbeiterbewegung, schließlich ist auch der finanzielle Niedergang seiner Zeitschrift nicht mehr aufzuhalten. Ab 1897 nimmt er sein Studium der Literatur und Philosophie wieder auf und zieht sich für zehn Jahre ganz aus der politischen Betätigung zurück. 1899 lernt er die fünf Jahre ältere Lyrikerin und Sprachlehrerin Hedwig Lachmann kennen und verlässt deshalb zwei Jahre später seine erste Frau und die 1894 geborene Tochter Charlotte. Mit Hedwig Lachmann geht Landauer längere Zeit nach England, wo Landauer ein enges freundschaftliches Verhältnis zu dem russischen Anarchisten Peter Kropotkin aufbaut. Hier wird 1902 auch die erste gemeinsame Tochter Gudula geboren. Nach der Rückkehr nach Berlin erfolgt 1903 die Scheidung von seiner ersten Frau und die zweite Heirat, 1906 wird die zweite Tochter Brigitte geboren. Landauer hält sich und seine Familie mit Übersetzertätigkeiten und anderen Jobs finanziell über Wasser. 1908 kehrt Landauer wieder in die politische Arena zurück. Er gründet in diesem Jahr den „Sozialistischen Bund“, zu dessen Mitgliedern Erich Mühsam und der Religionsphilosoph Martin Buber gehören. Seit Anfang 1909 gibt er auch wieder die Halbmonatsschrift „Der Sozialist“ heraus. 1911 veröffentlicht er seinen „Aufruf zum Sozialismus“, einen bereits 1908 gehaltenen Vortrag, als Programmschrift zusammen mit den zwölf Artikeln des Sozialistischen Bundes. Darin vertritt er den Gedanken, nicht auf politischen Machtwechsel und den Tag des einmaligen und womöglich gewaltsamen Umsturzes des Bestehenden zur Errichtung von etwas Besserem, Neuem zu warten und abzuzielen. Die Menschen sollen vielmehr selbstbewusst damit beginnen, sich praktisch für ihre Ideen einzusetzen, und zu Tat und Werk schreiten, wenn es auch nur in bescheidenen ersten Ansätzen und Ausmaßen geschehen könnte. Das entschiedene Tun, Beginnen und Werden steht für ihn im Vordergrund. So soll sich das Neue aus dem Alten nicht nur revolutionär, sondern auch evolutionär herausbilden.

Und deswegen ist die Inschrift auf dem heute einzuweihenden Denkmal für Gustav Landauer, das ja ein Zitat aus seinem „Aufruf zum Sozialismus“ ist, so passend. Ich zitiere die Stelle noch einmal in ihrem ganzen Kontext:

„Das Beispiel der Vorausgehenden müssen wir geben. Beispiel und Opfermut! In der Vergangenheit, heute und morgen werden der Idee Opfer um Opfer gebracht: immer um der Auflehnung willen, immer um der Unmöglichkeit willen, so zu leben. Jetzt gilt es, dazu noch Opfer andrer Art zu bringen, nicht heroische, sondern stille, unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben. Und endlich, endlich wird der Sozialismus, der so lange geglüht und geflaut hat, endlich wird er leuchten.“

Doch Landauers „Sozialistischer Bund“ blieb ohne politische Wirkung. Vor und im Ersten Weltkrieg vertrat Landauer dann als gegen Krieg und Militarismus anschreibender und agierender Anarchopazifist und Antimilitarist konsequent die Position der Nichtgewalt in der Politik, was ihn in dieser säbelrasselnden Zeit noch weiter isolierte. Aufgrund der Zensur musste Landauer seine Zeitschrift „Der Sozialist“ einstellen. Die zunehmende materielle Not während des
Krieges veranlassten Landauer und seine Familie, Berlin zu verlassen und sich in Krumbach, dem Geburtsort seiner Frau, anzusiedeln. Hier starb Hedwig Lachmann am 21. Februar 1918 an einer Lungenentzündung, was Landauer in eine tiefe Depression warf.

Im Oktober 1918 erhält Landauer das Angebot, Dramaturg am Düsseldorfer Schauspielhaus zu werden. Als jedoch am 7. November 1918 die Republik bzw. der Freistaat Bayern in München von dem unabhängigen Sozialdemokraten Kurt Eisner ausgerufen wird, verschiebt Landauer diesen Plan. Doch noch hält ihn die Spanische Grippe, eine europaweite Pandemie, die damals Dutzende von Millionen Menschen das Leben kostete, von der Fahrt von Krumbach nach München ab. Eine Postkarte, die Landauer am 8. November 1918 an den „lieben Kameraden“ Eisner schickt, zeugt davon. Der neue bayerische Ministerpräsident Eisner schreibt am 14. November an Landauer:

„Kommen Sie, sobald es Ihre Zeit erlaubt. Was ich von Ihnen möchte, dass Sie durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen mitwirken.“

Landauer wird nun nach langer politischer Abstinenz plötzlich mitten in den Umsturz hineingerissen und findet für ein paar Monate in den Münchner Räten ein Kraftzentrum, das ihm zumindest ein verbales Aktionsfeld bietet. Auf Empfehlung Erich Mühsams wird Landauer in den „Revolutionären Arbeiterrat“ kooptiert, seine dortigen Reden sind gut dokumentiert.

Von Anfang an warnt Gustav Landauer vor zu frühen Wahlen und der Einberufung einer Nationalversammlung, so schon am 14. November 1918 in Briefen an seinen Freund Martin Buber oder an die Freundin Margarete Susmann:

„,Nationalversammlung1 bedeutet, dass die Revolution die Pferde ausspannt und in den Stall stellt. Ganz anderes tut not; und ich hoffe, ich werde durchsetzen, dass Bayern es tut und Wahlen zur Nationalversammlung vor der Schaffung eines neuen Geistes ablehnt.“

Doch Eisner kann sich in dieser Frage nicht gegen die Mehrheitssozialdemokraten in seinem Kabinett durchsetzen. Am 12. Januar 1919 werden Landtagswahlen angesetzt. Auch Landauer, der für das Parteienwesen eigentlich gar nichts übrig hatte (wie zur Bestätigung brachte er im Januar 1919 auch eine „Revolutionsausgabe“ seines Buches „Aufruf zum Sozialismus“ heraus), kandidiert für die USPD in Krumbach. Eisner und seine USPD erleiden mit nur 2,52 % der Stimmen eine drastische Niederlage. Am 21. Februar 1919 tritt der neu gewählte bayerische Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen, bei der Eisner seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklären will. Auf dem Weg zum Landtag in der Prannerstraße wird Eisner jedoch von dem rechtsradikalen Attentäter Anton Graf Arco-Valley erschossen. Im Landtag kommt es daraufhin auch zu einer Schießerei, bei der der BVP-Abgeordnete Heinrich Osel erschossen und der führende MSPD-Politiker und Innenminister Erhard Auer schwer verletzt wird.

Bei dem eindrucksvollen Trauerzug für Kurt Eisner am 26. Februar 1919 schienen die Stadt und das Land ein letztes Mal einig. Die Gedächtnisrede bei der Totenfeier am Münchner Ostfriedhof hielt Gustav Landauer persönlich. Doch die Ereignisse vom 21. Februar 1919 wurden zur Zäsur für die politische Entwicklung Bayerns in der revolutionären Übergangszeit. Mit dem politischen Mord an Eisner drang in Bayern die Gewalt in die Auseinandersetzung zwischen revolutionären und gegenrevolutionären Kräften. In der Phase nach Eisner Tod konkurrierten die linksradikal orientierte und in einer klaren Minderheitenposition befindliche Rätebewegung, bei der Gustav Landauer an vorderster Stelle aktiv beteiligt war, auf der einen und der gewählte bayerische Landtag auf der anderen Seite um das Recht der Regierungsbildung.

Am 28. Februar 1919 stellt Erich Mühsam auf einer Sitzung des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates im Landtagsgebäude den Antrag, die Räterepublik auszurufen, der jedoch mit großer Mehrheit abgelehnt wird. Soldaten der republikanischen Schutzwehr dringen in der Nachmittagssitzung des Kongresses in das Landtagsgebäude ein und verhaften Mühsam, Levien und auch Gustav Landauer, die jedoch kurz darauf von der Landtagswache wieder befreit werden. Der Landtag bleibt daraufhin zunächst vertagt. Am 1. März 1919 wählt der Zentralrat der Rätebewegung den
Sozialdemokraten Martin Segitz zum Ministerpräsidenten und am 17. März zieht der Landtag mit der Wahl des MSPD Politikers Johannes Hoffmann nach. Der Gegensatz kulminiert dann in der Ausrufung der Räterepublik am 7. April 1919 durch Gustav Landauer und den eingangs geschilderten darauffolgenden Ereignissen, die mit der Ermordung Landauers am 2. Mai 1919 ihren traurigen Abschluss finden.

Landauers Tod wurde erst am 4. Juni 1919, also einen Monat später, an das Standesamt München II gemeldet. Der dortige Standesbeamte trug erst am 12. Juni 1919 unter der Nr. 1382 den Todesfall in das Sterbebuch des Jahrgangs 1919 ein, ohne Angabe der Todesursache, auch der Todeszeitpunkt wurde als „unbekannt“ vermerkt. Als Sterbeort ist die Stadelheimerstraße 12 angegeben.

Noch im Mai 1919 war Gustav Landauers Tochter Charlotte (1894-1927) von Karlsruhe nach München gereist und erreichte am 19. Mai bei General Ernst von Oven, der die militärische Niederschlagung der Münchner Räterepublik befehligt hatte, die Exhumierung ihres Vaters aus einem Massengrab. Ebenso gelang ihr die Freigabe von Landauers schriftlichem Nachlass. Bereits in einem Testamentsbrief vom 22. Februar 1918 hatte Landauer seinen Freund Martin Buber zum Verwalter des literarischen Nachlasses bestimmt, der nach Landauers Ermordung zunächst die erzählerischen und philosophischen, dann auch die politischen Werke neu herausgab. Über Buber gelangte ein Teil des Nachlasses dann in die National Library of Israel in Jerusalem. Der Hauptteil des Nachlasses verblieb jedoch bei der Tochter Charlotte. Sie heiratete im März 1922 den Chemiker Max Kronstein, der nach dem Tod seiner Frau 1927 in den Besitz des Landauer-Nachlasses kam. 1938 gelang es einer Mitarbeiterin des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam, den Nachlass aus Nazi-Deutschland heraus zu bringen; im Institut ist er heute noch gut erschlossen einsehbar.

Landauers Werke werden bis heute weiter ediert, gelesen und rezipiert. Ich erwähne hier nur die seit 2008 von Siegbert Wolf herausgegebene Werkausgabe, von der dieses Jahr der 13. Band erschienen ist. Und gerade dieser Tage kam die von Christoph Knüppel herausgegebene und vorbildlich kommentierte Ausgabe der Briefe und Tagebücher Landauers von 1884 bis 1900 auf den Markt.

Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz die Geschichte des Grabes und des ersten Denkmals von Gustav Landauer skizzieren, das auch ein Stück Münchner Erinnerungskultur darstellt.

Die Kremierung des Leichnams von Gustav Landauer erfolgte gemäß seiner letztwilligen Verfügung am 13. Juni 1919 im Ostfriedhof. Die Urne wurde zunächst im neuen Nordfriedhof an der Schwabinger Ungererstraße verwahrt. Charlotte Landauer bemühte sich, ebenso wie Gustav Landauers langjähriger Freund und literarischer Testamentsvollstrecker Martin Buber (1878-1965), um eine würdige Grabstätte. Am 19. April 1922 bevollmächtigte sie den Münchner Stadtrat Fritz Weigel (er war Mitglied der USPD, bis 1924 im Stadtrat, dann zog er nach Berlin), die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Dieser kaufte am 20. Februar 1923 eine Grabstelle im Waldfriedhof, beantragte aber zugleich am 28. Februar im Namen der „syndikalistischen Arbeiter-Föderation Deutschlands und der Freunde Landauers“ die Stundung bzw. kostenlose Überlassung. Noch vor einer Entscheidung des Stadtrats erfolgte im Mai 1923 im Rahmen einer Gedenkfeier, an der auch Charlotte Landauer teilnahm, die Beisetzung der Urne in einem eigens dafür angefertigten Betonsockel auf der angekauften Grabstelle. Er hatte die schlichte Inschrift: „Hier ruht Gustav Landauer“. Am 25. September 1923 lehnte der Stadtrat die kostenlose Überlassung des Grabplatzes endgültig ab. Schon im August war aber von den Initiatoren der endgültige Kaufpreis bezahlt worden mit einer Laufzeit von 15 Jahren bis zum 21. April 1938. Mittels Spendenaufrufen, Verkauf von Postkarten sowie gedruckten Sammelmarken der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“ in München sowie eines „Gustav-Landauer-Gedenkstein-Komitees“ gelang es schließlich, dass am 26. Mai 1925 ein würdevolles Grabdenkmal aufgestellt werden konnte. Bei dem Denkmal (Entwurf von Johann Weigl) handelte es sich um eine 5,30 m hohe Muschelkalkpyramide, die von oben durch eine blaue Glasscheibe in einem schrägen Schacht gebrochen ist. Die Urne mit der Asche Gustav Landauers wurde in den Betonsockel des Denkmals einbetoniert, bevor die Pyramide installiert wurde. Als Inschrift auf der Vorderseite wurde das schon genannte Zitat aus Landauers programmatischen Buch „Aufbruch zum Sozialismus“ gewählt:

„Jetzt gilt es noch andere Opfer anderer Art zu bringen, nicht heroische, sondern stille unscheinbare Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben. 1870 Gustav Landauer 1919.“ - Auf der Rückseite stand: „Errichtet von der freien Arbeiterunion Deutschlands. Anarcho-Syndikalisten Arbeiterbörse München.“

In den folgenden Jahren konnten regelmäßig anfangs Mai Gedenk Veranstaltung an diesem Grabdenkmal stattfinden, bis die Nationalsozialisten im Jahr 1933 zu einer radikalen Maßnahme griffen. Der Münchner Stadtrat beschloss, auf Antrag der Stadtratsfraktion der NSDAP in einer öffentlichen Sitzung am 22. Juni 1933, dass das Grab Landauers (ebenso wie das von Kurt Eisner am Ostfriedhof) „als erloschen“ erklärt werden sollte; „der Abbruch der Denkmäler und die Beseitigung der Aschen (nach den bestehenden Vorschriften) hat unverzüglich zu erfolgen.“ Die beiden Urnen mit der Asche von Landauer und Eisner wurden am 30. Juni der Israelitischen Kultusgemeinde übergeben, die diese im Neuen Israelitischen Friedhof an der Garchinger Straße in zwei Erdgräbern bestattete. In dem im Stadtarchiv München liegenden Akt über das Grab findet sich ein interessantes, anonymes Schreiben, das am 26. Juni 1933 bei der Münchner Stadtratsfraktion der NSDAP einging:

„Scheusale der Kultur!!
Ihr seid doch echte Idioten
lasst nicht einmal in Ruh die Toten
der Geist der Toten lebet fort
trotz brauner Pest u(nd) Nazimord!!
Der Geist der Toten
vom Münchener Ost- und Waldfriedhof“

Im Sommer 1946 beschäftigte sich der Münchner Stadtrat mit der „Zu- und Aberkennung während der nationalsozialistischen Stadtverwaltung“, also von Straßen- und Schulnamen sowie von Ehrengräbern. Zu Gustav Landauer meldete das Bestattungsamt am 8. Juli 1946 nicht ganz korrekt:

„Die Grabstätte wurde als Ehrengrab geführt.
Das Grab wurde aufgelassen und die Asche
am 1.7.1933 zum Isr(aelitischen) Friedhof
an der Ungererstraße verbracht.“

Hans Ludwig Held, der Beauftragte für Kultur, berichtete am 25. September 1946 in dieser Sache an Oberbürgermeister Karl Scharnagl etwas ausführlicher:

„Die Gräber Gustav Landauers [am Waldfriedhof] sowie Kurt Eisners am Ostfriedhof sind aufgelassen. Die Gründe hierfür sind im Grabbuch nicht eingetragen. Ganz abgesehen von der politischen Einstellung der beiden genannten Männer handelt es sich selbstverständlich bei dem Verfahren der nationalsozialistischen Stadtverwaltung um den Ausdruck ihrer antisemitischen Gesinnung. Die Bedeutung Gustav Landauers als Schriftsteller steht außer Frage. Ihn verbanden mit München Freundschaften mit zahlreichen Männern und Frauen des Münchner Schrifttums, dazu kommt, dass er in München den mörderischen Kugeln seiner politischen Feinde erlag. Das Geschehen um Kurt Eisner braucht nicht erst geschildert zu werden, da die Ermordung des ersten bayerischen sozialistischen Ministerpräsidenten noch in der Erinnerung unserer Tage steht.“

Auf dem neuen jüdischen Friedhof besteht heute noch ein gemeinsames Grab von Kurt Eisner und Gustav Landauer. Auf dem gemeinsamen Grabstein, angeblich ein Überrest des alten Denkmals vom Waldfriedhof, stehen schlicht nur die beiden Namen untereinander.

Wenn heute hier im Waldfriedhof wieder ein Denkmal (mit der alten Inschrift) steht, darf doch nicht vergessen werden, dass es mittlerweile in München noch zwei weitere Orte gibt, an denen an Gustav Landauer erinnert wird.

Auf Antrag von Siegfried Benker von der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde am 23. Januar 1997 am städtischen Fremdspracheninstitut in der Amalienstraße 36 eine von dem Bildhauer Josef Fromm geschaffene Gedenktafel enthüllt:

„Gustav Landauer
1870-1919
Philosoph, Übersetzer, Autor und für kurze Zeit
Volksbeauftragter für Volksaufklärung.
Wurde nach dem Ende der Münchner Räterepublik
als Radikalsozialist und gewaltloser Anarchist
am 2. Mai in München-Stadelheim ermordet.“

Der Ort der Gedenktafel war natürlich eine Verlegenheitslösung. Da für Gustav Landauer kein Münchner Wohnsitz ermittelt werden konnte (im polizeilichen Meldebogen für Gustav Landauer, angelegt erst am 25. Mai 1919 (!), ist als Wohnsitz vom 24. März bis 12. April 1919 das Hotel Wolff in der Arnulfstraße 4 angegeben), schlug das Stadtarchiv München in einem Gutachten vom 8. März 1996 die Sprachenschule vor, „weil Landauers Leistung auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft, vor allem als Übersetzer von Werken aus dem Englischen (Oscar Wilde, George Bernard Shaw, Walt Whitman, vor allem aber Shakespeare), vielleicht bedeutender und jedenfalls dauerhafter war als seine politische Wirkung.“ 

Im Neubaugebiet Ackermannbogen in Schwabing-West wurde im Jahr 2002 eine Straße nach ihm benannt: der Gustav-Landauer-Bogen. Als Mitglied im dortigen Bezirksausschuss habe ich für die SPD-Fraktion die Anbringung von erklärenden Zusatzschildern beantragt, auf denen in ihrer Verknappung nicht ganz korrekt zu lesen ist: „Gustav Landauer (1870-1919 im Gefängnis ermordet). Journalist und Pazifist, Beauftragter der Regierung Eisner.“

Es könnte dort auch stehen:

Gustav Landauer steht für ein anderes Bayern, ein anderes Deutschland, ein Deutschland des Friedens, der Freiheit und der kulturellen Verständigung. 

Quellenangabe: Turmschreiber. Das bayerische Hausbuch auf das Jahr 2019, München 2018, S. 194-201).

 

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Knittel Markus - Gedenkstele für Gustav Landauer

Gedenkstele für Gustav Landauer 1917

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